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^ÄftABi^^
BEITRÄGE
« Z U H
DEUTSCHEN SPRACHKÜNDß.
vohgeLesen
IN DER K^ONIGLICHEN AKADEMIE
DER WISSENSCHAFTEN
ZV BERLIN.
ERSTE SAMMLUNG,
BERLIN, 1794.
IS KARL MATZDORE5 BUGRKANDLUirrT
830
\
VORBERICHT. *
JL/iejenigen Mitglieder der königli-
chen Akademie der Wissenschaf-
ten, welche sicji vereinigt haben
an der Verbesserung der Deutschen
Sprache selbst zu arbeiten und auch
andere Gelehrte dazu aufzumun-
tern, erklären sich hierdurch für
keine Gesetzgeber der Sprache, wie
man aus dieser erstell Schrift se-
hen wird. Sie haben sich darin so
gar der Freyheit bedient in eini-
gen Punkten von einander abzuge-
hen, damit das Publicum selbst
entscheide, welcher Meinung es
beytreten will.
Sie werden mit ihren Beyträgen
fortfahren, so bald hinlänglicher
«
Vorrath gesammelt seyn wird, oh-
ne sich dabey an eine bestimmte
Zeit zu binden.
» i
> s
Aus^
Auszug, aus der von dem Staats^
Minister Herrn Grafen von Herz--
berg, als Curator der Akademie
der TVissenschaften zu Berlin,
gehaltenen Vorlesung vom 26.
Januar ij9^.
I jie Deutschen Mitglieder unserer Aka-
demie haben sich, nach meinem Rath,
zur Ausfuhrung des grofsen Plans verbun*
den, den der unsterbliche Leibnitz schon
bey Errichtung unserer Akademie zu Anfange
dieses Jahrhunderts bezweckte, nehmlich:
auf die J^ervollkommnung der Deutschen
Sprache hinzuarbeiten. Im sechsten Theil
8^er Werke findet man seine Gedanken
hierüber^ Sein Plan ist so weit umfassend,
so einleuchtend und so philosophisch, dafs
er ganz für unsere Zweiten gemacht zu seyn
adieuit« Wir dürfen ihm nur pünktlich
A 2
folgen, und di^ letzte Hand daran legen,
indem wir die Veränderungen hinzufügen,
die durch die Fortschritte in den Wissen-
Schäften und selbst in der Deutschen Spra-
che während dieses langen Zeitraums von
beinah einem Jahrhundert nothwendig ge-
macht -worden. Aus diesem Grunde werde
ich auch Leibnüzens Plan in Deutscher Spra-
che, den heute gehaltenen Vorlesungen beidru-
cken lassen, um ihn der Welt vor Augen
zu legen. Zwey unserer Mitglieder werden
in den Reden, die sie nach der mcÄnigen
halten und worauf ich mich beziehe, unsre
Absicht Weitläuftiger aus einander setzen.
Wahr ist es, die deutsche Sprache hat
seit Leibnüzens Zeiten grofse Fortschritte, ja
selbst unter der Regierung unsers grofsen
Königs Fri£drich$ des ^^whiten Rie-
senschritte gemacht Da dieser . Monarch
von den Franzosen erzogen worden war,
während seines ganzen Lebens nur Franzö-
sische Bücher gelesen und geschrieben^ ja
selbst, ^ nach dem allgemeinen Ton seines
Jahrhunderts, alle wichtigen auswärtigen Ge-
schäfte in Französischer Sprache verhandelt
hat, so gab er dieser Sprache einen ent-
sphiednen Vorzug vor der Deutschen, die
5
4&r nur Wenig kannte, und als rauh und
barbarisch nicht sonderlich schätzte. Doch
leam er ypn diesem Vorurtheil in den letz*
ten Jahren seines Lebens sehr zurück, wo-
zu ich, wie ich glaube, glücklidaer Weise
iDeizu tragen Gelegenheit hatte ^ wie man
mit mehreren aus meiner Geschichte der
Abhandlung des Königs : über die Deutsche
Literatur ersehen kann, die sich unter der
Sammlung meiner Disserta»tions academi*
ques befindet, und woraus ich hier kürz»
Hch das Merkwürdigste anfuhren will.
Während unsers Winteraufentbalts zu
Breslau im Jahre 1779, bey den Verhand-
lungen des Teschenschen Friedens sprach
der König einmahl nicht eben sehr vor*
theilhaft von der Deutschen Sprach», und
zog den alten Deutschen die Arsaziden
und Parther bey weitem vor. Ich nahm
mir die Freiheit, ihm in diesen beiden
Punkten zu widersprechen, und bewies ihm,
durch eine Übersetzung verschiedener schwie-
rigen Stellen des Tacitus, dafs nian sie in'
Deutscher Sprache weit gedrungener und
kraftvoller geben könne, als in der Fran-
zösischen , und dafs selbst Tacitus den Deut-
schen ausdrücklich einen grofsen Vorzug
6
vor den Parthem, in dem yortreß liehen und
merkwürdigen sieben tmd dreyfsigsten Kapi*
tel de Germania, gegeben habe.
Im Jahr 1780 wurde dieser Streit über
den Vorzug der Sprachen in einigen fireund-
schaftlichen Unterhaltungen fortgesetzt, die
ich mit dem Könige in Sans«-Souci hatte,
und worin er mir Recht gab, ja selbst
meine Übersetzungen lobte. Diefs war die
Veranlassung zu seiner berühmten Ahhand-
lung über die Deutsche Literatur y die er
nur selbst vorlas und drucken zu lassen be-
fahl. Freilich hat er wohl in dieser Ab-
handlung die Deutsche Sprache scharf kri-
tisirt, doch gestehet er ihr die Vorzüge des
Reichthums und der Kraft zu und giebt
selbst gute Lehren zu, ihrer Verbesserung.
Er rieth selbst Gelehrten, die ihm bekannt
waren: z. B. Ganzen und Arletius, ja er
befahl dem Minister, der die Aufsicht über
die Schulen hatte, dafs man sich befleifsi-
gen solle; die besten Griechischen und Rö-
mischen Schriftsteller , vorzüglich den Quinc-
tilian und Cicero zu übersetzen , und diesem
Rath haben wir die schöne Garvensche Über-
setzung der Werke Cicero's von den Pflich-
ten zu verdanken. Auch die Kritik dieses
7
erhabenen Verfassers hat für diö Deutsche
Sprache die gute Folge gehabt, daß nicht
nur einige unserer besten Deutschen Schrift*
steller, z. B. Jerusalem^ Moser, und andre
in mehreren guten Schriften die Deutsche
Sprache vertheidigt haben, sondern dafs
auch selbst unter den Schriftstellern D/eutsch-
lands ein rühmlicher Wetteifer entstanden
ist, sich durch eine schöne Schreibart
auszuzeichnen.
Es ist nicht zu läugnen, dafs die Deut-
sehe Sprache^ die im sechszehnten Jahr-
hundert durch Luthers reinen und kraftvol-
len Styl, vorzüglich durch seine Übersetzung
der Bibel einige Fortschritte gemacht hatte,
einestheils^ noch in selbigem und im folgen-
den Jahrhundert durch die Italiänische und
Spanische Sprache^ die am Wiener Hofe die
herrschenden waren, anderntheils aber auch
dadurch zurück gehalten wurde, dafs die
meisten Gelehrten Lateinisch schrieben, und
selbst Staatsschriften in dieser Sprache ver-
tust wurden. Endlich gewann die Franzö-*
sische Sprache, die in Ludwigs des vier-
zehnten Jahrhundert so ^ehr vervollkomm-
net wurde, dermafsen in ganz Europa und
am meisten in Deutschland die Oberhand,
dafsf sie, tiüd zwar vonüglich in unserm
Jahrhundert, theils wegen der Zierlichkeit
undides reizenden Vortrages Französischer
Schriftsteller, nocH mehr aber des grolsen
Einflusses wegen, den der Französische Hof
auf ganz Europa hatte^ und durch die Herr-
schaft der Mode, die sich die Französische ,
Nation zuzueignen wufste, die Hauptspra*
che aller Höfe und aller Societäten, bey
Negociationen , bey Staatsgesphäften und in
Büchern wurde. Auch npch jetzt weifs sie
sich in ihrem Besitze zu behaupten. Aus
diesen und andern Gründen, die ich hier
nicht weitläuftig auseinander setzen mag,
sind die Memoires unserer Akademie yom
Anfange dieses Jahrhunderts bis 1 7i4) Latei-
nisch, von der Zeit der Wiederherstellung
aber bis jetzt Französisch geschrieben worden.
Nur die untern Bürgerklassen und eigene-
liehe Gelehrte haben sich hauptsächlich der
Deutschen Sprache bedient. Trotz diesem
ungünstigen Schicksal der Deutschen Lite-
ratur und Sprache, haben doch die Deut-
sehen Gelehrten, durch ihre angestretigten
Bemühungen, in allen Wissenschaften und
zugleich in ihrer Sprache so glückliche Fort-
schritte ^gemacht, dafs sie es jetzt mit allen
Nationen Europens aufnehmen können. Ei-
nen vorzüglichen Grad von Reinheit, Reich-
thum und Kraft hat unsre Sprache haupt-
sächlich durch die Werke unserer ersten
Schriftsteller, eines fVolf^ Mosheim, Mas-
koWj Geliert, Haller, PP^ieland, Lessing,
Möserj Geßner, Ramler, Adelung, Engel
und anderer erhalten, die ich hier nicht alle
anführen kann. Eine grofse Menge unserer
jungen mittelmäfsigen Schriftsteller , die
durch ihren aifektirten und gesuchten .Ton
die Sprache von neuem verunreinigen, dun-
kel und unangenehm machen wollen, kön^
nen -wir nicht' unter diese Anzahl rechnen.
Glücklicher Weise geht ihr Reich so ziemUch
zu Ende, und die gesunde Vernunft besteigt
ihren Thron wieder. Auch haben wir schon
ein sehr gutes Deutsches Wörterbuch von
dem gelehrteH Bibliothekar Adelungs und
^ noch einige yon. Frisch , Schmialtn und
Schwan. Diese Fortschritte, welche die
Deutsche Nation in den Wissenschaften und
in ihrer Sprache macht, hat schon bewirkt,
dafs fast alle unsre Nachbaren, vorzüglich
Engländer, Franzosen und Italianer unsere
Bücher zu übersetzen und unsere Sprache
zu lernen anfangen. Hierzu kömmt noch^
lO
als ein Hauptgrund, der ^wididge Einflufs,
den das ganze Deutsche Reich durch seine
Lage, und fast alle einzelne Staaten dessel-
ben, vorzüglich Freufsen, Östeireich und
Sachsen, durch ihre Fortschritte in der
Kriegskunst, in allen und den 'wichtigsten
Angelegenheiten Europens, yomehmlich aber
der Nachbaren Deutschlands, gewonnen Ha-
ben, wodurch diese gleichsam gezwungen
sind, unsre Sprache zu lernen; so wie wir
vormahls genöthigt waren die Französische
Sprache zu lernen. Die ansehnlichsten
Höfe Deutschlands verfassen * auch schon
ihre Deductionen und Staatsschriften in
Deutscher Sprache, und unser Hof hat
in dem Batierschen Erbfolgekriege vorzüg-
liche Proben davon geliefert.
Aller dieser Yortheile ungeachtet, läfst
es sich doch nicht läugnen, dafs die Deut-
sche Sprache noch manchen Schritt zu ma-
chen hat, ehe sie den möglich höchsten
Grad der Vollkommenheit erreicht. Haupt-
sächlich mufs man sich bemühen^ sie von
einer grofsen Menge fremder Wörter ' zu rei-
nigen und zu säubern, deren sie sich, vor-
züglich in Wissenshaften und Künsten, noch
bedient, und sie mit guten, ursprünglich
IX
Deutschen, doch auch nicht zu gesuchten
Ausdrücken zxl bereichem« Sie mufs ge-
nauer^ feiner und durch Verbannung der
grofsen Menge unnützer Synonimen ba*
stimmter gemacht werden; ja vdr müssen
dahin streben , dieser Sprache alle die Rein-
heit, den Reichthum^ die Bestimmtheit, die
Kraft, die Schönheit und alle andern Voll«
kommenheiten zueignen, deren sie Tor
allen andern' neuern Sprachen so sehr em-
pfänglich ist« Und diefs können wir, wenn
ynr sie mit einetii so philosophischen Geiste
behandeln, als Z/^/^m^ze/zj schöner Plan erfor-
dert imd uns vorzeichnet. Die Akademie zu
Berlin, die nntet ihren Mitgliedern mehrere
ansehnliche Deutsche Gelehrte zählt, glaubt
sich zur Ausführung dieses grofsen Plans
berufen, den der Herr Rath Zöllner nach
mir' genauer bestimmen wird. In dieser
Rücksicht wird eine Deputation nieder«
gesetzt werden, wovon jedes Mitglied sich
einer besondern Arbeit unterzieht. So wir(]l
z. B. ein Mitglied alle wissentschaftlichen und
Kunst - Ausdrücke aufsuchen, die uns noch
fehlen, und die wir daher von fremden Spra*
chen borgen müssen; ein anderes wird un-
serer Sprache und vorzüglich den Synoni-
12
men die nöthige Bestimmtheit zu geben sich
bemühen; ein anderes Mitglied wird eine
gute Geschichte der Sprache zusammentra-
gen; ein anderes aus den verschieduen Deut-
schen Mundarten diejenigen veralteten und
"wenig bekannten Wörter aufsuchen, die es
iverth sind in die Hochdeutsche Mundart auf-
genommen zu werden: denn diese wird ih-
res Wohlklangs und ihrer Schönheit wegen
stets, so wie jetzt, die herrschende Mundart
Deutschlands bleiben. Diefsist eine sehr wich-
tige Arbeit. Mehrere Jahre werden erfordert,
lun die nöthigen Materialien herbeyzuschaf-
£enj woraus man in der Folge eine gute
und genaue Sprachlehre, ein yollständiges
Wörterbuch und eine Geschichte ^er Deut-
schen Sprache anfertigen kann. Dann wer-
deijL wir uns rühmen können^ unsre Spra-
che hoch über alle andern Europäischen
Sprachen erhoben zu haben, so wie sie fetzt
schon die einzige ursprüngliche unter den
lebenden Sprachen ist, die Sklavonische aus-
genommen. Alle andern Europäischen Spra-
chen sind nur verschiedene Mundarten, die
ihren leicht zu erkennenden Ursprung, theils
aus der Deutschen, theils aus der Lateini-
schen oder Sklavonischen Sprache genommen
a3
Iiabeii, und nur in Fohlen, Böhmen, Skla-
Yonien, Bulgarien und Rufsland, in jedem
Lande verschieden, modificiret worden sind.
Die Ungarische , Türki$che und Griechische
Spraclie rechne ich hieher nicht, da sie nur
von -weit entlegenen und minder zahlreichen
Nationen Europens gesprochen werden.
Diese £lrrichtiing einer akademischen
Deputation zur Vervollkommnung der Deut^
sehen Sprache wird indessen nichts weiter
in dem jetzigen Zustande der Akademie ver-
ändern. Noch immer wird diese ihre Memoi-
res in Französischer Sprache herausgeben,
welche der Yollkommenheiten zu viel hat,
und uns ^u nützlich ist, als dafs wir sie auf-
geben könnten und wollten. Die Deutsche
und Französische Sprache sind so gute Ge-
schwister, dafs sie sich gewifs aufs Beste in
einem akademischen Körper vereinigen las-*
sen. Indessen ist nunmehr die Einrich-
tung gemacht, dafs die Französischen und
Deutschen Schriften der Akademie in zwey
Bänden, jede besonders, gedruckt werden.
14
Unvorgreif liehe Gedanken, betref-
fend die Ausübung und Verbes-
serung der Teutschen Sprache.
Von Leibnitz.
$. 1. xlis ist bekannt, dafs die Sprache ein
Spiegel des Verstandes, und dafs die Völ-
ker, wenn sie den Verstand hoch schwin-
gen, auch zugleich die Sprache wohl aus-
üben, welches der Griechen, Römer und
Araber Beyspiele zeigen.
2. Die Teutsche Nation hat unter aUen
Ghrisdichen den Vorzug, wegen des Heili-
gen Römischen Reichs, dessen Würde und
Rechte sie auf sich und ihr Oberhaupt ge-
bracht, welchem die Beschirmung des wah-
ren Glaubens, die Vogtey der allgemeinen
Kirche, und die Beförderung des Besten
der ganzen Christenheit oblieget, daher ihm
auch der Vorsitz über andere hohe Häupter
unstreitig gebühret und gelassen worden.
3. Deröwegen haben die Teutschen sich
desto mehr anzugreifen, dafs sie sich dieser
ihrer Würde würdig zeifi^, und e» andern
i5
nicht weniger a^ Verstand und Tapferkeit
zuvor thiin mögen, als sie ihnen an Ehre
und Hoheit ihres Oberhauptes vorgehen.
Dergestalt können ^ie ihre Mifsgün^tigen
beschämen, und ihnen, wider ihren Dank,
eine innerliche Überzeuguhg , wo nicht
äufserliche Bekenntnifs der Teutschen Vor-
trefFlichkeit abdringen;
«
Uc ^1 confessos animo quoque tubjugat hostes.
4. Nachdem die Wissenschaft zur $tärke
kommen, und die Kriegeszucht in Teutsch-
land aufgerichtet vrorden, hat sich die Teut*
sehe Tapferkeit zu unsem Zeiten gegen Mor-
gen - und Abendländische Feinde , . durch
grofse von Gott verliehene Siege v^iederum
merklich gezeiget; da auch meistentheils die
gute Partey durch Teutsche gefochten.
Nun ist zu vninschen, dafs auch der Teut«
sehen Verstand nicht weniger obsiegen, und
den Preis erhalten möge, welches ebenmä-
fsig durch gute Anordnung und fleifsige
Übung geschehen mufs. Man vnll von al-
lem dem, so daran hanget, anitzo nicht
handeln, sondern allein bemerken, dafs die
rechte Verstandes - Übung sich finde, nicht
nur zwischen Lehr- und Lernenden, son-
dern auch yomehmlich im gemeinen Leben
unter der grofsen Lehrmeisterin ;y nehmlich
der Welt, oder Gesellschaft, vermittelst der
Sprache, welche die menschlichen Gemü-
ther zusammen fiiiget.
5. Es ist aber bey dem Gebrauch der
Sprache auch dieses sonderlich zu betrach^
ten, dafs die Worte nicht nur der Gedan-
ken, sondern auch der Dinge, Zeichen seyn,
und dafs wir. Zeichen nöthig haben, nicht
nur unsere Meynung andern anzudeuten,
sondern auch unsern Gedanken selbst zu
helfen« Denn gleichwie man in grofseil
Handelsstädten, auch ha Spiel und sonst,
nicht allezeit Geld zahlet, sondern sich an
dessen Statt der Zettel oder Marken bedie-
net: also thut auch der Verstand mit den
Bildnissen der Dinge, zumahl wenn er viel
zu denken hat, dafs er nehmlich 2^ichen
dafür brauchet, damit er nicht nöthig habe
die Sache jedesmahl, so oft sie vorkommt,
von neuem zu bedenken. Daher ^ 'wenn^ er
sie einmahl wohl gefasset, begnügt er sich
hernach oft, nicht nur in äuJ&erlichen Re-
den, sondern auch in den Gedanken und
dem innerlichen Selbstgespräch das Wort an'
die Stelle der Sache zu setzen.
6. U^d
*7
6. Und gleichwie ein Rechenmeister, der
keine Zahl schreiben wollte, deren Halt er
nicht zugleich bedächte, und gleichsam an
den Fingern abzählte, wie man die Uhr zäh-
let, nimmer mit der Rechnung fertig werden
würde : also wenn man im Reden und auch
selbst im Gödenken kein Wort sprechen
wollte, ohne sich ein eigentliches Bildnifs
Ton dessen Bedeutung ^ zu .machen, würde
man überaus langsam sprechen, oder viel-
mehr verstummen müssen, auch den Lauf
der Gedanken nothwendig hemmen, und also
im Reden und Denken nicht weit kommen.
7. Daher braucht man oft dieWortCvalö
ZifFern, oder als Rechenpfennige, anstatt der
Bildnisse und Sachen , bis man Stufenweise
zum Facit schreitet, und beim Vernunft-
Schlüsse zur Sache selbst gelanget. Wor^^us
erscheinet, wie ein Grpfses daran gelegen,
dafs die Worte als Vorbilde und gleichsam
. als Wechselzettel des Verstandes wohl gefas-
set, wohl unterschieden, zulänglich, häufig,
leichtfliefsend und angenehm seyn.
8. Es haben die Wifskünstler (wie man
die so mit der Mathemäthik beschäftiget, nach
der Holländer Beispiel gar füglich nennen
kann) einie Erfindung der Zeichenkunst, da-
B
x8
von die sogenannte Algebra nur ein TheU ist.
Damit findet man heute zu Tage Dinge aus,
80 die Alteh nicht erreichen können, und
dennoch bestehet die ganze Kunst in nichts,
als im Gebrauch vrohl angebrachter Zeichen.
Die Alten haben mit der Cabbala viel We-
sens gemacht, und Geheimnisse in den Wor-
ten gesuchet, und die würden sie in der
That in einer wohlgefafsten Sprache finden:
als welche dienet, nicht nur fiir die Wifs-
kunst, sondern fiir stUe Wissenschaften,
Künste und Geschäfte. Und hat man dem-
nach die Cabbala oder Zeich enkunst nicht
nur in den hebräischen Sprachgeheimnis-
sen, sondern auch bei einer jeden Sprache,
nicht ^war in gewissen buchstäblichen Deu-
teleien, sondern im rechten Verstände und
Gebrauche der Worte zn suchen.
9. Ich finde, dafs die Deutschen ihre
Sprache bereits hoch bracht, in allem dem,
so mit den fiinf Sinnen zu begreifen, und
auch dem gemeinen Manne vorkommt; ab-
sonderlich in leiblichen Dingen, auch Kunst-
und Handwerkssachen, weil nehmlichen die
Gelehrten fast allein mit dem Latein be-
schäftiget gewesen, und die Muttersprache
dem gemeinen Laufe überlassen, w^elche
'9
nichts desto weniger auch yon den soge-
nannten Ungelehrten nach Lehre der Natur
gar wohl getrieben worden. Und halt ich
dafür , dafs keine Sprache in der Welt sey,
die (zum Exempel) von Erz und Bergwer-
ken reicher und nachdrücklicher rede, als
die Teutsche. Dergleichen kann man yon
allen andern gemeinen Lebensturten und Pro-
fessionen sagen, als von Jagd- und Waid-
werk, ycn der SchüTahrt und dergleichen«
Wie dann alle die Europäer, so auf dem
grofsen Weltmeer fahren, die Nahmen der
Winde und viel andere Seeworte von dea
Teutschen, nehmlich von den Sachsen, Nor-
mannen, Osterliugen und Niederländern
endehnet.
TO. Es ereignet sich aber einiger Abgang
bei unserer Sprache in denen Dingen, so
man weder sehen noch fühlen, sondern al-
lein durch Betrachtung" erreichen kann; als
bei Ausdrückung der Gemüthsbewegungen,
auch der Tugenden* und Laster, und vieler
Beschaffenheiten, so zur Sitterlehre und Re*
gierungskunst gehören; dann ferner bei de-
nen noch mehr abgezogenen und abgefeim-
ten Erkenntnissen , so die Liebhaber der
Weisheit in ihrer Denkkunst, imd in der
B a .
20
allgemeinen Lehre von den Dingen unter
dem Nahmen der Logik und Metaphysik
auf die Bahne bringen; welches alles dem
gemeinen Teutschen Manne etwas entlegen,
und nicht so üblich, da hingegen der Ge-
lehrte und Hofmami sich des Lateins oder
anderer fremden Sprachen in dergleichen
fast allein und in so weit zu viel beflissen;
also dafs es denen Teutschen nicht am Ver-
mögen, sondern am Willen gefehlet, ihre
Sprache durchgehends zu erheben. Denn
weil alles, was der gemeine Mann treibet,
wohl in Teutsch gegeben, so ist kein Zwei-
fel dafs dasjenige, so vornehmen und ge-
lehrten Leuten mehr vorkommt, von diesen,
wenn sie gewollt, auch sehr wohl, wo nicht
besser, in reinem Teutsch gegeben werden
können.
n. Nun wäre zwar dieser Mangel bey
denen logischen und metaphysischen Kunst-
wörtern noch in etwas zu verschmerzen, ja
ich habe es zu Zeiten unser ansehnlichen
Hauptfprache zum Lobe angezogen, dafs
sie nichts als rechtschaffene Dinge sage, und
ungegründete Grillen nicht einmal nenne
(ignorab inepta). Daher ich bey denen Ita-
liänern und Franzosen zu rühmen gepfle-
21
get: Wir Tetitschen hätten einen sonderba-,
ren Probierstein der Gedanken,, der andern
unbekannt; und wann sie denn begierig ge-
wesen, etwas davon zu wissen, so habe ich
ihnen bedeutet, dafs es unsere Sprache selbst
sey; denn was sich darin ohne entlehnte
und ungebräuchliche Worte yemehmlieh sa-
g^n lasse, das seye wrklich was Rechtschaf-
fenes ; aber leere Worte , da nichts hinter,
und gleichsam- nur ein leichter Schaum niüs-
siger Gedanken , nehme die reine Teutsche
Sprache nicht an.
12. AUeine, es ist gleichwohl an, dem,
dafs in der Denkkunst und in der Wesen-
lehre auch nicht wenig Gutes enthalten, so
sich durch alle andere Wissenschaften und
Lehren ergiefset, als wenn man daselbst
handelt von Begrenzung, Eintheilung, Schlufs-
form, QrdnuQ'g, Grundregeln, imd ihnen
entgegen gesetzten falschen Streichen; von
der Dinge Gleichheit und Un^rscheid, Voll-
kommenheit und Mangßl, Ur^ach und Wir-
kung, Zeit, Ort^ und Umständen, und son-
derlich von der grpfsen Miisterrolle aller
Dinge unter gewissen Hauptstückeh, so man
Prädicamenten nennet. Unter ^reichen al-
len viel Gutes ist^ damit die l^eutsdie Spra
che allmählig anziureichern*
92
i3. Sonderlich aber stecket die grofste
natürliche Weisheit in der Erkenntnifs Got-
tes , der Seelen , iind Geister aus dem licht
der Natur; so nicht allein sich hernach in
die ofFenbahrte Gottesgelebrtheit mit einrer*
leibet, sondern auch einen unbeweglichen
Grund leget, darauf die Rechtslehre sowohl
vom Rechte der Natur als der Völker ins-
gemein und insonderheit, auch die Regie-
rungskunst samt den Gesetzen aller Lande
zu bauen. Ich finde aber hierin die Teut-
sche Sprache noch etwas mangelhaft, und
zu yerbessern.
i4* Zwar ist nicht wenig Gutes auch zu
diesem Zweck in denen geistreichen Schrif-
ten einiger tiefsinnigen Gottesgelehrten an-
zutreffen; ja selbst diejenigen, die sich et
was zu denen Träumen der Schwärmer ge-
neiget, brauchen gewisse schöne Worte und
Reden, die man als güldene Gefäfse der
Egypter ihiien" abnehmen, von der Beschmiz-
zung reinigen , und zu dem * rechten Ge-
brauch widmen könnte, Weichergestalt wir
den Griecheii und Lateinern hierin selbst
würden Trotz bieten können.
i5. Am allermeisten aber ist unser Man*
gel, wie gedacht, bei denen Worten zu spü-
a3
ren, die sich auf das Sittenweseti , Leiden-
schaften des Gemüths, gemeinlichen Wan-
del, Regierungssachen, und allerband bür?
gerliche Lebens - und Staatsgeschäfte zie-
hen: Wie man wohl befindet, wenn man
etwas aus andern Sprachen in die unsrige
übersetzen will. Und weilen solche Worte
und Reden am meisten vorfallen, und zum
tä'gUchen Umgang wackerer Leute sowohl
als zur Briefwechselung zvidschen denselben
erfordert werden; so hätte man vornehm-
lich auf deren Entsetzung, oder weil sie
schon vorhanden, oder vergessen und un-
bekannt, auf deren Wiederbringung zu ge-
denken, und wo sich dergleichen nichts er-
geben will, einigen guten Worten der Aus-
länder das Bürgerrecht zu verstatten.
16. Hat es demnach die Meinung nichts
dafs man in der Sprache zum Puritaner
werde , und mit einer abergläubischen Furcht
ein fremdes, aber bequemes Wort, als eine
Todtsünde vermeide, dadurch aber sich
selbst entkräfte, und seiner Rede den Nach-
druck nehme ; denn solche allzugrofse
Scheinreinigkeit ist einer durchbrochenen
Arbeit zu vergleichen, daran der Meister so
lange feilet und bessert , bis er sie endlich
24
gar verschwächet, welches denen geschieht,
die an der Perfectie-Krankheit , wie es die
Holländer nennen, darnieder liegen.
17. Ich erinnere mich, gehöret zu haben,
dafs wie in Frankreich auch dergleichen
Reindünkler aufkommen, welche in der
That, wie Verständige anitzo erkennen, die
Sprache nicht wenig ärmer gemacht, da sol-
le die gelehrte Jungfrau von Jouniay, des
berühmten Montagne Pflegetochter, gesaget
haben: was diese Leute schrieben, wäre ei-
ne Suppe von klarem Wasser, nehmÜch oh-
ne Unreinigkeit und ohne Kraft.
i8. So hat auch die ItaUänische Gesell
Schaft der Gruska oder des Beuteltuchs,
welche die bösen Worte von den guten, wie
die Kleien vom feinen Mehl söheiden wol-
len , durch allzu ekelhaftes* Verfahren ihres
Zwecks' nicht wenig verfehlet, und sind da-
her die itzigen Glieder gezwungen worden,
bei der letzten Ausgebung ihres Wörter-
buchs, viel Worte zur -Hinterthür einzulas-
sen, die man vorhero ausgeschlossen; weil
* die Gesellschaft anfangs ganz Italien an die
Floren tinischen Gesetze bindeu, und den
Gelehrten selbst allzu enge Schranken sez-
^^en wollen. Und habe ich von einem vor-
25
nehmen Glied derselbigen, so selbst ein
Florentiner, gehöret, dafs er in seiner Ju*
gend auch mit solchem Toscanischen Aber-*
glauben behaftöt gewesen, nunmehr aber
sich dessen entschüttet nahe.
19. Also ist auch gewifs, dafs einige der
Herren fruchtbringenden, und Glieder der.
andern Teutschen Gesellschaften hierin zu
weit gangen, und dadutch andere gegen
sich ohne Noth erreget, zumahlen sie den
Stein auf einmahl heben wollen, und alles
Krumme schlecht zu machen gemeihet, AVel-
ches wie bei ausgewachsenen Gliedern (aduly
tis a)itiis) unmöglich.
220. Anit^o scheinet es , dafs bei uns übel
ärger worden, und hat der Mischmasch ab-
scheuUch überhand genommen , also dafs die
Prediger auf der Ganzel, der Sachwalter auf
der Canzlei, der Bürgersmann im Schrei*
ben und Reden, mit erbärmlichen Franzö-
sischen sein Teutsches verderbet; mithin es
fast das Ansehen gewinnen will, wann man
so fortfähret, und nichts dargegen thut, es
yrerde Teutsch in Teutschland selbst nicht
weniger verlohren gehen, als das: Angel*^
sächsische in Engelland.
ai. Gleichwohl wäre es ewig Schade und
Schande, wenn unsere Haupt- und Helden-
aprache dergestalt durch unsere Fahrläfsig-
keit zu Grunde gehen sollte, so fast nichts
Gutes schwanen machen dörfte; weil die
Annehmung einer fremden Sprache gemei-
niglich den Verlust der Freyheit und ein
fremdes Joch mit sich geführet
22* Es würde auch die unyermeidUche
VenTiming bei solchem Übergang zu einer
Beuen Sprache hundert und mehr Jahr über
dauren, bis alles aufgerührte sich wieder
gesetzet, und wie ein Getränke, so gegoh-
ren, endUch aufgekläret; da inzwischen
von der Ungewifsheit im Reden und Schrei-
sen nothwendig auch die Teutschen Gemü-
ther nicht wenig Verdunkelung empfinden
müssen, weUen die meisten doch die Kraft
der fremden Worte eine lange Zeit über
nicht recht fassen, also elend schreiben,
und übel denken würden. Wie dann die
Sprachen nicht anders als bei einer ein&l-
lenden Barbarey oder Unordnung, oder frem-
der Gewalt sich merklich verändern.
23» Gleichwie nun gewissen gewaltsamen
Wasserschüssen und Einbrüchen der Stroh-
rue nicht sov^ohl durch einen steiffen Damm
und Widerstand, als durch etwas, so An-
27
fangs nachgiebt, hernach aher allmählich
sich setzet , und fest wird, zu steuren ; also
wäre es auch hierin vorzunehmen gewesen.
Man hat aber gleich auf einmahl den Lauf
des Übels hemmen, und alle fremde, auch
sogar eingebürgerte Worte ausbannen wol-
len. Dawider sich die ganze Nation, Ge-
lehrte und Ungelehrte gestreubetj^ und das
sonsten zum Theil gute Vorhaben fast zu
Spott gemacht, dafs also auch dasjenige
nicht erhalten worden, so wohl zu erlan-
gen gewesen , wann man etwas gelinde^ ver-
fahren wäre.
fzi. Wie es mit der Teutschen Sprach
hergangen, kann man aus den Reichs -Ab-
schieden und andern Teutschen Handlung
gen sehen. Im Jahrhundert der Reforma-
tion redete man ziemlich rein Teutsch ; aus-
ser weniger Italiänischer zum TheU auch
Spanischer Worte, so vermittelst des Kay-
serlichen Hofes und einiger fremder Bedien*
ten zuletzt >einges,chlichen, dergleichen auch
die Franzosen bey sich Zeit der Gatharina
vom Hause Medicis gespühret, und da-
xnahls mit eignen Schriften geahndet, - wie
denn etwas dagegen von Henrica Stepkano
geschrieben worden. Solches aber , wann
28.
es mäfsiglich geschieht, ist weder zu än-
dern, noch eben zu sehr zu tadehi, zu Zei-
ten auch wohl zu loben, zumahl wenn neue
und gute Sachen, zusamt ihren Nahmen
aus der Fremde zu uns kommen.
aö. Allein wie der dreifsig jährige Krieg
eingerissen und überhand genommen, da
ist Teutschland von fremden und einheimi-
schen Völkern, wie mit einer Wasserfluth
überschwemmet worden, und nicht weniger
unsere Sprache als unser Gut in die Kap-
puse gangen; und siehet man, wie die
Reichs -Acta solcher Zeit mit Worten ange-
füllet seyn , deren sich freilich unsere Vor-
fahren geschämet haben würden.
226. Bis dahin nun war Teutschland zwi-
schen den Italiänern , so Kaiserl. und den
Franzosen, als Schwedischer Parthei, gleich-
sam in der Wage gestanden. Aber nach
dem Münsters^hen und Pyrenäischen Frie^
den hat sowohl die Französische Macht als
Sprache bey uns überhand genommen. Man
hat Frankreich gleichsam zum Master aller
Zierlichkeit aufgeworfen, und unsere junge
Leute, auch wohl junge Herren selbst, fo
ihre eigene Heimath iiicht gekennet, und
deswegen alles bey den Franzosen bewun-
29
dert, haben ihr Vaterland nicht nur bey
den Fremden in Verachtung gesetzet, son-
dern auch selbst verachten helfen ;, und ei-
nen Ekel der' Teutschen Sprache und Sit»
ten aus Ohnerfahrenheit angenommen, der
auch ^ ihnen bei zuwachsenden Jahren
und Verstand behenken blieben. Und weü
die meisten dieser jungen Leute hernach,
wo nicht durch gute Gaben , so bey eini-
gen nicht gefehlet, doch wegen ihrer Her«
kunft und Reichthums, oder durch andere
Gelegenheiten zu Ansehen und yornehmen
Aemtem gelanget,, haben solche Franz- Ge«
sinnete viele Jahre über Teutschland regle-
ret, und solches fast, wo nicht der Fran-
zösischen Herrschaft (daran es zwar auch
nicht viel' gefehlet) doch der Französischen
Mode und Sprache unterwürfig gemacht :
ob sie gleich sonst .dem Staat nach gute Pa«
trioten geblieben, und zuletzt Teutschland
vom Französischen Joch, wiewohl kümmer-
lich, annoch erretten helfen.
27. Ich will doch gleichwohl gern jeder-
mann recht thun, und also nicht in Abre^
de seyn , dafs mit diesen Franz - und Fremd-
entzen auch viel Gutes bey uns eingefüh-
ret worden ; man hc^t gleichwi# von den Ita«
liänem die gute Vorsorge gegen anstecken-
de Krankheiten, also von den Franzosen
eine bessere Kriegsanstalt erlernet, darin
ein freiherrschender grofser König andern
am best<^n vorgehen können ; man hat mit
einiger Munterkeit im Wesen die Teutsche
Ernsthaftigkeit gemäfsiget, und sonderlich
ein und anders in der Lebensart etwas bes-
ser zur Zierde und Wohlstand, auch wohl
zur Bequemlichkeit eingerichtet, und, so
viel die Sprache selbst betrift, einige gute
Redensarten als fremde Pflanzen in unsere
Sprache selbst versetzet.
28. Derowegen wann wir nun etwas
mehr als bisher Teutsch gesinnet werden
wollten, und den Ruhm unsrer Nation imd
Sprache etwas m^r beherzigen möchten,
als einige dreifsig Jahr her in diesem gleich-
sam Französischen Z«itwechsel (periodo)
geschehen; so könnten wir das Böse zum
Guten kehren, und selbst aus unserm Un-
glück 'Nutzen schaffen, und sowohl unsern
innern Kern des alten ehrlichen Teutschen
wieder herfiirsuchen, als solchen mit dem
neuen äufserlichen, yon den Franzosen und
andern gleichsam erbeuteten Schmuck aus-
stafBren.
Ol
29. Es finden sich hin und meder bra-
ve Leute, die sonderbare Lust und Liebe
zeigen, zur Verbesserung luid Untersuchung
des Teutschen. So sind auch deren nicht
wenig, die sehr gut Teutsch schreiben, und
sowohl rein als nachdrücklich zu geben wis-
sen^ vras sonst schwer und in unserer Spra-
che wenig getrieben. Neulich hat ein ge-
lehrter wohlmeynender Mann ein Register
Yon Büchern gemacht, darin allerhand Wis-
senschaften gar wohl in Teutsch verhandelt
worden; ich finde auch, dafs oft in Staats-
schriften jetziger Teutschen zu Regenspurg
und anderswo etwas befonders und nach-
denkUches herfiir blicket, welches, da es
vom überflüfsigen Fremden, als von ange-
sprutzeten Flecken, nach Nothdurft und
Thunlichkeit gesäubert würde, ünfer Spra-
che einen herrlichen Glanz geben sollte.
30. Weilen abär di0 Sach von einem
grofsen Begriff, so scheinet selbige zu be-
streiten etwas gröfsers als Privat -Anstalt
nöthig, ^und würde demnach dem ganzen
Werk nicht besser noch nacihtdrückllcher,
als niittelst einer gewissen Versammlung
oder Vereinigung aus Anregung eines hoch-
erleuchteten vornehmen Haupts mit gemei-
T,
; 3a
nem Ratfa, und gutem Verstandnifs zu hel-
fen scyn«
3l. Da8 Hauptabsehen wäre zwar der
Flor des geliebten Vaterlandes Teutscber
Nation, sein besonderer Zweck aber und
das. Vornehmen (oder- Object) dieser An-
stalt wäre auf die Teutsche Sprache zu rich-
ten, wie nehmlichen solche zu yerbessern,
auszuzieren und zu untersuchen.
52. Der Grund und Boden einer Sprache,
so zu reden, sind die Worte', darauf die
Redensarten gleichsam als Früchte herfiir-
wachsen. Woher dann folget, dafs eine
der Hauptarbeiten, deren die Teutsche
Hauptsprache bedarf, seyn. würde, eine Mu-
sterung und Untersuchung aller Tfsutschen
Worte, welche, dafe^n sie vollkommen,
nicht nur auf diejenige gehen soll , so je-
dermann brauchet, sondern auch auf die,
so man Hochteutsch nennet, und die im
Schreiben anjetzo allein herrschen, sondern
auch auf Platteutsch, Märkisch, Obersäch-
sisch, Fränkisch, Bayrisch, Oesterreichisch,
Schwäbisch^ oder was sonst hin und wieder
bey dem Landmanne mehr als in den Städ-
ten bräuchlich. Auch nicht nur was in
Teutschland in Übung, sondern auch was
* von
35
von Tetitscher Herkunft im Holl-,und Eng.
ländischen: worzu auch fürnehmlich die
Worte der Nordteutschen , das ist, der Da*
nen, Norwegen, Schweden und Isländer
(bei welchen letztern sonderlich viel von un-
ser uralten Sprach gehlieben,) zu ziehen:'
und letzlichen nicht nur auf das, so noch
in der Welt geredet wird, sondern auch was
verlegen und abgangen, nehmlichen das Alt-
Gothische, Alt - Sächsische und Alt -Frän-
kische, wie sichs in uralten Schriften und
Reimen findet, daran der trefüche Opitz
selbst zu arbeiten gut gefunden. Denn an-
ders zu den wahren Urfprüngen nicht zu ^
gelangen, welche oft die gemeinen Leute
mit ihrer Aussprache zeiger?, und sagt man,
es habe dem Kaiser Maximilian dem I. einst-
mahls sonderlich wohl gefallen, als er aus
der Aussprache der Schweitzer vernommen^
dafs Habsburg nichts anders als Habichts-
hurg, sagen wolle,
33. Nun wäre zwar freilich hieninter ein
grofser Unterscheid zu machen, mithin was
durchgehends in Schriften und JReden wak-
lerer Leute üblich, von den Kunst- und
Landworten, auch fremden und veralteten
zu unterscheiden. Ander Manchfeltigkeiten
^
34
des gebräuchlichen selbst anjetzo zu gei
schweigen, wären derowegen besondere 'We^
ke nöthig, nehmlich ein eigen Buch yof
durchgehende Worte« ein anders vor Kunst*
Worte, und letzlich eines vor alte und Land*
Worte, und folche Dinge, so zu Untersa-j
chung'des Ursprungs und Grundes dienen,!
deren ersten maa Sprachbrauch^ oderLat^
' nisch Lexicon; das andere SprachschaU^\
oder cornu copiae; das dritte Glossarium,
oder Sprachquell nennen möchte.
34. Es ist zwar auch an dem, und yer*,
stehet sich von Selbsten, dafs die wenig*
sten derer, so an Verbesserung der Sprache
arbeiten wollten, sich des Altfränkischen
und des aufser Teutschland in Norden und
Westen gleichsam walfahrenden Teutschen
Sprachrestes, so wenig als der Waydsprüche
der Künstler und Handwerker, und der
Landworte des gemeinen Mannes, anzuneh-
men haben würden. Weil solches yor eine
gewisse Art der * Gelehrten und Liebhaber
allein gehöret.
35. Alleine es gehöret doch gleichwohl
dieses alles zur vollkommenen Ausarbeitung
der Sprache, und muTs man bekennen, dafs
die Franzpsen hierin glücklich, indem sie
35
— I
mit allen drei oberwehnten Werken^ so ziem-
lich in ihrer Sprache nunmehr versehen,
indem die sogenannte Französische Acäde-
mie'nicht allein ihr lang versprochenes Haupt-
buch der läufigen Worte herausgegeben,
sondern auch was vor die Künste gehöret,
von Furetihre angefangen, und von einem
andern Glied der Academie fortgesetzet wor-
den. Und ob schon darin aus dermafsen '
viel Fehler und Mängel, so ist doch auch
sehr viel Gutes darunter enthalten. Diesem
ist das herrliche Werk des hochgelehrten
Menage y wie es nun vermehret, beyzufii*
gen, welcher ^den Ursprung der Worte unter-
sucht, und also auch das Veraltete, auch
zu Zeiten das Bäurische, herbeigezogen.
39. Es ist bekannt, dafs die Italiänische
Sprachgesellschaft, die sich von der Cruf-
ca genennet , bald Anfangs auf ein Wörter-
buch bedacht gewesen. Und als der Gar-
dinal Richelieu die Französische Academie
aufgerichtet, hat er ihr auch sofort ein sol-
ches zur Arbeit aufgegeben. Sie waren aber
beyderseits nur auf läufige Worte bedacht,
und vermeynten die Kunstwörter an die Sei-
te zu setzen ; wie auch die Crusca wirklich
gethan. Ich habe aber in Frankreich selbst
Ca
36
etlichen vornehmen Gliedern meine trenige
Meynung gesagt, dafs solches nicht wohl
gethan, und zwar , den Italiänem als Vor-
gängern zu gut zu halten, es werde aber
von einer Yersammlung so vieler treflicher
Leute in einem blühenden Königreiche un-
ter einem so mächtigen König ein mehrers
erwartet ; inmassen durch Erklärung der
Kunstworte die Wissenschaften selbst erläu-
tert und befördert würden , welches auch
einige wohl begrüTiSn.
37. Weilen sie aber inzwischen bev der
angefangenen Arbeit geblieben, hat einer
unter ihnen, Furetjere genannt,- sich aus
eigener Lust über die Kunstworte zugleich
mit gemachet, welches die Academie ;übel
genommen, und sein Werk verhindert, nnd
da es in Holland heraus kommen, einem
andern aus ihrem Mittel dergleichen aufge-
tragen; also dafs die Leidenschaften zuwege
gebracht, was die Vernunft nicht erhalten
mögen.
38. Als mir nun auch vor einigen Jah-
ren Nachricht geben worden, dafs die Eng-
länder ebenmäfsig mit einem grofsen Werk
umgiengen, so dem Französischen damahls
noch nicht erschienenen Wörterbuch nichts
37
-weichen sollte , habe ich sofort /angeh^Itß.n^
claTs sie auch auf Kunstworte denken möch*
ten. mit dem Bedeuten, was m^3sn ich
I^achricht erhalten hätte, dafs die Franzo-
sen sich auch in diesem Stück eines bes«
Sern bedacht , yernehme auch nunmehr,.
dafs die Engländer würklich mit dergleichen^
anjetzo begriffen.
59. Ich/ hoffe audi , dafs die Welschen,
um andern nicht nachzugeben, endlich nickt
-weniger diesen ihren Abgang ersetzen dürf-
ten; ztönahleii ich selbst bey guten Freun-
den deswegen Anregung zu- thun, die Frey-
heit.. genommen. . Und wenii man dergestalt
die Technica oder Kunstworte vieler Nätio^
nen beysa^men hätte ist kein Zweifel^ dafs
durch deren Gegeneinander-Haltpng deflt Kün-
8tq^ selbst, ein grefe^s Jiicht angezündet^wer-*
den dürfte , weiln in einem Land dielse , in,
dem andegrn die andern Künste besser ge**
trieben ^wjerden , und j^de Kunst an ihremi
Ort und Sitz mehr mit besehdern Nahmen
und Redensatten Versehen,
40. Und weiln, wie oberwehnetj, die
Teutschen sich, über alle . andere ^ Nationeil
in den Würklichkeiten der Natur und Kunsit
80 yortreflich erwiesen, $9 würde. eii^^iT^ut-^
y
38
sches Werk der Kunstworte einen rechten
Schatz guter Nachrichtungen in sich begrei«
fen, und sinnreichen Personen, denen e^
bisher an solcher Kunde gemangelt, oft Ge*
legenheit zu schönen Gedanken und Erfin*
düngen geben. Denn weil, wie ^berwehnet,
die Worte den Sachen antworten , kann es i
nicht fehlen, es mufs die Erläuterung unge- '
meiner Worte audi die Erkenntnifs unbe-
kannter Sachen mit sich bringen«
4i* Was. auch ein wohl ausgearbeitet
tes Glossarium Etymologicum , oder Sprach-
quell, Tor schöne Dinge in sich halten wür-
de, wo nicht zum menschlichen Gebrauch,
doch zur Zierde und Ruhm unserer Nation
und Erklärung des Alterthums und der Hi-
storien, ist nidit'zu sagen; Wenn nehmlich
Leute, wie Schottel^ B rasch oder Mor-
^ff l>ßi nns, oder wie Minage bey den
Franzosen; und eben dieser mit dem Ferra-
ri bey den Welschen, Speimann in Eng-
land > TVorm oder Kerhel bfey den Nord-
läidem sich darüber machten.'
42» Es ist handgreiflich und gestanden,
dafs die Franzosen, Welscheii und Spa:ni^r
(der Engländer, so halb Teutsch, zu ge-
ichweigen,) sehr viel Worte von den Teut-
39
8chen haben, und also den Ursprung ihrer
Sprachen guten T%eils bey uims suchen müs-
sen. Giebt also die Untersuchung der Teut-
sehen Sprach nicht nur ein Licht vor uns,
sondern auch vor ganz Europa, ' welches
unserer Sprache zu nicht geringem Lob ge-
reichet. . . '
43. Ja was :noch mehr, so findet es sich,
dafs die alten Gallier, Zelten, uhd. i^uch
Scythen, mit den Teutscheii eine gröfse Ge*
meinfchäft gehabt, und weiln Welschland
seine ältesten Einwohner nicht zur See, son-
dern' zu Lande, tiehmlich Von den Teüt-
fcheii und Gotischen Völkern über die Al-
pen herbekommen, so folget, dafs die La-
teinifche Sprache denen uralten Teutschen
ein Grosses schuldig, wie sichs auch in der
That befihdeL
44, Und ob zwar die Lateiner -das Übri-
ge von den Griechischen CJolonien bekom-
men haben mögen, fo haben doch sehr ge-
lehrte Leute auch aufser Teutfchland wohl
erwogen, dafs es vorher mit Griechenland
eben wie mit Italien zugangen; mithin die
ersten Bewohner desselbigen von der Do-
nau und angränzfenden Landen hergekom-
men; mit denen sich hernach Colonien über
/■
4o
Meer aus Asien, Ägypten und Phönicien
vermischet, und Mreil die Teutschen vor
Alters unter dem Nahmen der Gothen, oder i
auch nach etlicher Meynung der Geten/
und wenigstens der Bastarnen, gegen dem^
Ausflufs der Donau und ferner am sphwar- '
zen Meer gewohnet, und zi|l gewisser Zeit
die jetzt genannte kleine Tartarey inngehabt^
und sich fast bis an die Wolga erstrecket,
so ist ke^in Wunder, dafs Teutsche Worte
nicht nur im Griechischen so häufig erfchei:
n^n, spndern bis in die Fersianische Spra-
che gedrungen, wie von yielßn Gelehrten
bemerket wor4en« Wiewohl ich noch nicht
finden kann, dafs sq viel Tei^tsches in Per-
sien sey, als nach* Elichmanns Meynung
vbrg^gebeii wi^d.
40. Alles auch, was die Schweden, Nor-
wegen und Isländer von ihren Gothen und
Runen rüjimen, ist unser, uqd arbeiten sie
mit aUer ihrer zwar löbUchen .Mühe vor
uns; mafsen .sie ja vor. nichts anders, als
Nord -Teutsche gehalten werden können,
auch von dem wohlberichtet^n Tacito und
allen alten und Mittel • Autoren unter die
Teutsche gezehlet worden ; mit ihrer Sprach
auch selbst nicht anders zu . Tage legen.
4i
siB mögen sich klammen und wenden wie
sie Wollen. • Dafs auch die Dähnen zu Zei-<
ten der • Römfer bei dem abnehmende
Reich unter dem Nahmen der Sachsen be-,
griffen ^ gewesen, kann ich aus vielen Um-
ständen schliefsen. - ,:
46. Stecket also im Teutschen Alterthum,.,
und sonderlich . in der Teutschen uralten
Sprach^^ so über das Alter aller Griechi- .
sehen unA I^iatöinlschen. Bücher hinauf stei-f
get,: der.tft-sprüftg der Europäischen Völ-
ker und Spräßhen auch zum.Theil des. ur--.
alten Gotte$di@nst)äs ) der Sitten, Rechte und
Adels , auch .oit der alten Nahmen der Sa-
chen, Öiter und Leute > wie solches von-
andern dargethan , und theils xxüt mehreriä
auszufiihrei^wärev / :
47« Welches uns io yiermehr erinnern
müssei), . daipit desto deutlicher er^chednet
wie ein gFöfses an einem Teutschen Glos-,
sario Etymologico gele^em ;' immafsen mir'
bewust ^ und aus Briefen : an niich seäbst.
kund worden, dafs hochgelehrte Leute an-,
derer Natipujen sehr darnach wühscheji, und
wohl erkennen,' was ihnen selbst zu Er-
leuchtung ihrer Alterthümer daran gelegen;
und dafs nicht wobl^ a^dea:e als der ,Teut-
4a
sehen Sprach im Grund Erfahrne, also ^e-
der Engländer noch Franzosen, wie gelehrt
sie auch seyn, damit zurechte kommen
mögen.
46. Bei uns Teutschen aber sollte die
Begierde darnach so viel gröfser seyn, weil
uns nicht allein am meisten damit geholfen
wird , sondern auch ein solches zu unserm
Ruhm gereichet; je mehr daraus erschei-
net, dafs der Ursprung und Brünnquell des
Europäischen Wesens grofsen T%eils bey
uns zu suchen. Es finden sich aber auch
täglich bey uns selbst in der Sprache aller-*
hand -Erläutärungs würdige Dinge und An-
merkungen, so Gelegenheit ' zu sonderlichem
Nachdenke'n geben/ . . '
49« Zum Exempely wenn 'man fraget,
was Welt im Teutschen sagen wolle*, so
mufs man betrachten, dafs die Vorfahren
»
gesaget JVerelt^ wie sichs noch in alten
Büchern und* Ländern findet, daraus er-
scheinet, dafs es nichts anders sey; als Um-»
kreis der Erden ödferOrbis terrarutn. Denn
TVirrerty JVerre , (PVirs bey den Englän-
dern, Gyrüs bey den Griechen,) bedeutet
was in die Runde herum sich ziehet. Und
scheinet^ die Wiurzel stecke im Buchstaben
45
I
W, der eine Bewegmg mit sich bringet, so
ab- und zugehet, auch wohl umgehet, als
bei wehen. Wind, Waage, Wogen, Wel-
len, TVheely öder Rad. Daher audh nicht
nur Wirbel, Gewerrel^ oder Querl^ • (fo
im' alt Teutsch eine Mühle bedeutet, wie
an Quemhdiheln* abzunehmen,) sondern auch
belegen ^ winden^ wenden^ das Französi-
sche mi (als Tis sans fin) auch JVelle^
fV^alze^ das Lateinische 'volvo imd verto,
Vertex, Ja der Name der Waleu , Wallo-
nen,.. oder Herumwallenden, (das ist. d^f
Gallier oder Freöibden.) fP'ild (das ist
frembd, davon wildfrenid, Wildfangs-Üefch-
tes) von diefem aber Pf^ald und anderes
mehr ent8tan<len. Doch will > man nicht mit
dento streiten, die das Wort Wereid^ von
währen fAoT dauren herfuhren, und dar-
unter Seculum (vor' alters Ew) verstehen*
^ Weil diese Dinge, ol^e gnügsanie Untersu-
chung , sii keiner völligen 'Gewifsh^it siu
bringen ,* und diie alten Teutschen JBüchex'
den - Auissdhlag gebend müssen.
5o. Dergleichen Exempel sind nicht we-
nig Vorhanden) so nicht allein der Dinge
Ursprung- entdecken , sotidern auch %u er^
kennen gebend dafs die Wort nicht eben so
44
"v^illkuhrlich oder yon ohngefähr lierfurkoni-
men , als einige yermeynen^ wie dann nichts
ohngefähr in der Welt ald nach ^unserer Un-
wissenheit ., wenn uns die Ursachen yerbor-
gen. Und weiln . die Teutsche Sprache vor
vielen ^ndei^n dem Ursprung sich za nähern
scheinet , so. sind auch idie Grund «- Wurzeln
in derselben desto besser zu erkennen, da-
von auch bereits der tief^nnlgß Cl^uber-
0ius ^eine eigene Gedaqken gehabt, und ßa-
von. etwas in eii^ew Jkl^inen, JßüchlQin -an-
5i. Ich habe auch bereits, vor yielep Jah-
ren einen sehr geirrten Marni' dahiäa 'Ver-
mocht^ dafs er auf .die" Arbeit eine$,$ächsi-
^cben Glossarii die Gedänk^a^^richtet, find
etwa^ davon hinterlassen ^ . tind ^sind mir nocl^
einige .andere trefiiche. Leute bfd&annt^jL ^so
mit d^rgleicheon umgeben,, theils. at^b.vQ]:^
mir dazu .briachl worden 9 al90!d£^is ^enn
sie und aiidere dui'ch. kräftige Hülfe iund
nahe !^usammenSbtzimg aufgebmnt^irt »wür-
den, etwas schönes JhierfürkommeÄ .dürfte.
52. So viel aber eiÄeifc-T^utsela^. Wör-
ter-Schatz betreffen "mirde, gehärQt^n. Leti-
te dazu , so in d^v , .Natur :der. £]!^n^ t. doxi-^
derlicl> der Kräuter ii^dr'Tfeieil^j: rF^uer-
^ 45 V
Kunst (oder Chymie) Wifs-Kunst oder Ma-
thematik und daran bangenden Baukünsten
und andern Kunstwerken , Weberey und so-
genanilten Manufacturen, Handel^ Schif-
fehrt , Berg - und Salzwerks - Sachen und
was dergleichen mehr , erfahren. Welche
Personen dann, weil einer allen nicht ge-
wachsen, die deutliche ^Fachrichtungen durch '
gewisses Verständnifs unter einander zusam-
men bringen könnten, und dazumahl in
grofsen Städten die beste Gelegenheit dazu
finden würden. So auch wohl vorsieh ge-
hen dürfte, wenn einige Beförderung von
hoher Hand nicht ermangeln sollte. '
53. Man hat bereits absonderliche Teut-
sche Werke verschiedener Professionen, so
hierin zu statten* kamen, imd zu ergänzen*
wären, so würde auch was von den Fran-
zosen und Engländern geschehen , einige
Hülfe und* Anlafs zur Nachfrage geben; das
meiste aber müsse von den Leuten jeder
Profession selbst erfraget werden, wie mich
dann erinnere, dafs zu Zeiten berühmte
Prediger in die Kram -Winkel oder Läden
und Werkstätte gangen, um die rechten
Nahmen und Bedeutungen zu erfahren, und
so wohl richtig als verständig von allen
Dingen zu reden.
46
54* £s ist auch bekannt , dab viel Wor-
te in gemeinen Gebrauch kommen seyn,
die von den Künsten endehnet, oder doch
eine gewisse Bedeutung von ihnen bekom-
men, deren Ursach diejenigen nicht verste-
hen ^ fo von solcher Kunst oder Profession
nichts ^ssen, als zum Exempel: Man sagt
On und Ende^ man sagt erörtern^ die
Ursache wissen wenig, allein man verstehet
es aus der Sprache der Bergleute, bey de-
nen istOr^ so viel aus Ende ^ soweitnehiQ-
lich der Stollen, der Schacht oder die Strek^
ke getrieben, man sagt zum Exempel: Die-
•
ser Bergmann arbeitet vor dem Ort^ das
ist, wo es aufhöret, daher erörtein nichts
anders ist, als endigen (definire.)
55. Ich habe bey den • Franzosen etwas
löbliches darin gefunden, dais auch vor-
nehme Herren sich befleifsigen , von aller-
hand Sachen mit den eigenen Kunstwörtern
zu reden, um zu zeigen, dafs sie nicht gar
der Sachen unwissend seyn; und hat man
mir erzehlet, dafs das Exempel des vorigen
Herzogs von Orleans, Ludwigs des XII L
Bruders, so darin Beliebung gehabt, nicht
wenig dazu geholfen. Ein gleichmälsiges,
da dergleichen Arbeit in unserer Sprache
47
herfür kommen sollte, würde bei den TeuN
sehen mehr denn bisher erfolgen , und zu
einer allgemeinen Wissens-Lust (oder Curi-
osität) und zu fernerer Oeffnung der Ge-
müther in allen Dingen nicht wenig dienen.
66. Allein ich komme nunmehrq zu dem,
so bey der Sprache in dero durchgehenden
Gebrauch erfordert wird, darauf die Her-
ren Fruchtbringenden, die Crufca, und die
Französische Apademie zuerst allein gese-
hen, und auch anfangs am meisten zu se-
hen ist, in. so weit keine Frage i$t von dem
Ursprung und Alterthum, oder von verbor-
genen Nachrichtungen, Künsten und Wis-
senfchaften, sondern allein vom gemeinen
Umgang und gewöhnlichen Schriften, all-
wo der Teutschen Sprache Heichthum, Rei-
nigkeit und Glanz sich zeigen soll , welche
drey gute Beschaffenheiten bey einer Spra-
che verlanget werden.
67. *Reichthum ist das erste und nötliig-
ste bey einer Sprache, imd bestehet darin,
dafs kein Mangel < isondem vielmehr ein
Überflufs erscheine an bequemen und nach*
drücklichen Worten, so zu allen Vorfällig-
keiten dienlich, damit man alles kräftig und
eigentlich vorstellen und gleichsam ^t le-
benden Farben abmahlen, könne«
48 . .
«
58. Man sagt von den Sinesern, dafs sie
reich im Schreiben, vermittelst ihrer vielfäl-
tigen Zeichen, hingegen arm im Reden und
an Worten, weiln (wie bekannt) die Schrift
bey ihnen der Sprache nicht antwortet ; und
$cheinet, dafs der Llberflufs der Zeichen,
darauf sie sich geleget, verursachet, dafs
die Sprache desto weniger angebauet wor-
den, also dafs wegen geringer Anzahl und
Zweydeutigkeit der Worte sie bisweilen, um
sich zu erklären, und den Zweifel zu be-
nehmen^ mitten im Reden gezwungen wer-
den sollen, die Zeichen mit den Fingern in
der Luft zu mahlen.
5g. Es kann zwar endlich eine jede Spra-
che, sie sey so arm als sie wolle, alles ge-
ben ; ob man schoh saget , es wären" barba-
rische Völker , denen man nicht* bedeuten
kann , was Gott sagen wolle. Allein , ob
schon alles endlich durch Umschweife und
^ Beschreibung bedeutet werden kann, so ver-'
lieret sich doch bey solcher Weitschweifig-
keit alle Lust, aller Nachdruck, in dem
der redet, und in dem der höret; dieweil
das Gemüthe zu lange aufgehalten wird,
und es heraus kommt^ als "wann man einen,
der viel schöne Palläste besehen will, bey
einem
49
einem jeden Zimmer lange aufhalten, und
durch alle Zimmer herum schleppen wollte,
wie die Völker, die (nach der Weigeliani-
sehen Tetracty) nicht über drei zehlen könn-
ten, und keine Wort oder Bezeichnung hät-
ten , vor 4« 5. 6. 7. 8, 9. etc, wodurch die
Rechnung sehr langsam und beschwerlich
i^en müstCA;
60. Der rechte Probierstein des Über-'
fiusses oder t Mangels einer Sprache findet
sich heym Übersetzen guter Bücher aus an-
deren Sprachen« Dann da zeiget sich, was
fehlet, oder was vorhanden, daher haben
die Herren Fruchtbrmgenden und ihre
Naöhfolgere .wohl gethan, dafs sie einige
Übersetzungen vorgenommen y. wiewohl nicht
allemahl das Beste ausgewehlet worden.
61. Nun glaub ich ^zwar nicht, dals eine
Sprache in der Welt sey, die ander Spra*
chen Worte jedesmahl mit gleichem Nach-
druck, und auch mit einem Worte geben
könne. Cicero hat denen Griechen vorge-
worfen, sie hatten kein Wort, das dem. La
teinischen ineptus autworte: Er selbst aber
bekennet zum öftern der Lateiner Armuth;
Und ich habe den Franzosen zu Zeiten ge-
zeiget, dafs wir auch keinen Mangel an sol-
D
N
5o
chen Worten haben, die ohhe Umschweif
von ihnen nicht übersetzt werden können.
Und können ^e nicht einmahl heut zu Tag
mit einem Worte sagen, was wir Reiten^
oder die Lateiner Equitare nennen. Und
fehlet es weit, dafs ihre Übersetzungen des
Tacitus^ od«" anderer vortreflicher Latei*
nischer Schriften, die bündige Kraft des
Vorbildes erreichen sollten. ***
62. Inzwischen ist gleichwohl diejenige
Sprache die reichste und bequemste,, welche
am besten mit wörtlicher Übersetzung zu-
rechte kommen kann, tmd dem Original
Fufs vbr Fufs zu folgen vermag, und^weiln,
wie ob erwehnet^ bey der Teutscheh Spra-
che kein geringer Abgang hierin zu spüren,
zumahl in gewissen Materien, absonderlich
da der Wille und willkühiiidies Thun der
Menschen einläuft, so hätte man Fleils dar-
an zu strecken, dafs man diesfalls andern
zu weichen nicht mehr nöthig haben .möge.
63. Solches könnte geschehen durch
Aufsuchung guter Wörter, die schon yor-
handen. aber itzo fast verlassen, mithin zu
rechter Zeit nicht beyfallen , wie auch fer-
ner durch Wiedferhringung alter verlegener
Worte, so von besonderer Güte ; auch durch
5i
Einbürgerung (oder Naturalisirung) fremder
Benennungen, vro sie solches sonderlich
verdienen, und letztens (wo kein ander
Mittel) durch wohlbedächtliche Erfindung
oder Zusammensetzung neuer Worte, so
vermittelst des Urtheils und Ansehens wak- •
kerer Leute in Schwang gebracht werden
müsten.
64« Es sind nehmlicji viel gute Worte
in den Teutschen Schriften, sowohl der
Fruchtbringenden, als anderer, die mitNuz-
zen zu gebrauchen , aber darauf man im
Nothfall . sich nicht besinnet. Ich erinnere
mich ehmahlen bey einigen gemerket zu
haben , dafs sie das Französische TendrCy
wann es vom Gemüth verstanden wird^
durch innig oder herzinnig bey gewissen
Gelegenheiten nicht übel gegeben. Die al*
ten Teutschen haben Innigkeit vor An»
dacht gebrauchet. Nun will idi zwar nicht
sagen, dafs dieses Teutsche Wort bey -allen
Gelegenheiten für das Französische treten
könne; nichts desto minder ist es doch
werth, angemerkt zu werden, damit es sich
bey guter Gelegenheit angäbe*
6ä. Solches zu eireichen wäre gewissen
gelehrten Leuten aufzutragen , 4^s äie eine
• Da
5a
Besichtigung, Musterung und Ausschufs
anstellen, und diefsfalls in guten Teutschen
Schriften sich ersehen m^öchtcln, als son-
derlich in des Opitzens Werken, -welche
nicht nur in Versen herauskommen, son-
dern auch in freyer Rede, dergleichen seine
Hercynia^ seine Übersetzung der Argenis
und Arcadia. Es wäre auch hauptsächlich
zu gebrauchen, eines durchlauchtigsten Au-
toren Aramena luid Octavia^ die Ueber-
setzungen des Herrn von Stubenberg und
mehr dergleidien , -wie dann auch Zesens
Ibrahim Bassa^ Sophonisbe, und andere
seine Schriften mit Nutzen dazu gezogen
werben könnten^ obschon dieser sinnreiche
Maxm etwas zu weit gangen. Man kann
auch in weit schlechtem Büchern viel dien-
liches finden; also zwar von den Besten an-
£mgen, hernach aber auch andere von ge-
ringem Schlag zu Hülfe nehmen k<)nnte.
66. Ferner wäre auf die Wiederbringung
yergefsner und. verlegener, aber an sich
selbst guter Worte und Redensarten zu ge-
denken, zu welchem Ende die Schriften des
vorigen Seculi, die Werke JLutheri und an-
derer Theologen, die alten Reichshandlun-
gen, die Landesordnungen und W^illkühre
53
der Städte, die alt^i Notariat-Bücher, und
allerhand geistliche und weltliche Schriften,
sogar Reinecke T^ofs^ des FroschmäuseleYs^
des Teutschei^ Rabelais^ des übe:i:setzten
Amadis^ des Östereichischen Theuerdancksy
des Bayerschen Aventins, des Schweitzer!*
sehen Stumpfs und Paracelsi^ des Nürn-
bergischen Hans Sachsen und ander Lan-
des -Leute nützlich zu gebrauchen«
67. Und erinnere ich mich bey Gelegen-
heit der Schweitzer, ehmals eine gute alte
Teutsche Redensart dieses Volks bemerket
zu haben, die unsern besten Sprach -Ver-
besserern nicht leicht beifallen sollte. Ich
frage zum Exempel, wie man Foedus de-'
fensivunt et oJfensii)um kurz und gut in
Teutsch geben solle, zweifle nicht, dafs un-
sere heutige wackere' Verfasser guter Teut
scher Werke keinen Mangel an richtiger
und netter Übersetzung dieser zum Völker-
recht gehörigen VVorte spühren lassen wür-
den; ich zweifle aber, ob einige der neuen
Übersetzungen angenehmer und nachdrück-
licher fallen werde, als die Schweizerische
Schutz - und Trotz - P^erbiindnifs,.
'68. Was die Einbürgerung betrifft; i&%
solche bei guter Gelegenheit nicht auszu-
64
schlagen 9 und den Spradien so nützlidi als
den Völkern. Rom ist durch Au^ehmung
der Fremden grofs und mächtig Mrorden,
Holland ist durch Zulauf der Leute ^ lyie
durch den Zuflufs seiner Ströhme aufge-
schwollen; die Englische Sprache hat alles
angenommen, und wann jedermann das Sei-
nige absondern wollte, würde es den Eng-
ländern gehen, wie der Esopischen Krähe,
da andere Vögel ihre Federn wieder geho-
let. Wir Teutschen haben es weniger von-
nöthen, als andere , müssen uns aber dieses
nützlichen Rechts nicht gänzlich begeben.
6g. Es sind aber in der Einbürgerung
gewisse StufFen zu beobachten, dann gleich-
wie diejenigen Menschen leichter aufzuneh-
men, deren Glauben und Sitten den unsern
näher kommen, also hätte man ehe in Zu-
lassung derjenigen fremden Worte zu gehe-
len, so aus den Sprachen Teutschen Ur-
sprungs, und sonderlich aus dem Hollän-
dischen übernommen werden könnten, als
deren so aus der Lateinischen Sprache und
ihren Töchtern hergehohlet.
70. Und oh zwar das Englische und
Nordische etwas mehr von uns entfernet,
als das Holländische, und mehr zur Unter-
\
I
55
suchung des Ursprungs^ als zur Anreiche«>
rung der Sprache dienen möchte, so wäre
doch gleich\(^phl sich auch deren zu diesem
Zwecls; in eiii und andern nützlich zu be-
dienen, ohnverboten.
71* Was aber das Holländische betrifft,
würden unsere Teutschen ^ zumal guten Fug
und Macht haben, durch gewisse Abgeord^
nete, das Recht der Mutterstadt von dieser
Teutschen P£anze (oder Colonie) einzusamm-
ien, und zu dem Ende durch kundige Leu-
te die Holländische Sprache und Schriften
untersuchen, . und gleichsam wardiren zu
lassen, damit man sehe,- was davon zu fo-
dern, und was bequem dem Hoch teutschen
einverleibet zu werden. ^ Dergleichen auch
von dem Plattteutschen und andern Mund-
arten zu verstehen. Wie dann zum £xem.
pel , der Plattteutsche Schlump ; da man
sagt, es ist nur ein Schlump, oder was die
Franzosen Hazard nennen, oft nicht übel
anzubringen.
72. £s ist sonst bekannt, dafs die Hol-
länder ihre Sprache sehr ansgebutzet, däfs
Opitz sich den Heinfs^ Catz und Groot^
und andere vortrefliche Holländer : wolil zu
Nutz gemacht, dafs F^andel und andere es
56
noch höber gebracht , und dafs anjetzo viel
unter ihnen mit grofser Sorgfalt sich der
l^einigkeit befleifsen, und doch ihre Mey-
nung ziemlich auszudrücken 'wissen, also
uns mit ihren SchriA»n wohl an Hand ge-
hen >verden.
73. Die Lateinische, Französische, Ita-
liänische und Spanische Worte belangend
(dann vor den Griechischen haben wir uns
nicht zu furchten) so gehöret die Frage, ob
und wie weit deren Einbürgerung thunlich
und radisam, zu dem Punct von Reinigkeit
der Sprache, dann darin suchet man eben
zum Theil die Reinigkeit des Teutschen,
dafs es von dem überflüfsigen fremden
Mischmasch gesäubert werde.
74. Erdenkung neuer Worte oder eines
neuen Gebrauchs alter Worte, wäre das
letzte Mittel zu Bereidierung der Sprache.
Es bestehen nun die heuen Worte gemei-
niglich in einer Gleichheit mit den alten,
welche man Analogie, das ist, Ebenmafs
nennet, und sowohl in der Zusammensez-
zung als Abführung (Compositione et Da-
rivatione) in Obacht zu nehmen hat.
75. Jemehr nun die Gleichheit beobach-
tet wird, und jeweniger man sich von dem
57
SO b^eits in Übung, entfernet, jemehrauch
der Wohlklang, und eine gewisse Leichtig«
keit der Aussprache < dabey statt findet,
jemehr ist das Schmieden neuer Wörter
nicht nur zu entschuldigen, sondern auch
zu loben. .
76. Weil aber viel gute und wohlge-
machte Worte auf die Erde fallen, und ver-
loliren gehen, indem sie niemand bemerket
oder beybehält, also dafs es bisher auf das
blinde' Glück difsfalls ankommen, so würde
man auch darin Nutzen^ schaffen ^ wenn
durch grundgelehrter Kenner Unheil, Anse-
hen und Beispiel dergleichen wohl erwo-
gen, nach Gutbefinden erhalten, und in
Übung bracht würde.
yy. Ehe ich den Punct des Reichthums
der Sprache beschUefse, so will erweluiei^,
dafs die Worte oder die Benennung aller
Dinge und Verrichtungen auf zweyerley
Weise in ein Register zu bringen; nach
dem Alphabet und nach der Natur. Die
erste Weise ist der Lexicorum oder Deu-
tungs- Bücher, und am meisten gebrauch*
lieh. Die andere Weise ist der Nomenda-
toren^ oder Nahm -Bücher, und geht nach
den Classen, Sorten der Dinge. Ist von
58 ,.
Stephano Doleto, Hadrtano Junio, Kico-
demo Frischlino , Johanne Jonstono , und
andern nicht übel getrieben wprden. Und
zeiget sonderlich der Sprache Reichthum
und Armuth, oder die sogenannte Gopiam
Verborum ; daher auch ein Italiäner (yflun-
no) sein dergestalt eingerichtetes Buch , Ric-
chezza della Lingua ^volgare benennet.
Die Deutungs - Bücher dienen eigentlich,
wenn man wissen will , was ein vorgebenes
Wort bedeute; und die Nahm-Bücher , wie
eine vorgegebene Sache zu nennen. Jene
gehen von dem Worte zur Sache ^ diese
von der Sache zum Wort.
^8. Und soUte ich dafür halten, es wür-
de zwar das Glossarium Etymologicum^
oder der Sprachquell nach den Buchstaben
zu ordnen seyn, es könnte aber auch sol-
ches auf zweyerley Weise geschehen , nach
der jetzigen Aussprache, und nach dem
Ursprung, wenn man nehmlich nach seinen
Grund wurzeln gehen, und jeder Wurzel,
oder jedem Stamm seine Sprossen anfügen
wollte; welches auf gewisse röasse sehr
dienlich, auch eine Ordnung mit der an-
dern zu vereinigen nützlich wäre. Der
Sprachschatz aber^ darin alle Kunstworte
59
begrüFen, wäre besser und nützlicher nach
den Arten der Dinge, als nach den Buch«
Stäben der Worte abzufassen, weilen allda
die verwandten Dinge einander erklären
helfen, obschon letztens ein Alphabetisches
Register beyzufügen. Aber die Wort' und
Keden des durchgehenden Gebrauchs könn-
ten nützlich auf beyde Weise, vermittelst
eines Deutungs- Buchs {Lexici) nach dem
Alphabet, und vermittelst eines Nahm-Buchs
nach den Sorten der Dinge dargestellet wer-
den; beydes könnte den Nahmen eines Die-
tionarii oder TVörterhuchs verdienen, und
beydes würde seinen besondern , die letzte
Art aber meines Erachtens, den grösten
Nutzen haben.
79. Es sind auch gewisse Neben-Dictio-
naria so zu sagen, so die Lateiner und
Griechen brauchen, und bey den Teutschen
dermahleins nicht allerdings aufser Augen
zu setzen, als Particularum , Epitlietorum^
Phrasiuin etc. der Prosodien und Reim-Re-
gister zu geschweigen; welches alles aber,
wann das Hauptwerk gehoben, sich mit
der Zeit von Selbsten finden wird. Bis hie-
her vom Reich thum der Sprache.
80. Die Reinigkeit der Sprache, Rede
6o
und Schrift bestehet darin, dafs sowohl die
Worte und Redarten gut Teutsch lauten,
als dafs die Grammatic oder Sprachkunst
gebührend beobachtet , mithin auch der
Teutsche Priscianus verschonet werde.
81. Was die Wort und Weisen zu re-
den betrifft y so mufs man sich hüten , yor
Unanständigen , Ohnvemehmlichen und
Fremden oder Unteutschen.
82. Unanständige Worte sind die nieder-
trachtige, oft etwas Gröbliches andeutende
Worte die der Pöbel braucht, plebeja et
ru^tica lyerba^ wo sie nicht eine sonderli-
che Artigkeit haben, und gar wohl zu pas-
se kommen, od^ zum Scherz mit guter Ma-
nier anbracht werden. Es giebt auch ge-
wisse niedrige Worte, so man im Schrei-
ben sowohl, als ernsthaften förmlichen Be«
den gern vermeidet, dergleichen zu be-
zeichnen wären, damit man defsfalls sich
besser in acht nehmen könnte. Daher das
Wort so aus dem Griechischen k^'c« kommt,
billig ausgesetzet werden sollte. £s sind
auch einige von unangenehmen Klange,
oder lauten lächerlich, oder geben sonst ei-
nen Übelstand und widrige Deutung, dafür
man sich billig hütet.
6i
83. Es sind auch unvemehmliehe Wor-
te, und unter andern die veraltet, "verba
casca osca, obsoleta^ dergleichen zwar et-
liche noch Lutherus in seiner Bibel behal-
ten, so aber' nach ihm vollends verblichen,
als Schacher y das 'ist Mörder^ Raunen so
mit den Runen der Nordischen Völker ver-
i¥ändt, KogeL das ist eine gewisse Bedek-
kung des* Haupts.
84. Dahin gehören die unzeitig ange*
brachte Verba ProvindaKa,' öder Landwor-
te gewisser Provinzen Teutschlandes, als
das Schmecken an statt' Riechen y wie es
bey einigen Teutscheri gebraucht wird, von
denen man deswegen sagt, sie haben nur
vier Sinne; item der Kretsckmar in Sohle«
sien, der so viel als I^rug in ^iedersach-
sen; von welcher Art auch die Meifsner
selbst nicht wenig haben, und sich deren
zumal im Schreiben enthahen müssen, als
wann sie sagen , der Zeiger schlägt, oder
wann sie den Rock einen Pelz nen-
nen, welches ihm nicht zukommt, als
wann er gefuttert, imd was dergleichen
mehr.
85. Was aber die fremde oder unten t-
sche Worte anbetrifft > so entstehet darin
6a
■
der gröst Zweifel ^ ob nemlidieii und, in
weit sie zu dulden i nachdem sie vielen an-
noch unverständlich« ^ Nun will ich solches
der künftigen Teutschgesinneten Verfassung
zu entscheiden zwar überlassen 9 doch an-
jetzo ein und anders ^ ob schon vorgängig,
doch unvorgreiflich zu erwegen gebtoi.
86. Und sollte ich demnach zuforderst
dafür halten, dafs man des Frelnden ehe
zu wenig als zu viel haben solle, es wäre
dann, dafs man ;mit Fleifd etwas machen
wollte auf den Schlag des Liedes ; .
Da die Engel «logen novft Cantica,
Und die Schelleq klingen in Be|(it Curia,
88. Hernach yermeyne, dafs ein Unter-
scheid zu machen unter den Arten der Zu-
hörer oder Leser; dann was für männiglich
geredet oder geschrieben wird, als zum
Exempel, was man prediget, soll billig von
jedermann verstanden werden, was aber
fiir Gelehrte , für den Richter , für Staats-
leute geschrieben, da kann man sich mehr
Freyheit nehmen. .
88« Es kann zwar auch zu Zeiten ein
Liat&Lnisches oder aus dem Lateinischen
gezogenes Wort, dabey ein sonderlicher
Nachdruck, von einein Prediger g&-
63
brauchet werden: ein Lateinisches sage
ich, dann das Französische schicket sich
meines Ermessens gar nicht auf unsere Can-
zel, es ist aber alsdann rathsam, dafs die
Erklärung alsbald dabey sey, damit beyder
Art Zuhörer ein Genügen geschehe. . ^
89. Sonst ist von alten Zeiten her
bräuchlich gewesen, in Rechtshandlungen,
libellen und Producten , Lateinische Wor*
te zu brauchen, es thun^ es auch die Frem*
den sowohl als die ' Teutscfaen, ob schon
einige Gerichte^ Facultäten und Schoppen-
Stühle, zumahl in Abfassung der UrtheUe
und Sprüche von geraumer Zeit her , die
nicht unlöbliche Gewohnheit angenommen,
viel in Teutsch zu geben so anderswo
nicht anders als Lateinisch genennet wor^
den; als Krieg rechtens befestigen, Litern
contestari; Gerichtszwang ^ Instantia \ End**
urtheil) Definitivum und dergleichen viel.
In Staats-Schriften, so die Angelegenhei-
ten und Rechte hoher Häupter und Potea«-
zen betreffen, -ist es nun dahin gediehen,
dafs man nicht nur des Lateinischen, son^
dern auch des Französischen und Welschen
sich schwerUch aljlerdings entbrechen kann,
dabey doch eine ungezwungene und unge-
\«
64
zwungene und ungesuchte Mäisigung ^oU
anständig seyn dürfte, wenigstens sollte man
sich befleifsen , das Französische nicht an
des Teutschen Stelle zu setzen, wann das
Teutsche eben so gut, wo nicht besser, wel-
ches ich gleichwohl gar oft bemerket habe.
gi. So könnte man sich auch zum öf-
^tern dieser Vermittelung mit Nutzen bedie-
nen, dafs man das Teutsche Wort mit dem
fremden versetzter und eines zu des andern
Erklärung brauchte, da denn auch eines
des andern Abgang sowohl an' Verständlig-
keit, als an Nachdruck, ersetzen könnte.
92. Und dieser Yortheil würde auch son-
derUch dienen., gute und wohlgemachte,
aber noch nicht so gar gemeine, noch
durohgehends angenommene Teutsche Wor-
te in Schwang zu bringen , wann sie An-
fangs mit den fremden, oder mit Einhei-
mischen zwar laehx gebräuchlichen , aber
nicht zulänglichen zusaQimeni gefugt, oder
auch, sonst mit einer, Erklärung begleitet
würden, bis man derer) endlich mit der
Zeit gewöhnet worden, da solche Vorsorge
nicht weiter nöthig.
^3. Über dergleichen gute Anstalten zu
Bey behaltung der Teutschen Sprache Rei-
nig-
65
nigkeit , so viel es immer thunlich , hätten
die vametiÄieii Sciibenten durch ihr Exem*
pel die Hand zu halten, und damit den
eifibrechenderi' Sturm ' der fremden Worte
sich nidit zwar gänzlich, so vergebens, doch
gleichsam larh^nd zu widersetzen, ,bis sol-
eher Sturm vorüber und überwundeh.
94. $0 sollte ich auch dafür halten, dafs
in gewissen Schriften, so nicht wegen Ge-
tiehäfte und zur Nothdurft^ auch nicht zur
Lehre der Küfnste und Wissenschafteil, son*
dem' zur Zierde heraus kommen , ein meh*
rer Ernst zu braucheil, und wenige fremde
Worte ehiÄulassen' seyn.
g5. Dann gleichwie in einem sonst schö-
nen Teutschen Gedidite, ein Französisches
Wort gemeiniglich ein Schandfleck seyn
würde , also sollte ich gänzlich dafiir hal-^
ten, dafs in den Schreibarten, so der Poe-
sie am nächsten, als Romanen, Lobschrif-
tto und Öffentlichen Reden, auch gevvdsser
Art Historien, und auch bcfy Übersetzun-
gen aller solcher Werke aus fremden Spra-
eben, und summa, wo man nicht weniger'
auf Annehmlichkeit als Nothdurft und Nutz-
bark^t siebet, man sich der ausländischen
Worte, so viel immer möglich, enthalten solle.
E
66*
^6. Damit aber solches besser zu. Werk
zu ;richten, müste man g^yriss^ , noch .gleich-
sam zwischen Teutach .and Fremd hiob und
her fladdemde Worte' einmal vor allemal
Teutsch erk^eui ui^d kiinftig nicht mehr
zum Unterscheid mit andern Buchstaben^
sondern eben^'wie die Teutschen schreiben,
^Iso damit den Gewissens-Scrupel der Vohl-
gemeynten ehrlichen Teutschen und Eiferer
vor das Vater^d, und noch überbliebenea
Herren Fruchtbringenden ^ verhofFentlich mit
ihrem guten WUlen, gänzlich aufheben*
97 Es hat ja der trefliche Opitz ^ so bey
uns 9 wie Virgilius bey den Römern, der
erste und letzte seines Schrots und Korns
gewesen, kein .Bedenken gehabt, derglei-
chen zu thun, als zum Exempel^ Wann er
zum Heinsio saget:
Das deine Poesie der meinen Mutter sey^
■0
Damit hat er , meines Erachtens^ difs Wort
Poesie aus habender seiner Macht einmal
Yor allemal vor Teutsch erkläret, so gut
und unwiderruflich als ob ein Act of par-
liament über eine Englische Naturallsirung
ergangen.
98. .Und sehe ich nicht, warum man
67
den auswärtigen Potenzen sowohl als Po-
tentaten, der Galanterie sowohl als schön-
«
ster Gala, und hundert andern, nicht eben-
mäfsig dergleichen Recht der Teutschen
Bürgerschaft wiederfahren lassen könne, mit
etwas bessierer Art, als ^etliche neuliche Ge-
lehrte Souv^rainitäten .zum Lateinischen
Wort machen wollen, um den Sxxprematum
zu meiden, den ein ander gebrauchet.
gg. Es haben unsere Vorfahren kein
Bedenken gehabt, solch Bürgerrecht zu ge-
ben. Wer siehet nicht , dafs Fenster vom
Lateinischen Fenestra ? und wer Französisch
verstehet, kann nicht zweifeln , dafs Eben--
ikeuerj so fcey uns schon sehr alt, Ton
A7)anture herkomme, dergleichen Exem-
pel sehr viel anzutreffen, so dieses Vorha-
ben rechtfertigen können. '
loo. Was ich von Aufliebung des Un-
terscheids des Schrift gedacht, dafs in
Schreiben oder Drucken dergleichen Wort
von den Teutschgebohrnen nicht mehr zu
unterscheiden, dessen Beobachtung, ob sie
schon gering scheinet, würde doch nicht
ohne Nachdruck und Würkung seyn. Es
haben auch sonsten viele dafür gehalten,
man sollte zu einem guten Theil Teutscher
£ a
68
Bücher beym Druck Iceine andere als
nische Buchstaben brauchen, ynd den un-
nöthigen Unterischeid .abschafFeif, gleich wie
die f'ranzosen auch ihre alte Buchstabeai, so
sie Lettres deßnance nennen, und die in
gewissen Fällen noch gebräuchlich, im ge-
meinen Gebrauch, und sonderlich im Druck
fast nunmehr aufgehoben*
101 • Ich will zwar solches an meinem
Orte dahin gestellet seyn lassen, habe doch
gleichwohl beiunden, dafs den HoU- und
Niederländern die Hochteutsche Schrift bey
xmsern Büchern beschwerlich' fürkommt,
und. solche Bücher weniger l^sen macht,
daher sie auch selbst guten theils das Hol-
ländische mit Lateinischen Schriften dtuk-
ken lassen, diese Behinderung zu verhüten.
Und ermnere ich mich, dafs, als ich etwas
vor Niederländer neinsmals Teutsch schrei-
ben lassen soUen , man mich sonderlich ge-
beten. Lateinische Buchstaben brauchen zu
lassen.
102. Das ander Theil der Sprach - Rei-
nigkcit besteht in der Sprach - Richtigkeit
nach den Reguln der Sprachkunst; Von
welchem auch nur ein Weniges allhie ge-
denken will; Denn ob wohl darin ziemli-
69
eher Mangel befunden vrird, so ist doch
nicht ohnschwer solchen mit der 2jeit zu
ersetzen, und sonderlich vermittelst gu-
ter Überlegung zusammen gesetzter tüchti-
ger Personen ein und andern Zwei£Pels-Kno-
ten aufzulösen.
io3. Es ist bekannt, dafs schon Kaiser
Carl der Grofse an einer Teutschen Gram-
matic arbeiten lassen, und nichts desto min-
der haben wir vielleicht keine bis dato, die
zulänglich; tmd ob zwar einige Franzosen
sich darüber gemacht, weiln viele ihrer
Nation sich von weniger Zeit her aufs Teut-
sche zv^ legen begonnen, so kann man doch
leicht erachten ; dafs diese Leute dem Werk
nicht gewachsen gewesen. *
io4- Man weifs, dafs in der Französi-
schen Sprache selbst noch unlängst viele
Zweifel vorgefallen, wie solches die Anmer-
kungen des f^augelas ' und Menage^ auch
die Zweifel des JBouhours zeigen^ anderer
zu geschweigeri ; ohngeachtet die Französi-
sche Sprache aus der Lateinischen entspros-
sen , (welche bereits so' wohl mit Regeln ein-
gefasset) und sonsten von mehrer Zeit her
als die Unsere von gelehrten Leuten bear-
beitet worden V auch nur einen Hof als den
70
Mittelpunct ha^, nach dem sich alles rich-
tet i "welches uns mit Wien auch um des-
willen noch, nicht wohl angehen wollen,
weil Österreich am Ende Teutschlandes,
und also die Wienerische Mundart nicht
wohl ziun Grunde gesetzet werden kann,
da sonst ^ wann ein Kayser initten im Rei-
che seinen Sitz hatte , die Hegel der Spra-
che hesser daher genommen werden könnte.
io5* So geht audi den Italiänem noch
his dato ein und anders annoch hierin ab;
ohngeachtet alles Fleifses^ den die Cruscä
angewendet, gegen welche der scharfsixmi-
ge Tassoni und andere geschrieben^ und
ihr Urtheil nicht allemahl ohne Schein in
Zweifel gezogen» Und also obschon die
Italiänische Sprache unter allen Europäi-
schen j^ die erste gewesen, so zu dem Stau-
st de kommen^ darin sie sich jetzo im Haupt-
werk noch befindet, immafsen Petrarca
und Dante noch jetzo gut seyn , welche?
von keinem Teutschen, Frai^^ösischen^ Spa-
nischen oder Englischen Buch selbiger Zeit
gesaget werden kann; So sind doch annoch
viele Grammatische Knoten und Scrupel
auch bey ihr übrig blieben.
io6. Ob nun schon wir Teutsche uns al-
80 desto weniger zu verwiindem^ oder auch
zu schämen haben ^ dafs unsere Granmiadc
noch nicht in vollkommenem Stande , ' so
dünket mich doch gleichwohl, sie sey noch
allzuviel davon entfernet^ und habe daher
einer grofsen Verbesserung nöthig^ sey also
auch dermaleins von Teutschgesinneten Ge*
lehrten soldie mit Nachdrudc vorzunehmen,
«oy« Und z>tar nicht allein um uns selbst
aus einigen Zweifeln zu helfen, weilen end-
lich soldie nicht so gar wichtig seyn^ son*
dem auch sowohl unsere Leute zu unter-
richteni zumahl die kein Lateinisch studlret
haben, welche gar oft schlecht Teutsch
schreiben, als auch den f'remden die Teut-
sehe Sprache leichter und begrelElieher zu
machen ; welches zu ' imserm Ruhm gerei-
chen, andern zu den Teutschen Büchern
Lust bringen, und den von etfichen gefafs-
ten Wahn benehmen würde ^ als ob unsere
Sprache der Regeln unfähige imd aus dem
Gebrauch fast allein erlernet werden müfste.
io8. Sonst sind wohl einige Zweifel bey
uns vorhanden, darüber ganze Länder von
einandef* unterschieden und Ganzeleien selbst
gegen Ganzeleien streiten, als ^zum £xem-
pel, was für Geschlechts das Wort Urtheil
7^
sey. Im Reiche beym Relchs-Hofirathj beym
Reichs -Kammer* Gerichte und sonst ist Ur-
theil weiblichen Geschlechts unü saget man
die Urtheil; Hingegen in denen Obersächsi-
sehen Gerichten spricht man, das Unheil.
log. Die Urtheil hat nicht allein die
höchsten Gerichte, sondern auch die gröfs-
te Zahl vor sich. Das Urtheil aber beruft
sich auf den ^ Sprach-Grond pder Analogie.
Dann weil Theil nicht weiblichen Ge-
s.chlechtes und ehe gesaget "^d das Theil
als die Theil , (in singulari), so sollte mai^
tneynen, es müste auch ehe das Urtheil,
als die UrtheiJ heifsen: Doch der Gebrauch
ist der Meister.
. Non nostrum interyo» t^ntu coi^ponero )it€t.
Ich Überlasse ^s künftiiger Anstalt mit vie-
len andern dergleichen Fragen , welche end-*
lieh ohne Ge&hr etwas warten und auf die
lange Bank geschoben werden können.
I iio. Nun wäre noch übrig vom Glanz
MXi^ Zißrde der Teuts.chen Sprache zu re-
den.; will anich aber^ damit anjetzo nicht
aufhalten, dann wann' es weder an beque*
men Worten noch tüchtigen Redensarten
fehlt, kommt es auf den Geist und Ver-
stand . des Verfassers an , um die Worte
wohl zu wählen und füglich zu setzen.
73
111. und weü dazu yiellielfen die Ekem-
pel der^', so bereits • wohl angeschrieben
und durch einen glücklichen Trieb der Na-»
tur d^en andern das Eifs gebrochen , so wür-
de nicht allein nöthig seyn ihre Schx'üt^i
hervor zu ziehen, und zur Nachfolge vor-
zustellen, sondern auch zu vermehren, die
Bücher der alten und auch wohl einiger
neuen Haupt -Autoren in. gutes Teutsch zut
bringen, und allerhand schöne und nützli">
che Materien wdhl auszuarbeiten.
112.' Bey welcher Gelegenheit ich erin-
nern sollen , dafs einige sinn-reiche Teut«:
sehe Scribenten^ und unter ihnen der sonst
Lob-würdige Herr fVeise selbst,- gleichwohl
diesen merklichen Fehler noch nicht abge-
schaffet^ (den auch etliche Italiäner behal*^
ten,) dafs ^\b etwas /schmutzig zu reden kein
Bedenken tragen,, in welchem Punct ich
hingegen die Franzosen höchlich loben mufs,
dafs sie in öfFentlichen Schriften nicht nur
solche Wort und Hedeii, sondern auch sol«*
chen Verstand vermeiden., und daher auch
in den, Lust- und Possen - Spielen selbst
nicht leidbit etwas zw^ydeutiges leiden , so
man anders als sich gebühret, gemeynet zu
seyn vermerken könne. Welchem löblichem
Exempel bilUch mehr , als bisher geschehen.
74
zu folgen, und zumaU hefsliche Worte,
^chne sonderbahre Nothdurft, nicht zu dul-
den. Es ist fireylich in der Sittenlehre mit
Sauberkeit der Worte nichts ausgerichtet,
es ist doch aber auch solche kein geringes.
11 3. Die Teutsche Poesie gehöret haupt«
sächlich zum Glanz der Sprache; ich ^mll
mich aber anjetzo damit nicht auflialten,
sondern nur annoch erinnen^i 'was Gestalt
meines Bedünkens einige vornehme Poeten
zu Zeiten etwas hart schreiben, und von des
Opitzens angenehmer Leichtflüssigkeit all-
zuviel abweichen, dem auch vorzubauen
vräre^ damit die Teutschen Verse nicht fal-
len, sondern steigen mögen.
11 4« Endlich die rechten Anstalten sind
bilHg zu künftiger Zusammensetzung vor-
treflicher Leute auszusetzen; doch helfet
man, es werde diese kleine Vorstellung, so
in der Eil binnen ein paar Tagen entwor-
fen worden, nicht übel angenommen wer-
den> welche als ein kleiner Schattenrüs die-
nen kann, gelehrter und wohl Teutschge-
sinneter Personen Bedenken einzuholen , und
vermittelst einiger Hohen Anzeigung der-
maleins dem Weik selbst näher zu kommen.
■«■MiMi
76
Rede, x^elche der Ober • Consistorial-Rath
und Probst Zöllner, über die Verbesse^
rung der Deutschen Sprache, in der öß-
/entliehen J^ersammlung der Akademie
der Wissenschaften zu Berlin den 26!.
Jänner 1792 abgelesen hat.
Ochon bei der Stiftung der Academie*) ward
die Bildung der Deutschen Sprache und deren
Beförderung ihr zu einem besonderen Geschäfte
ajdgewiesen; und Leibnitz bezeichnete mit sei-
nem bekannten Scharfsinn und seiner ausge-
breiteten Gelehrsamiieit vortrefflich die Ge«
sichtspunkte , \velche mau bei diesem weitum«»
fassende!! Geschäfte vor Augen behalten mü^e.^
Ungeachtet er seinen Aufsatz, der unter
der Aufschrift; Unvorgreißiche Gedanken, be^
treffend die Ausübung und f^erbesserung der
Deutschen Sprache \ in der Saminlung seiner
Werke **) abgedruckt ist, „in der Eile binnen
ein paar Tagen/' entworfen hat : so enthält der-
p^-^
*) S. Stifcungsbrief der Sopietäi der Wissensehafien vom
Uten Jul; 1700, und die Statuten der Königlichen u^ca»^
demie vom 24. Jan.* 1744 i'^ ^^^ HUtoire de TAcad^-
mie Roy. des sciences etc S. 184 und aaS.
4^4) Gothoff. GuiL)il«eibnitii opera omnia» studio Ludovi«
ä Dutens. GeaeT, 1768. Tom. VL P. II. p. 6. seqq.
7«
selbe doch das Wesentlichste eines Grundrisses,
der in aNen seinen Theilen ausgeführt zu wer-
den verdient.
«
Nachdem er gezeigt hat , wie sehr f eder Na-
tion, und besonders der Deutschen, ihres man:
nichfaltigen grofsen Nutzens und ihrer Ehre we-
gen y an der Ausbildung ihrer Sprache gelegen
seyn müsse , so entwickelt er die eigenthümli-
chen Vorzüge der Deutschen Sprache, und ih-
re damaligen Mängel, mit einer kurzen Dar-
Stellung der wichtigsten Veränderungen, die sie
seit der Reformation erlitten hat. Hierauf geht
er zu demjenigen über, was er zur Ausbildung
und Beförderung unserer Sprache nöthig hält.
Alle Deutschen Wörter, sagt er , müssen ge-
tkiustert werden; man mufs nicht nur diejeni-
ge^ sammeln, die im allgemeinen Gebrauche sind,
sondern auch die, welche veraltet, oder den
Handwerken, den Künsten imd den verschie-
denen Mundarten eigenthümlich sind. * Jene
Sammlung nennt er den Sprachgebrauch^ (Lexi-
con) diese den Spra^^hschatz (Cornu copiae.)
Überdies dringt erlauf eiji Glossarium etymolo^
gicum , welches er sehr glücklieh durch Sprache
quell übersetzt. ► Er erörtert zugleich, woher
derselbe abgeleitet werden könnte, und wie
nützlich /ein solches Werk Glicht nur für die
Deutsche, sondern auch für die meisten Euro-
päischen Völkerschaften seyri "würde: da der
'7
Ursprung * der meisten Sprachen • unsers Erd«
tbeils zum Theil in der Deutschen «u suchen
sei. Endlich thut er die ^YrepkmUsigsten, V oxvi
schlage s wie diesi^ vorschi^denen . Weadne anzu«*
ordnen wären ^. und • wie überdies, »für den*
Reichthum, für die Belnheit und für den
Glanz« (die Zierlichkeit,) ddr Deulschen Spnt*
che gesorgt werden könnte; und< schliefst mit
der Bemerkung^ dals diöse zusammengesetzten
t 4
und weitumfassenden Geschäfte unmögli<^ von
einzelnen Gelehrten , spndern nur von 6iner^
hinlänglich unterstützten^ Gesellschaft ausge^ ,
führt werden können. ., «
Seitdem der grofsc» Leilnui^ diesen Plan- ent<
werfen hat , ist sehr Yiele$ von dem^ was er
noch wünschte, und < womit er nicbt geringe^
Schwierigkeiten verbunden sah> wirkkch gelei-»
stet worden.
Einzelne Gelehrten und gan^. .Gesellschaft«
ten haben die Geschichte der Deutschen Spra-^^
che , ihren Wörtersch a tz , ihre Abstammung ^
und Yerwandschaft, ihre Gruildsatze iind ihren'
Geist sorgfältig untersucht; man hat mehrere ^
alte Wörter aus ihrer . . Vergessenheit wieder^
hervorgerufen , vielen Fremden .das Bürgerrecht
gegeben, andere durch einheimische ersetzt und
ganz ne^e geschaffen; wir besitzen nicht mir
ein fFörterbuch der hochdeutschen »Mundari,
welches unserer Niition Ehre macht, sondern
7Ö
auch bnmohbftra Sammlungen von Proyinzial-
ausdrücken und Redensarten; selbst mit Latei-
nischen Schriftzeichen zu 'drucken, wie Leib-
»
nitz es wünscht, ist nicht mehr etwas Unge-
wöhnliches.
Das Wichtigste aber ist, dafs seit der Zeit
die Deutsche Sprache in der That auch ftir je-
de Gattung der Schreibart bis zu einem hohen
Grade der Vollkommenheit ist gebildet worden.
Unsere besten' Schriftsteller haben alle Zweige
der. höheren und scbönea Wissenschaften in der
vaterländischen Sprache so bearbeitet , dafs wir
bei einer Vergleichung mit' den übrigen gelehr-
ten Völkern Eurdpens nicht leicht mehr verlie-
ren möchten j als wir in anderer Rücksicht ge-
winnen. Und wenn gleich nicht zu leugnen ist,
dafs ^ir im Allgemeinen noch zu oft die Schön-
heit der Einkleidung der Gründlichkeit des In-
halts ohne Noth aufopfern: so dienen doch meh-
rte Schriften ^ die auch von diesem Vorwurfe
nicht getroffen werden, zu einem Beweise, dafs
die Schuld nicht Sowohl an der minderen Bil-
düng der Sprache- liege ^ als vielleicht an dem
Mangel einer hinlänglichen Aufmunterung, nach
dem Gepräge der- Vollkommenheit zu streben.
Die Menge von Übersetzungen, die wir aus
r
den alten und neueren Sprachen besitzen , und
die wir den besten Übersetzungen der Auslän*
der^ wenigstens an die Seite setzen dürfen^ sind
J
79
•ben &o viele Beweise^ dtds es unserer Sprache
weder, aa Reiohthi^n, noch an Biegsamkeit feh-
le^ um sich an jeden Gedanken und an jede
Einkleidung- desselben Imzuschlieisen.
Und die Liebe zum Lesen ^ die sich ^it ei-
nem halben Jahrhundert in uijserm Vaterlande
ff 1 j •
verbreitet hat, muste unausbleiblich die Folge
. ... I
haben, dafs nebst den Kenntnissen auch eine
bessere Art sich auszudrucken aus den Schrif-
ten in die gebildeteren Volksklassen überging.
Da in einer kurzen Reihe von Jahren, die
Liebhaberei der lesenden Stände von einer >yis-
senschaft auf die andere fiel,, so kameiJL die
Kunstausdrücke derselben allmählig in einen
gröfseren Umlauf, und das Bedürfqifs darüber
auch im Umgange zu sprechen, lehrte sich mit
Leichtigkeit auch über solche Gegenstände aus-
drucken, . die sonst immer nur in einem feier-
liehen Gewände aufgetreten waren.
Die große neuere Um&cha£(iing dei; Erzie-
hungskunst trug endlich auch das ihrige bei^
schon der Jugend die Kenntüi^ ihrer Mutter*
Sprache wichtig zu naschen, und beförderte die-
Vertraulichkeit mit derselben in den Schulen,
aus denen sie sonst fast gänzlic^h verbannt war.
Damit hing zugleich der Vortheil liusammen,.
dafs wenigstens ein Anfang gemacht ward, mehr
Richtigkeit, Reinheit und Leichtigkeit in die
fipradi^ de» gemeineh Lebens eiozufiihrai , dit
^ sonst am weiteste«' aüriick geblieben war.
. Insbesondere ist eine/ der wichtigsten Män-
gel unserer SpraoRe, über welchen Laibnitz sick
init Recht beklagte, seit seiner Zeit verschwun-
den. Wir sind jetzt durchaus nicht mehr» als
irgend eine andere Nation^ in Verlegenheit,
wenn wir iiber Gegenstände, die nicht in die
Sinne fallen, über Vemunftlehre , Metaphysik,
See)enl€(hre, Rechtswissenschaft, Sittenlehre und
Gottesgelehrsamkeit in unserer Muttersprache
reden oder schreiben sollen.
Bald naph Leibnitz tr^t ein Mann auf, der
sich das unsterbliche Verdienst erwarb , nicht
nur die Entdeckungen jenes grofsen Mannes in
ein LehrgeD'aude zu ordnen ^ sondern auch sei-
ne Grundsätze der Weltwe.isheit ins Deutsche
zu übertragen , und so der Sprache einen gleich
grofsen Gewinn an Reichthum und an Bestimmt-
heit zu verschaffen. Seit fVolfs Zeiten ist über
alle * Theile der > abgezogenen Wissenschaften
Deutsch geschrieben worden; und die scharfsin-
nigstem Werke der Ausländier haben ruhrnwür^
dige Ueberseteer gefunden. - In der Gottesge-
lebrsamkeit hat Baumganen und seine Schule
einen lichtvolleren und genaueren Sprachge-
brauch verbreitet, und musterhafte Kanzelred-
ner haben in Predigten und Erbauungsbüchern
Beweise , genug geliefert, dafs unsere Sprache
zum
äl
zum Unteericht in den Religionawahrheiten und
zur Erweckung jeder frommen Empfindung 'kei«
neswegs unf^Lhig'sei. Die Seelen- und Sitten-
lehre ist nicht nur in der Gestalt der Lehrge-
bäude vielfach in unserer Muttersprache vorge-
tragen worden; sondern die Gegenstande, womit
sich beide beschäftigen, wurden auch von
Schriftstellern bearbeitet, für die es eine uner-
lafsliche Bedingung war, sich keiner fremden
Ausdrücke zu bedienen. Wer kennt nicht die
Meisterstücke unserer vaterländischen Dichter,
in welchen die mannichfaltigsten Schattierun-
gen der Gefühle dargestellt und die feinsten
Grundsätze der Sittlichkeit entfaltet werden?
Selbst der Ton des feinen Lebens, die Sprache
der wärmsten Empfindung und die Schilderung
der heftigsten Leidenschaften ist von mehreren
Romanen- und Schauspieldichtern so gut ge-
troffen worden, dafs sie sich unter der unab-
sehbahren Schaar ihrer Genossen au& ehrenvoll-
ste auszeichnen«^
Auch in der Rechtswissenschaft und^in allen
• *
Zweigen d^selben sind, seitdem Thomasius die
Bahn brach , mehrere glückliche Versuche g^-
macht worden, die Deutsche Sprache an die
Stelle, sowohl des ächten als des barbarische^
Lateins zu setzen; und dos neue Preufsische
Gesetzbuch hat auch von dieser Seite die un-
sterbliche Verdienste um unsere Nation. End-
F
/.
82
lieh haben auch unsere Staatsschriften sich all-
xnählig immer mehr von ihrer ehemaligen Steifv
heit losgemacht, entbehrliche Fremdlinge aus
'der Reihe ihrer Kunstwörter verabschiedet und
Wendungen versucht, die dem Geiste unserer
Sprache und dem Geschmacke unseres Jahrhun-
derts angemessener sind, wovon Beispiele ge-
nug sich zu sehr in der Nähe befinden, als
dals ich daran erinnern dürfte«
«
Auf diese Art ist die wichtigste Forderung,
die Leibnüz noch zu thun nöthig fand^ bereits
grolsentheils erfüllt, und zwar die, mit welcher
die meisten Schwierigkeiten verbunden^ waren.
Djdnn alles übrige, was nach seinem Plane ge-
leistet werden sollte^ konnte durch den blofsen
FleÜs einzelner Männer oder irgend einer deut-
schen Gesellschaft geschehen. Das vorhandene
zu sammeln und zu ordnen, auf. die Quelle
desselben zurück zu gehen, das Nützliche von
dem Unbrauchbaren zu sichten ; dazu war blofs
J^ufse , Nachforschung , anhaltender Fleils und
Sorgsamkeit einiger wenigen Männer nöthig;
aber um die Sprache selbst zu bilden, zu be-
reichern, geschmeidiger, angenehmer und für
jede '.Gattung der Schreibart biegsam zu ma-
chen, dazu muste eine Menge von Kenntnis^
sen in viele Köpfe und ein verfeinerter Ge-'
schmack in die besseren Klassen der ganzen
Nation gebracht werden. Dafs aber die Bil-
»3
duDg'der Sprache so* gleichsam von selbst^ un-
ter dem Fortschritte der Nation in der Aufklä-
Tung, und im Geschmack, erfolgte, ist unstrei-
tig ein gröfserer Gewinn , ab wenn sie durch
irgend eine Art. von erkünstelter UmschafFung
übereilt worden wäre. Wenn die im Treib-
bause gepflegten Früchte gleich den Vorzug
haben y dafs sie früher können genossen wer«
den, so erreichen sie dafür auch nie den yölli-
gen Wohlgeschmack und die Dauerhaftigkeit,^
die ihnen die Natur, sich selbst überlassen,
würde gegeben haben.
Jetzt scheint ii^dessen der Zeitpunkt gekom«
man zu seyn, wo, durch Vereinigung mehrerer
Kräfte, Leibnitzens st5höne Vorschläge völlig
ausgeführt urerden könnten. Noch fehlt es
uns . an einer vollständigen Geschichte unserer
Sprache; welche um so wünschenswerther wäre,
jemehr sie nicht nur zu einer fruchtbaren
Kenntnifs des deutschen Nationalgeistes in al-
len Perioden beitragen, und den Stoff zu einer
Menge von philosophischen Bemerkungen lie-
fern, sondern auch die Quellei^ entdecken wür«
de, aus welchen die Hülfsmittel zu der weite-
ren Beschäftigung mit der Sprache zu schöpfei;^
sind«
So ist auch der ganze Deutsche Sprachschatz^
noch nicht vollständig gesammelt* Ungeachtet
Adelung mit seinem Wörterbuche, zu welchem
F 3
84
ßir die hochdeutsche Mundart bIo£s einzelne
Nachträge nöthig seyn dürften, Weit mehr ge-
leistet hat, als von einem einzehien Gelehrten
erwartet werden konnte; so sind doch, für die
übrigen deutschen Mund^en, die sogenannten
Idiotica imd die einseinen zerstreuten Beiträge
SU denselben noch bei weitem nicht hinreichend,
um den ganzen Reichthum der Sprache daraus
kennen su lernen» Und die eigenthümlichen
Ausdrücke vieler Handwerke und Künste sind
zum Theil bis jetzt so vemachlälsigt worden,
dals sich der Schriftsteller, der dahin gehörige
Gegenstände su entwickeln hat, in einer un-
aufhörlichen Verlegenheit befindet.
In Ansehung vieler Wörter ist der Sprach-
gebrauch noch äuiserst schwankend und scheint
nicht selten mit sich selbst im Widerspruch zu
seyn. Für manche Begriffe haben wir noch in
der Schriftstellersprache gar kein Wort, und
es wäre nützlich, dieselben aufzuzählen^ und
zu prüfen, wie diesem Mangel in jedem be-
stimmten Falle am besteh könnte abgeholfen
werden: ob durch Wiederherstellung eines al-
ten ausgestorbenen Wortes, oder durch ein
ausländisches, welches des Bürgerrechtes wür-
dig und fähig wäre, oder durch Verpflanzung
eines Provinzialausdrucks , oder durch ein neu-
geschaffenes Wort, welches schon von einem
Schriftsteller gebraucht worden, oder zum Ge-
85
uch zu epni^ehlexi wäre* . Auch die deut-
schen Spricb\^örter, und sprichtwörtlichen Re-
densarten verdienten eine weit^e Nachforschung
ihres Ursprungs und. ihrer Bec^eutung.
In der Alfleitung 4er. Deutschen yVörter von
ihren nrsprüpgliphen Wurzehi sind; noch viele
Entdeckungen zu maqhßfin die siel)! ^um Xheil
?on seihst darbietm werden, ,v7enn . der ganze
Reichthum der Sprache zusammen getragen und
eine^ sorgfältige Vergleichung der verschiedenen
Munckrten v^it eig^nder und mit den very^and-
ten Sprachen angestellt wird.
Je Wünschenswerther die Ausfüllung aller
dieser Lücken bleibt^ desto erfreulicher ist es,
dais die Aufmerksamkeit des Herrn Grafen von
Hertzberg sich auf diese wichtigen Gegenstände
gelenkt hat. Der deshalb von diesem eifrigen
Freunde seines Vaterlandes Sr* Majestät dem
Konige f vorgelegte Plan hat die Allerhöchste
Genehmigung erhalten, und die Academie hat
nun, unter dem Schutze eines Monarchen^ Des-
sen Liebe für die vaterländische -Sprache schon
von mannichfaltigem wohlthätigen Einflüsse ge-
wesen ist, einigen ihrer Mitglieder aufgetragen,
sich vorzüglich mit der Bearbeitung der Deut-
schen Sprache zu beschäftigen. Es soU allmäh-
lig alles gesammelt werden , was zu den erwähn*
ton Zwecken nützlich erachtet wird ; die Aca-
demie wird deshalb' mit auswärtigen Gelehrten
d8
neuesten Yorsucfie dieser Art ist die Verdeut-
schung einer Anzahl fremder Wörter vom Hrn.
Rath Campe in Braunschweig; je milslicher
, aber ein solcher Versuch ist , und jemehr Be-
hutsamkeit derselbe erfordert; um so mehr ver-
dient er auch Aufmerksamkeit und Prüfung*
In der englischen und fransösischen Sprache
fügen sich die Wörter, welche aus dem Latei-
nischen darin aufgenommen worden i durch ei-
ne leichte Biegungssilbe, nach dem Genius und
dem Laute, der in diesen Sprachen herr-
schend ist.
In der deutschen macht die Aufnahme eines
lateinischen Worts in den meisten Fallen un-
endliche Schwierigkeiten. Ich fähre nur das
Wbrt Ferbum zum Beispiel an : deklinirt man
es, und sagt: des Verbij der Verborum^ so
spricht man offenbar zwei Sprachen; will man
ihm eine deutsche Endigung geben, und sagt;
des 'PlerbümSf so fühlt' man, dafs man der Spra-
che Gewalt' anthut; sagt' man; das Ferb und
die Ferben , so ist dieses eben&lls eine gezwun-
gene Biegung.
Wer wird sich hierbei nicht uiizähUger Bei-
spiele von ähnlicher Art* erinnern ? Man siebet
hieraus die Ungeschmeidigkeit und Unbiidsam-
keit unsrer Sprache, sobald man sie zwingen
will, das Fremde in sich aufzunehmen. Man
scheint 'diefs auch selbst in deni Zeitpunkte
89
empfunden' zu liäbeaf, wb nocH die SuchY faettsck-
te, .unsre Sprache i^it fremden Worten auszu*
schmitcken;* man wagte- es* nicht/ die Endung
Iren, <fie *den fremden infinitiv bezeiclmet,
deutsch zu idirisibeit ; wodurch' denn die Schrift
ein eben so seltsiuni^ bUnt^s Anziehen , wie:die
Sprache erhielt. ' '
So unbildsam und unseschmeidl«^ aber unsre
Sprache' gsg^n die ^'ufn^hme^ des Fremden ist,
50 geschi^^i^ig^und^bilfl^aiB is,t ^ie in ^n4 durch
sich selber , . weil sie^ ihre. Sjtj^moi r und Wurzel-
Silben^ gleichsam wie. ein zw^te$ Alphabet^ auf
unendlich mannichfaltife Weise wieder zusam-
mensetzt^ l^nd da(|urcjh in^ mehr als in einer
Wissenischaft Wörter gebildet, hat^ die ohnge-
achtet ihrer Neuheit gleich anfänglich allge-
mein verständlich waren ; ^ • wovon ich nur die
VTolfis/chen Schriften zj^m Beweise anführe.
Da nun aber zu 'der Birdüng einel* Sprache
wegen der immer' zunehmenden Ideenmasse
vorzüglich ihre Bereicherung gehört/ und die
unsrige am 'wenigste^ erborgten. Reichfhum 3iil-
det; so niufs sie' zu* sich selbei:'> zn ihren ver-
alteten Ausdrucken, die oft schöner und kraft-
voller, als die neuern sind'i und zu ihren Mund-
arten, wöriii eiii Schatz voK bedeutenden und
ausdracKvöirerr -Zeichen der' bedanken verbor-
gen li^gV; ihre Zufllicht lielhmein: IKe& haben
90
rnisre r^nugUeliftea d^u^chen Spltrifbteller
Mchon mit vidbm Glück gathaiL
In .elftem der wichtigsten. Fächer, in dem
Fache dar Suuusschriften , « hat der Herr Graf
:Von Her^berg zu dieser Bildung uiisrer Sprache
^rorzügliph die B^hn gifbrofheU) indem er alt-
deutsche Wörter von achtem Gepräge .wieder
anfgenommen, und sie zu ihrem künftigen Ge-
brauche äufi neue gewürdiget hat«
Ich fiihre zii dem 'En^e nur jenie die Baibr-
sche £rl>folge belreEFende Staatsschrifit an, wel-
che 'schein ihres Inhalts w^ged jedem Patrioten
' wichtig seyxl muß. UnteV dän acht deutschen
Ausdrücken/ welche di^r Schtlft zur Zierde
' dienen y 'ist z.' ß« der Ausdruck: die Gerechfsa-
me seines Hauses fvahren^ sehr glücJdich ge-
wäidr, um die Be^iffiei d&r £rhaltUil^*> der Si-
cherung.^ und der'Vdrtheidigung auf eihmal*zu
bezeichnen y welcher allgemeine Begriff diesem
Worte ge];a4e durq^l^rdi^ Wegl^ssmjg. /ler Vor-
. Silbe ieierheiit ist;, die Gerechtsame seines Hau-
s^s in acht; zu nehmen, 3wahrzuneh^eni o^der
zu bewahren I würde 'das ^ur schwach oder halb
ausdrücken, was durch die ächte ui^d aUdeut-
sehe Redensartl .seinß Ger^d^fsf^mewahren^ nach-
drücklich bezeichnet wird*
In e^en dieser Schritt- sjgad die Ausdrücke
übermachcig. und mindermücluigy wenn yon dem
Uberge!Vficht des 'einen Sfaats übe^ d^iv^; andern
9'
di# Rede &t, * «uf eine bedeutende Weisö einor
dek* entgegletig^etzü. - So sind ^die deutschen
Ausdrücke Theihingen uad • Einungen , wenii
▼on Staaten und Landern die Rede' ist, bey be-
halten; und auch in den deutschen Wärtern
Denhschfift ^ so vrte dem Worte Theidigung
und Thaidigungsbrief y ist hier ein ehrenyoUer
Platz vergönnt» *
Die Wörter Auskunfcsmittely 'J4usgleichungS'
antrüge y Rückgangsrecht ^ anstatt Regredienz^
recht y und ähnliche^ welche in dieser Staats-
schrift aufgenommen sind^ dienen zum Beweise
von der Bildsamkeit unsrer Sprache , durch die
Zusammensetzungsfähigkeit , welche in ihren
Stamm- und Wurzelsilben, liegt, und wodurch
ein Begriff bis in seine kleinsten Bestandtheile
auf das genaueste und bestimmteste bezeichnet
worden kann«
So sind auch in dieser SchriA; die Wörter
Folge und Vorgang durch eine sehr gfückliche
Wahl miteinander in Gegensatz gebracht; denn
der Begriff von Folge in Rücksicht dessen was
ein anderer gethan.hat, wird eben so nach*
drücklich als ungezwungen bezeichnet, wenn
ich sage, dafs etwas die natürliche Folge von
jemandes Vorgängen sejr.
Die deutschen Schriftsteller haben über-
haupt # ein jeder in seinem Fache, gewetteifert^
uBtse Mttttanpnebe Ifioder in. ihr^J&edite «in-
xiuetzea, lüid ihr .bei, allon Ständen den Zoll
•TOB Ehrfuiüht wieder su verschaffen, worauf
-sie mit se- vielem Reohte Anspruch machte Ihr
'Wetteifer unti ihre vereinten Bemiihuiigen zur
'Bädtmg tmserer Sprache werden gewifa niclit
iruchtlos jeyn , . ao lange noch deutsche Vater-
landsliebe uns belebt > und so fooge ein deut-
scher König die deutschen Musen schützt!
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t ä 1 1 ■ • .« )
•* ' »t
e
93
i)Beweifs^ da/s die deutsche f^ölkerschaft
(Nation) eine einheimische und Ursprünge
liehe (originale) ist , und nißmahls eine
gänzliche Veränderung (RervöUuion) ar-
litten, "von dem Staatsminister Gra^
fen 'von Herzberg.
13 a unsere Aoademie sich vereiniget hat, die
deutsche Sprache nach dem grofsen Entwurf
des unsterblichen Leibnitz noch mehr tu bear-
beiten^ und zu solchem Ende eine Antahl von
Afihandlungen^ in gewissem Zeitraum, vonMona-
then oder Jahrweise herauszugeben, so glaube
ich, dafs es zweckdienlich seyn wird, wenn ich
hier den Anfang mache , mit dem neuen Ab-
druck der Vorlesung , welche ich in eben die-
ser Versammlung den 3o. Jan. i783, gehalten,
um zu beweisen: dafs die deutsche Nacixin und
Grofs ' Deutschland {das Germania magna der
Alten zwischen dem Rhein, der Donau und der
Weichset) eine einheimische und ursprüngliche
Völkerschaft sey , so wohl nach den un^
denklichen U eberlief erungen , als nach den alte»
steil geschriebenen Nachrichten ,• und nie-
mais eine gänzliche Veränderung, {Resolution),
wie alle andere Rationen der vier bekannten
94
Weluheile erfahren. loh thue dieses siun
Theil aus der Ursache, weil ich glaube, da/s ich
den stärksten Beweifs hieven dadureh führen
könne, wenn ich, theils durch die Geschichts-
kunde beweise, dais Deutschland memahls von
einer fremden, sich einer andern Sprache bedie-
nenden Völkerschaft, überwunden und unter-
jocht worden, theils auch, daft die älteste
'Überbleibsel des Alterthums , die wir von
Deutschland haben. Deutsch sind , und man de-
ren Ursprung und Veränderung leicht erratfien
kann, wenn sie schon in verschiedenen Gegen-
den von Deutschland, einige aber nicht wesent- .
liehe und unkenntliche Veränderungen erlitten.
Ich halte dafür, dafs diese Abhandlung an die-
sem Ort ihren schicklichsten Platz habe , weil
sie ihren Ursprung und den Anfang der Deu^
sehen Sprache bezeichnet. Sie stehet schon in
den Abhandlungen unser Academie im Jahr lySS
unter dem Titel: Abhandlung über die graS'
sen Veränderungen der Staaten , besonders von
Deutschland f vorgelesen an deni Geburtsfeste
des Königs j den So. Jenner 1783 in der öffent-
lichen Versammlung der Berlinischen Akademie
von dem, Königlichen Staats^ und Cabinetsmini^
ster^ Preyherm von Herzberg.
Man hält gewöhnlich dafür, dafs alle Staaten
und Länder -der Welt, seit ihrem ersten Ur-
sprünge einige wesentliche mehr oder weniger
d5
■
grolse Veränderungen, die man gemeiniglich
Revolutionen nennet, erlitten, d. i. dafs sie an-
... r .
dere Nationen zu Bewohnern, andei^e Herren,
eine anderö Regierung, eine andere Sprache
und Religion bekommen hätten, und dafs die
ursprünglichen Bewohner dieser Länder sie nicht
mehr itzt besäfsen, sondern durch die Ueber«
winder gleichsam verschlungen und in der Mas-
se derselben verlohren Wäi'en. Diese Meyaung
wird allerdings durch die Geschichte der mei-
sten bekannten Länder unterstützt. Frankreich
wird nicht melir von den alten Gelten , Spanien
nicht mehr von den Celtiberiem bewohnt. Je*
nes wurde zuerst durch die Römer' und nach-
her durch die verschiedenen deutschen Natio-
nen, die Gothen, Burgunder, und Franken er-
obert und bevölkert. Spanien und Portugal
haben gleiches Schicksal von den Golonien und
den WafFen der Phänicier, der Carthaginenser,
der Römer, der Vandalen, der Westgothen und
Saracenen erfahren. In der brittischen Insel
mufsten die alten dritten den Angelsachsen und
Noraiännern weichen. Italien hat von seinen
alten Einwohnern, und selbst von den Römern,
ehemals den Herrn der Welt, nur noch den
Nahmen einiger Städte übrig behalten; es hat
die häufigsten und allgemeinsten Revolutionen
durch die auf einander folgende Eroberungen
der nördlichen JN^ationen, der Ostgothen, der
96
Longobarden^ der Frankenj der Normanner und
auch der Detitscheo erlitten. Die ganze bekann«
te Küste des nördlichen Afi^ika von der Meer-
enge von ^ Gibraltar an bis nach Egypten und
der Mündung des .JNils; ^^'^ Griechealandi
Thracien und Klein Asien; Armenien ^ Sjrrien^
ganz Persien und Indien; -^ alle diese weitläuf-
tige Länder sind nicht mehr im Besitz ihrer
ersten Bewohner und Beherrscher. Sie haben
die, allgemeinste Revolution erlitten, da sie von
den 3aracenen> den Turcomannen und Tarta-
ren erobert worden ,. Y.on d^nen die ersten aus
Arabien, die bejden andere aber, welche Ttej-
nahe. dieselbe Nation ausmachen , nvs dem ehe-
maligen grofsen Scythien, oder der heutigen
Tartarey und von dem Berge Caucasus her-
kommen. Das greise Sinesistche Reich hat viel
leicht noch am meisten seine ursprüngCchen
Bewohner erhalten, aber es ist doch zuletzt
von den Mandsqhurischen Tataren erobert
worden und wird noch it^t vop ihnen beherrscht.
Über die Veränderungen, welche in dem alten
Scythien oder der heutigen ) Tartarey vorgefal-
len seyn mögen, ist es wegen der zu grofsen
Entfernung .dieses Landes und weil es il^m ganz
an Cultur upd Geschichtschreibern fehlte, nicht
mpgUch , irgend etwas zu urtheileu, wenn man
sich nicht der lebhaften und fruchtbaren Einbil-
dungskraft dto Herrn Bailly und Court de Gi-
belin
S5
belin überlassen will. Wenigstens findet man
in der alten Geschichte von Aufsland (einem
ehemaligen Theile von Grofs-Scytbien) und von
Pohlen (dem Sarmatien oder Bastarnien der AI«
ten). eine sehr umständliche Tradition, ron der
Eroberung dieser Lande durch eine fremde Na-
tion« Auch ist es ausgemacht und bekanüt, dals
das Dacien, Slavonien und Illyrien der Alten von
den Slaven und Hunnen Erobert und von neuem
bevölkert worden , und dafs letztere dem grös-
sern Theile dies^ LäpdQr den neuern Nahmen
Hungarn gegeben haben. Selbst die neue Welt
oder Amerika hat eben diese Abwechselungen
erfahreq^ Pi^ drey. großeii Aeipha, Mexico,
Peru und Brasilien sind von den Spaniern und
Porti^iesen erobert und wieder bevölkert oder
vielmehr;» um richtiger zu reden , entvölkert
worden« ,Der itzt ontstehenda neue Staat des
nördlichen Amerika hat ein gleiches S(xhicksal
gehabt fast alle «eine ursprünglichen . Einwoh^
ner zu verlieren , deren Stelle aber Engländer^
Franzosen und Deutsche sehr gut ersetzt haben.
Die herumirrenden, wilden. Nationen^ welche
das innere und einige Küsten von Amerika und
Afrika, so wie die wenig bekannten^ Inseln und
Länder der Südsee^ des nordlichen und indischen
Meers, b^wohnen^ haben vermuthlich auch' mehi^
oder Weniger grofse Revolutionen erlitten ^ aber
sie können nicht mit zu denii Theile der bewohn-
G
9»
ten Welt gei^echnet werden, in der itzt alle Na-
tionen gleichsam in eine allgemeine Gesellschaft
verbunden sind. Jene sind sHiweit davon {ent-
fernt^ und haben zu wenig Eioflufs in dieselbe,
als dad ich mich bejr ihnen auFhalten und sie
mit in Rechnung bringen dürfte. Es scheint
dafs Arabien al^ ein sehr entferntes Land be
ständig seine eingebohrne Einwohner gehabt
und von kc^iner fremden Nation unterjochet
worden, sondern vielmehr selbst eitlen grofsen
Theil von Asien und Afrika überfcfawemmt und
noch jetzo beherrschet.
Nachdem itzt alle- Theile und alle Nationen
der bekannten Welt durchgangen und uYiter ei-
aen Gesiohtspiinkt gestellt sind, und ich auf sie
meinen Grundsatz oder , wann mau. lieber will,
meine Hjrpothese angewandt habe; so'- bleibet
nur noch allein unser Vat^land übrig, das Ger-
manien^ der Römer , das heutige I)e^tschIand,
(das mau aber richtiger Teutonien ^) neianen
■^^ — '■*
•) Die Gründe hievon «ind, weil dieser P^ajjme von dem
Stifter der ganzen Nation, Tuiscon, herkömmt; weil
«elbst eine besondere Nation in den ältesten Zeiten 7e«-
€onenhieiB\ und wir auch selbst noch itzt un^er Land
Teutschland und uns TeuUche pennen. Wir wissen
aus dem aweyteq Capitel des Buchs de Germania des
Tacitus , dafs nur die kleine Nation der Tungerer am
Bhoia, sic^ .Gertnanier nannten, welchen Nahmen
nachher die Römer der. ganzen Nation gegeben, haben,
der y^rmuthUch ihr selbst lange Zeit unbekannt geblie-
ben ist«: Die AllemannUr waren gleichfalls nur ein
99
sollte) ud4 das alte Scandinavien *) oder die
heutigen Reiche von Dähnemark und Schweden«
Dieses Teutonien und Scandinavien, diese teu»
tooische Nation machen fafst die einzige Ausnafac»
me gegen ineine aligemeine Regel. Unter alle«
Nationen der Erde hat diese allein niemaU eine so
gänzliche Revolution, wie alle andere, erfahren*
Niemiils ist Deutschland in seinem ganzen Uuv
&ng und auf lange Zeit von einer fremden Na«'
tion erobert und unterjocht worden« Die Ror
jner konnten ihr Reich. nie weiter als bis an die
Donau und aen^Rhein ausdehnen, und über die*
se Flüsse nur ' zuweilen vorübergehende Einfälle
and Expeditionen vornehmen; allemal wurden
sie von den Deutschen daliin zurückgetrieben^
An der nördlichen Gränze reichte die Herrschaft
der Sclaven oder Wenden nnr bis an. die Elbe^
und diese Nation wurde nachher von desß, Deut»
besonderes Volk in Teutonien« deren NAfamen von ei-
nigen unwissebden Fremden der ganzen teutonischen
Kation beygelegt ist. Es ist von andern selfr wftlir-
scheiniich ewiesen« dafs die gegen Mittag wohnei^d^n Ein^
wohner von Teutschland solches mit einem weichen
I
71 die gegen Norden wohnende aber mit einem borten
D0 ausdrücken oder aussprechen. > '
*) Piolomäns , Plinius Lib. IV. c. i3* Ceilarius^ Geogr.
ant. Lib. II. c. 5. Aufser den Zeugniaseb der alten.
Geschichtschreiber darf man nur Sprache , Sitten uud
Charakter vergleichen, um sich völlig zu überzeugen,
däfs die Dänen, Schweden und Normannen eine und
dieselbe Nation mit der deutschen ftusmadinu
G a
aoo
^chen wieder bezwungen und ganz unterwürfig
gemacht. Man kann also mit strengster histo-
rischer Wahrheit behaupten, dals das eigentliche
Deutschland, oder das Germania magna der Rö-
tner; nämlich die weite Strecke Landes zwischen
dem Rhein, der Donau und der Elbe allemal Frey,
von keiner fremden Nation unterjocht , und
acht deutsch geblieben sey. Die Römer haben,
yiie ich schon bemerkt , dieses Land nie be-
zwungen. Die einzige Zeit, wo dieses und zwar
in Absicht des ganzen UmFanges des Landes ge-
schehen sejn kanni ist die, da Attila, König
der Hunnen^ durch Deutschland nach Gallien
gieng und daselbst bey Chalons geschlagen und
asurückgetrieben wurde.. Aber seine Herrschaft
hat vielleicht nicht ein Jahr gedauert^ Während
dien Jahrhunderten vom Anfang unserer Zeit-
rechnung an, bis zu der Stiftung der großen
fränkischen Monarchie, ist Teutonien immer
nur von den deutschen Nationen der Franken,
der Allemannier, der Sachsen, Thüringer,
Boyer oder Baiern bewohnt , und nur von Für-
sten, die aus ihnen entsprungen waren, be-
herrscht worden* Freylich war Deutschland im
yten .und Sten Jahrhundert mit der Monarchie
der Franken verbunden; ' und zwey hundert Jah-
re hatte es entweder gemeinschaftliche Regenten
mit Frankreich, odier seine besondere Beherr-
scher stammten von dön Carolingischen Königen
lOl
der Franken ab. Allein es ist allgemein bekannt;
dafs die franken ihrem Ursprung und ihreir
Sprache nach, eine ganz deutsche Nation wa-
ren. Die Könige ^. oder Kaiser Carl der Gros-
se und Ludwig' der Fromme ^ welche Deutsch«
land und Gallien vereinigt besafsen, sahen er-
steres als ihr Hauptland an, und brachten einen
groisen Theil ihrer Regierungszeit darinn zu,
Von ihren Nachfolgern wurde nach dem Ver*
trage von .Verdün im Jahr 843. eine besondere
Linie gestiftet, die nur allein Deutschland be-
herrschte , welches also bis zum Ausgang des
Garolingischen Stammes im Jahr gii seine eige-
ne teutonische Könige hatte. Jeder Kenner
der deutschen Geschichte weifs , dafs von dieser
Epoke und von der Wahl Conrad I, an bis auf
unsere Zeit, Deutschland nie andere Regenten
Könige oder Kaiser gehabt habe, als die aus sei-
ner eignen Nation, nämlich die sächsischen,
fränkischen , schwäbischen , luxenburgischen,
bayerischen und österreichischen Kaiser. Unter
denselben und während einer so langen Reihe
von Jahrhunderten, hat die teutsche Nation ihre
alten Besitzungen wieder erobert und ihre Grän-
zen bis an die Alpen, bis über den Rhein, und
die Elbe und bis in die Nähe der Weichsel aus-
gedehnt. In allen diesen Gegenden hat unsere
Nation ihre Sprache und Herrschaft wieder her^
gestellt , ubd ist mit letzterer sogar bis in Ita-
lien fortgerückt. Sie hat die wichtigen Verbin-
dung der vereinigten Staaten gestiftet , die man,
itzt das deutsche Reich nennt, und hat ihre
Spiache auch in den Ländern teutonischen Ur-
sprungs erhalten 9 .welche sich in verschiedenen
Revolutionen von dem deutschen Staatslcörper
losgerissen haben, als Helvetien^ den vereinig-
ten Niederlanden, Schlefswigi Preufsen, Cur-
land und Liefland«
Ein Land, das niemals von einer fremden
und zahlreichern Nation erobert und unterjocht
ist, mufs natürlich von seinem ersten Ursprün-
ge an y immer von einer und derselben Nation
bewohnt gewesen seyn. Ich glaube dieses von
Deutschland durch die vorhergehende kurze
Übersicht seiner Geschichte hinlänglich bewie-
sen zu haben. Aber ich kann diesem Beweise
noch einen andern sehr bündigen und überzeu-
genden bey fügen, diesen nämlich, dafs die jetzi-
ge deutsche Nation noch immer dieselbe Spra-
che erhalten habe, deren sich ihre Vorfahren
zu den Zeiten des Julius Cäsar, des Tacitus, des
Plinius, des Ptolomäus und überhaupt in jener
entfernten Epoke bedienten, da die griechischen
und römischen Geschichtschreiber dieses Voliu
zum erstenmale erwähnt haben.
Es kann schwer scheinen, diese Behauptung
zu beweisen, weil die alten Teutschen bey ihrem
gänzlichen Mangel von Cultur, weder Schreib-
. io3
kunst noch Geschichtschreiber hatten, und wir
vom Anfang unsrer Zeitrechnung an bis zum ach-
ten Jahrhundert keine Geschichte und auch kein
anderes Denkmahl besitzen , welche ganz in deut-
scher Sprache geschrieben wären, ^ wenn man
nicht die gothische Übersetzung der Eyangelien
dafür nehmen will , die man dem Bischof. ULphi-
las im vierten Jahrhundert zuschreibt und von
der ich nachher noch etwas mehr sagen werde»
Man findet aber in d^n griechischen und römi«
sehen Geschichtschreibern und Geographen, be«
sonders aber in den Schriften des Tacitus noch
viele Spuren der alten teutonischen Sprache, ynd
viele einzelne Worte, welche den heutigen ähn-
lich sind , und daher gar keinen Zweif<ßl übrig las-
sen, dals in Absicht des Wesentlichen und der
Wurzeln, sie immer dieselbe Sprache geblieben
ist . und dafs die Verschiedenheiten nur blos Fol-
gen der Veränderungen sind , weif he alle leben«
de Sprachen immer in einem langen Zeitraum er-
fahren haben. Ich werde hievon nur einige Bey-
spiele zur Probe anführen.) Der itzige Nähme der
tentschen P^ation kömmt von ihrem erften Stifter
Tuiston her, den sie für einen Gott und Sohn der
£r^e hielt, welche gleichfalls unter dem Nah-
men ^^er/A^y^ als eine Göttin verehrt, so wie der
Sohn des Tuiston^ Mannus,*) für dön zwejrten
*^i»— i— .—— ^— "^"^^i-^l^— — ^i^— ■■I M 11 III ■
*J S. Tacitus de Germ. c. a und 40 von denen ich jenes
nachher gani hersetcen ^rerde.
io4
Stifter gehalten wurde. Mit dieser Bedeutung
stimmen noch itzt überein die deutschen Wor«
te: Mann und Erde. Das erste Wort findet sich
noch in einer 'Menge teutonischer Nahmen, wie
in Arminius oder Hermah , und in den Nahmen
der berühmten Nationen der Allemannier {All-
männer) und der Marcomannen (Markmänner
oder Bewohner der Marke, welches ein^ Gränz-
proyinz bedeutete.) Die Nahmen Laciburgium^
Asciburgium , Salms Teutoburgicus ^ welche be»
kanntlich im Ptolomäus und Tacitus sich finden,
beweisen gleichfals, dafs in den ältesten Jahr-
hunderten, so wie itzt, Burg in der teutoni-
schen Sprache ein Schlofs oder eine bevestigte
Stsidt bedeutete. Auch 'findet man den Nah-
men Teutonen noch bey der berühmten Nation,
welche in Verbindung mit den Cimbern jenen be-
kannten Einfall in Gallien und Italien that, sechs
consularische Heere schlug, Rom mehr als ir-
gend eine andere Nation zittetn machte, *) und
endlich nur der überlegenen Kriegskunst des Ma-
rins weichen mufste. Der Nähme ihres Königs
Teutoboch , der den Triumph des Marius zierte,
j
und der selbst überwunden, durch seine colossa-
*) S. Cic, de Off, L. I. c. la. Sallustius in Bello Ju-
gurth. c. 114. Quinctilianus in Dedam. 3 c. 86. Euy
tropius L. V. c. i. Tacitus Germ. c. 57. wie' auch
meine Abhandlung von der Überlegenheit der Deutschen
gegen die Römer.
io5
lische Figur noch die Einwohner Roms in
Schrecken setzte y bestärkt gleichfals diese Idee.
Die damals in Deutschland zurückgebliebenen
Teutonen y finden sich in der Geographie des Pto«
lomäus wieder neben den Sachsen , im Norden
von Germanien , oder in Jütland.
Noch einen andern Grund meiner Behauptung
glaube ich auch daher leiten zu können , dafs die
yomehmsten Flüsse in Deutschland^ nämlich der
Rhein, die Donau ^ die Weser, die Elbe, die
Ems, die Lippe, der Mayn, der Necker, die
Saale, die Oder, die Weichsel, so wie die vor-
nehmsten Nationen, die Schwaben (Suevi) die
Baiem (Boji), die Frisen (Frisii), die AUeman-
nier, die Angeln, die Franken, Longobarden,'
Sachsen, Angrivarier, (Engern in Westphaleo)
Burgunder (die Burguntas des Ptolomäus) die
Rügier, die Sideni *) in Pommern, bis auf un-
sere Zeiten dieselben Nahmen behalten haben.
*) Ptolomäus in seiner Geogr. L. II. c. ti tagt: Post
Saxones Sideni us^ue ad Viadrum fluvium* Die Ahn«
lichkeit der Lage und des Nahmeni lassen nicht swei->
fein, dafs dieser berOhmte Geograph hier eben die Na-
tion im Sinne hatte, welche in der Gegend des itzigen
Stettin an der Oder, der Hauptstadt von Pommern
wohnten, welche also unter allen Städten des grofsen
Deutschlands fast allein ihren Nahmen von d^n Zeiten
des Ptolomäus bis auf die unsrigen erhalten haben wür-
de, indem Maynz, Colin und Augspurg (Augusta Vin-
delicoruni) mehr römische als deutsche Städte waren*
io6
die man im Cäsar > Tacitus, Ptolomaus und
Strabo findet ^ und die sie zu den Zeiten der
Bömer hatten^ welche in einer so langen
Reihe von Jahrhunderten nur in den Endungen
einige Veränderungen erlitten haben.
Wir kennen, die Geschichte und die grofsen
Thaten aller dieser deutschen Nationen^ yom
ersten bis zum siebenten Jahrhundert und wäh-
rend der grolsen Wanderung in die Provinzen
des römischen Reichsi nur aus den griechischen
und römischen Gescbichtschreibern, von denen
selbst die gebornen Deutschen^ in lateinischer
Sprache geschrieben haben , wie JomandeSy der
Geschichtschreiber der Gothen. und Paul fVar-
nefried und 'Erchenpert , die Geschichtschreiber
der Longobarden« Indefs bemerkt man doch
sehr oft in den Nahmen der berühmten Man-
ner^ deren Geschichte sie beschrieben , den
deutschen Ursprung, wie bey dem grofsen Theu-
derich ^ König der Ostgothen {Thierri oder Die"
trich) Clotarefij Clodoväus (Ludwig) den Chilr
prik {Hilfreich^) alles. Nahmen fränkischer Kö-
nige, und eben so sind auch iblbst die Nah-
men der. angeführten Geschichtschreiber , Jor-
nandeSf Warnefried ^ Erchenpert germanisch.
Die Gesetze der deutschen Nationen, näm-
licTi der Franken, Salier, Ripuarier, Alleman«
nier, Bayern, Friesen, Burgunder, Angeb;
Sachsen , Yariner^ Longobarden und Gothen,
107
50 wie die Capitularien der fratikischen Könige
sind sämmtlieh auch im Lateinischen geschrie-
ben. Man findet abertloch auch in ihnen eina
Menge teutonischer Worte, die nach ihren
Wurzeln vollkommen mit unserer heutigen Spra«
che übereinstimmen; i6 dafs einem Kenner je*
ne unmöglich entgehen können. Ich will hier
zur Probe nur einige dieser Worte hersetzen^
die man in den bekannten Sammlungen jener
Gesetze und' Gapitularien häufig findet;
Leudi {Leute j Vasalli.)
Adelin gki (Edelleute.)
Mallus {Mahl, Ort der öffentlichen Versamm-
l^ng-)
Weregildum (fVehrgeld^ Geldstrafe.)
Mannire {Mahnen^ Vor Gericht fodern«)
Murdrida {Mord.)
Marah {Mähre^ Pferd, und daher Marschall.)
Anwgriph {Angriß)
Mundualdus (Vormund.)
Herihartnus (^Heerbann.)
Karra {Karre. Wagen, Currus.)
Gasindus {JOiensthot^ daher Gesinde.)
Rachimburgi (Bürgen.)
Man würde leicht ein- weitlänftiges Lexicon sol-
cher ursprünglich deutschen Worte machen
können, die sich in den alten Gesetzen und .in
den griechischen und römischen Geschichtschrei-
bern finden. Aber der Beweis , den ich hier.
io8 ,
■
führe, wird noch weit stärker, wenn man die
Übersetzung der Evangelien liefst > die sich in
dem berühmten Codex argenteäs befindet, den
die Schweden im drey/sigjährigen Kriege in der
Abtey Werden in Wes.tphalen, und nachher in
Prag gefunden haben, von da er nach Upsala
gebracht wurde, wo er noch itzt aufbehalten
wird» £ey eininiger nähern Untersuchung be-
merkt man bald» dafs «diese Übersetzung un-
streitig in deutscher Sprache abgefafst ist. Man
hält mit gröfsester Wahrscheinlichkeit den Ost-
gothischen Bischoff Ulphilas ^ der um 35o, leb-
te; für den Urheber derselben. Andere behaup*
ten^ diese Übersetzung wäre in spätem Zeiten
von einem Franken gemacht; auch in diesem
Fall würde sie der deutschen Nation und also
zu den Beweisen meiner Behauptung gehören. *)
Nach dieser entweder gothischen oder deut-
■sehen Übersetzung der Evangelien , ist - das er-
ste Denkmahl der deutschen Sprache, das Bünd-
nifs wider den Kaiser Lotharius, oder vielmehr
der Eydy welchen die beyden Söhne Ludwigs
des Frommen, Ludwig, König von Deutschland
und Carl, König von Fra^nkreich , im Jahr 842
nahe bey Strafsburg, an der Spitze ihrer Ar*-
*) S. Ihre Scripta de TersionK Ulphilana, welcbe unser
berühmte Hr. Büscking 1776» zu Berlin beraasgegfben
bat.
109
meen gegen einander ablegten , uiid deren For-
mulare uns ein gleichzeitiger Gescbichtschrei«
her, Nühard,*) Aen einen in deutsclier; den
andern in der damaligen verdorbenen lateini*
scheii Sprache^ die man auch lingua Romana
nennt 9 der man sich in Erankreich bediente>
und woraus nachher die provinzialisch^ nnd
französische Sprache^ entstanden ist, aufbehaL
ten hat. JEiier sind diese Eidschwüre, die' Lud-
wig , König von Deutschland, in Römischer, und
der König von Frankreich in deutscher Sprache
ablegten, und die bei 4en Armeen bekr^tiget
wurden: . ;.
Efd der^ Könige^
' V . , •
Romisch oder Fränm Altdeutsch* Übersetzung
kisch. * in fettiges Deutschä
Pro Don amur et In godes ntinna « -Ich Schwöre, dafa
pro Christian, poblo ind durch tes An- i«h aus Liebe ge-
et nostro commun stianes folches ind ««?> ^<*" ^^^ ^**
salvamentf dist di unser bedhero ' ge, s ■ .
, , ./. ^ f >"»d »u unser bey«
ena'vant, tn öuant hnltnijs ^ Jon thesc' ■ ■
der Besten von oie-
Deus saifir et potir mo dage frammor' rp
oem X ase an ^ ov
me dunat, si saU des, sofram so mir ^j^j j^^^ j^^^j, q^^^
varai eo cest meon Got gewizei in di werde wissen und
Fradra Karlo, et in mahd furgibit , so können, ich diesem
adjudhd et in cad»^ hitld ich tes an mi* meinem Bruder bey
huna cosa, si cum. nan broudher soso stehen will, wid
'«■t<
*} Man Bndei auch diese merk^irürdige Eydesformel mif
einem Oomineiitar de« Freher in Böklers Script. Germ,
p. 1 13.
* .»
hßtnme.perdrthsQn man. mit^nchiu aU man von Recbttwc-
fradra talvar dUt, . n^n brouder icai, ^*^ •einem Bruder
ino ^nid U imi aU inihinu thaz ermig '^"° *''"• "°^ ^^^'
* * er mir wieder so
tresi farety et ab *otoma dno, iadi thua, und icb will
Luther nul plaid mit Ltäherem inno niie Luthem (uo-
nunquam prindrai, theiani thing negg. «"«Bn-dw Lotbar)
in kein Diog eingc-
meon fradrt Karle Willon imo ce sead- Bruder Carl »uwi-
in dampo sit, Aen wehren ^®' ^^^ *» Schi-
den ffej.
I
' Mjrd der Armeen
Hämisch oder Frän- ' AUdeatich, ' ' " Übersetzung
*"^^' in Jetziges Deutsch.
Si Lodwigs Sa* Oba Karl then Wir sobwörcD,
crament, ^ue son ' eidy then er, ßne^ dafs wenn CJarl den
fradre Karlo furat, mo broudher Lud- ^^^ • ^^^ «r seinem
^nsernat, et Kar^ huwige gesuor, ge- ^'""^e*' Ludwig ge-
löjurat. consermt, leistü, inife Ludhu^ »chworen, häJt. und
-* JT -I o • » f Ludwig, mein Herr,
^t Jiarius meo oen^ tv^s mm Merro then , „
ärade^uopaftnpn er imo gesuor, ßr. ,,b^,,„^ ^^^^^
äfs taniti si io re^ brichit, ^ob ih ina dergestalt, daft we-
tumarnon liht pöis, nes artenden ne der icl^, noch sonst
ne io, ne neuls cui mag, noh ih, no einer . von uns es
eo retumar nit pois, thcro tkein hes irr- abwenden oder ver-
iß nulla adjiihda wenden mag, imo hindern kann« so
^ contra Lodhuwig ce follusti vädhar "^^1'®" ""'^^ '^™ ^'"
f. . rr t -MWT* t> . dei> Carlen Leine
nun li tuen ^^e ne JVirdluL „^., ,, .
Hülfe leisten.
Wenn man diese beyden deutschen Ejdes«
jformuln mit eiiiiger 'Aufmei'ksamkeit durch-
liafst, so findet man ohne Mühe in jedem Wof-
111
te die Wurzel und ^en Ursprung unsrer itzigön -
deutschen 'Sprache. Aus der Periode , welche
auf diese Verbindung folgt , findeit man in der
Sammlung teütscher Alterthümer von Schilter,
so wie in den etymologischen und historischen
Werken des Eccard und anderer deutscher Alter-
thumsforscher, eine groTse Menge meistens geist-
licher Schriften, wie die der Mönche Jfiero und
Notkerus BalbuluSy und die Evangelien des O^
fried von Weifsmburg aus dem neunten Jahr*
hunderte y und nachher eine Menge Chronik^
ken und Urkunden , welche alle in dei^tscher
Sprache geschrieben sind, und gar nicht mehr
zweifeln lassen , dafs die deutsche Nation in die-
ser langen Reihe' von Jahrhunderten immer eben
dieselbe Sprache gehabt habe , die noch itzt die
unsere , aber fi^jlich -durch die Verschieden*
heit der Zeiten und Mundarten ' so verändert
•
ist^ dals sie itzt jedem anderui als Alter thu ms«'
forschern und Kennern unverständlich werden
müssen. . .. ■:
Ich gladbe sowohl durclli |ede dieser Inductio«
neu und Beweise einzeln genommen, als auch
besonders du^ch deren Verbindung, in dör Kür-
ze und ohne eine, weitläuftige Gelehrsamkeit;
welche fnr eine > so erlauchte. und so wohl un-
tenichtöte Versammlung, wie die gegenwärtig
ge, unschicklich sejm würde , dargethan zn hd-
oen, dals -die deutsche Kation niemals durch
112
eine fremde und ihr an 2^1 überlegene ganz un-
.terjocht seyi dafs sie niemals . gezwungen wor-
den ^ eine fremde Sprache anzunehmen, und
dafs sie also noch immer eben dieselbe Nation
sey, die sie zu den Zeiten des C0miilus, Ma-
rias , Cäsar, Taci^uSy FliniuSy und Ptolomäus,
vor und kurz nach dem Anfang unsrer itzigen
Zeitrechnung y und also seit mehr .als :20oo Jah-
ren gewesen ist. loh schmeichle mir hiedurchi
genug für die deutsche Nation,- bewiesen zu ha-
])en^ auch da|s J^eine andere auf der ganzen Er-
de^ einen gleichen Ruhm wer40 darthun, noch
einmal Anspruch darauf .machen, können.
Bey dem gänzlichen Mangel von Denkmälern
und Geschicl^tscbrpibern ist es nicht. möglich,
denselben Beweis . noch höher* als .zwey Jahr-
tausende, hinaufzuführen. Aber aus einer Stel-
le, die. sich im zweyten Capitel des berühmten
Quchs des Tacüus von Deutschland findet, schei-
i^Qt zu erhellen , dafs die Getmanier sich da-
mals und von allen Zeiten her^ nach einer un«
denklichen Tradition für ursprünglich eingebor-
ne (Abprigenes et indigei^a^. od^r iüx eine Na-
tion, hielten, die nie ?eon aufsen hieher ge-
kommen^ sondern im Schoofse ihres Vater-
landes gleichsam geschaffen und geboren sey,
und dais die Aömei^ selbst geneigt waren ^ die-
ser Meynung beyzustimmen. Die Stelle ist zu
schön und hat z» Txele^ Ausdruck, dafs ich
mich
i»5
mich nicht enthalten kann, sie hier ganz, so«
wohl in der Ursprache, ah in einer deutschen
Übersetzung herzusetzea. Sie kann zugleich zu
einem neuen Beweise in der bekannten Strei-
tigkeit über die Frage dienen: welche von bey-
den Sprachen am meisten ' Tähig sey, die erha*
benen und tiefen Gedanken des Tacitus am be*
sten auszudrücken, und mit gröfster Klarheit
und Kurze zu übersetzen? so wie ich schon ei-
nen der gleichen Versuch mit dem 37sten Capitel
desselben Buchs, dessen Inhalt noch rühmlicher
für die Deutschen ist^ in der Abhandlung ge-
macht habe , die ich an eben diesem Orte am
27sten Jan. 1780 vorgelesen habe.
C //. Ipsos GemUtnos in»
iigenaä crediderim, minime»
«lue aliantm gentium, ädven*
Ubus et hospiiiis fnixtos;
^uia nee terra oUm, sed
classibus (tdvehebantur ^ ffui
miuare sedes quaerebant: et
immensus ultra ^ ut^ue sie
dixerim , adversus OceanuM
rafis ab orbe nostro navibus
aditur, Quis porro^ praeter
periciilutn horridi et ignoti
maris^ jisia, aut jifrica
aut Italia relicta, Germa-
niam peteret? informem ter»
ris^ asperam coeio, tristem
cultu adfpecttique, nin sipa»
Cap. II. Ich halte die Ger-
manen selber Pur Eingebobr*
ne, unvermischt durch Wan-
derungen und Besuche frem-
der Nationen, da die' ih^e
Sitse verändernden Völker
f^mals nicht zu Lande; son-
dern ^u Schiße reiseten, und
der unermei'sliche, ja daft
ich so sage, widerstrebende
Ocean selten aus unserm
Welttheile beschift yv^ird.
Wer wird auch, die Gefahr
eines schrecklichen und un*
bekannten Meeres nicht ge-
rechnet, Asien^ Afrika oder
Italien verlassen, und das an
Gegenden ungestalte, trauri-
ge, ungeBaute und unter ei-
H
«4
ifia Sit* CeUbrant carmini-
bu9 antu/uii TuiicoDem De»
um, terra editum et fiHum
Mannum , originem gentis
conditortsque. Manno tres
ßlios adsignant, e quorum
nominihus proximi Oceano
iDgaevonet, medii Herminom
ne4f ceteri Istaevonee voceru
titr ^ —
Cap. ly, Ipse eorum opi'
nionibus accedo, ^ui Germa^
niae populoe nuUis aliis ali-
arum nationum cannubiis in^
fectos, propriam et sinceram
et tantum sui similem gen*
tem exstitis^e arbitrantur.
Unde habitus ^uoque corvo-
rum, quanufuam in tanto
hominum numero, idem
Omnibus, tmces et cerulei
ocuii, rutilae comae, magna
Corpora, et tantum ^ad impe»
tum validas laboris atque
operum non eadem patien-
tia: minimeifue sicim aejtum*
que tolerarcj Jrigora atque.
inediam coelo solove adsue»
verunt.
nein so rauhen Himmel lie-
gende Germanien aufauchen,
wenn es nicht sein Vater-
land ist? In ihren Volkslie-
dern besingen sie einen aus
der Erde entsprossenen Gocc
Thuiskop und seinen Sohn
Mann, als den Ursprung
und die Stifter der Nation.
Dem Mann geben sie drey
Söhne, voa deren Kamen
die nächsten am Ocean Ing'
fvonen, die mittlem Berrm-
nonen und die übrigen /j/-
fponen genannt werden — —
Cap. IV. Denen pflichte
ich selbst bey, welche Ger-
maniens Völker für ein durch
Heyrathen aus andern Natio-
nen un vermischtes , eignei,
reines, und blos sich ähnli-
ches Geschlecht halten. Da-
her auch, ohngeachtet der
grofsen Volksmenge, die al-
len gleiche Bildung des Kör*
pers, wilde blaue Augen,
goldgelbes Haar, groi'se bios
jEum Angriff tüchtige Körper.
£ey Arbeit und Mühe kön-
nen sie nicht eben so aus-
dauren, Hitae und Durst
gar nicht ertragen, hergegen
sind sie aur Kälte und Hun-
ger durch Himmel und Erd-
reich desto mehr gewphnt. *)
♦) Diese Übersetzung ist von dem Herrn Anton, welcher bekanntlich die
{snze Schrift des Taciius von Deuischlaud übenetzt hat ; ich habe nur
einige kleine Veränderungen darinn gemacht*
ii5
Man darf diese vortreffliclie Stelle des Ta-
citüs nur le^en , um sich tu ' überzeugen , dafs
die alten Deutschen nach eider uraften Über-
lieferung sich' für eine ursprünglich eingeborne
Nation hielten. ' Dieser philosophische Ge-
Schichtschreiber' tritt" 'derselben bey, und be-
stärkt sie mit dem guten Grund /däfs alle ger-
manische Nationen "in Absicht der Eigenschat
ten ihres Corpers und Geistes so viele Ähn-
lichkeit untereinarider hätten. Eine Untetsu-
chung, in wie ferftf diese alte Meynung wirk-
«
lieh gegründet sey , oder der heiligen oder weit-
liehen Geschichte widersprechen möchte , wür-
de hier wider meinen Zweck seyn. Auch bin
ich weit entfernt^ hier eine unnütze Gelehrsam-
keit anzubrinjgen ^ um nach unsem * Geschieht-
schr^bern und Alterthumsforschem der'beyden
letztem Jahrhunderte , wie Laziüs ^ Prätorius,
Rudbeck, Clih}er, Eccard und vielen andern^ zu
untei^suchen /^ ob' unsere erste Vorfahren aus
Scythien, Armenien odör Assyrien 'hergekom-
men'^ und ob wir'Nachkömmeii TOm^iVba, /ä-
phee , Ascenüs odtet*Thogarnüz seyn n^ögen?
Ich glaube mein Versprechen erfüllt zu* haben,
wenn der im Anfang dieser Abhandlung aufge-
stellte Satz bewiesen ist> dafs nämlich die deut-
sche Nation noch hnmer dieselbe sey , die sie
zu allen durch tlie Oeschichte bekannten .^ei«
ten v^ar; AxuEi si6 hie von emet fremden voUig
Ha
ii6
unterjocht und verschlungen worden; da& sie
immer ihre unsprüngliche ^praqhe und ihre ei*
gene Bdherrscher erhalten hfibe , . und d^Is also
aus allqn diesen .Gründen. Deutschland das ein-
zige Land der bekannten^ Welt sey, welches
keine totale Revolution eijitten hat.
Wenn man inde/^ doch auch der deutschen
Geschichte Revolutionen bejlegen will» so sind
es nur besondere , innerliche u^id vorüberge-
hende. Als. solche könniei^ angesehen werden
die £inföll^* der Römer • der Hunnen . -der Sla-
ven oder Wenden in^^ die Gränzprovinzen
Deutschlands; der greise ]ßinbrucfa <)er deut-
schen Völker in die Provinzen des römischen
Reichs während des dritten« vierten und fünf-
ten Jahrhundert^; . <^ie .Herrschaft der fr^nki-
sehen Könige über De^tschla^id , .die Folge der
verschiedenen deuts9hen EJamiliefi von Königen
oder Kaisern, welqhe üb€ir Deutschland «ge-
herrscht ' haben ; die . Kriege der drey ersten
Kaisers^ämme in Italien^ ^uni ilure Rechte f^ber
dieses^ Land iind die .Stadt Roni zu behaupten ;
ihre Streitigkei^n mit, d^n Päpsten oder der
berühmte 2}wist z/z/er Imperium et Sacer/dotiumi
die KreuzBÜge cder die Unternehmungen im
Orient; die ye];änd!^r^ng^mit den alten grofsen
Ilorjzpgthümern; und. ajidern Lehnen; die Ein-
führung d^r erblichen Naohfqlge in den Reichv
lehnen; .der Übergang. von der Erbfolge,, der
117
V
Kaiser zu der Wähl derselben ; der Ursprung
der Chur^sten; das berührte Interregnum;
die Abwechselung bey der Kaiserwahl) die Wie-
derherstellung einer in facto erblichen Nachfol-
ge bey dem Hause Oesterreich; die Abschaf-
fung des alten Faustrechis^ oder der innerli-
chen Kriege unter den Privatpersonen; die Er-
richtung des Landfriedens , der Greyse und des
Reichs Kammergeriehts vom Kaiser Maiimilian
L ; die Einführung der Kaiserlichen Wahlcapitu-
lationen unter K. Carl V. ; Luthers Reforma-
tion , die Religionstrennung, die daher ent-
stand , nebst dem schmalkaldischen und drey- *
sigjährigen Kriege^ der Religionsfriede von i555,
und der berühmte ''Westphälische Friede von
1648, der dem deutschen Reiche seine Gonsi-
stenz und heutige Form gegeben hat; der spa-
nische Successiöttslirrieg nebst dem Utrechter ,
und Rastädter Friedett t endlich der österriehi-
sche Successionskrieg tfnd der sieben/ährige
nebst den Aachner, Hubertsburger und Tesch-
ner Friedensschlüssen, die darauf gefolgt sind.
Dies sind nach meiner Meynung, die wichtig-^
sten Revolutionen von Deutschland , welche zu
einer interessanten 'Geschichte dieses grofsen
Reichs den Stoff enthalten, nichts wie sie in
trockenen Annalen der meisten unsrer • altem
Schriftsteller vorgetragen ist, sondern wie sie
unter gro&en politischen Gesichtspunkten dar-
ii8
gestellt, für den Bürger i deq Philosophen und
den Staatsmann nützlich werden* könnte , in
dem grofsen Geschmack der Gemähide eines-
jRoberiscn, eines Hume, und anderer berühm-
ten Gelehrten, die uns die Geschichte der Re-
Toiutionefi von Deutschland , England, Italien,
Griechenland und andek'en^ Ländern geliefert I
haben. Aber allemal wird es sehr schwer seya
ein ganz vollendetes Gemälde der Revolutionen
von Deutschland zu entwerfen, sowohl weil uns
von manchen Theilen gute Materialien und
Nachrichten abgehen , als auch wegen der un-
ermefsliphen Mannigfaltigkeit der Gegenstände
imd der grofseu Zahl der Staaten, welche jetzt
das Deutsche Reich ausmachen und de^en eini-
ge Königreichen gleich sind^ manche derselben
sie sogar übertreffen« iL.
Es könnte jemand di^ Frtlge aufwerfen, war-
um dann Deutschland geivade: ukiter allen Län-
dern der Erde das einzige ^ey^ :.das keine tota*
le Revolutionen erfahren, seine Einwohner und
Sprache nie veräpdert habet, von einer fremden
Kation nie erobert worden? Man könnte mit
den Gründen , die "Tacitus in der vorangef ülir-
ten Stelle bemerkt, antworten: weil Deutsch«
land von den südlichen Nationen zu weit ent-
fernt, zu unzugänglich sowohl von der Land-
seite als vom Meere her gewesen > und beson-
ders weil es ein zu rauhes Glitoa nnd einen za
"9
harten Boden gehabt habe^ als dafs irgend je-
mand, der nicht in diesem Lande gebohren,
darinne hätte wohnen wollen* Diese Gründe
sind nicht sehr schmeichelhaft für einen deut«
sehen Patrioten; aber sie werden auch durch
Thatsachen widerlegt , besonders durch .die von
den Römern während vieler Jahrhunderte vßr*
geblich , obgleich mit grofser Anstrengung , an«
gewandten Bemühungen^ um Deutschland zu
erobern. Diese Gründe passen auch nicht auf
die nördliche Völker^ welche Deutschlands Er-
oberung vergeblich versucht haben, und noch
weniger auf die neuern Zeiten, da Deutschland
sich bis zu einem Grade von Cultur erhoben
hat, dafs es den meisten der südlichen Staaten
nichts nachgiebt , wenn es einige nicht über»
trifft. *
Eine gerechte Vaterlandsliebe leitet mich zu
weit angenehmem Ursachen dieses Vorzuges
unsrer Nation. Sie hat zu allen Zeiten zu viel
Tapferkeit und zu viel Kraft gehabt, als dafs
sie sich hätte von andern Nationen überwinden
oder unterjochen lassen sollen; sie ist immer
mehr durch den Einflufs des Clima, durch die
physische Constitution der Körper, und durch
die sittliche und politische Einrichtung der Ge*
Seilschaft, und der Staaten tapfer und kriege-
risch gewesen« Diefe Eigenschaften , diese Ur-
sachen, und die Vorsehung, welche sie hervor«
» I
lao
gebracht j machten die deutsche Nation fähig,
Bevolutionen sn bewirken und nicht zu leiden;
den grolsen Colofs des Römischen Reichs um*
sustürzen ; die neuem Staaten von Frankreich,
England I Spanien , Portugal und Italien *) zu
erobern und zu stiften; und in ihrem eigenea
Vaterlande eine grolse Monarchie zu errichten,
welche dem ersten Blick nach unregeimäfsig
und widernatürlich gebildet i also auch öftern
Revolutionen unterworfen six seyn scheint, wel-
che aber , menschlichem Ansehen nach , sich so
lange erhalten mufs , als der Charakter und der
Patriotismus der Nation und ihrer Regenten,
so wie eine vernünftige Politik der benachbar-
ten Staaten dauern werden. Dieses grolse po-
litische System muis durch seine Läge , clurch
die Natur seiner Constitution, durch das Gleich-
gewicht und die Gegenwirkung seiner verschie-
denen Kräfte und der Staaten, aus denen es
zusammengesetzt ist, bestehen bleiben. Die Er*
haltung desselben ist für das übrige Europa
nicht nur wichtig , sondern wesentlich nothwen-
dig. So wie das deutsche Reich gerade in dem
Mittelpunkt dieses Welttheils liegt, und so wie
es itzt zusammengesetzt und beherrscht ist,
scheint e3 von der Natur dazu bestimmt zu
*) Ich habe dkeseB itt meiner akiidemischen Abbandluog,
yon der Überlegenheit der Deutschen etc, bewiesen« die
ich in der Versammlttog vom 27. Jennier 1780 abgelesen.
121
seyn, das Gleichgewicht in demselben zu erhal-
ten, jede Störung desselben unter den ver-
schiedenen Mächten, und jede zu grofse und
fiir die allgemeine Sicherheit und Freyheit zu
gefahrliche Veränderuug zu verhindern* Wäre
dagegen Deutschlaiid von einem ^ einzigen ehr-
geitzigen und unumschränkten Souverain be-
herrscht; so dürfte es diesem nicht unmöglich
seyn, an der Spitze einer so kriegerischen und
der zahlreichsten Nation von Europa, seine'
Macht nach verschiedenen Seiten au^udehnen^
eine Menge scheinbarer Anspräche geltend zu
machen , auf diese Art das Gleichgewicht der
Staaten zu unterbrechen und die gröisten Re-
volutionen zu bewirken. Man darf für das
Wohl der Menschheit hoffen ; . dafs dieser Fall
nie mehr eintreten , und man weder im deut-
sehen Reiche noch im übrigen Europa zu ge*
fahrliche Revolutionen ferner werde zu besorgen
haben 9*) da die Verfassung des deutschen Reichs
durch unsere innere Grundgesetze, durch Ver-
träge mit Auswärtigen durch die Guarantie der^
selben, und vielleicht noch mehr durch die
glückliche und verhältnifsmäfsige Vertheilung
der Gewalt und der Kräfte der verschiedenen
Glieder desselben , so vortreAich befestiget ist,
■
^ Wie ich dieses schon umständlicher in meiner akadt*
mischen Voirlesung vom vorigen Jahre bemerkt habe.
122
und besonders seitdem fast alle europäische
Mächte nach dem Beyspiel unsers grofsen Kö-
nigs, wohl uhierbaitene und dlscipiinirte ste*
hende Armeen errichtet haben, deren Unter*
halt freylich den Unterthanen viel kostet, aber
sie auch vor dem unendlich gröfsern Übel der
Kriege sichert, die ehemals die schönsten Län-
der verwüsteten. Grofse Revolutionen sind da-
her nur noph für die von Europa entfernten,
oder diejenigen Staaten zu besorgen, die sich
weder zu regieren noch zu vertheidigen wissen.
Die Geschichte der Zukunft wird ferner nicht
mehr durch das glänzende , aber für die Mensch-
heit traurige und drückende Gemähide von
gtofsen Staatsveränderungen, von Schlachten
und von allen dem, interessant seyn, was man
so sehr mit Unrecht grofse Begebenheiten nennt;
Die Regenten werden künftig ihre Nahmen und
ihre. Regierungen nur dadurch unsterblich ma-
chen können, dafs sie die Rechtspflege, den
Ackerbau, den Handel, und den ganzen innern
Wol^lstand ihrer Staaten erhöhen und verbes«
Sern; aber sie werden hierdurch eine weit fe-
stere, bleibendere und ruhmvollere Vergröise-
rung erreichen; als irgend eine auswärtige Er-
oberung ihnen verschaffen könnte.
12C»
2) Einige allgemeine Betrachtungen über
Sprachverbesserungen Don C. Garve.
X^as Vorhaben der Akademie, an der Verbes-
serung der deutschen Sprache zu arbeiten, ist
gewils eines der nützlrcbsten » welches eine ge-
lehrte Gesellschaft für die Sache der Wissen«
Schäften und der yaterläadischen Litteratur un-
ternehmen kann« Insofern diese Verbesse-
rung nach durchdachten Gründsätzen und ver*^
möge richtigerer Einsichten in die Natur der
Sprache, oder der auszudrückenden Sachen ge-
schieht, läfst sie sich von den vereinigten Be-
mühnngen vieler Gelehrten am ersten erwarten.
Und insofern dabey auch willkülirliche Bestim-
mungen eintreten müssen, weil Vernuaftgrün-
de nicht alles in den Sprachen entscheiden, ist
auch das Ansehn einer solchen Gesellschaft nütz-
lieh, um die Einstimmung der Nation z^ die-
sen Bestimmungen zu erhalten.
Wie es aber, bey jeder Reform ößentlicher
Einrichtungen, höchst wichtig ist, den Grad
von Vollkommenheit, welchen man durch die
bisherigen schon erreicht hat, und den, wel-
cher überhaupt zu erreichen möglich ist^ zuvor
zu untersuchen, damit man nicht entweder das
erlangte Gute durch nnnöthige Abänderungen
124.
stöhre, oder in Absicht des Guten, welches
man verspricht, übertriebne Erwartungen erre-
ge! so ist es besonders bey den Bemühungen;
eine Sprache, das Eigenthum einer ganzen Na-
tion, zu verbessern, unentbehrlich, die Fort-
achritte nicht zu übersehn , welche die Nation
schon in Absicht der AusbUdung ihrer Sprache
gethan hat, und noch mehr, zu bestimmen wie
viel eigentlich Sprachforscher und Philosophen
zu dieser Ausbildung im Allgemeinen beytragen
können.
Aber auch über diese Gegenstände habe ich
der Akademie nur wenige Fragmente unvoll-
kommner Ideen vorzulegen, deren Mittheilung
mehr meinen Antheil an dem gemeinnützigen
Unternehmen der Akademie zu bezeugen^ als
einen wirklichen Bey trag zu dessen Ausführung
zu liefern bestimmt ist.
•
Ich gestehe es , dafs ich , schon jetzt , unsre.
Sprache für weit vollkommner. halte, als sie
von den meisten derjenigen angesehen wird,
welche so sehr nach einer Ausbildung dersel-
ben verlangen. Ich «gestehe es, dais ich von
der wissenschaftlichen Behandlung der Sprache,
als eines Gegenstandes der Erkenntnifs^ zur Aus-
bildung der Sprache als eines allgemeinen
Werkzeugs der Ideen Mit^heüung, nicht so viel
Nutzen erwarte, als man, nach dem gemeinhin
125
angenommenen Zusammenhange beyder End-
zwecke , d^v.on zu erwarten geneigt ist.
Ich kann mich irren, aber mich dünkt,
dafs es nur die Nation selbst ist, die, durch
die allmahligen Fortschritte in dem Umfange
und der Riphtigkeit ihrer Erkenntnisse , die
Sprache au&bildet; dafs, wenn die Bemühungen
einzelner Personen dazu beytragen, diefs nur
die grofsen Schriftsteller Sßyn können^ die mit
ihren Ideen zugleich ihre Ausdrücke der Nation
beliebt machen odei^ durch aufgestellte Muster
einer zweqkm^Ikig gebrauchte^ Sprache , die
Aufmerksamkeit der Nation auf die Beziehung
ihrer Ideen erwecken; und dafs Grammi^tikeii
und Wörterbücher, nebst allen den, Arbeiten,
welche dißse beyde|i Hauptwerke def Sprach-
kunde vorbereiten, oder ergänzen, nur den bi$
Jetzt erreichten Grad der Ausbildung ^der Spra-
che , .a:(ig6bei^ , , allgemeiner ^bekannt machen,
upd m methodisch geordneten Erklärungen un^
Regeln d%fs teilen, raber nur wf^l^ig thun kön-
nen, diesen Grad zu erhöhen.
Betrachte ich die deutsche Spraphe insbe-
sondre, 40 wie sie sich, durch die Einwirkung
aller angezeigten Ursachen , bis auf, den jetzi-
gen Zeitpunkt wirklich ausgebildet hat: so
scheint sie mir iin der That zu derjenigen Rei-
fe gelangt zusejqi, bey welcher, an jedem Pro-
dukte der Natur und der Kunst, die grofseu
126
Veränderungen aufhören, und nur der Genufs
und Gebrauch noch einer erhöhten Vbllkom-
menheic ßihig ist. Es scheint mir, dals ^ wenn
die Werke unsrer Litteratur noch nicht in dem-
Jenigen Glänze vor den Augen der übrigen Na-
tionen erscheinen, mit welchem die alten, —
oder die Englischen und Französischen Schrift-
steller sie auf sich gezogen haben, diefs nicht
Schuld der Sprache^ sondern der Schriftsteller
und der Nation selbst sey; — - ilicht Unfähigkeit
der erstem alle Yerschiedehheiteh des Schönen
iind des Erhabnen auszudrücken , ' sondern die
Gewohnheit der '^letztem , mit einer unvoll-
Icbminnen Bezeichfiung eigner und fremder Ge-
danken zufrieden zu seyn. Was der Sprache
selbst in dieser Absicht mangelt^ ist entweder
die mit einer eigenthümlichen Form noth.^en-
dig verbundene Einschränkung jeder Sachet ^—
ein Mangel, der deswegen allen' Sprachen ge-
mein ist^ und keine gehindert hat^ sich in
klassischen DfcHter- und Redner - Werken zu
verherrlichen; oder es ist den angebomen Feh-
lem unserer physischen Natur ^ähnlich , die
durch keine Kunst weggeschafft, aber durch ei-
ne kluge Behandlung jedes besondern Falles er-
ti'äglich gemacht^ oder versteckt werden können.
Die Erfordernisse einer voUkoihmhen Spra-
che sind^ so viel ich sie einsehe, folgende dreyi
erstlich , -daf$ sie , für alle wichtigen ' BegrifiFe,
127
die Wörter und Ausdrücke , versehen mit allen
den Schattirungen, enthalte, deren die verschie
denen Gemüthsstimmungen des Redenden^ oder
die verschiednen Absichten der menschlichen
Rede bedürf(dn können; zweitens, da/s diese
"Wörter igenau bestimmte Bedeutungen haben,
oder mit Begriffen verbunden sind, die, gleich*
förmig und entschieden, in den Gemüthem al>-
1er > welche die Sprache verstehn, durch sie er*
weckt werden; drittens, dafs die Sprachey zur
Verbindung dieser Wörter , hinlänglich zahlrei*
che, dem Zusammenhange der Ideen' angemes*
sene und dem Geschmacke gefällige Formen
darblethe. Man könnte die beyden eisten Stük*
ke die lexiographischey das dritte die gramma'^
tische Vollkommenheit einer Spracht nennen:
weil Anzahl und Bedeutung der Wörter durph
Wörterbücher, die 'Regeln ihrer Zusämmensez-
zung durch Sprachlehren aufbehalten werden.
Reichthum , Bestimmtheit und Gewandtheit der
Sprache, sind drey andre, auch äur unvoUkomm»
ne, aber doch auf die Sache hinweisende Aus*
drücke jener Vollkommenheiten. .
Was. den Reichthum der deutschen Spra-
che betrifft: so scheineii mir ihre Schätze eben
so grols, als die voii irgend einer Sprache, aber
noch lange nicht allgemein bekannt genug zu
seyn. Sie enthält für alle wichtigen Gegenstän*
de des Denkens, 'und für alle Arten der Be«
aa8 ,
handluQg dieser Gegenstände verständliche und
geschmackvolle Ausdrücke. Aber da die An-
zahl der Menschen, welche sich in Deutschland
beelferni ihre Sprache gut zu reden und zu
schreiben j bisher 'geringer, als.bej den zuvor
genannten Nationen, gewesen ist: so sind auch
jene Ausdrücke und Wörter noch nicht bey
uns .in so allgemeinem Umlaufe , als die ähnli-
che bey diesen; ;ie sind von den unschicklichen,
zweydeutigen, oder geschmacklosen, im Sprach-
gebrauche der gesitteten Stände, nicht so rein
abgesondert; sie können von Schriftstellern und
Rednern, welche nach der Vollkommenheit der
Schreibart streben, für jetzt noch nicht anders,
als durch eine Arbeit gefunden werden, welche
die meisten scheuen, und zu der auch nur We-
nige die nöthigen Talente mitbringen.
Über, keinen Gegenstand iirt sich das
menschliche Urtheil mehr, wenn es das Mögli"
che nach dem Vorhandenen abmilst, als über
die Sprache. S|chon oft hat man eine Sprache
für unfähig zu gewissen Gattungen des poeti-
schen oder rednerischen Stils gehalten, bis in
der Nation, welche diese Sprache redete, der
Mann erschien, der das Genie jener Gattungen
besafs« Sobald die/s geschah » fand sich, dals
die Farbe und das Eigenthümliche des Aus-
drucks in kleinen Scbattirungen liege,- die. in
einzelnen Wörtern njlcht b^merkbai* sii|d„ und
nur
129
ni^ durch die Auswahl und Züsamiti^n&tellung
vieler ähnlichen eihea auffallenden Eindruck
machen ; es fand sich , dafs eben, dasjenige Ta^
lent| welches die Ideen einer gewissen beson-^
deren Gattung^ es mögen komische^ odererhabe«
ne seyn, hervorbringt > zugleich das Talent sey^
die Worter und Wendungen iri der- Sprache
aufzufinden^ M'elche der Natur dieser Ideen ent«
sprechen» Als.Lessings eigner philosophischer
Witt 9 sein schiieidender Scharfsinn^ und seine
Gedankenfülle sich unter uns zeigten^ \Var al«*
len Besonderheiten seines Genies. unsre Sprat^h^
so angemessen I und sie nahm die sehsamsteii
Formen seiner Ideeh mit solcher Gesöhmeidig«
keit.au) . ddfs es schien > als wenn nur er ein
recht originell * deutscher Schriftsteller wäre^ •
Und doch both zu eben dieser Zeit eben diese
Sprache dem ruhigen Denker , MosA Mendels^
sohn^ der die gröf&te Deutlichkeit mit einem-
sanften Flösse der Rede suchte > alle Worten,
und Redensarten eines rein philosophischen^.
Stils an» Mit Gothe wurde unsre Sprache > auf
eine vprlier noch nioht gesehene Wdiae> launi^^
erhaben und rülirend> ohne doch weniger, echt
deutsch au bleiben. Bey Wieland erstfaeint «sie .
mit allen Faijben dea Ausdruöks ^ die eine üp* .
pige Einbildungskraft » ' und mitteilen Feinhei»*
ten verseheil > die der ekle Geschn^ack eiiieir
Weltmanns verlangti Sie rersagtä Eng^elh nich€>
1
i3o
die Fülle einer blühenden Beredsamkeit, Jed#r
neue grolke Kopf hat immer seine eigenthümli-
i^e Geistesgestalt in ihr sichtbar machen kön*
nen. Und wenn die Folgeeeit noch Talente
unter uns erwecken wird^ wovon wir bisher noch
kein Beyspiel gesehen haben, so wird unsre
Sprache der Ausübung derselben gewils kein
Hindernifs in den Weg legen.
Es giebt eine Erscheinung, welche die Mei-
nung, da(s unsre Sprache arm sey, hat veran-
lassen können. Das ist die , dafs wir so viele
ausländische Wörter in unsern wissenschaftli-
dien Vortrag, und selbst in die Reden des ge-
selligen Umgangs mischen. Es ist daher mit
unter die Arbeiten , welche die Akademie über-
nimm.t und leitet, gesetzt worden, dafs in die Stel-
le der unter uns üblichen französischen und la-
teinischen Wörter und Redensarten, ursprüng-
liche deutsche aufgesuchet werden sollen. Die
' Absicht ist löblich: und wenn sie gelingt, -—
das heifst, wenn die von einem Gelehrten ver-
suchten Übersetzungen jener Wörter wirklich,
ich will nicht sagen, von der je^anzen Naäon,
sondern nur von dem gjsöfsten Theiled^ guten
Akrifisieller angenommen werden:— »so ist der
. Erfolg nützlich. Aber an sieb scheint mir das
Übel, welchem man dadurch abzuhelfen ^ucht,
nicht sehr grols zu seyn^ und die Wirksamkeit
des, Hülfsmittels ist zweifelhaft.
i3i
Es ist freylich ein Übelstand und eine Un-
bequemlichkeit, dafs wir ausländische Wörter
in unsre Sprache* misdien, weil wir glauben
die damit verknüpften Ideen durch keine deut-
schen ausdrücken, und doch ihrer nicht entbeh*
ren zu können. Indefs haben wir diesen Übel-
stand und diese Unbequemlichkeit, mit den mei«
sten Sprachen und Nationen der Welt gemein;
und bey kedner bat er den höchsten JFlor der
Beredsamkeit, und die vollkommenste Kultur
der Sprache verhindert» Die lateinische Spra*
che . hat. jgriechifche Wörter in großer Menge
aufgenommen , und nie mehr , als da sie selbst
am meisten ausgebildet war« Die Franzosen ha«
ben auf gleiche Weise* von d«n Lateinern und
Italiänern, die Engländer von den Franzosen,
Wörter sowohl, ab* Redensarten entlehnt, und
thun es noch täglich. £s ist auch beinahe
unvermeidlich, dafs eine' Nation, die von einer
anderen lernte und' aus deren Schriften ihren
Ideenfonds bereichert, auch aus der Sprache
derselben Wörter cur Beziehung der neuen
Ideen aufnehme.
Nur ein einziger Umstand hat diese allge«»,
meine Gewohnheit der Völker, Wörter von
früher aufgeklärten Ausländem zu borgen, für
uns Deutsche unbequemer gemacht, als sie füV
unsre südlichen und westlichen Nachbarn ge*
worden ist* . Die Sprachen dieser sind aus dem
I a
Lateinischen entstanden^ ffi^^ c^us der Spra-
che derjenigen Nition, von welcher sie zuerst
Wissenschaften und Kultur empfangen hatten.
Die Römer waren, in Absicht der Griechen^
in dem nahmlichen Verhältnisse. Dieser Um-
stand macht, dafs die Franzosen und Englander
die wissenschaftlichen Wörter der Lateiner, die-
se die Kunstwörter der Griechen» und jede
dieser Nationen, die ihr gefallenden Idiomen
der andern' leicht in ihre Sprache haben über-
tragen, und durch kleine Yeränderungen , den
Analogien derselben yöllig anpassen können« In
der deutschen Sprache, eis ein^n ursprüngli-
chen, ist diefs unmöglich .gewesep. Und in der
That , so. grofs a^uch, in andrer Absicht , der
Vorzug der Originalität aejn mag: -so erhalten
doch die aus dem Lateinischen abgeleiteten
Sprachen dadurch einen überwiegenden Vor*
theil, dafs sie die dem Vortrage gelehrter
Kenntnisse 'vorlängst gewidmeten Ausdrücke,
aus der Sprache , die lange Zeit die einzige
Auibewahrerinn solcher Kenntnisse war, auf-
nehmen und sich eigen machen können, ohne
durch das 'ausländische Ansehn derselben ent-
stellt ^VL werxlen.
Qoch haben wir uns in dieser Absicht auf
mannichfaltige Weise zu - helfen gewnfst: undda,
um' ein Wort als einheimisch bistrachten zn
können, alles darauf ankömltit, daft es dem
i33
Höreäden yerständlioh ^ und dem Redeoden ge-
läufig sey: so dürfen wir wohl gewisse bey uns
eingeführte französische Wörter, als Interesse f
NaiVf Genie, wirklich für aufgenommene deut-
sche gelten lassen. Sie sind den Deutschen,
welche die französische Sprache verstehen, (und
diese machen einen- grofsen Theil der gesitte-
ten Stände aus,) nach Aussprache und Bedeu**
tung so durchaus bekannt, und kommen de-
nen, welche jene Sprache nicht verstehen, doch,
in Reden und Schriften so oft vor: daß fast
keinem deutschen Ohre diese Töne mehr fremd
sind, und den Sprachwerkzeugen Weniger ihre
Aussprache Mühe macht. Solche ausländische
Wörter mit einheimischen zu vertauschen, wür-
de, zwar an sich die Reinigkeit unsrer Sprache
erhöhen : aber es würde nicht ohne Aufopfe-
rung in der Deutlichkeit solcher Ideen gesche-
hen könnön, welche uns, durch den langen
Gebrauch, unentbehrlich geworden sind , und
es witrde doch der empfundenen Annehmlichkeit
der Rede, worauf am Ende alles ankömmt^ nur
wenig zusetzen«
Es ist sicher , dafs alle selbstdenkende Men*
sehen oft in einen Ide^ngang gerathen, zu des-
sen deutlicher Darstellung ihnen Wörter mit be-
sondern Bestimmungen nöthig wären , derglei-
chen die Sprache nicht darbiethet* Es ist si-
cher^ dais Personen, die mit fremden Spra«
i34
chen, oder mit besonderea Dialekten ihrer ei
genen frühzeitig bekannt geworden sind, oft zu ih-
ren Gedanken keinen so angemessenen Ausdruck,
ab in den Wörtern jener Sprachen und Dia«
lekte finden. Der Wunsch, der daraus bey die*
sen Personen entsteht, dais die vaterländische
Büchersprache alle diese mannichfaltigen Scbat-
tirungen der BegrifTe, die sie in verschiedenen
Sprachen und Dialekten zerstreut gefunden ha«
ben, vereinigt enthalten möchte, ist natürlich.
Aber die Klage über Armuth der Sprache, weil
ihr solche Schattirungen mangeln , ist unge-
recht; und der Versuch, dieselben durch Ein-
verleibung der fremden , der veralteten, oder
der ProvinciaU Wörter zu geben, ist von zwei-
felhaften) Erfolge.
Es ist allerdings eine zur gelehrten Kennt-
nifs der Sprache sehr nützliche Arbeit, die Ab.
weichungen der Dialekte von der Bücherspra-
che, und die Abwechselungen der Sprachfor-
roen in verschiednen Zeitaltern zu erforschen
und aufzuzeichnen: aber aus diesw verborgnen
Sprachschätzen, die einzelnen Provinzen eigen
sind, oder den vergessenen, welche unsern Vor-
fahren zugehört haben ^ den Fonds der jetzigen
Nationalsprache zn bereichern , diels kann nie
die unmittelbare Folge einer solchen Arbeit
werden. Die Aufnahme neuer Wörter in die
gangbare Sprache geschieht, so ausdrückend
i35
\
t
Sie sejn mögen , nicht durch Wörterbücher,
welche solche sammeln und empfehlen, sondern
durch vortrefliche , Schriften, in welchen sie
glücklich angebracht worden sind.
Zuerst» was allgemein gebraucht werden
sqII^ mufs allgemein bekannt seyn: und wie
kann ein neuer Ausdruck zur Kenntnifs der
Nation gelangen^ als wenn er in Schriften vor-
kömmt, welche die ganze Nation lieset. — -
Zweytens^ jedes fremde Wort hat im Anfange
die öffentliche Meinung wider sieh. £s ist un-
verständlich^ und macht durch seine Auslegung
Mühe; — es i^t fremd, und stört deshalb die .
Aufmerksamkeit. Diese Hindernisse seiner Auf-
nahme kann nur der grofse Schriftsteller bey
dem wirklichen Gebrauche überwinden , indem
er, an dem Orte, wo er es hinstellt, durch die
Helligkeit der ganzen Idee Licht über diesen
unbekannten Theil zu verbreiten, und fiir die
unterbrochne Aufmerksamkeit durch die Stär>
ke des letzten Eindrucks za entschädigen weifs.
Auf diese Weise geht, von Zeit zu Zeit, ein
oder das andre veralterte oder Provinziaiwort in
die allgemeine Sprache über , wenn durch den
Ruhm des Schriftstellers, der es zuerst ge-
braucht hat, oder durch die einnehmende
Schönheit der Stelle seines Werks, in welcher
es zuerst vorkam, das Andenken dieser Neue-
rung hef der Nation erhalten ^ und die .Nach-
i36
ahmung derselben Tertnlasset vdrd. Aber nie
wird es möglich sejm, eine ganze Sammlung
solcher Wörter , mit so vieler fansichc auch
die Sammlung gemacht^ und durch so gute
Gründe die Wörter darin empfohlen seyn mö»
geni SU einem Mittel einer wirklichen Sprach-
beieicheruug im Reden und Schreiben zu er-
heben«
Nach einem hinlänglichen Vorrath von
Wörtern y ist eine genaue Bestimmung ihrer
Bedeutung, das gröfste £rrorderniis einer ge-
reiften und vollkommenen Sprache, Nicht nur
ist es, ohne eine solche Bestipimung dem He-
denden unmöglich vollkommen deutlich zu
seyn, -r-r das heifst genau gleichförmige Ideen
mit denen ^ welche er selb&t hat, in den Gemü-
tbern seiner Zuhörer zu erwecken; sondern es
wird ihm auch schwer beredt ^u seyn^ indem
das vornehm3te Hülfsmittel der Beredsamkeit,
die Auswahl solcher Wörter, deren feinere Ne-
benbegriffe den Eindruck der Hauptbedeutuug
unterstützen, In einer Sprache wegfallt, in wel-
cher diese Nebenbegriffe noch nicht hinlänglich
unterschieden sind«
Die Schönheit des Stils hängt fiberhaupt
weit mehr , als man glaubt , von der Richtig-
keit der Gedanken ab, r-^ aber vom einer Rich-
tigkeit, welche, bis auf Kleinigkeiten , genau
4$t j und 3ugleich 4w^h die Qezeichiiung >der Spra-
ehe, \He der Gliederbau ^ines schönen Kör-
pers, durch -ein passendes GeWand durchschini*
mert. Die Beziehungen der Ideten nähmljcfa
müssen so genau ^ als es möglich ist,, durch
die Beziehungen der Wörter dargestellt werden.
Aber um »diese Beadehungen der Wörter auf
einander mit hinlänglicher Xlarheit zu empfin-
den, ist es nothwendig , dafs ihre Bedeutungen
eine gewisse Präcision haben.
Doch auch bey diesem ^Punkt6 findet sich,
dafs die VoUkomxnenheit, die man sucht, in
dem Geiste der Nation liegt, und der Sprache
nur dann erst mitgetheilt werden kann, aber
auch dann von selbst ihr eigen wird^ wenn die-
ser zuvor bis dahin gelangt ist.
Über welchen T|ieil der Gegenstände die
Erkenntnisse einer Nation noch im Dunkeln
sind, über eben diese werden ihre Ausdrücke
noch zweydeutig und schwankend seyn« So wie
sie die Eigenschaften der Dinge mit mehr Ge-
wiTsheit kennen lernt ; so ergeben sich auch die
Merkmahle bestimmter, nach' welchen deti DiuT
gen ihre Nahmen in der Sprache ausgetheilt
wordien sind. Sa wie sie den Ursprung und die
Zusammensetzung der selbst gebildeten ' Ideen
genauer erforscht, so lassen sich die Wörter,
welche solche Ideen bezeichnen, schärfer defi«
niren. Eine unmittelbare Bearbeitung der Spr««^
choi als Spraobe» kann hier wenig ausrichten«
i38
Die Bearbeitung der Wisse uchaften miifs vor«
hergehen. Sind diese bis auf den Gradjrön Voll«
kommeDheit gestiegen j wo sich in den Begrif-
fen des Menschen Licht und Finsternis von
einander scheidet y *— wo der Mensch das Be-
wustseyn erhält von dem was er weiis, und
was er nicht weifi: so verlieren sich aus der
Sprache» in welcher diese Wissenschaften re-
den , immer mehr die Wörter , welche von ei-
ner unerklärlichen Bedeutung sind, weil sich
die Begriffe selbst verlieren, welche keinen re-
ellen Gegenstand haben.
Derjenige Theil einer Sprache, welcher am
frühesten zu einer genauen Bestimmiing der
Bedeutungen kömmt , ist der , welcher körper-
liche und sichtbare Gegenstände bezeichnet.
Dieser kann sogar in keiner Periode der Kul-
tur ganz unbestimmt seyn» weil Menschen mit
gesunden Augen Farben und Gestalten iiAiner
gleich gut untersöheiden. Ja., in einer frühero
Periode, wenn die Gegenstände der Sinne die
Aufmerksamkeit des Menschen au^schliefsend
beschäftigen, und seine Sinne selbst noch schär-
fer sind, — * werden manche Beschaffenheiten
und Veränderungen der Körper, welche in der
Beobachtungssphäre der Nation vorkommen, ge-
nauer bezeichnet , und haben in der Sprache
eine gröfsere Anzahl sie abschildernder Nahmen I
und Ausdrücke , als in den folgenden Perioden I
höherer Geistesbildung.
)
Der wahre Unterschied zwischen einer kul-
tivirten und einer rohen Sprache liegt in dem-
jenigen Theile derselben^ welcher unsichtbai*e
Gegenstände , geistige Eigenschaften , abstracto
Begriffe^ logische^ moralische und politische Ver-
hältnisse ausdrückt.
So lange bey einer Nation das Gharakteris*
tische der verschiedenen Fähigkeiten und Ope-
rationen des Geistes noch nicht bemerkt wor-
den ist, und Neigungen und Leidenschaften^
Tugenden und Laster noch nicht so weit un-*
tersucht worden sind , um classificirt werden za
können; so lange, wird es, in ihrer Sprache,
nicht nur an Wörtern für diese Gegenstände
fehlen; spndern die vorhandnen Wörter werden
auch keine bestimmten Arten derselben ange-
ben, sondern nur die höchsten Gattungen, mit
einigen ' Neben begriffen verbunden , bezeich-
nen. Man wird aus ihrer Rede nur so viel
verstehen^ dafs die Menschen dieser Zeit anfin-
gen in ihrem Geiste gewisse leidende und thä-
tige Veränderungen wahrzunehmen: aber man
wird darin keinen so bestimmten Sinn finden^
um ihre Beobachtungen und Gefühle mit den
in unsem Sprachen ausgedrückten zu verglei-
chen. In der That finden wir in der Sprache
der ältesten biblischen Bücher, für moralisclia
Gegenstände mehrere Wörter, welche wir genau
^u übersetzen nicht im Stande sind^ und wel-
.
che, nach allem, was uns die Ausleger darüber
sagen, dunkel bleiben, eben weil sie etwas un*
bestimmtes und eu viel umfassendes bedeuten.
Von dieser^ Art ist beym Homer das lobende
Wort, ufiflfitt^i itnfcin$if und dß,s tadelnde ^r»«^^^'
Aus eben dem Grunde aber, aus welcbem
die Bedeutungen der Wörter einer * Sprache
nicht bestimmt seyn können, wenn die, welche
sie reden, über die Sache nicht bestimmte Be<
griffe haben, mufs folgen, dafs, so lange in ei-
ner Nation, die Begriffe Hiber intellectuelle und
moralische Gegenstände nicht einstimmig, die
Meinungen getheilt, die Kenntnisse nicht allge-
mein ausgebreitet sind , auch die Bestimmupg
*
der Wörter nicht allgemein, dieselbe seyn kann.
Je mehr oder weniger bey einer Nation die
Nachfoi^schungen der Philosophie in allgemeine
Aufklärung übergegangen sind; d^sto mehr
oder weniger wird auch in ihrem gemeinen
Sprachgeliftrauche Bestimmtheit herrschen. Ist
bey ihr nur eine einzige Philosophie herrschend,
so, werden die BeM:immungen gleichförmig seyn.
Da, wo mehrere Systeme mit einander streiten,
dergestalt, dafs auch das Publicum an diesem
Streite Theil nimmt, und sich in seiner Den-
kungsart oder in seinen Meinungen auf eine
ähnliche Art theilt; da wird auch der Sprach-
gebrauch schwankend seyn, t-i ausgenommen in
i4i
Bezeichnung derjenigen Begriffe/ über welche
sich alle Parteien vereinigen. .Der grofsQ Hau-'^
fe aber/ bis zu weichem die Fortschritte der
wissenscfaaf clicheu. Ericenntnila in Absonderung
und Verknüpföng äbstracter Begriffe nicht*
durchgedrungen sind, wird in seinem Sprach-
gebrauche immer etwas von dem willkührli«
chen , ungewissen ' und schwankenden älterer
Zeiten behalten. Ja, da dieser grofse Haufe
durch sein bestäitdiges Verkehr mit detn besser
unterrichteten Theilejder Menschen ^ auch auf
diesen und dessen Sprache zurückwirkt: so Wer*-
den im Gebrauche deB gemeinen Umgangs vie»
le Ausdräcke noch so lanrge unbestimtut blei*
ben> bis eine gleichförmigere Aufklärung alle
Stände erleu^hteu wivd« . • ! » . i < : .
Eine neue Folge der ^ obigen Grund^tzo
ist: dafs mit jedem Fortschritte der philosophi«'»
sdhen Wissenscbaiften , mttj'eder neueii Wen«
düng der pfailosophisühen Denkungsart', wenn-
beyde :Sich in der'J^tation ausbreiten, auch sich
die Bedeutung der Wörter ändert, und dafs*e^^
also nicht möglieh ist, sie, durch die vereinige
te Arbeit der gröf&ten Sprachkilnstler , zu ir»
gend einer Zeit , auf eine uuwiderruiliche Wei-
se zu fixiren. *)
■ « — , ' ■ : '■ " — f ^" I
*) Die. welche unler utos der Kantiachen Philosophie
Beyfall geben, hat>ea «wischea den Wörtern Verstand
und Vernunft, Idee und Betriff, Begriff nnA VonteU
i4a
gutes Wörterbuch kann sehr viel thun:
es ist unter allen Hülfsmittelii ,- welche die
SpracbeoiLunde den Dichtern und Prosaisten der
Nation darbietbet^ das grölste. £s kann zuerst
die Begriffe angeben, welche die einsieht^» voll-
sten und vom Gegenstände am besten unter-
richteten Personen der Nation mit den Wör-
tern verbinden 9 und der entstandnen Einstim-
migkeit gleichsam das Siegel aufdrücken. Es
kann , zweyteos , die Verschiedenheiten aufsah-
^en, die in. den Bedeutungen derselben Wörter
nach Mafsgabe dar über die Sachen bey der
Nation noch fortdauernden Mifshelligkeiten , in
der Sprache statt haben , lund durqh erleichter*
te Vergleichuog i»ntweder die Freyheit der
Wahl aufrecht erhalten, oder auch den Weg zu
einm: Vereinigung > bahnen. Es kann endlich,
indem '4^ Verfiisser. seine eigne Meinung er-
klärt^ «ine bedeutende . Stimme aur Bey-
legung der Müshelligkeiten geben; •*«* eine
Stimme^ die um' desto mehr.beym Publicum
gflt^n wird, je mehr bey der Abfassung eines
Wörterbuchs dessen Verfasser Gelegenheit hat,
sßine eigne, richtige Art zu denken, oder seine
*■■■• ■<
lung, Unterschiede eingeführt, die unsre Sprache cuvor
Bichc anerkannte« und die doch, wenn jene Philoso-
phie aDgemela bcrrtchend wird, dife gemeine Bedeutung
dieter Wörter beatimmen werd^n^
s.
143
Bekanntschaft mit. dem gegenwärtigen Zustande
der Philosophie seines Volks zu erproben.
Wir haben schon, ' ron der Hand eines ein-
zelnen Mannes , ein Deutsches Wörterbuch er»
halten, das, in Betrachtung der Schwierigkeit,
welche eine solche Arbek für den ersten Un-
ternehmer hat> durch seine VöUkominenheit in
Erstaunen setzt. ' Dieses liob gebührt Adbrn^
gen wirklich: und die Akademie wird gewi/s
bereit seyn, es ihm zu ertheilen. Aber ^ie wird
sich noch immer >ein grölses Verdienst erwer-
ben können, dasjenige auszufeilen, zu berichti-
gen, oder zur Gewifsheit zu bringen, .was bey
Adlungen Mangelhaft, unrichtig, oder wenig-
stens noch nicht durch allgemein» Etnstimmnng
bestätiget ist, ' , \. :,
Indefir auch dieses neue Wörterbuch^, und
selbst das ydJtkotnAienste, welches sich, denken
läfst, wird diejeni'ge^ Unbestimmthdit der Wör-.
ter nicht aufheben, die entweder 'daraus e»t«*
steht, weil gewisse Begriffe wirklich nochnieht
aufs klare gebracht worden sind , öder daraus, .
weil die von Philosophen geläuterten Begriffe
noch nicht -dem gi^öfsern Theile der Nation be^*
kannt, und- von ihm genehmiget worden sind»'*
Das Wörterbuch kann ■ nichts- beytragen , die ;
Sprache , im «eigentlichen Verstände, zu fixiven, •
oder die Entstehung neue» Wörter , ' und neuer ^
Bedeutungen der Wörter, «nd das .¥efdten
v._
i44
bisher iibliclier BU*v6thind«rti, wenn neue Ent«
deckuDgea^ neue Speoulationen -«^ und selbst,
wenn allgemein blendende Irrtliümer die Na-
tion von der bi&berigen Bahn ihrer Ideen auf
eine neue führen. Ja . es würde sogar ein Un.
glük für eine Nation Bcyn, wenn das Werkzeug
ihres Denkens f durch* irgend eine Ursuche.^ so
hart und steif würde ^ daCi es sich yon nun an*
nicht mehr in die Wendungen und Abwechse-
lungen fugen wollte f. welche , nach dem Laufe
der Natur» i unvermeidlich von »Zeit zu Zeit in
den Ideen und Überseugungen d<^r Nation,
vorgehen. .1 • - r •
Wenn irgend ein Tb^ili der menschlichen
Angelegenheiten unter etinet demokratischen Ver*
waltung steht, so ist es die Sprache* In an*'
^m Sachen kann sich das Volk den Aussprü«-
dien einiger Weisen unterwerfen; über die
Sprache m^uls es selbst gdbie^en, wenn diese
ihm verständlich und'brauchbfir seyn soll. We*
nigstens müssen die Aathschläge. der Gelehrten
erst die Sanktion der Vplkstimme erhalten, ehe
sie zu wirkliche^ Sprachgeseteen werden. D^t,
welcher für das grofse Publicum schreibt, wird
üich immer hüten Wörter in atodern Bedeutun-^
gen tvL brauchen , als in- welphen sie von dem
gröftern Theile verstanden werden«* er wird so^
gar, in kleinem Sachen ^ dem> was er selbst
billigt^ entgegen handeln 1 um nur in den wich*
tigern
.145
tigern den 2^weck seiner Red^ nicht zu yer-
fehlen. . . ..• . ; ,,
Wenn (Jemnflch/ durch ille die Ursachen,
welche auf den Gesteines Vjolks mrken, seine
Meinungen T|nd Begriffe« von -dem -Standpunkte
sich entfernen, öuf welchem sie die Veifasiser
des Wörterbuqhs. fanden; «o wird: der sich
darauf .bezieteqde .Theil desselben ^ - mit der
Sprache zugleich^ deren Ausleger e.r. i^t, ver-
idten. -*- Diesen Satz^ hat die Erfahrung bey
allen vor uns kultivirten und ihre,, Spijache kul-
tivirenden Natipnen bestätiget. Sq: sehr auch
die Franzosen das Dictionär ihrer^ Akademie
vom Anfange her schätzten, einer Akademie, die
ausdrücklich zur Vervollkommnung 4er Sprache
errichtet worden war: .^o hat döofc- alles An-
sehn dieses Buchs die Veränderungen. der Spra-
che und die Neologien nicht verhüten können,
wovon s^it- dieser Zeit, freylich viele nur als
Meteore erschienen, um ^u blenden, und bald
wieder vergessen zu werden ,r einige aber als
wirkliche Bestandtheile sich der. allgemeinen
Sprache einverleibt haben*
Das dritte ErjEordernifs einer yollkommnen
Sprache ist die^.Mannichfaltigkeit und Schick«
lichkeit der Formen , welche sie zur. Yerkaüp*
fiing der Ideen darbiethet. . / ^ .
Diese Formen sind, so Wie ioh die Sache
einsehe^ von x^ejetlej Art. , I^id. emen . würde
K
i46
ich die grammatikalischen , die andern die phra-
aeologiachen nennen; beyde sind mehr oder
weniger in jeder Sprache bestimmt.
I
Zuerst hat jede Sprache gewisse Regeln,
theils für Abänderungen in den Endungen und
in der Gestalt der^ einzelnen Wörter, ^eib für
deren Stellung, theils für den Gebrauch gewis«
ser Verbindungswörter, die sämmtlich darauf
abzielen^ die einzelnen Wörter zu einem Satze^
und mehrere Sätze zu einer vollständigen Rede
zu vereinigen. Diese Regeln sammt und son-
ders enthält die Grammatik; ja die Sammlung
derselben macht die Grammatik aus. Alles;
was unter dem Nahmen der Declinationen und
Conjngatioöen bekannt ist, besteht in nichts
anderm, als in solchen kleinen Umwandlungen
der, die Kenn- undZeitwOTter der Sprache com-
ponirenden Laute, wodurch gewisse Beziehungen
ihrer Begriffe, zum -Behufe der künftigen Ver«
fcnüpfung derselben mit andern Begriffen, der
Natur des menschlichen Denkens gemäfs, zun!
voraus und im Allgemeinen angedeutet werden.
Der zweyte Theil der Grammatik ist der Syn-
tax, der von den Regeln, wi^ die Verbindung
der Ideen, durch die Stellung der Worte, durch
die Auswahl der Declinations - und Conjuga-
tionsformen, und durch eigne Verbindungspar-
tikeln auszudrücken sey, den Nahmen hat, so
wie sie dessen Inhalt ausmachen. Was Gram-
t47
matik sonst noch in sich begreift^ ist allgemei-
oe Theorie der Sprache überhaupt^ angewandt
auf die Besonderheiten der einzelnen Sprache^
deren Elemente sie lehrt.
In diesen grammatikalischen Formen, —
sowohl denen, welche durch die Flexionen def
Wörter die Ideenverbindung gleichsam vorbe-
reiteü, als denen, welche durch die Anordnung
derselben die Ideenverbindung vollenden, < ~
kann eine Sprache vor der andern unstreitig
grofse Vorzüge haben, nachdem sie eine grdfsre
Anzahl von Ideenverkniipfungen , nachdem aie
sie deutlicher und mit minderer Zwejdeutigkeit,
und nachdem siOiSie endlich mit mehr Anmüth
und Wohlklang anszudrücken weifs. Aber diefs
ist grade der Punkt, über welchen Wissenschaft
und Arbeit des Sprachkünstlers am wenigsten
vermag, wenn es darauf ankömmt das Feh [er*
hafte zu verbessern, oder das Mangelhafte zu
argänzen. Je einfacher und scheinbar gering«
fügiger diese Elemente der grammatikalischen
Vollkommenheit sind> desto tiefer sind sie, mit
dem ersten Erlernen der Sprache in der Kind-
heit, d^ni menschlichen Gemüth eingedrückt;
und eine Nation wird eher hundert neue Wör-
ter und unbekannte Redensarten aufnehmen,
ehe sie sich in den Deelinationen, Conjugatio-
nen, und in dem Syntax ihrer Sprache das
mindeste ändern liefse. Hier also kann der
K a
U8
Gcammatiker nichts tbuo, ab das was yorhan-
den und durch den Sprachgebrauch festgesetzt
ist, auf die lichtvollste Weise und in der bes-
ten Ordnung vortragen; er kann die Freyheit
zeigen y die, bey allen Fesseln, welche die
Grammatik auflegt, dem Redenden noch übrig
gelassen ist, das Bessere vor dem Schlechteren
zu wählen. ikUe wirklichen Verbesserungen
der Sprache aber, s.o fem dieselbe noch mög-
lieh sind, muis er denen überlassen^ welch«
die Sprache wirklich zur Darstellung ihrer Ge-
danken gebrauchen, -— womnter ohne Zweifel
die greisen Schriftsteller, wegen ihres Einflusses
auf die ganze Nation, den ersten Rang einneh-
men. Diese können vielleicht, durch eine öfte-
re glückliche Wahl unter mehreren, gramma-
tikalisch gleich richtigen, aber logisch oder
ästhetisch ungleichen Formen der Ideenverknü-
pfung, naph und nach ^die Nation zu dem best-
möglichen Gebrauche ihrer Sprache gewöh-
nen. — Deutlichkeit und Anmuth des Aus
drucks ist immer anfangs nur das Werk de;S
Fleifses und der zweckmäfsigen Bemühung eini-
ger wenigen. Es kann aber, wenn deren Schrif
. ten aligemein gelefen und nachgeahmt werden,
zu einer Gewobnheitssache aller gesitteten ^tän
de, der Nation werden; in welchem Fall es eio
Eigenthum der Sprache zu seyn scheint, ,ob es
gleich immer mehr eine Fertigkeit der Men-
schen bleibt^ welche die Sprache reden*
^ »49
Eine zwejte Gattung der Formen zur V^r--
bindung der Ideen liegt in der Phraseologie*
So wie die Grammatik die Natur der verschie-
denen Beziehungen in abstracto^ und derejd Be-
zeichnung in der Sprache bestimmte^, so be-
stimmt die Phraseologie die Fundamentalverbin-
dungen zwischen den Ideen in^^ncreco^ inso-*
fem dabey schon ihre Gegenstände in 'Betrach-
tung kommen.
Aber kann diese Phraseologie als ein Theil
der Sprache angesehen werden^ oder ist sie
blofs die Sache der Beredsamkeit? Eine kurze.
Auseinandersetzung dessen, Was Phraseologie
heifst f wird vielleicht zur Beantwortung dieser
Frage führen.
Phrases oder Redensarten sind nichts an-
ders als Fragmente von Gedanken >'—* das au^
einigen verbundenen Ideen Zusammengesetzte,..
das zwar noch keinen vollständigen Sinn giebt» •
aber als Bestandtheil.in vielen Sätzen vorkQmn).t|^
und das,— wenn die Wörter »das rohe Mate-
rial der manschlichen Rede vorstellens, r— ails .
die erste Vorarbeit des Fleißes zur HervorbriH-
gung dieses Kunstwerke anzusehen ist^
Die Zusammensetzung einiger von -solchen
Phrasen ist 'durch die Natur der verbundenen
Begriffe durchaus Jbestimmt ; bej disr Zusam-*
mensetzung anderer herrscht ip^hr Freyheit der
Wahl und daher ^rölsce . Yerscbiedenheiti«. Es
iäo
giebt unentbehrliche Phrasen, welche allen
Sprachen gemein sind; es giebt in jeder Spra-
che gewisse Grundphrasen ^ die jedem , welcher
die Spraclie versteht, bekannt seyn müssen, und
die keiner, welcher sie spricht oder schreibt,
williiührlich umändern darf. Aber es giebf
noch' mehr Piirasen, die erst mit jeder neuen
G^laakenreihe enCstehn. ^-* Im Ganzen haben
unstreitig Dichter und Redner über diese Zu-
sammensetzungen weit mehr Gewalt, als über
die- ein2elnen Wötter. Durch wohlgewählte Ae-
densarten können sie*, nach meinem Urtheile,
über die Verbesserung und Ausbildung der Spra-*
chen einen reellien Einflufs erhalten.
Wer nähmlich Ideen hat, welche bis auf
ihre Elemente neu sind, der mufs auch diese
einfachsten Composita, — 'diese Bruchstücke
de^ Rede, -^ die wir Phrasen nennen , neu
schaffen. Sind nun die darin verknüpften Ideen
TOtt einleuchtendem Zusammenhange ; sind die
gewählten Worte zu^ den Ideen passend , und
unter sich' schiöklich verbunden : ' so wird ein
solcher Ausdruck eines Schriftstellers von vie-
len bey ähnlichen Gelegenheiten' wiederholt;
und verwandelt sich nach und nach in eine wirk-
liche /^Äraji^, in einen Bestand theil der Spra-
che. Auf' diese Weise sind viele der jetzt üb-
lichen Redi^nsarten in allen Sprachen entstan-
den. Manehen derselben sieht man es an, dafs
' .
i5i
sie vpn dem witzigen Einfalle einer einzelnen
Person herkpoiineni der« weil er gefiel, von so
Tielen i^achge^propjtien wurdeftdais.man endlich
seinon Ursprung ¥6rgaf$, und« ikn als eine ei-
gentliüffldiche Bezeichnung d^c • Idee brauchte,
von derber %^erst nur ein « kühnes. Bild gewesen
lyar. *) * ' • '. •
Je mehr gute S^hriftstelldr in einer Nation
aufstehn; je * allgemeiner .sie gelesen werden:
desto mehr gut geformte Btuchstii^lie der *Rede
werden in d^n üblichen Redensarten der Spra-
che gleichsam, niedergelegt se^n; desto mehr
Yflrd.die Richtigkeit und 4&rv Geschmack, mit
welchen die vorzüglichsten Köpfe. der Nation
^hre Gedanken ^^sigedrüokt habeo; den allge-
meinen Sprachgebrauch reguliren. r^ - Ist die/s
Od.
*) Di« Redentart, atfs dem Stegreife etwas tk'iin^ wird
.▼on tebr vielen ^l^ramqbt,, welche nicht daran denken,
da/s sie da« Bild einet Menschen darsteüu der schon
'SU Pferde siuendi.nnd zum Streit oder.tor Reife gerü-
stet, roch SU einer sndem.Verricihtiiog . unerwartet auf-
l^fordert wird, »die er, «also aupb. unjwxbereitet thun
mufs. Sehr vielem lUdensarten aller Sprachen sind ähn-
liche Metaphern! l^einer aber sind mehr Spuren einge-
drückt» wie viel EinfäkU, bey der Nation* iwelche sie
redet, vermögen k aU der Französisch efa. .•*— »Ist es
nicht unbegreiflich» » hörte ich einmahl >einen Italiäni-
Sehen Geleimten von vieler Einsicht sagen y «dafs eine
so kultivirte Sprache« als die Franzuaische, kein ei-
genthümlicbea Woct. und kein Adjectivutn für einen so
unentbeMichen und so häufig vorkommenden Begriff,
i5a
nicht vielleicht die Ursache y warum in der
Französischen ^Sprache auch mUteimafstge Schrift-
steller beFadr-seheineni daia der unsrigen nur
'die Denker *^te Stilisten' ){lad?^ Dort hat
sich mit derLänge der Zeit, während welcher
ihre LitteTatay blüht» und durch die größere
Anzahl allgemein gelesener Schriftsteller, eine
geschuiackvoi4e Phraseologfe gesammelt , aus
welcher, da ' sie alian -Menschen f dn einiger Er-
ziehung- belkAunt ist, -viele, deren Ideen im
Ganzen' sich . weder* durch Richtigiceit doch
Schönheit auszeichnen, ^döch eihe schickliche
und anipiithige Einkleidung der Theile entbeh-
ren können* -/ " . . ' .».
Ich will^ um meine Ideen über das, was
ich Vollkemmenheit der Phraseologie nenne,
klärer zu machen^ einige Bey&piele aus den Auf-
I ■ p t^l^f^mmrmmm^'m''^ ■ ■ i ■ i ■ > a^— »— ^^^»^i
ah der Begriff f^iele ist, b«iitstT:l9t et mcfat noeb un-
bcgreifUclier, 'dafs sie ein' sblbHet Wort dafür gehabt
hat, •.— das aus dem Lateinhcljen' abstammeftde fnouli^
welches tfich* noch in d^ti S^rfften des Montaigne fin*
det; — <lafs dieses vertdtet^^tind'dait wenige Z^it darnach
an dessen Stelle eine den Beg^^f? s^ vtenig ausdrficken*
de AdTerbial Redensart tritt,' als das iean*coup de ist ?
Wahrscheinlich hatt« «inrnkthl'^ili Witziger Kopf^ oder ein
Mensch .dessen Beyspiei Viel' galt; iik eiber '^passenden
Verbindiiilg .das Bild eines' gntek* Fanges 'i * d'un . beau
ooup gebraucht , um ehie groiscf Anzahl ausaudrücken.
Der gute Mang für 'viel^' wup^ie- schon befunden, auerst
von -des Erfindei% Bekannten nachgesagt, dann von sei*
ner Stadt »> und endlicli voA'gaoa Frankreieh^
^ i53
Sätzen selbst dYffiihreh^ durch welche die Akade-
mie ihre 'künftigen Arbeiten ' zur Kultur der
Deutschen - Sprache ^ angekündi^gt hat. Dia'
Schrift L^bnitziens > welche von diesen Aufsäz«
zen den gVö/st^eh 'Theil ausmacht^ beweiset^ so
vortreffliche SabReh *sie enthält, doch durch ih- ^
reA Stil, vtlä sehr uhsre Sprache, in dem Punk-
»
te; wovon hier die -Rede ist,, ^eit Leibnitzens
Zc^it gewonnen habi^. ^ Gleich in^ der ersten Pe-
riode kommen' die ^beyden Phrases vor: »den
Verstand hoch schwingen , und die Sprache wohl
'Äjytf^e«f,*bfeyde'sindtYehlerhaft; Zuerst ist schon
die Züsa^nmen^etzuiigy —AdcÄ' schwingen nicht
gabz richtig Weil* hoch einen Zi/i^a/i^, nicht
eirle Bewegung änsdrückt^ dahe^^wir bessisr sa- ,
gen, \bmp6Y" schwingen^ f)der'itt die Höhe
schwingen. - Ferneiä zeigt ""dfts Wort schwingen
eine plötzliche und. schnelle Bewegung in die
Hfehe An: daher es Wchtig' geraucht Jwird, wo
von einer ' etomahligen 'und vorjüb'etgehendeii
Erhöhung der Seöletikräfte die Kede ist.- - Wir
reden« nli« ßecht von defm' Schwünge der Ein^^
biiduti'gskreft eifdes 'Dichtefs, ''Es ist richtig von
einem 'Andachtigen' zu sa^en, fdofsl sich sein
Oeist tu.OöW-empotschwinge. ^ 'Aber hier, wo
von einem stttfenweisen Fortg^ttge« des mensch-
liehen Geis*tes> voh der zunehmenden Kultur
des Verstandes 'die* Redö isty 'macht das Wort,
schwirifi^en- ein unschicktich^S'* Bild. — Ebeq
iö4
so unrichtig ist die Zusami|iQiis6[t9ung der Phn-
sis: die Sprache ausübet^. Uebeß J^^na man dit
Sprache nur, indem man sie ileifsig r^det oder
schreibet. Die Jlegeln der - Sprache . können
ausgeübt iiverden^ . aj^qr' T09 der Sprache selbst
ist eine Ausiärnng nicht denkber«.
£s soy mir erlaubt 1 um meine Gedanken
auch durph Bespiele aus unsrer heutlgea.Spra
che zu erläutern.! aus dem im übrigen gewi£»
gut geschriebnen, Aufsatze des -Herrn« C« A.
Zöllners -einigaN Phrasen, vdie mir nicht völlig
richtig dünken y anzuführen. In der ersten Pe«
ripde köifimt der Ausdruck Yor^^iiie Beföade-
Tung der Spräof^Cf^ Aber ei|ie Spraehe befördern ^
ist nicht xiclitig. zusammengesetzt. Man beßr-
,dert die ]jK.uttur^ iü^ Ausbildung ei^r . Spraq^e:
die Sprache ^b^i kann man* nicht befördefn;
weilr ^e^ö/*</eri» .heilst; einer -Aotion zu ihrer
.slihleunigern und glücklichem Vollziehung b^-
hül/ltch sieyp,.. .Das^ was gefördert. Yreräen soll,
jnufs ein|3 Sache im, Fongfitig^^ . in der Bewe-
gung , . — nicht eiüefür siph bestefaenyle , uo/-
dendf^te seyn.. — -S. 1.0. Z. .6. v,. U*. scheint ijiir
^die Hedensatt : . nach dem Gepräge , ^er Voll-
^kommenheit streben y gleichfalls ni^hl: ganz riph-
tfg' zu seyby jiyeil sie zwey unvereinbare Me-
taphern zusammenstellt. Man strebt n^th T^olU
kommen heit ; > man drückt einer Sacke das Ge*
präge der P^Qllkommmheit auf; oder die Sache
I
trügt das Geptäge. ' Dicfs sind die bfsh^r übli-
chen Redensarten. * Sollen neue gemacht wer
den^ so müssen sie mit diesen Bnalogisch seya.
Ich habei bey dem etsteh Nachdenken
über diesen Gegenstand geglaubt, difs es viel-
leicht möglich wäre, eine unmittelbare Arbeit
auf denselben zu verwenden, -und durch Auf-
suchung und Beurtheiluifg der üblichen Phra-
sen, oder durcHr Versuche neue zusammenzu-
setzen, diesen Theil der Sprache absichtlieh au
verbessern ; idh stimme aber jetzt vollkommen
mit den Gedanken meihe» Freundes Engeln '-^-* di^
ei* in eriner zu de^m* ersteh- Entwürfe dielst
Aufsatzes geiäachtten Anm-rkung ^mir • mit^
g^theilt hat, -^ dahin üfrese^n.* ''dafs>zuT^ Ver-
bessei*ung" der alten Phrflseri ,' öder zur '&-
findung neuer, der Sprachforscher nichts thun
kann, als die Bedeutung der einzelnen Wörter
genau zu bestimmen, -so «^ weit . der '^Sprachge-
brauch und der'Zustand'der WiflsenschafteB die
Idee selbst bestimmt haben; dafs aber die Wahl
dieser Wärter bey^ Zusamijaensetzungen ledig-
lich der Beurtheilungskrlaft und dem Geschmack
des Schriftsteller in'iedenibesohdern Falle uber-
lassen werden mü^en« ^) . Nur bin ich no<:h
■■■toi
*) Hier «nid die eignen Wovte lueiaeiL Freundes^. ; desstjn
Urtfaeile die üt^rigen AkademilLer beygesummc haben.
«Ich sehe nicht,' was in^ Ansehung ganxer Redensarten
»geschehen könne, dts ntcht ftchon-in dieo)eili^en Ar>
jetzt deir Meinung/ welcher «uch der Herr P.
&igel beypflichtet^ daü um diese fieurtheilung
und diesen Gesckmack zu . büdeii , eine Kritik
der .in ufiserpi gewöhnlichen Umgänge^ oder
in «uosern beliebtesten Schriftstellern vorkom-
menden Redensarten ein- nützliches HülFsmittel
wäre. Die Grundsätze dieser Kritik habe ich
zum TheU schon durqh die wepigen Bayspiele
derselben .angegeben« Wahrheit ist auch hier der
Grund der Schönheit^ - Die« meisten der eigent-
•liehen Phrasen sind ursprünglich Metaphern»
Wenn das Bild richtig ist , yvjßfnti zu Bezeich-
9 »
Aung. des^lhen* die. eigenthümlichen Wörter ge-
wählt sind 9 so. ist die Phra^is vollkommen. .
Aus den bisherigeia'Betraohtungea scheinen
sich .mir .aU9 fojgwd^ Resultate., zu ergeben.
ssbeiten der Spracbeelehrteo, ^reiche die ^inxelnen Wör*
•ter beüeilen , enthalten Vare. Eine Phraseologie wird
*"»«o 'wenig wirken, a1ft"ein W6rterbuHf. ' Dagegen bat
, > »eiii Wörterbuch .xnflf IV WiNTtb. Deoa^ W^ftfr, insofern
.«sie nicht Zusj^mjTiensetyungeji von andern «chota be-
»kannten sind, müssen gegeben ^eyn« und man mufs
»genau-lihre B^eutung lennen« Redensarten' setst man
'. 1« selbst ^usanmeii; nni dasu bediJrf man weiter nichts,
•als Ketintnifs der Regeln einer guten Scbreibart, und
«einen geläuterten Geschmack, Diese Kenntniis und
»dieser Geschrtiacfk dürfen bejr dlsn "Scbrifätellern der
»Natioxr nur~befördert Trerden« und- -deiiu tst eine Kri-
•üko wie sie Heir Gar«e über -einige R«ddB#arten macht,
»und wie aie cinma/hl Johnson über." mehrere der besten
' »Englischen Schriftsteller machte, ohne 'Zweifel ein
• »lehr Wirksames MittcL«
i"57
Die Arbeiten, welche sich mit der Sprache be-
schäftigea, können einen doppelten* Endzweck
haben: entweder die Sprache^ als eitfen Geg^n»
stand des Wissens zu erforschen , oder tici aU
ein Werkzeug des Verstandes zu vervoUkomnw
nen. Der Erfolg jener Arbeiten ist in der er*
sten Absicht unbegränzt^^ in Absicht der zwey«*
ten hat er seine bestimmten Schranken«
Alles was uns die alten Formen un'srer
Sprache, alles was uns die verschiedenen Modi-
ficationen derselben ^-^ und selbst ihre 'Ausar-
tungen in den Dialekten kennen lehrt^ liefert
einen Beytrag, entweder zur Kenntniis der yer«
schiednen Zeiten tind Öxter^ oder zur, Ge-
sehich te unsrer Sprache y\ oder zur Einsicht in
die Mannicbfaltigkeit und Abwediselung der
menschlichen Begriffe überhaupt. Auch köänen
solche Sammlungen' als Vbrraths^kammem ange*
sehen . werden , aus welchen, von Zeit zu 2^it,
die Idee zu einer glücklichen Neuerung- her-
gehöhlt wird.
la Absicht des, wirklichen Gebrauchs zum
Behufe der Rede, -^ um ^ie Arbeiten des Ge*-
nies zu unterstützen, und^ die letzte Vol'len-
düng der Werke der Dichtkunst und der Be-
redsamkeit zu erleichtern y *-^ scheint mi'ralles^
was zu wünschen und zu thun ist, in ein '«gutes
Wörterbuch und in eine brauchbare Gramma^
tik eingeschlossen. •- .
i58
Deo: Nutzen beyder kann nicht seyn , eltit
wirkliche Bereicherung durch neue Worte^ eine
unveränderliche Beltinimung des. Willkührli-
cfaen in der Sprache ^ oder eine wahre Yerbes«*
serung des&en , was durch Gewohnheit einmahl
in ihr . festgesetat i4t. . Aber Wörterbuch und
jQr^mmatik können dem . Schriftsteller noch
s
sehr zu Hiilfe koinpien:
i) indem sie ^dieqen, die zweifelhaften Fälle
au entscheiden/, und cfadurch Gleichförmigkeit
und Gewifsheit liervorbringen , wo ■ Mifshellig-
keit unter den Schriftstellern einen Übelstand
für die gapze Litteratur hervorbringt, und Zwei-
fel jeden Schriftsteller für .sich in Verlegenheit
setzen* Um aber diese Einstimmung nnd diese
Sicherheit zu bewirken , ist nicht blofs die in-
oere Güte» sondern auch die Autorität der Ent-
acheidungen nöthigi w.elche das Wörterbuch
oder die Grammatik giebt:
2) indem beyde , durch Aufzahlung der in
der Sprache vorhandenen Verschiedenheiten, in
Wärtern sowohl als grammatikalischen Formen^
die Auswahl des Schicklichsten für jeden ein-
zelnen Fall erleichtert)
3) indem das Wörterbuch insbesondre über
diejenigen Theile der Sprache, welche nicht die
allgemeinen Gegenstände des menschlichen
Denkens, sondern die besondere gewisser Kün«
ste betreffen, diejenigen Belehrungen ertheilt^
(reiche, jeder Schriftsteller ron Zeit zu Zeit dö-
thig haben mag*
Je voUkommner diese beyden Arten von
Hiilfsbüchern sind, Je voUkommner >vird auch
der erste jugendliche Unterricht in der Deut-
schen Sprache werdeli. Und 'auf solchem be-
ruht greisen ,Thetls bej federn Menschen^ — .
zwar nicht die Fähigkeit seine Sprache vortreC-
lich zu sprechen und zu schreiben , die immer
ein Werk des Genies, und eine Folge eigner
Meditation ist, — aber doch die Achtsamkeit
auf seinen Ausdruck , und die Vermeidung der
aus blofser Nachlälsigkeit entstehenden Fehler
desselben,.
Wenn sich zu diesen Werken über die Spra*
che, noch Muster izu einer guten Kritik über
die Schriftsteller, in Absicht des Geb^raujchs der
Sprache, gesellten; -** wenn nach solchen Mo*
Stern es gewohnlich würde, den Zöglingen der
Wissenschaften Vorlesungen über einige unsrer
besten Schriftsteller in der Absicht zu halten,
um die Schönheiten oder Mängel ihres Stils
aufzusuchen, und selbst in die Ursachen davon,
die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Gedan-
ken und ihrer Bezeichnung einzudringen: so
wäre, nach meinem Urtheüe, alles geschehen, was
zur Kultur unsrer Sprache, und zur Vorübung
auf die Arbeiten des Genies nöthig wäre, von wet
chta der Glanz unsrer Litteratur 2u erwarten steht
6o
KI. - ...
Von der Bildung der Deutsciven B^^
xvorter.
\jie Deutsche Sprache bilder mit den acht
Endsylben ig, isch, en, icht, lieh, sam,
bar, haft eine Menge Bey Wörter , ala: gnädig,
neidisch, golden, kupferichc^'^biiiderlich, auf-
merksam, wunderbar, tugendhaft. Wir wollen
untersuchen, was von denißejwörtern, die da-
durch gebildet werden , zu" bemerken ist.
I
/. Von den Beywönern mit der Endsylhe i.g.
Die Endsylbe ig hat^ die Kraft des Wor
tes eigen 9 und giebt folglich den Wörtern^
welchen si6 angehängt wird , die Bedeutung voa
haben, besitzen. Auch heifst haben im
Gothischen aigan, im Angelsächsischen agan,
im Fränkischen eigan^ im Idändischen eiga,
im Schwedischen äga, im Griechischen i^^n,
' Daf» diese Bedeutung unsrer Endsylbe ig
eigenthümlich ist, sieht man aus sehr vielen
Beyspielen. Zornig, feurig, gnädig, giftig, un-
schuldig, rachgierig heifst etwas, das Zorn,
.Feuer, Gnade, Gift, Unschuld, Rachgier hat
. oder« besitzet; aussätzig , wurmstichig , spitzig :
was den Aussatz, was einen Wurmstich, was ei-
ne. SpitzQ hat; zweyschneidig, dreypfündig,
hun-
i6i
hundertäugig:' was zwey Schneiden , drey Pfund,
hundert Augen hat« Wegen dieser Bedeutung
des Besitzes , des Eigenthums sind dergleichen
Beywörter ursprünglich aus Nennwörtern ge-
macht worden; und weil die Fürwörter (pro*
noinina) ich, du, er, n^ein, dein, sein, u. s.
w. die Stelle der Nennwörter vertreten, so hat
man auch einigen Fürwörtern die Sylbe ig an*
gehängt, als: meinig, seinig . eurig, unserig;
was mein, sein, euer, unser eigen ist. Doch
sind diese Wörter in ihrer adjektivischen Form
gar nicht gebräuchlich, sondern werden durch
Vorset2;ung des Artikels zu Substantiven ge-
macht: die Meinigen, die Deinigen, die Unsri-
gen, die Ihrigen, u. a. w. Eben so ward aus
dem alten Fürworte icht, etwas, und der Ver*
neinungspartikel ni das Wort nichtig ge-
macht.
Einige Beywörter wurden auch aus dem In«
finitiv der Zeitwörter gebildet, welcher sehr oft
die Stelle eines Substantivs vertritt. Der Iq£-»
nitiv mu£s alsdann sein« Endsylbe en vorher
abwerfen, ehe er die adjektivische annehmen
kann. Auf diese Art bildete man aus den
Zeitwörtern' naschen, stofsen, beifsen diei
Beywörter näschig, stöfsig beifsig: wem
das Naschen, Stofsen, Beifsen eigen ist. Eben
so scheint das Wort ranzig von dem Ranzen
der Thiere , wobey sie feineu widerwärtigen Ga-
L
ruch von sich geben, hergeleitet zu seyn. Auch
das Bejrwort widrig scheint nicht von wider
herzukommen: weil wider die einzige Präpo-
sition wäre» welche die Endsylbe ig erhalten
hätte; sondern von dem Zeitworte widern^
einen Widerwillen empfinden, einem Worte,
welches Luther (Hiob, VL 7.} gehraucht: Was
meiner Seele widerte. Beym Otfried und Kero
heilst dieses Zeitwort widaroi^
Aber nicht allein an die Substantive und
an die substantivisch gebrauchten Infinitive hat
man in der Folge die Endsylbe ig gehängt,
sondern . auch an solche Beywörter, die eine
Zeit bedeuten. Nach der Analogie der Wörter
seitig, zukünftig, jährig, welche ganz re-
gelmälsig von den Nennwörtern Zeit, Zu-
kunft, Jahr gebildet worden, wagte man es,
einigen andern, die zwar auch eine Zeit bedeu-
ten , aber keine Substantive sind , diese Sylbe
ig anzuhängen« Man sagt also: heutig, ges-
trig, vorig, ehemablig, jetzig; imglei-
chen^ fernig und heurig: zwey alte Wörter,
die das, was heuer ist, das dieisjährige , und
das was fern ^ entfernter ist, oder das vorjäh-
rige anzeigen. Auch sagtr man im Kanzelley-
styl sonstig, das ist: was sonst gewöhnlich,
was der vorigen Zeit eigen war; imgleichen
einstweilig, was eine gewisse Weile oder
Zeit in sich begreift: der einstweilige Aufent-
i6S
halt^ Auch das Wort etwanig gehört hier-
her. Etwan ist ursprünglich eia Neben wort
der Zeit. Luther , in der Übersetzung der »Bi-
bel, sagti' Die Wächter in Israel hielten sich
etwan an meinen Gott, aber nun sind sie
Propheten. Imgleichen: Das ist der Mann*;^
welchen wir etwan für einen Spott hielten t
wie ist er nun gezählet unter die Kinder
Gottes ?
Endlich hat man auch an einige Neben-
Wörter des Ortes diese Sylbe gehängt. Man
sagt im gemeinen Leben dasig und dortig:
was dem und jenem Orte eigen ist; /a sogar
im Oberdeutschen daselbstig und hierselb-
stig. Doch vermehren gute Schriftsteller die
Anzahl dieser letztern Wörter nicht gern, und
enthalten sich derselben in der höhern Schreib«
art gänzlich. Von eben der Art ist auch das
zusammengesetzte Wort allen falsig. Allen-
falsige Beweise^ allenfalsige Mifsbräuche: sagt
Wieland in der Übersetzung des Lucian; wo er
aber den * Ton der Gerichtsstuben mit Fleifs
nachzuahmen scheint.
Von den Nennwörtern, woraus die Bey-
Wörter in ig ursprünglich gebildet wurden^ sind
einige ziemlich veraltet, einige auch velrloren
gegangen, und iiur noch in den verwandten
Sprachen anzutreffen. Zum Exempel: unbil-
lig kö^nmt von dem im Hochdeutschen veral«
La
i64
»
teten Substantiv Unbill her^ wovon da$ Stamm-
wort Bill noch im Englisbhen übrig ist. Zim-
mermann im Nationalstolz sagt noch: Von
46m Yaterlaiide beleidigt, vergafsen sie den
schmerzenden Unbill. Beliebig kann man
entweder von Belieb^ welches Logau ge-
braucht: Die Bibel, Gottes Wort, ist mein Be-
lieb im Leben; oder von dem substantivisch
gebrauchten Infinitiv das Belieben herleiten.
Wichtig, gewichtig kömmt von Gewicht
her; welches im Englischen weight geschrie-
ben wird; tüchtig, Englisch doughty, von
dem Niedersächsischen Ducht, (Holländisch
Peugd, Isländisch Dygd) wovon der Gegen-
satz Unducht in einigen Provinzen noch im
Gebrauch ist.
Man sehe hier mehrere Exempel, die
. zum Theil unsre Aechtschreibung berichtigen
k.önnen. Ausbündig kömmt nicht unmittel-
bar von ausbinden her, sondern von Aus-
bund; so wie brüchig nicht von brechen
sondern von B r u ch herkömmt. Spitz fündig
kömmt her von Fund: ein spitzer oder schlau-
\er Fund oder GrifF; denn spitz heilst schlau:
daher Spitzbube, Spitzkopf. Rüstig,
wehrhaft, gerüstet, von dem Nennworte Äüst,
daher .die Rüstkammer kömmt. S tat ig, von
ßtäte: was auf Eiijei; State bleibt. Fähig, von
Fähe, captus' Die Fähe der Verstandes, sagt
i65
einer unsrer Alten. Irrig, richtig, von den
Nennwörtern die Irre, die Richte. Eilig,
langweilig, yon Eile und Langweile.
Frejrgebig, von dem alten Geh, wovon der
Gastgeb^ der'Rathg^b iii unsern Alten vor-
kommen. Abtrünnig, nicht von abtren-
nen, sondern von dem alten Nennworte Ab-
trun , truncus. 'Ein alter Schriftsteller sagt:'
Wir werden das A b t r u n der Leute. G e -
schmeidig, von Geschmeid, das ist, von
dem Gestein, das viele Erztheile hat, und also^
schmiedebar ist. Einhällig, von Einhall^
unisonus; mifshMHig, von Mifshall. Hall
aber hat seinen Ursprung von dem alten Zeit-
worte hellen, und dieses von hell, welches
eben so wohl von dem Schalle als von dem
Liebte gilt. Selig, was Sei, Seide hat: /or^
tunam koham-, trübselig, drangselig, was
Trübsal, Drangsal hat: fortunam malam. Up-_
pig, was Uppe besitzt, ein Wort welches va-
nitas bedeutet: Tenchende in Uppe, meditaiv
tes inania, heifst es in Notkers zweytem Psal-
me Davids. Ledig, was Lede hat. Lede
gebrauchte man von einem wüsteh Acker ; wenn
der Acker gebauet ward, so hi-efs es: er ist
aus der Lede gerissen. Inwendig, auswen-
dig, abwendig kommen von wendig her.
In Notkers Psalter Davids (XLI. 5.) heifst es:-
Min^Sela ist wendig> Gott ist unwendig;
i66
und dieses wendig kommt von dem Substan«
tiv Wende her: Suefse Wende miner Schmers
zen. S. Sammlung von Minesingern, i. Tb.
Pag. 19g. Daher haben wir noch die Sonnen*
wende. Ewig heifst, was £we hat, was eine
lange Zelt, aevum hat. In Aiwa heifst in des
Ulphilas Gothischer Übersetzung des Matthä-
us in Ewigkeit; und Eeuw heilst noch jetzt
im Holländischen ein Jahrhundert , und Aef*
we im Schwedischen die Lebenszeit, Fertig,
Plattdeutsch fahrdigj scheint ursprünglich von
Fahrt herzukommen, welches sein h verloren
und den Vokal a nicht in den Zwiscbenvokal
ä, sondern in e verwandelt hat; Fahrt aber
kömmt von fahren her, welches ursprünglich
so viel heifst, als: eine schnelle Bewegung ma*
eben. Eine fertige Zunge heifst eine Zunge,
die Fahrt, das ist, Schnelligkeit hat; ein fer*
tiger Reiiner, der Fahrt oder Schnelligkeit
im Reimen hat. Dieser Begriff der Schnellig-
keit i^t noch nicht veraltet: im Niedersachsi-
schen bedeutet ein leichtfertiger Gang ei«
nen hurtigen Gang. Er fuhr leichtfertig
dahin, wie Wasser, scheint Luther in eben die-
ser Bedeutung gebraucht zu haben.
Da/s die Beywörter in ig die Bedeutung
des Besitzens haben, sieht man am deutlich-
sten ^ wenn man sie mit ähnlichen Wörtern
vergleicht, die eine andre Endsylbe annehmen«
167
Geistig heifst , was Geist hat , als t 'geistiger
"Wein, oder in einem andern Verstände ^ was
unkörperlich ist, blofs Geist besitzt: ein' gei-
stiges Wesen; geistlich hingegen bedeutet,
mras dem Geiste gleicht, als: ein geistliches
Liied y zum Gegensatze eines weltlichen, was
der so genannten Welt gleicht, zur Welt, zu
den Weltmenschen gehört; imgleichen die geist-
liche Wohlfahrt, zum Gegensatze der leiblichen.
Zeitig heifst, was seine Zeit schon hat, als: ei-
ne zeitige Traube; zeitlich hingegen, was
zur Zeit gehört oder ihr gleicht, als: zeitliche
Güter. Ein thätiger^ ein wunderthätiger
Mann heifst ein solcher, der Wirksamkeit hat,
der die Gabe hat Wunder zu thun; eine thät-
liehe Beleidigung aber heifst eine solche, die
zur wirklichen That gehört. Eben dieser Un-
terschied ist unter leidig, was Leid bey sich
hat, Leid besitzt, und unter leidlich, was zu
leiden ist, sich leicht leiden läfst; unter gläu-
big, was Glaiiben besitzt, und glaublich,
was zu glauben ist; unter sichtig, was ein
Gesicht hat, als kurzsichtig, scharfsich-
tig, und unter sichtlich, was gesehen wer-,
den kann; unter jährig, was ein ganzes^^hr
hat, als: ein jähriges Kalb, und unter J4i^~
lieh, was alle Jahre geschieht, zu den Jahren
gehört, als: ein jährliches Fest; unter tägig,
dreytägig, viertägig, was eine Zeit von
i68
drey, ron Tier Tagen hat oder einnimmt , als:
ein dreytägiges, ein viertägiges Fieber, und un-
ter täglich y was alle Tage geschieht , als: eine
tägliche Arbeit, Eben so auch unter stünd-
lichy was alle Stunde geschieht , und unter
.stündig, als: zweystündig, dreystündig,
was zwey, drey Stunden einnimmt, eine zwey-
stündige Vorlesung , ein dreystündiger Besuch.
Eine Menge neuer poetischer Beywörter
läfst sich vermittelst dieser Endsylbe machen:
welches ein beneidenswürdiger Vorzug unsrer
Sprache ist Wollen wir sagen: der Mond mit
seiner vollen Wange , so sagen wir mit unserm
Wieland: der voUwangige Mond, nach der
Analogie des Wortes rothbäckig, ungeachtet
wir weder das Adjectiv wangig, noch bäckig
in die Sprache aufgenommen haben. Nach der
Analogie der Wörter eigensinnig, wider-
sinnig, sagt einer unserer Schriftsteller gerad-
sinnig. Die Poeten sagen hochschenklige
Kamehle, langhälsi^e Thiere, und wir ver-
stehen es sogleich, ohne das Wort schenklig
* und hals ig gehört zu haben. Wir sagen: der
süfszüngige Schmeichler , das siebenpfortige
Tm>en, der hunderthändige Gyas, der schnell-
fili Ige Achilles, der hochwipßigo Parnafs, die
sieoensaitige Leyer, ^der marmorherzige Ty-
rann , obgleich die Stammwörter hiervon gar
>^icht im Gebrauche sind.
169
Einige haben zwar das Wort herzig ein-
zuführen versucht: allein es würde eben jso
zweydeutig * seyn , als sein Stammwort Herz.
Zu einer gütigen Person sagt man, eben so, wie
zu einer tapfern: Ich lobe dein Herz. Wollte
man sagen: das herzige Mädchen, so wüfste
man nicht, ob sie gutherzig, treuherzig, weich-
herzig, oder ob sie ^rofsherzig, heldenherzig
wäre.
Aus manchen Beywörtern und Nebenwör«
tern in ig haben wir Zeitwörter gemacht;. Aus
dem alten ängstig mächte man ängstigen, aus
bändig bändigen , aus billig billigen , aus
heilig, heiligen, aus nöthig nöthigen, aus
witzig witzigen. Die meisten von diesen Zeit-
wörtern erhielten aber erst eine Vorsylbe. Der-
gleichen sind: beschuldigen von schuldig,
beschleunigen von schleunig; imgleichen: be«
t
mächtigen, belästigen, bekräftigen, berichtigen,
begünstigen, beseligen,, verewigen, vereinigen,
vernachläfsigen , vervielfältigen, erübrigen, er*
niedrigen, einwilligen, abmüfsigen«
Man machte dergleichen Zeitwörter aber
auch auf eine andre Weise. Anstatt erübrigen
von übrig, erniedrigen von niedrig, verkün-
digen von kündig zu bilden, sagte man erü-
bern, erniedern, verkünden, von den Neben-
Wörtern über, nieder, kund. Andre mach-
te man unmittelbar von Substantiven. Von
170
Angst bildete man ängstea^ yon Ende enden,
Tön Verein vereinen, yon Last belasten, von
Gunst begünsten^ von Kost bekösten, yon
Fleifs beflelfsen, yon Kunde sich erkunden,
yon Feste befesten , welches Tscherning ge-
braucht. Sogar aus Sünde ward sünden ge-
macht, daher noch der Sünder kömmt. £r
sündeiy swer des niht gcloubeti sagt unter den
Minnesingern der Kaiser Heinrich. — Einice
yo&-diesen Zeitwörtern sind veraltet, andre noch
bey den Poeten im Gebrauch.
Dafs sich aus den Beywörtern in ig sehr
leicht Komparative und Superlative,' imgleichen
Nennwörter bilden lassen , die einen abgezoge-
nen Begriff ausdrücken, ist bekannt. Unsre Al-
ten bildeten die letztern blofs durch den Buch-
staben i oder e. Unter den Minnesingern ge-
braucht die Winsbekinn Selikeit, und Gün^
ther von dem Vorste: Selikeit und Werde-
keit, anstatt Seligkeit und Würdigkeit.
IL Von den Beyvfortern'mit der Endsylbe isch.
Die uralte Endsylbe i seh hiefs ehemahls
isc: so heifst sie auch beym Ulphilas. Ja, wir
finden schon Spuren davon im Tacitus , der zu
diesen Wörtern in isc blofs die Lateinische
Endsylbe us hinzuthut: daher Teutiscus, Na-
rifcus, und atidelre.
I
Diese Endsylbe isch wird allen Bejrwortern
gegeben, welche
1. Örter anzeigen^ es mögen Länder oder
Städte seyn, als Prenfsisch, Schwedisch,. Spa-
nisch, Berlinisch, Meifsnisch , Römisch, Korin-
thisch, was zu Preufsen, Schweden, u. s. w. ge-
hört. Die Berge gehören gleichfalls hierher,
als: Vesuvisch, Helikonisch, Pyrenäisch. u. a.
m. Auch von den Ortern Himmel und Hölle
ist himmlisch und höllisch gemacht worden.
2. Wird diese Sylbe allen Beywörtern gega»
ben, welche von Personen gemacht werden,
als: jüdisch, heidnisch, mahomedanisch:, was
zu den Juden, Heiden , Mahomedanern gehörtj^
und ehemahls auch christisch, was zu den Chris-
ten gehört. Eben so auch Lutherisch , Kalvi-
nisch. Wolfisch, Linneisch, Homerisch, Hora-
zisch, u. a. m* wozu noch dichterisch, von der
Person des Dichters , und mahlerisch , von der
Person des Mahlers, gerechnet werden können.
Nach der Analogie dieser beiden letzten Wör-
ter hat man schon mehrere zu bilden versucht.
3. Giebt man diese Endsylbe i seh allen aus
fremden Sprachen entlehnten Wörtern , «eis:
musikalisch, biblisch, klassisch, balsamisch, cho«
lerisch, sanguinisch, und unzähligen andern,
wozu auch englisch und teufelisch von den Wör-
tern angelus und diabolus gerechnet werden.
172
welche man auch eben so gut zu der zw^
Klasse rechnen könnte*
Zu dieser Bildung in isch bequemte
die Lateinische Endsylbe icus sehr leicht^ web
che erstlich in isc, nachmahls inisoh überging.
Aus theologicuSf evangelicus ward erst theolo«
gisc^ evangelisc^ und nachmahls theologiscbi
evangelisch gebildet. Eben diefs gilt von meh«|
rern neu gemachten Lateinischen Wörtern.
4. Aufser diesem dreyfachen ältesten Ge-
brauche 9 ist es sonderbar, da/s die Endsylbe
isch'bey solchen Beywörtern, die in sittlichem
Verstände gebraucht werden, etwas fehlerhaftes
anzuzeigen scheint. Viehisch, hündisch, mür-
risch, neidilsch, zänkisch, ti^ckisch, höhnisch,
läppisch, diebisch, närrisch, argwöhnisch, sau-
ertöpfisch , wetterläunisch sind lauter Wörter,
die etwas hassenswürdiges andeuten. Man wird
sagen,' in diesen und vielen andern Beyspielen
käme der üble Begriff vonr Stammworte her;
allein es giebt auch Fälle, wo er von der End-
sylbe allein herzukommen scheint. Weibische
und weibliche Sitten, das kindische und das
kindliche Bezeigen , die höfischen und die höf-
liehen Reden , die altvaterische und die altvä-
terliche Wohnung, sind Wörter von sehr ver-
schiedenen Begriffen. Herrschend , gebietend
ist untadelhaft; herrisch, gebieterisch zeigt Här-
te und Stolz bey dem Herrn und Gebieter an.
ßin schmeichelhaftes Lob kann wahr und gut
gemeinet seyn; ' ein schmeichlerisches Lob Ter-
räth Falschheit. »Leget diese schmeichlerische
Salbe nicht auf Eurp' Seele.» TVieland ii% Sha^
kespears Ilamlet. «Stets eilte mir in schmei-
chelhaften Träumen ihr Schatten nach. » Lyn
Bluhmenlese y :VIIL a3. Jene Salbe betrog, in-
dem sie schmeichelte; diese Träume stellten
die Wahrheit vor. Richterlich ist eine noth*
wendige Eigenschaft des Richters : »die richter-
lichen Handlungen Gottes.» Sucro, in Fosters
übersetzten Reden. Richterisch ist ein Fehler
an dem Richter , zeigt allzu grofse Strenge an.
Wenn Lessing einen Poeten verspotten will, der
seine Lieder von Wein und Liebe neun Jahre
lang ausfeilt, sagt er:
Mit richt'risch scharfem Kiel durchackert seine Lieder Gargil.
Aus eben diesem Grunde wagt Wieland das
Wort schwärmerlich;
Gewifs ! nicht ich , rief Idris tchwärmerlich :
das heilst, gleich einem lieb tos würdigen Schwär-
mer. Schwärme i seh, wäre hier zu verächtlich
gewesen. Eben daher vermeiden wir bey sol-
chen Wörtern, die niemahls etwas tadelhaftes
bedeuten, sehr sorgfältig die Endsylbe isch.
Wir sagen in gutem Verstände allemahl gläu^,
big, und niemahls gläu bisch; aber in übelm
Verstände abergläubisch. In gutem Ver-
174
Staude sagen wir jetzt allemabl christlich,
bösem antichristisch; in gutem geistlich
in gegenseitigem freyge istisch; in gute
göttlich, in gegenseitigem abgöttisch; in
gutem meisterhaft oder meisterlicfi, in
tadelhafcem schulmeisterisch; in gutem ver-
traulichy in tadelhaftem roifstrauisch. Ein
Knecht 9 ein Sklave, ein Bauer sind nothwendi-
ge und an sich selbst keine tadehiswerthen Per-
sonen; aber knechtisch, sklavisch, bau*
ri seh /Zeigt immer etwas tadehiswerthes an.
Neue Wörter lassen sich vermittelst dieser
Endsylbe gleichfalls bilden. Nach der Analo-
gie des Wortes schelmisch gebraucht Lessing
in der Minna von Barnhelnl das Wort schür-
kisch^, Von* dem Nennworte Tollhäusler
macht Wieland tolihäuslerisch. Von dem
Worte Selbstherrscher machf der Überset-
zer des Apulejus se^bstherrscheriscbe Ty-
rannen* Anstatt geziert, welches einen dop-
pelten Verstand haben könnte, hat man das
Wort ziere risch erfunden, welches niemahb
in gutem Versrande gebraucht werden kann.
Eben so gebraucht Hagedorn, der in Einfüh-
rung neuer Wörterr sehr behutsam ist, anstatt
schreibselig, welches schon im Gebrauch war,
das Wqrt schreiberisch:
f^on schreiberischer Eitelkeit.
Einer *unsrer bebten Autoren hat das Wort
175
■
selbstisch nach dem Englischen selfish ver»
suchte statt dessen macL^nst egoistisch ein-
geführt rhatte. Es steht dahin ^ ob der Selbsti-
sche den Egoisten, der schon naturalisirt war^
verdrängen wird , zumahl da sich dieses fremde
Wort.vnsrer Sprache^ so gut ansöhmiegt, da/s
wir«,, davon y wie von einem ursprünglich Deut-
scfaea^p a^i^re Worter bilden können. Wir
sagen: «Bgöist; egoistisch^ Egoisterey^
und, wena wir, wollen , auch egoistisixen:
Ableitungen, welche bey s e 1 b s t i seh nicht Statt
finden. Auch wird uns dieses Wort desto ent-
behrlicKer , da wir schon die einheimischen ver»
ständlichen Wörter Selbstsucht, selbst-
süchtig, ein Selbstsüchtiger in der Spra-
che besitzen« Weil selbst überdem nicht zu
den Substantiven gerechnet werden kann, de*
neUf nach der Regel, nur allein die Endsylbe
isch zuköinmt, so scheint selbstisch wider die
Analogie gebildet. zu seyn: man müfste denn sa-
gen , selbst wäre hier zum Substantiv erho-
ben worden, wie in der Redensart, die unser
Weifse gebraucht: Leute, welche nur ihr pichti»
würdiges Selbst lieben.
Die Bey Wörter in isch,* die von den eige-
nen Nahmen der Orter und der Personen her-
genommen sind, leiden keine Yergröfserung. Ei-*
nem Dinge, das wirklich aus Rom, wirklich
vom Horaz herkömmt^ kann man eigentlich
176
« nichts entgegensetzen^ was in noch grölsenii^
oder im gröfsesten Grade aus Rom oder ycol
Horaz herkommen sollte. Indessen hat mai^
doch| wenn diese Wörter eine sittliche EigenH
Schaft bezeichnen sollen, aus Liebe zur KürzCi
wenigstens den wohlklingenden Komparativ ge-
wagt: £s< ist weit Römischer, weit Horazischen
das heifst, den Sitten Roms, der Weise des Ho-
raz weit gemäfser. Alle übrigen Wörter in isch
nehmen den Komparativ an, aber picht gern
den Superlativ. Balsamischer, bäurischer sagea
wir wohl, aber wir sagen nicht gern am balsa-
mischsten , am bäurischsten. Die Ursache ist
allein der Wohllaut. Setzen wir ein e dazwi-
schen, und sagen: am bäurischesten, so haben
wir drey kurze Sylben hinter einander, wel*
ches der Deutschen Prosodie zuwider ist: weil
sich drey kurze Sylben in einer Sprache, die
mit Konsonanten beschweret ist, nicht leicht
und deutlich genug aussprechen lassen. Die
Härte zu mildern, werfen Einige von der cha«
rakteristischen Endsylbe des Superlativs, .dem
ste, das s weg, und schreiben und sprechen:
der bäurischte, am hämisch^en, welches aber
immer noch hart genug klingt. Besser ists, den
Begriff auf eine andre Art auszudrücken. Am
meisten hämisch ist eben so kurz, als am hä-
mischesten. .
Von allen diesen; Beywönern in isch haben
wir
»77
^ir noch kein Nennwort in heit twlei* keit ge-
bildet , einen abgezogenen Begriff ausEudrücken;
wir sagen nicht: die Römischheit oder die Ka-
tonischkeit. Will man diese Begriffe ausdrük*
ken, so muXs man es durch eine Umschreibung
thun»
///• Fbn den JBeywSnem.mie der End^lhe en.
Die Endsylbe en (bey einigen Wörtern auch
das blofse n, bey andern die Sylbe ern) zeigt
die Materie an , Woraus ein Ding besteht als :
leinen, papieren > metallen, golden, aäsuren, sil-
bern, marmorn, purpurn, bleyem, hökerii,
wächsern, elfenbeinern. Die Endsylbe ern
ward yon unsern Alten seltener gebraucht; sie
sagten . Heber : holzen , wachsen , elfenbeinen ;
weichet wohlklingender und analogischer war>
als unsre Neuerung. Auch hiefs dieses en ehe-
mahls in: güldin, silberin, seidin, gläsin,^ gleich-
sam in Gold, in Silber, in Seide, in Glas.
Wenn wir noch kein Beywort in der Spra-
che haben, ein Ding zu bezeichnen, das gans
aus einer gewissen Materie gemacht ist , so be-
helfen wir uns mit zwey Wörtern , und setzen
das Vorwörtlein von vor das Nennwort, als:
eine Puppe von Teig, ein Schale von Steinsalz;
oder wir setzen zwey Nennwörter zusammen:
eine Zuckerpuppe, ein Schneemann) wodurch
das Wort an Kürze gewinnt Aus dmet Ursa-
m'
178
che haben wir nicht nothig neue Wörter mit
dieser Endsylbe zu bilden. Die Oberdeutschen
Wörter fleisch ene Speisen y oder fleischer-
ne Speisen sind weder so kurz^ wie Fleisch-
speisen > noch wohlklingender^ als ^Speisen von
Fleisch. Doch wird das Wort auch im Hoch-
deutschen angenommen I w^nn man ihm eine
glückliche Stelle zu geben weifs, und, zum Bey-
spiel , mit dem Theokritus sagt :
.^ .^ ... .^ ... Dir bat Ton goldenen Fischen getrSumet:
Willst du nicht verhungern, so mufst du Aeischene suchen.
Auch in sittlichem Verstände^ wenn man mit
Luthern das Weiche dem Harten entgegen set-
zen will^ kann man sagen: Ich will das steiner-
ne Herz wegnehmen , und euch ein fleiischemes
geben.
Ein g&nz neues Wort dieser Art, nehitilich
das BejTv^ort wässern ^ hat Bodmer glücklich
. gewagt, etwas zu bezeichnen, welches ganz von
Wasser ist. Er sagt von Schiffen , welche mit
.einander einen Wettlauf hielten: Sie flogen auf
wässerner Rennbahn. Eben dieses Wort ge-
' braucht auch einer unsr^r angenehmsten Dichter,
wenn er einem Frosche dankt , dafs er durch
seine, Vermittelung Wasser gefunden habe:
Irrend, vom Schatten der Nacht umgeben, vom Durste ge-
peinigt,
, Hört* ich deine Musik aus dem Geröhre des Pan,
'79
Folgte d^r Orgel, die du in deinem waaiernen Tempel
Rüstig «piekest« und fand seelenerquickendes NaTs.
F'trmiichie Gedichte von I, JV, Götz, I, Th. Pag. lAg,
Alle diese Beywörter leiden in ihrem eigen-r
thümlichen physischen Verstände gar keine Ver-
gröfsening. Golden, steigern, hölzern heifst
schon ein Ding, das ganz von Gold, von Stein^
von Holz ist; durch den /Komparativ und Super-
lativ kann nichts mehr hinzugesetzt werden, aus*^
genommen, wenn man das Wort in einem an-
dern Verstände gebraucht , als, hölzern sxatt
dumm:
• •*-> — Sie liefs die Augen sprechen :
Doch 'vrer war hölaerner» als Er ?
Steinern Statt hartherzig:
Die ihren Schafer liefs vor ihrer Schwelle sttrbeD^
Alcimadure , war nicht steinerner, als du.
Eben so auch golden, statt theuer.
Kostbare Zeit» mir goldener, als Gold.
Oder auch golden, statt goldfarbig oder gelb. So
sagt Fleming in einem seiner Sonnette vom Bern-
stein, dafs sein Schein, goldener sey, als des
Goldes von Peru: das heifst, dafs er eine besse-'
re Goldfarbe habe.
, Am allerwenigsten lassen sich aus diesen
Beywörtern in en Nennwörter bilden. Man
kana nicht sagen die Goldenheit, die Sil-
M a
i8o
befnheit Der Begriff golden , silbern, das
ist, von Gold, von ßüber, kann nicht schick-
lich zu einer Person erhoben werden, wie durch
die Eudsylbe heit geschieht.
Es giebt noch andere Beywörter in en, die
sich nicht allein vergröfsern, sondern auch zu
abzezogenen Begriffen in Substantire yerwandeln
lassen. Dergleichen Beywörter aber werden
nicht, wie die angeführten, aus Nennwörtern
gebildet, sondern aus 21eitwörtern, deren Parti-
cipien sie eigentlich ausmachen. Von verwir-
ren wird verworren, verwornener, am verwor-
rensten, die y^worrenheit; von entschliefsen
wird entschlossen, entschlossener, die Entschlos-
senheit abgeleitet. Eben dieses gilt von trun-
ken, vergessen, verlegen, verwegen, belesen,
und andern verbalischen Adjektiven.
//^. y^onden Beywlxnem mit der Endsylbe ich^.
Die End$ylbe icht hiefs ehemahls acht ig:
man sagte steinachtig, was für Stein zu ach-
ten i$t; hierauf steinacht, alsdiann stein-
echt, und endlich steinicht. Diesen Ur-
3prung sieht man noch im Dänischen, wo die
Endsylbe eines solchen Wortes agtig, und itß
Schwedischen, wo sie ackteg lautet.
Der Unterschied zwischen der Endsylbe icht
und der Endsylbe ig ist auch von guten Sehnig-
stellern venucUafsigt worden: weil sie sich auf
i8i
den feUerbaften Gebrauch ihrer Vorgänger ver-
liefsen, und zu grammatischen Untersuchungen
nicht Zeit oder nicht Neigung hatten. Der Un-
terschied ist gleichwohl sehr einleuchtend. Ig
zeigt ein ^igenthum an, ein Haben, ein Besit-
zen; icht aber zeigt etwas an, das gleich zu
achten ist, eine Gleichartigkeit, Wir sagen:
langwollige Felle, das ist: Felle, die lange
Wolle haben; und sagen: ein wo Hiebt er Him^
•mel, ein Himmel dessen Gewölk *der Wolle
gleicht, und wollene Kleider, die ganz von
Wolle sind. £ii^ haariges Gesicht, ist ein
Gesicht, das Haare hat; haarichtes Silber ist
Silber, was Haaren ähnlich) was haarförmig ist;
ein härenes Sieb, ein härenes Hemde ist
ganz von Haaren. Der kupfrige Kolbergische
Seesand hat wirkliches Kupfer bey sich; eine
kupferichte Haut ist blofs dem Kupfer ähn-
lich; ein kupferner Kessel ist ganz von Kup-
fer, Der steinige Weg hat wirkliche Steine;
die Steinich te Birne hat steinartige, steinähn-
liche Körner; der steinerne Krug ist ganz
von Stein. Der Buxbaum ist hartholzig, hat
hartes Holz; der Apfel ist holz icht, dem Hol«
ze ähnlich, holzartig; der Zober hölzern, ganz
von Holz. Eine bergige Gegend h^t Berge;
(las bergichte Meer wirft Wel)en, die den
Bergen ähnlich sind. Eine holperige Strafse
hat harte Unebenheiten oder Holpern; eine hol»
l82
perichte Schreibart ist solchen Holpern ähnlich.
Das Euter (eine Lieblingsfpeise der Römischen
Leckermäuler) ist milchig , hat noch Milch;
der Saft der unreifen Feige ist milchicht oder
milchartig ; auch eine gewisse Gemiithsart (nach
Wielands Ausdrucle im Könige Lear) ist mil-^
ch i ch t , der weichlichen Milch ähnlich. Das Chi*
nesische Porzellan ist gl a sieht , glasartige der
Kronleuchter ist gl äs er p, ganz vönGlaTs. Die
Haut einiger Thiere ist hör nicht, dem Hom *
ähnlich 9 hornartig; die Dose ist hörnern,
ganz von Hom. Bluhmichte Fensterscheiben
nennt Zachariä die gefrornen Fensterscheiben,
weil sie den Bluhmen ähnlich sind; die Wiesen,
die wirkliche BlUhmen haben, nennt Kleist
bluhmige Wiesen.
Mit Recht sagt man also: der Apfel hat ei-
nen weinichten, weinartigen Geschmack. Das
Wasser dieses Brunnens schmeckt tinticht,
grasicht: der Tinte, dem Grase ähnlich. Ge-
wisse Anten schmecken fi schiebt, einige Nüs-
se öhlicht: Fischen ähnlich, dem Öhle ähnlich.
Dieses weifse Wachslicht riecht talgicht, wie
Talg. Diese seidenen Zeuge sind flammicht,
ilammenartig gewebt. Das Brot ist schwam-
micht, schwammartig; der "" Apfel pelzicht,
zähe wie Leder oder Pelz. Der Salpeter schiefst
strahlichtan^ der Spiefsglaskönig ist strah-
licht, strahlenähnlich. -^ Diese Beyspiele mö-
. i83
gen liinlänglicli seyn, den rechten Gebrauch un-
serer Endsjlbe zu bestimmen.
Von den ßey Wörtern in ioht bilden wir den
Komparativ häufige wir sagen: weit glasichter;
aber den Superlativ vermeiden wir gern. Am
gl$i sieht sten. ist Deutschen Zungen und Oh-
ren zu hart. Wir können zwar ein e dazwi«
sehen schieben y und sagen am glasichtesten;
welches aber drey kurze Sylben giebt> die we«
gen der schnellen Aussprache , die sie erfodern,
unv^rnehmlich klingen. Besser also , wir neh-
men alsdann unser Wort artige das ist^ Art
habend zu Hülfe ^ und sagen: am glasartigsten.
Eben dieses Wort artig gebrauchen wir,
wenn es nöthig seyn sollte dergleichen Beywör-
ter in Nennwörter zu verwandeln , einen abge-
zogenen Begriff damit auszudrücken. Wir sind
alsdann nicjbt ^o hart j dafs wir die Milchicht-
heit oder Milchichtkeit sagen sollten , sondern
brauchen dafür das Wort 'Milchartigkeit, oder
sagen: das Mjlchichte, das Milchartig^.
Zuweilen kann es ziemlich gleichgültig
seyn, ob man einem Worte die Endsylbe ig
oder ich t giebt: und fjsdann zieht man das
ig billig vor^ weil es wohlklingender ist. Ich
kann, zum Exempel, sowohl ranziges als ran-
zichtes Speck sagen. Im ersten Falle wurde es
heifsen:' Speck; welches, etwas vom Gerüche
des Ranzens der Thiere hat: und im andern
i84
Falle: Speck, welches dem Gemche des ranzen-
dea Thieres gleicht, ähnlich ist Eben so kann
ich sagen ein windiger und ein windichter
Mensch« Das erste bezeichnet einen Menschen,
der Wind hat, nehmlich in verblühmtem Sin-
ne, der das leere Geräusch des Windes hat;
und das andre beaeichnet einen Menschen, der
dam Winde an leerem Geräusche gleicht. Ade-
lung sagt im Wörterbuch: ein windiger Mensch,
und Wieland in seiner Übersetzung Lucians:
ein windichter Aufschneider«
Einige, schreiben unsre adjektivische End-
sylbe Icht mit Unrecht igt« Dieses igt ist in
der Deutschen Sprache eine Biegungssylbe der
Zeitvrörter in igen: Er steinigt, ihr steinigt;
und ihrer Participieu : gesteinigt, der Gesteinigte.
V^ Von den Beyrwortem mit der Endsylh^
Die Endsylbe lieh (welche Einige mit der
Endsylbe ig rerwechselt und lig gesdurieben
haben) scheint ihrem Ursprünge nach so yiel
SU bedeuten, als gleich, Plattdeutsch lik od^r
glik« Im Angelsächsischen lautet sie lic, im
Dänischen wird sie lig- geschrieben, im Engli-
schen heifst sie ly, und ehemahls bey uns
leich und- lieh o« Sie wird auf »weyerley Wei-
se gebraucht«
i85
1« Hängt man sieiso wohl an die Nenn'WÖrter^
als an die Beywörter und Nebenworter. Zum
Exempel: königlich 'speisen, gleich einem Köni-
ge; väterlich sorgen^ gleich einem Vater; brü-
derlich lieben^ gleich einem Bruder; bürgerlich
wohnen^ gleich eineni Bürger; fugendlich
schwärmen, gleich der Jugend. Und eben so
festlich, weltlich, männlich, Jungfräülichy mansch-
lieh, göttlich, u. a. m.
Eben so wird sie auch unsern adjektivischen
und adverbialischen Stammwörtern angehängt.
Wir sagen: füfslich^ »äuerlich, bitterlich, grün*
lieh, bläulich, schwärzlich: was nicht ganz
süfs, sauer, hitter, grün, blau, schwarz ist,
aber diesen Eigenschaften doch am meisten
gleicht. Eben so bilden wir auch ältlich, dick-
lich, hirtlich, gröblich, kränklich, schwächlich,
weichlich, und viele andre: wpbey wir den Be«
griff der Ähnlichkeit sogleich empfinden, sobald
wir das Wort nur hören.
Bey dem meisten dieser ^Wörter werden
die voller . klingenden Vokale ihrer Stammwör«
ter in dünnere Vokale verwandelt; aus a, o, au
wird ä, ö, äu, gemacht; aus blafs, bläfslich,
aus roth röithlich, aus braun bräunlich, u. s. w.
2. Wird die Endsylbe lieh an die Zeitwör-
ter gehängt, und da könnte es scheinen, als
wenn sie hier so viel als leicht, Plattdeutsch
licht bedeutete. . Was leicht zu thun ist, das
i86
ist thuDlioh; was wir leicht mögen, ist um
möglich. — Diese Wörter , bildet man aus den
Infinitiven der Zeitwörter^ die ihre Biegungssyl-
be en zuvor abwerfen^ als: beweglich, zerbrech-
lich, erweislich, begreiflich: was leicht zu bewe-
gen ist, oder was sich leicht bewegen, zerbre-
chen, erweisen, begreifen liUst; endlich, schick-
lich, veränderlich: was sich^ endet, sich schickt,
sich, verändert; verächtlich, üblich, gebräuchlich,
merklich: was zu verachten ist, .oder was ver-
achtet, geübt, gebraucht, gemerkt wird Und
eben so auch verdaulich, erträglich, glaublich,
bedenklich, unerbittlich, unbezwinglich , unbe-
stechlich , und himdert andre. Wobey zu- be-
merken ist, dafs ein solches Bejrwort ohne die
verneinende Vorsylbe un oft gar nicht gebräuch-
lich ist. Aufhörlich, auslöschlich sind
nicht im Gebrauch, und noch weniger hör lieh
und lösch lieh; aber unaufhörlich, unauslösch-
lich gebraucht und versteht jedermann. Eben
dieses gilt auch von den Wörtern unwidersteh-
lich ^ unentgeldlich , unvergleichlich^ unüber-
steiglich, uiyl andern mehr.r Neue Wörter die-
ser Art lassen sich noch viele erfinden, und
viele sind auch schon erfanden worden.
Komparative ^ und Superlative werden aus
den Bi^y Wörtern in lieh häufig gebildet:
menschlicher, am menschlichsten, verträglicher,
am verträglichsten. Aueh lassen sich manche
187
SubstantiTe daraus bilden ^ die einen abgezogen
aen Begriff ausdrücken^ als: die Menschlich-
keit^ die Verträglichkeit > u. a. m.
Merkwürdig ist die Verlängerung, die ver-
mittelst dieser Endsjlbe lieh gemacht wird, um
Nebenwörter zu bilden« Man verlängert nehm-«'
lieh damit die Beywörter in ig.^ Nach der Ana-
logie des Nebenworts lediglich, welches schon
längst eingeführt war, finden wir, besonders bey
unsern Alten: ewiglich, grimmiglich, zorniglich,
fleifsiglich, heftiglioh, ängstiglich , von dem
Oberdeutschen B^ywort ängstig; imgleichen
wilUglich, listiglich, trotziglich, elendiglich: lau-
ter Adverbien, die auch von neuern guten
Schriftstellern gebraucht sind* In Wielands <
Schriften finden wir: mächtiglich, züchtiglich,
brünstiglich , demüthiglich , groCsmüthiglich, ein-
fältiglich, andächtiglich. Aristoteles rechnet die
Verlängerung der Griechischen Wörter zu dea
vielen Mitteln, die poetische St^rache von der
prosaischen ein wenig zu entfernen; und nach -
diesem Grundsatze wären diese Oberdeutschen
verlängerten Neben wörter nicht zu tadeln; und
noch weniger zu tadeln , wetm sie mit ihren .
Stammwörtern bibht völlig einerley wären, son-
dern zuweilen eine kleine Veminderung des^
Begriffes andeuten sollten. Sie ging züchtig-^
lieh : einer Züchtigen gleich ; sie vergab dem
Bubler grofsmüthiglich : gleich einer Grpfsmü-
i88
thigen; sie setzte sieh in den Kirchenstuhl an*
dächtigUch: gleich einer Andächtigeii.
yi. Von den Beiwörtern mit der Endsilbe sam.
Die Eadsylbe sam war ursprÜDglich eine
Vergleichungspartikel I uxmI bedeutete als oder
gleich. In dem alten Minneliede des Marg-
grafen Otto von Brandenburg heifst es: In sol^
eher Röte, sam ein furig Flamme i als einefeu-
rige Flamme. Sie Iahtet j sam^ die Sonne: sie
leuchtet, als die Sonne , gleich der Sonne.
Der Bejwörter, die auf sam ausgehen,
sind wenige aq der 2jahL Man sieht leicht die
Ursache: die Endsylbe sam kömmt mit der End-
silbe lieh (gleich) iiberein. Sie wird, wie die-
se, an Nennwörter und Hey Wörter, und auch,
so wie diese, an Zeitwörter gehängt. Beispiele
von der ersten Art sind folgende. Grausam,
von dem Nennwerte Graus gebildet^ würde
im Lateinischen heifsen: horrori simile; un-
wegsam, von dem nicht mehr gebräuchlichen
Nennworte U n w e g : viae non viae simile; selt-
sam, von dem alten seid, (selten) raro simile;
einsam, sali simile^ von ein, welches im Frän*
kischen soviel als solum bedeutet. Der alte
Übersetzer der Harmonia Evangelistar um, des
Tatianus sagt: In themo einen Brote ni übet
der Mann; non. pane solo vivit homo. Von
diesem Ein kömmt auch Einsiedel , Einsiedeley
her , welches so viel als AUeinsitz , AUeinwob^
nung bedeutet; denn Siedel heifst Sitz: ein
Wort^ ^ovon das Zeitwort sich ansiedeln,
anstatt sich ansäfsig machen, noch im Geschäft«-
styl im Gebrauch ist. Eben so werden von den
bekannten Nennwörtern Gewalt, Wunder, Be-
dacht, Heil, Friede^ Tugend, Sitte die Bey wor-
ter und Neben Wörter gewaltsam, wundersam,
bedachtsam, heilsam, friedsam, tugendsam, ^it^-
sam gebildet wobey gleichfalls der Begriff einer
Gleichheit hervorsticht: gewaltsam, guod viq-
lentiae simile est; wundersa^i, quod miraculo
simile est; bedachtsam , quod circumspectioni si^
mile est vel convenit; heilsam, quod saluti
cont^enit; friedsam , quod päd convenit; tugen^
sam, quod wrtuti^ sittsam, quod bonis morif^
hus convenit vel simile estn
Noch öfter hängt man diese Endsylbe sam
an die Zeitwörter, eben so wie mit der End*
sylbe lieh geschieht. Zum Exempel: wer folg-
sam ist, der folgt leicht; wer wachsam, wirksam,
sparsam , sorgsam , arbeit^m ist , der wacht,
wirkt, spart, sorgt, arbeitet gern. Wer sich
leicht enthält, ist enthaltsam; wer sich sorgfal-
tig behütet,' ist behutsam; wer sich gern len-
ken läfst ist lenksam; wer Vieles er£ndet, ist
eriindsam.
Neue Wörter, wie das Wort erfindsam ist,
lassen sich von Zeitwörtern durch Hülfe dieser
Endsylbe noch mehrere bilden. Anstatt des
IQO ^ '
fremden Wortes tolerant ^ ist unlängst duld*
s a m eingeführt worden. Erwerbsam ^ etwas zu
erwerben geschickt^ hat der Übersetzer von Yo*
riks Reisen eingeführt. Aufwartsam^ fertig auf-
zuwarten, gebraucht Bodmer in der Kolombona.
Ausrichtsam y fertig etwas auszurichten , g^
braucht Wieland in Shakespears Sturm. . Über«
legsam, Fertigkeit besitzend allds wohl zu liber-
legen, hat Adelung als ein «neu gemachtes Wort
in sein Wörterbuch aufgenommen.
Durch Hülfe dieser Endsylbe unterscheiden
wir auch einige Wörter von einander. Bild-
lich heifst einem Bilde ähnlich. Ton dem Nenn-
Worte Bild; bildsam heifst , was sich leicht bü*
den läfsty von dem Zeitworte bilden. Heil-
sam, von dem Nennworte Heil, was zum Heil
dient; heilbar, von dem Zeitworte heilen,
was geheilt werden kann. Eine Handlung nen-
nen wir sittlich, eine Person sittsam. Wir sa-
gen: die gewaltige, Gewalt habende Person,. und
die gewaltsame Handlung. Eine Person, die
furchtsam ist, fürchtet sich; eine Person, die
furchtbar, oder eine Sache, die fürchterlich ist,
wird gefürehtet. Wer unduldsam ist, der dul-
det nicht ; wer iinduldbar ist , der kann nicht
geduldet werden:
— - — - Ein um unsre Schuld mitwissend Hausgesind
Ift «in Tyrann» un duldbar in di« Lange.
^ Nicola/.
Zum Unterschiede vo» empfindlich, welches
in sittlichem Verstände eine fehlerliafte Eigen-
schaft bezeichnet, 'hat man das Wort empfind-
sam eingeführt, eine gute Eigenschaft dadurch
anzudeuten. Es ist aber^ wegen vieler Perso-
den , die sich mit Empfindsamkeit zieren wollen,
sehr zu besorgen, dafs dieses Wort s^ine gute
Bedeutung; wieder verlieren und nur dienen wird
eine vorgegebene zar teEmpfindung anzudeuten.
Dafs alle unsre Beywörterin sam von den
Beywörtern, die andre Endsylben annehmen,
unterschieden wären, kann man nicht behaup-
ten. Bedachtsam und ' bedächtlich , tugendsam
und tugendhaft, friedsam und friedlich , wun«
dersam und wunderbar, diensam und dienlich
sind gleichbedeutende Wörter. Von dergleichen
Wörtern pflegen daher einige wieder abgeschafft
zu werden.
Manche Schriftsteller haben aus den Bey-
wörtern in sam durch . die angehängte ^ Sylbe
lieh Nebenwörter gemacht. Wir finden bey Ei-
nigen heilsamlich; bey Opitzen grausam«-
lieh. Wernike gebraucht das Adverbium sitt-
sam lieh; Steinbrüchel in der Iphigenia des Eu-
ripides gemeinsamlich. Doch hat dieser Ge-
brauch wenig Nachahmer gefunden, weil die
Endsylbe lieh und sam gleichbedeutend sind.
Komparative und Superlative lassen sich
von den Wörtern in sam sehr gut bilden^, als:
gransamer , am grausamsten. Und eben so aucli
I^ennwürter, abgezogene fiegrifFe auszudrucken^
die Grausamkeit, Arbeitsamkeit , Sparsamkeit,!
Folgsamkeit , Furchtsamkeit , u. a. m.
Wird die Sylbe sam verlängert , so ist sie
in der Deutschen Prosodie bald lang, bald kurz.
Was wir aus dem Gebrauch einiger unsrer Ds^di*
ter hierüber abziehen können, ist folgendes.
Wenn vor den Sylben samer, same, sames
eine kurze Sylbe vorhergeht , so mufs sa lang
ausgesprochen werden, obgleich die Eadsylbe
e;ne blofse Ableitungssylbe ist. Dieses ist der
allgemeine Gebrauch. Würde dieses sa kurz
ausgesprochen, so bekämen wir bey manchem
verlängerten Worte, drey kurze Sylben hinter-
einander, als: tug^ndsamer, welches nicht wohl
auszusprechen ist* Auch beobachten dieses die
Poeten allemahL Zachariä in Miltons verlöre-
nem Paradiese schreibt:
••-—-» — —. Ihre barmoniacben Lieder
Hielten die sammtlicbe Höü' in aufmerkiamer Bewundruof.
Imgleichen;
— — ,— Den lElückweg ?ielleicbt durch diesen nimmer be-
tretnen
Unwegsamen Abgrund verbindre.
Wenn aber vor den Syjben samer^ same,
sames eine lange Sylbe vorhergeht, so wird sa
von einigen Poeten kurz, von andern lang aus-
gespro*
gesprochen. Der Übersetzer des verlorenen
Paradieses fäiigt sein Glicht mit diesem Hexa--
meter an:
Von dem ersten Vergehn des uagehortamen Mensehfn;
und an einem andern Orte heifst es:
Durch die u^ergrundllclie Tiefe inxc eiasaiAen Schritten.
Eben so auch Klopstock in diesen Ausgängen
seiner Hexameter: Einsame Höhlen — - mit
langsamem Schritte -^aus treuer sorgsamer Ahn-
düng — vom Blut der Grausumen trunken« —
Imgleichen Uz : Da lauschen furchtsame Nym-.
phen; — Pandions einsame Tochter. Auch Wie-
land: Almansor giebt den grausamen Befehl; —
der Tode grausamsten zu sterben soll er leben.
Ferner I. N. Götz: Damahls war er ein sittsamer
Hirt} — kleine Grausame; — seltsames Ding.
Nicolay, der Dichter^ sagt gleichfalls:
— — — Es geht
Des luftigen Altanes. Thüre
Kach einem einsamen Reviere.
Andere dehnen diese Sylbe sa ein* wenig,
Nlcolay, der kein Bedenken getragen hat> auch
diesem Gebrauche zu folgen^ sagt:
So Kfie ein Pantherthier« das auf einsamer ReiM.
Eben soWeilse in seinem Trauerspiele Krispus:
N
»94
In eine belsre Welt, in du frieduime ' Thal; •— >
Die Schande furcht* 'ich nicht meht , als den gräusämsteo
Tod.
Noch Öfter bringt er diese Sylbe als lang in den
Anfang des Verses :
Grausamer Krispus« kcb! wie heralich hals* ich dich! —
Grausamer Richard» nein! so schrecklich du auch biit.^
Grausame Roniginn! bedrängter Eduard!
Eben so accentuirt auch Elias Schlegel:
Grausame, ja! vielleicht hat man dich losgeaahleL
Oder n;ian bringt diese Sylbe in den An&ng
der zweyten Hälfte des Verses , wie Haller:
Ein trauriges Geschwarm einsamer Vogel schwirrsti
Hier sind noch ein Paar Exempel:
Friedsame gesellige Lanbe,
Mit Rosen und Geifsblatt gesiert. —
Wachsamer, als alles Gefieder,
Erlullt sie den dämmernden Hain*
In diesen Versen machen die beiden ersten Syl-
ben des Wortes einen ^Spondeus aus, den wir
im DeUamiren so aussprechen, dafs die erste
Sylbe, ob sie gleich in diesen Versen kurz sejo
sollte , dennoch . einen hohem Ton bekömmt,
weil sie die Wurzel des Wortes enthält, die
wir gern stärker accentüiren, als die blofse Ab-
leitungssylbe ; dieser Ableitungssylbe aber giebt
man einen halblangen Ton, man schleift sie
ein wenig, so wie wir es mit unsern zusam-
mengesetzten Wörtern gichtbrüchig, heifs-
hungrig, scheelsüchtig und hundert andern
zu machen pflegen, welche die Dichter gleich-
falls am liebsten in den Anfang des jambischen
Verses bringen»
Da bey der Aussprache der verlängerten
Sylbe sam auf beiden Seiten gute Autoritäten
vorhanden sind, so scheint es, dafs sich die Poe-
ten ihr Recht nicht werden nehmen lassen , ei-
nen. Gebrauch von derjenigen Aussprache zu
machen^ die sich zu ihrem Sylbenniafse am
besten schickt.
yiL Von den Beiwörtern mic der Endsylbe
bar.
Die Endsylbe bar scheint vo.n dem alten
und noch jetzt im Niedersächsischen gebiäuch-
liehen Zeitworte baren, tragen, (Englisch :
to bear) entstanden zu seyn, eben so, wie die
Lateinische Endsylbe fer in aurifer, fructifer,
ignifer, lucifer, opifer von ferro herkömmt.
Fruchtbar, lastbar, dienstbar, zinsbar, nutzbar:
was Frucht,' Last, Dienst, Zins, Nutzen trägt
oder bringt. Scheinbar, was den Schein an
sich trägt; steuerbar, was Steuer trägt; kostbar,
N3
106
was Kosten I furchtbar, was Furcht, undankbai^
was Undank tragt oder bringt.
Die meisten Beywörter in b a r werden abei
aus ZiCitwörtem gebildet, und bey solchen
scheint diese Endsylbe von dem alten Zeitwor
te baren, thun, verrichten, abzustammen, wo-
von noch im gerichtlichen Styl schalten und
gebaren übrigist« Alsdann bezeichnen diese
Wörter, eben so^ wie die mit der Endsylbe lieh
im zweyten Verstände, etwas das thunlich, dsu
möglich ist, wie im Lateinischen yacz7/j , possi-
bilis. — * Zu Folge dieses Begriffes heilst reiz
bar, was leicht zu reizen ist; als: reizbare Ner-
ven; untheilbar, was nicht zu theilen ist; un
heilbar, unbrauchbar , unzählbar, unschätzbar:
was nicht zu heilen , zu brauchen , zu zählen..
zu schätzen ist; u. a. m. .
Diese Endsylbe thut uns die besten Dienste
bey Erschaffung neuer Wörter, die wir aber au&
Zeitwörtern und nicht aus Nennwörtern ma-
chen, als: mahlbar, trinkbar, anwendbar, be-
handelbar, unhörbar, unbezähmbar, unfühlbar,
unveirwundbar , unbewohnbar, unaufführbar;
(von Schauspielen gebraucht) untrennbar, -uner-
i-eichbar, unstillbar, unfüUbar, unverhüUbar, un-
vereinbar , unaussöhnbar, unaustilgbar, unverlier-
bar, unerklärbar: lauter Wärter, die aus sehr
guten Schriftstellern hergenommen sind, und
den Vortheil haben, dafs sio wohlklingender
I
157
sind, aU die WöVter in lich^ die oft eben das-
selbe bedeuten. Die Wörter nntröstbar^ uaab'
sehbar, unauflösbar, unverzeihbar, unbezwing«
bar sind wohlklingender und neuer , als die
Wörter untröstlich , unabsehlich, unauflöslfch,
unverzeihlich, unbezwinglich ; und werden da-
her von den Poeten am liebsten gewählt«
Oft ist uns diese Ei^dsylbe nöthig, zwey
Begriffe von einander zu unterscheiden ^ als:
wunderbar von wunderlich, manobar von männ-
lich , ehrbar von ehrlich, unempfindbar , wenn
von Sachen , die nicht empfunden werden kön-
nen , unempfindlich , wenn von Personen, die
nicht empfinden, die Rede ist. Unbeträchtlich
heifst, was nicht zu betrachten werth ist; un-
betrachtbar, was nicht betrachtet werden darf,
wie die Bundeslade der Israeliten. Ergetzlich
wird von Sachen, ergetzbar (ein Wort welches
Wieland eingeführt hat) wird allein von Perso«
nen gebraucht. Was verführerisch ist, kann
verführen; was verführbar ist, kann verführet
werden.
Einige Schriftsteller, besonders in Ober«
deutschland, verlängern diese Beywörter in bar
durch die Endsilbe lieh, um NebeQwörter dar-
aus zu bilden. Wieland hat einige davon in
die Dichtersprache gebracht. Er gebraucht
sichtbarlich, dankbar lieh, unfehlba rl ich;
und in dem Roman Sebaldus Nothanker
ig«
halfst es von einer frömmelnden Jungfer : Ihre
Augen waren fast immer niedergeschlagen; doclx
wenn sie sie aufhob, war ihr Blick zwar sehr
durchdringend y aber ihre Augen £elen sogleich
wieder ehrbarlich nieder. Hier scheint
ehrbarlich so viel zu bedeuten ^ als: gleich
einer Ehrbaren,
Komparative und Superlative lassen sich
fast aus allen diesen Beywörtern bilden« Silber
ist ziehbarer I als die geringern Metalle; Gold
ist .das ziehbarste unter allen. Eben so auch
einige Nennwörter ^u abgezogenen BegrifFen,
als: Brauchbarkeit y Dankbarkeit , Fruchtbar«
keic. Strafbarkeit, u. a. m.
Mit dem Zeitmafs der verlängerten Sylbe
bar verhält es sich eben so, wie mit der ver-
längerten Sylbe sam: die Dichter gebraueben
einige davon bald lang^ bald kurz. Haller sagt
an einem Orte:
Furchtbares Meer der ernsten Ewigkeit»
Uralter Quell von Welten und von Zeltes*
An einem andern Orte sagt er:
Nicht fern von diesem streckt voll futterreicher Weide
Ein fruchtbares Gebirg den breiten Kücken her.
Auch Wieland sagt iin Oberen:
— . .*-. sich einen Weg eraswingt.
Der ihn in fruchtbare Gefilde . . . bringt;
\
r
^99
uixd in e^en demselben Gedichte:
— Wo ist der Stempel der Natur,
Der einen König macht» sichtbarer je gewesen?
Eben so heifst es in seinem Idris:
Bemerkt an seinem schönen Gast
Den uny^hehlbaren Kontrast;
und an einem^ andern Orte dieses Gedichtes:
Kein Gegenstand der unstillbaref) Triebe.
Die Regel, welche die Poeten iiie übertrcT
ten haben 9 ist bey dieser Ableitungssylbe eben
dieselb^i die sie bey der Ableitungssylbe samer
beobaofaten. Wenn vor den Sy Ibeki barer,
b a ^ e , bat r e s > eine^ kurze 3ylb0 vorhergeht , s6
wird.ba allem^hlläng iiU6gesprocheti.- Man ac-
eentuirf allemahlfu« Wandelbare Geschöpfe, fon-
derBare Gestalten, oEFehbarfe Gewalt, steuerba-
re Gütef; ' Wönii*aber t'or dfer Sylbe barer
eine lange Sylbe vorhergeht, sp wird ba von
Einigen kurz , ' yon Aridöli^n lang ausgesprochen.
Beyspiele' dör ersten Art^ sind folgende Ausgän-
ge von Hexametern ih Klopstocks Messiade:
Inr sichtbarer Schönheit — den furchtbaren Nah- .
men --^-'delh' dienstbare^ Aiige -^ den Straf ba-
ren meiden — seit undenkbaren Zeiten'— Ver-
sammlucfg'unzählb^rer Menschen.
20O
Bevspielc der andern Art sind folgende:
Durch Fromme He ucbeley, durch ehrfurchsvolle Mienen,
Schcinbdie Grofsmuth liefs ich mich su bald versühneo.
Weifse, in dem Trauerspiel Krispus*
Streitbarer Held, du fielst durch keines Feindes Hand,
Du fielst durch Meuchelmord*
Die oI)en angeführten Verse Hallers und Wie-
latids gehören gleichfalls hierher: Furchtbares
M< er ; — sichtbarer je gewesen. In diesen
Exempeln i^t das Wort von zweifelhaftem Tone
mit Fleifs in den Anfang des Verses oder Halb-
verses gebracht worden, wo es, jaus guten Ur^
Sachen, dem Ohre weniger auffällt.
Bey dieser Ungewifsheit der Quantität ha-
ben sich Einige durch eine Verküreting des
Wortes zu helfen gesucht* Uz schreibt : Hoch
über furchtbam Wäldern ;bin: e^n Vers>. der
hier wegen der dicht ^untereinander folgenden Kon^
sonanten t^ ein weiyig zu hart geworden ist. We«
niger hart ist bey eben diesem Dichter der Vers:
Von meinem dankbaru Saitenspiel ; und dieser
yonWeifse: Den strafbarn Gegenstand der Wollust
und der Wuth; . und diese von Nicblay; Das
nahe Ziel des nicht erhajtbarn Lebens; -^ der
unbezwingbarn. Pein mich au ei^tschlfigen. Am
wenigsten hart würde es seyn , weiin' auf der-
gleichen Wort. in arn ein Vokal folgte.
^01
I
I
/ , ■ -
Da die Poeten oft in 4em Falle slod> efnen
kleinen Mifslaut einer höhern Schönheit auizu-
opfern, so macht sich Wieland kein Bedenken,
diese Abkürzung öfter zu gebrauchen. Wir le-
sen in seinen Gedichten: Den unverlierbarn
Schatz; — uns drückt mit seiner ganzen Turcht-
barn Schwer^; — den unvergefs^barn Kufs; —
er nähert sich der unzugangbarn Grotte; -^
die unabsehbarn Flächen; — der Drang der un-
auflialtbarn Triebe., Eben dieser Freyheit be«
dient. er sich noch an mehrern Orten seiner
Gedichte. Man kann, den Poeten diesen Ge-
brauch desto eher verstatten, da das Ohr schon
ähnliqheir Tönß in unsrer Sprache gewohnt ist;
denn wir haben* einige Wörter in arn, deren
wir uQSr'bedienen ]^üssen• Wir sagen; die
Tartarnj-«- wer.mit Pindarn eifert Und
Lichtwehr :
Die, Ao über Barjrbarn siegen,
Sollen nicht »u lange kriegen.
Imgleichen Haller:
Die WelCf die Cäsar n dient, ist meiiier nicht mebr^erth.
VIII. Von den Beywönern mit der Endsylbe
h af t, \-
Die Endsylbe baft schlie&t den Begriff
von haben in sich ^ und kömmt also mit der
Sylbe ig überein. Schamhaft , ernsthaft^ tu-
gendhaft , feblerh^t j mangelhaft , gewissenhaft
202
Keifst: Scham, Ernst, Tugend, Fehler, Man-
gels Gewissen habend«
Anstatt dieser Endsylbe wird zu derglei-
' eben Substantiven oft das Wörtchen mülsig,
das ist, des Dinges Mafs habend, dem Dinge
gemäfs, hinzugesetzet, als: romanenmäfsig, nach
Mafs , nach Mafsgebung der Romanen ; schiiler-
mäfsig , nach Schülermafs. Eben so sagt man :
hasenmäfsig, eselmäfsig, buhlermäfsig, huren-
mäfsig, rlesenmafsig , soldatenmafsig, kinder-
mäfsig , baurenmäfsig , virtuosenmäfsig, ammen*
mäfsig. Diese angeführten Wörter haben alle
bereits die Sylbe haft bekommen, worunter
einige neu gemachte sind. Man findet in den
Schriftstellern : romanhaft, schülerhaft, hasenhair,
eselbaft, buhlerhaft, hurenhaft, rJeserihaft> sol-
datenhaft, kinderhafk, ob wir gleich das Wort
k i n d i ^ch schon haben, welches ein wenig här-
ter zu seyn scheint. Ferner: baurenhaft, ein
Wort, welches Frisch im Deutschen Wörter-
buche anführt; Virtuosenhaft, nach der Analo-
gie des Wortes meisterhaft geformt; am-
menhaft, , von der Amm^ etwas an sich ha*»
bend: ein Wort, welches Wieland sehr glück-
lich im neuen Amadis angebracht hat. Eben
dieser Dichter gebraucht in der -Klelia das
Wort knabenhaft, imidris das Wort nym«
phenhaft, im Oberon das Wort rosen-
haft , ein Wort, welches auch -mehrere Poe-
2o3
ten gebraucht haben. Im Agathon finden wir
das Wort launenhaft, nach der Analogie des
Worts grillenhaft^ ob wir gleich schon lau-
nisch in übelm und in' gutem Verstände lau-
nig in der Sprache haben». Dar launigste Ton,
sagt Lessing in der guten Bedeutung des Wor-
tes, und in der Übeln Bedeutung Pfeffel: ein
launischer Tyrann.
Weil man bey der Sylbe haft sich die
Worte etwas ansich habend sehr leicht
hinzudenkt, so kann man mit dieser Sylbe am
besten neue Wörter bilden, welche uns so-
gleich verständlich sind , sobald wir siö hören.
, Es ist. oben bey den Wörtern ii^. lieh ge-
sagt worden, dafs wir nicht gewohnt wären,
unsre adjektivischen :£ndsyibcn solchen Substan*
tiven anzuhängen, die bereits eitr ähnliches An-
gehängsei haben, um sie dadurch zu adjektivea
umzubilden. . Indessen hat es Wieland doch
gewagt, diese Endsylbe haft den substantivi-
schen V^rklainerungssylbea oben und'liiig an-
zuhängen., Er schreibt Veilchen haft, früh-
ling haft* Dieses ist nicht zu kühn. Bey den
Wörtern Veilchen und FrühHng gedenkt man
nicht mehr an ihre Endsylben, sondern hält, sie
schon für Stammwörter, denen die Endsylbe
haft zukömmt. Der Übersetzer von Klinkers
Reisen wagt mehr: er rhängt sie an die subr
stantivische JSndsylbe nils, und schreibt be^
204
gräbnifshaft« Doch bejr eiziem. solchen zu-
ent gewagten Worte kömmt alles auf die Gat-
tung der Rede an , in der man es gebraucht,
auf die Stelle, wohin man es setzt, auf die
Person y der man es in den Mund legt. la
scherzhaften Werken erlaubt man sich oh^ was
man in Ernsthaften sich nicht eriauben würde.
Die Endsylbe haft wird zuweilen durch
die Eadsylbe ig verlängert« So wie wir sagen
wahrhaftig, leibhaftig, theilhaftigi so sagt der
Übersetzer "von Klinkers Aeisen ernsthaftig.
Bey Andern finden wir und hören auch im ge-
meinen Leben: gewissenhaftig, schwatzhaftig,
standhaftig, dauerhaftig, lebhaftig, und mehre-
re Verlängerungen dieser Art. Hieraus bilden
wir Nennwörter in keit für abgezogene Begrif-
fe, welche sich aus der blofsen Endsylbe Jiaft
nicht ohne die allergröfseste Härte würden bil-
den lassen, als: Wahrhaftigkeit , Ernsthaftig-
keit , Gewissen haftigkeitV ächwatzhaftigkeit,
Standhaftigkeit, Dauerhaftigkeit, -Lebhaftigkeit,
u. a. ra.'i Vielleidit hat man diesen gewils spä-
ter eingefül^rten Substantiven zu Gefallen den
Altern Adjektiven in haft diese ihnen sonst
unnöthige Sylbeig angehängt^ damit zwischen
dem neuen Substantiv und dem alten Adjektiv
mehr Gleichförmigkeit -herrschen möchte. Un-
sre Alten bedienten sich dazu des i>lofsen Vo-
kals iy sie sagten: Wahrhaftikeit; wodurch das
Wort an Wohlklang gewann.
stoS
Bey der SteigerAog der Wörter in haft ist
nichts zu bemerkto, als dafs die Sylbe haft
bey der Verlängerung des Wortes lang wjrd^
und dafs also dergleichen Wörter von de.n Poe-
ten am besten in den Anfang, sowohl des Ver-
ses^ als des mittelsten Abschnittes ^ gebrächt
werden.
Era^chÄfter war der Maan, scbalkhafur Yfv das Weib.
Wenn man die Sylbenmafse der Griechen und
Römer gebraucht ^ so bringt man sie, was den
Hexameter betriiFt, in den Anfang desselben;
Kein Zaghafter erhält den Kran«, der die Sieger erwartet.
Wenn man die Skazonten oder so genannten
hinkenden Verse der Alten nachahmen will, so
kann man sie bequem an das Ende bringen:
Bescheidner war Dorant, und Tbraso prahlhafter.
t
Auch bringt man sie zuweilen in die Mitte des
Pentameters, wo zwey lange Sylben zusammen-
stofsen:
Billig ist Lydia tchamhafter bey Tag', als bey Nacht.
I
Oder in die Mitte des Asklepiadeischen Verses,
wo der Abschnitt ist:
Fürstentochter^ noch bosbaTter, ala Tullia.
206
Oder des grösserii Asklepiadeischen Verses^ der
£wey Abschnitte bekömmt:
Nach dem Muftte/ der sundbaFcen und streitbaren Semi-
ramis.
Man sieht leicht^ dafs man auch die Endsylbe
samer und barer an gleiche Stellen hinbrin-'
gen kann. Eben dieses gilt auch von unsem
zusammengesetzten Wörtern aller Arten, als:
glanzvoller^ Einsiedler, Mordscene, ausdaureiij
Anbeter und unzähligen andern, die unsre
Sprache zu einer spondeenreichen Sprache ma-
chen.
^^7
jf n h a n g.
Aufser diesen Beywörtern, die mit unsem acht
End^ylben gebildet werden/ müssen wir noch
UQsrer Stammbeywörter erwähnen. Der-
gleichen sind die Wörter: alt, blind , dreist,
faul, gut, hart, jung, und etliche Hundert an-
dr«. Sie sind , . wie es .Stammwörtern gebührt,
einsylbig. Der Stamm des Wortes^ wie des
Baumes, steht zuerst einzeln da, und verbrei-
tet sich hernach in Zweige, als: süfs, füfser,
SUfsigkeit, Süfsigkeiten. Wäre das Stammwort
schon mehrsylbig,' so entstände durch die hin«
zukommenden Sylben eine Weitschweifigkeit,
wie im Italiänischen , wo aus dolce zuerst dol-
cemente, und endlich dolcissimamente
gebildet wird. •
Doch giebt es auch einige zweysylbige
Stammbeywörter im Deutschen, welche durch
die Vorsylbe ge dazu gemacht worden sind,
da sie vorher im Niederdeutschen einsylbig wa*
ren. Aus sund (bist du noch s und?) machen
wir im Hochdeutschen gesund. Das Plattdeut-
sche nau (mit nauer Noth) verwandeln wir in
genau. Aus dem Plattdeutschen Nebenworie
wi/s (wifs und wohr) machen wir gewifs. Das
Hochdeutsche gering heifst im Plattdeutschen
V*-,
20Ö
ring. So hieis es schon bejrm Kero, und so
heifst es auch im Schwedischen. Geiind hiefs
ehemahls lind, und wird von neuern Ppeteo
wieder eingeführt 9 und dem Westwinde gleich-
sam als ein beständiges Beywort gegebeja; über-
all lieset man: der linde West.
Andre zweysylbige Beywörter> welche die
Endsylben el^ en, er bekommen haben, siad
theils urrprünglich einsylbig gewesen, als sauer,
welches säur hiefs > Englisch sowr. Holländisch
zuur, im Plattdeutschen, Schwedischen, An-
gelsächsischen sur; selten, welches, Angel*
sächsisch seid hiefs, und im Plattdeutschea
sein heilst: — « theils sind es keine wahren
Stammwörter, sondern abgeleitete Wörter. So
ist ätt, das Geschlecht^ wovon Atta (Vater)
in sehr vielen Sprachen vorkömmt, das Stamm«
wort von ed*el, generoskisi ätt bekömmt
nehmlich die Ableitungssylbe el. — Öd, va-
nuSf ist, nach Adelungs Meinung, das Stamm-
wort von eit-el, und die Sylbe el die bekann-
te angehängte Yerkleinerungssylbe ; wie in dem
Worte Schwertel, gladioliiSy und vielen an-
dern. — Dunkel heifst in dem verwandten
Englischen dun. Auch heifst im Isländischen
dunkr (mit Einer Sylbe) und im W^Uisischen
du schwarz, so dafs die Endsylbe in dunkel
die Stellender ähnlich machenden Endsylbe lieh
vertritt, und also das Wort, so viel als schwärz-
lich
209
lieh bedeutet. — Trocken (bey Einsgen
treug, Plattdeutsch drög, Englisch dry) ist,
nach Adelung3 Meinung , Ask& Participium einet
veralteten Zeitwortes; dieses Zeitwort heiist jetzt
im Plattdeutschen drögen^ trocknen. -— Bit-
ter, welches im Holländi6chen ^ Englisch en^.
Schwedischen, Dänischen eben so, und im Au-
gelsächsischen, biter laute t, kömmt ohne Zwei-
fel von dem Zeitworte biten» beifsen her:.
Wat bit, isbitter, würde der Plattdeutsche
Etymologist sagen. — Mager lautet im Hol-
ländischen^ Schwedischen und Dänischen gleich-
falls mager, im Angelsächsischen maeger, im
Englischen meag er, Im Lateinischen macer,
im Italiänischen und Französischen magre und
maigre. Das Glriechische* /<<»(•;. ist damit ver«
wandte und besitzt den dünnesten Vokal i, der
sich auch (Zur Kleinheit und Magerkeit am bes-
ten schickt. Wenn das Deutsche mager, nach
Adelungs Muthmafsung, mit den yorgenannten
zu Einer gemeinschaftlichen Quelle gehört, so
wird das alte Wort vermuthlich einsylbig gewe*
sen seyn, ehe es in unster und den verwand-
ten Sprachen die Ableitungssylbe er, und In
der Lateinischen die Sylbe us, und in der Grle-
chischei; die Endsylbe o s angenommen hat.
Die übrigen vielsylbigen Beywörter der
Deutschen Sprache sind offenbar keine Stammr
Wörter , sondern yon Zeitwörtern abgeleitet wor*
den: es sind dla Partioipien derselben, als: ge-
saken , gefangen , geladen , gespalten , gebogen,
gebrochen ,« getreünety gebrannt, verwandt, ent-
fernt» entzückt, befestigt, vollendet y und an-
dre mehr. Man nennt ein solches Wort im
Lateinischen ein Participium^ weil es so wohl
an ^m Zeit werte als Beyworte An t heil hat,
und im Deutschen Mittelwort, weil es zwi-
schen beiden das Mittel hält. — Beywörtem
dieser Art können wir am besten unsre Vernei-
nungspartikel un vorsetzen, als: unerwiesen,
unentschlossen , unberufen , ungesalzen , uuge-
gründet I unvollendet, u. s. w. obgleich ihre
Stammzeitwörter diese Verneinungspartikel nicht
annehmen , sondern sie erst bekommen können,
wenn dem un die Sylbe ver vorgesetzt wird,
aU: veruntreuen , verunehren , verunglimpfen.
Noch mehr vielsylbige Beywörter werden
durch die Zusammensetzung erhalten. Diese
sind in der That unzählbar: denn sie können
täglich vermehret werden. Dergleichen sind
diejenigen, die mit den Wörtern mäfsig, ar-
tig, fertdg, förmig zusammengesetzt wer-
den, als: titanenmäfsig , wellenartig, streitfer-
tig, eyförmig, u» s. w. Noch viele andre wer*
den auf ähnliche Weise mit Substantiven zusam-
mengesetzt. Wir sagen, eben so verständlich,
als poetisch: kräuterreiche Thal er, felsenfester
Glaube, freudenleere Tage, kummervolle Nach-
te, endloser Jammer.
5211
Wieder auf die einsylbigen Stammbeywör-
ter zurück zu kommen, so ist noch zu bemer*
keo^ dafs der Komparativ und Superlativ der-
selben zuweilen die Vokale a, o^ u^ au, in die
Zwiscfaenvokale ä, ö, ü, au verwandelt. Doch
behalten zum Glück die meisten ihre wohlklin-
gendem Stammvokale^ als: weit falscher, weit
matter, starxer, kahler, lahmer, toller, froher,
stolzer, morscher, stummer^ schlauer, rauher
und alle übrigen in au. Ja, man fängt schon
an bej Steigerung dieser Wörter die Anzahl ih*
rer bisher angenommenen Zwischenvokale ^ zu
vermindern, und spricht und schreibt: eine
schmahlere Gasse, der klareste Beweis, banger^
als jemahls: anstatt schmähler, klärer, bänger.
Nebenwörter, aber nur wenige, hat man
aus diesen Stammbejwörtern durch die beiden
aneinander gehängten Endsylben ig und lieh
gebildet. In Wielands Gedichte Geron der
biederherzige finden wir ' das Nebenwort
härtiglich, und in seinen Abderiten dasNe*
benwort fest ig lieh. Die blofse Endsylbe lieh
konnte hier nicht gebraucht werden* Festlich
(von dem Substantiv daS Fest) bedeutet ganz etwas
anders als festiglich; und hart lieh gleich*
falls etwas anders, als härtiglich. Durch
hart lieh wird allemahl in physischem Verstau-*
de ein wenig hart ausgedrückt, hier aber soll
es in moralischem Verstände genommen wer**
O 2
den: »Ich erinnre michs sehr wohl, • . . . wie
Ihr härtiglich mich abgewiesen.«
Nennwörter zu abgezogenen Begriffen las-
sen sich aus unsern einsylbigen Stammbey Wör-
tern durch die substantivische Sylbe heit in
grofser Anzahl bilden. Dergleichen sind: die
Blindheit, Dummheit, Echtheit, Falschheit,
Faulheit, Feinheit, Frechheit, Freyheit, Geil-
heit, Gleichheit, Kargheit, Keckheit, Keusch-
heit, u. a. m. Imgleichen durch die ähnliche
Sylbe keit, wenn man vorher dem einsylbigen
Adjektiv die Endsylbe ig angehängt hat. Der-
gleichen sind: die Blödigkeit, Dreistigkeit,
Festigkeit, Feuchtigkeit , Frömmigkeit, Lauig-
keit, u. a. m. Unsre Alten b^halfen sich auch
hier mit den Vokalen i oder e Begreif der
Schalen Hänikeit heifst es in den alten Fabeln
eines Ungenannten $ und in dem Minnel^ede
des Grafen von Niuwenburg: Gewalt dur Milte^
heit, Gewalt dnrch Mildigkeit. -— So viel von
den Deutschen Beywörtern.
Der sprachkundige Philosoph Leibnitz
schreibt, er kenne unter allen Sprachen keine,
die philosophischer wäre, als die. Deutsche.
Damit aber die Ausländer unsre Sprache nicht
zu sehr beneiden, welche sie lieber barbarisch,
als philosophisch nennen möchten, ^ so wollen
wir hier noch bekennen, dals es unsrer Spra-
che eben so gegangen ist, wie allen übrigen.
2l3
Nicht den Philosophen^ sondern dem. Volke,
nicht den aufgeklärten, sondern den ersten ro-
hen Zeiten haben die Sprachen ihren Ursprung
zu danken: folglich haben sich auch in die un-
srige Abweichungen von unsrer Regel geschli«
chen. Man hat aber diese Abweichungen nicht
zu oft anführeä, sondern nur die Erfinder neu-
er Wörter auf den eigentlichen Genius der
Sprache etwas aufmerksamer machen wollen.
Karl ff^ilhelm Ramler.
2l4
lieber Artikel, Hiilfs - üncl Personenwör-
ter der neuem Sprachen , 'von loJiann
loachini Engel.
JL/ie neueren Sprachen verlieren in Verglei-
chung mit den alten unendlich durch das lange
Geschlepp ihrer Artikel^ ihrer Hülls- und Per*
sonenwörter. Schriftsteller, denen Nachdruck
und Eleganz nicht gleichgültig sind ^ vorzüglich
Dichter und Redner^ machen nur zu oft die
Erfahrung: wie viel die Kürze ^ die Kraft, die
Bündung des Styls bey dieser Einrichtung lei-
den. Es ist den Neuern fast unmöglich, in
Schilderungen so gedrängt, im Ausdruck der
Leidenschaften so starke in Sentenzen so kraft-
voll, in Gegensätzen so präcis, in witzigen Ein-
fällen so gespitzt , wie die Alten zu schreiben.
Inschriften, deren Seele die Kürze ist, wollen
in neuem Sprachen vollends gar nicht gelingen.
Bei allen diesen unläugbaren Nachtheilen
sieht unser vortrefflicher Sprachforscher, Herr
Adelung, in den Artikeln, den Hülfswörtern
Und den übrigen . Eigenheiten der neuern Spra-
chen nicht allein einen Beweis voti der fortge-
schrittnen Kultur unsers Geistes, sondern er
hält sie auch für eine Wirkung dieser Kultur,
für eine Frucht der immer wachsenden Klar-
21.5
heit und Deutlichkeit der Begriffe *). Nicht
etw^a nur Zufall/ sondern Überlegung^ Wahl,
Gefühl der Unschicklichkeit , dasjenige länger
dunkel zu lassen^ wovoii man sich endlich kla*
re Begriffe erworben , soll die Italiäner und
überhaupt die Völker , deren Sprachen Töch^
ter der lateinischen sind, dahin gebracht haben,
von ihrem Urbilde abzuweichen , Artikel und
Personenwörter einzuführen, und die verschie««
denen Verhältnisse der Begriffe nicht mehr
durch Biegungssylben, sondern durch eigene
Wörter auszudrücken. Dieses wenn auch nur
dunkel gedachte Absichtliche, was Herr Ade-
lung den genannten Völkern bei Veränderung
ihrer Sprachen unterschiebt, ist ohne Zweifel
der auffallendste Theil seiner Behauptung.
Wenn man ihm alles Übrige gelten läfst , so
kann man doch unmöglich in jenen so zwei-
deutigen Vortheilen mehr, als höchstens einen
glücklichen Fund erkennen, der in Zeiten der
Barbarey gemacht, und erst dann wieder her-
vorgesucht oder von auisen her angenommen
worden, als die Römer von der Höhe ihrer
Kultur längst herabgestürzt waren.
Veränderungen einer Sprache, wodurch zu-
gleich ihr ganzes Genie verändert, ihr ganzer
*) S. Magazin für die Deutsche Sprache r ersten Jahrgan-
ges cvreites Stuck. Nr. i.
2l6
innrer Bau zerrüttet wird , lassen sich überhaupt
weit weniger während des Fortganges der Kul-
tur,' als während eines gänzlichen Rückganges
derselben denken. Je mehr ein Volk in sei-
ner Sprache schon geleistet, je mehr Meister-
werke es darin aufzuweisen hat, und je ver-
breiteter unter demselben Geschmack und Lee-
türe sind, desto schwieriger wird jede in der
Sprache vorzunehmende Hauptverändrung. Man
setze f was wohl wenige zugeben möchten , dafs
die deutsche Art zu construiren vorzüglicher,
als die französische sey; man nehme an, dals
Franzosen, die dieses einsähen, die vortheilhaf-
te Neuerung eben jetzt, während der vollen
Blüthe der Litteratur, in die Sprache einzufüh-
ren versuchten: ist wohl irgend einige Wahr-
scheinlichkeit, dafs es gelingen sollte? Aber
nun denke man sich, dafs die Nation von Jahr
zu Jahr immer tiefer in Elend versinke, von
Geschlecht zu Geschlecht immer mehr verwil-
dre; man lasse die schönen Künste mir den
Wissenschaften gänzlich verschwinden, die vor-
trefflichen Schriftsteller im Staube der Klöster
Jahrhunderte 'lang vergraben liegen; man' lasse
deutsche Schwärme sich in alle Pro;(rinzen ein-
nisten und mit den Eingebornen zu Einem
Volke vermischen : wird es auch da noch unbe*
greiflich seyn, wenn die Nation ihre ehemahlige
Gonstructionsart unvern^erkt gegen die deut-^
sehe umtauscht? Und wenn diese , wie wir an-
«genommen, die vorzüglichere ist: wird die Spra-
che ihren gewonnenen Vortheil dem Fortscbrit-
te oder dem Rückgange in der Kultur zu dan-
ken haben? Auch wenn in der Folge die Na-
tion sich aus der Barbarej wieder aufraffte und
die so veränderte Sprache beybehielte; so wä-
re das nichts weniger^ als Wirkung der Ein-
sicht: es wäre nothwendige Unterwerfung unter
die Einmahl herrschend gewordne allgemeine
Gewohnheit.
In welchem Zustande Italien, und über-
haupt das ganze lateinisch sprechende südliche
und westliche Europa , eben in dem Zeiträume
war , da sich die jetzigen Sprachen zu bilden an-
fingen , ist jedem, auch dem mittelmafsigsten
Gefchichtkenner bekannt. Staate Wissenschaf-
ten, Künste, Litteratur, alles lag zertrümmert.
Theils bewirkte diesen traurigen Vorfall die ei-
gene innere Verderbnifs^ theils der verheerende
Einbruch barbarischer Völker, die freilich von
den Römern se^r vieles annahmen, aber ihnen
wahrscheinlich auch manches mittheilten. Wenn
e$ sich darthun lielse, dafs diese Völker jene
Redetheile: Artikel, Hülfswörter ,, Personenwör-
ter ih ihrer Sprache schon gehabt , und dafs die
Römer , durch heständ^en Umgang mit ihnen^
sich allmählig . an den Gebrauch ähnlicher Re?
detheile gewohnt hätten; so wäre es auf einmahl
2l8
um die Behauptung des Herrn Adelung gesche-
hen« Denn was j nach ihm , im Fortgange de^
Kultur, sich bey immer' wachsender Einsicht
von selbst nrüfste gefunden ^haben , das wäre,
beym Verschwinden aller Kultur, von völlig
fremden Völlcern hinzugebracht worden^ und
man dpnke, von was für Völkern! Wie glück-
lich würde sich Italien geschätzt haben , hätten
fene Barbaren eben so wenig Arm^ als Geist,
eben so wenig Muth, als Feinheit besessen!
Eine nicht kleine und meines Wissens noch
unberührte Schwierigkeit scheint es bey dieser
Hypothese zu machen: dais die Barbaren , die
fast das ganze Wörterbuch der Uberwundnen
annahmen', gerade jene Eigenheiten so hartnak-
kig sollten beybehalten, und dafs die Uber-
wundnen, die sonst ihre Sprache so ziemlich
fortsprachen , eben diese Eigenheiten sp allge-
mein sollten angenommen haben. Ein. dunkles
Gefühl gröfserer öder geringerer Vollkommen-
heit findet sich allerdings auch auf den unter-
sten Stufen der Kultur ; sonst wäre die Mensch-
heit nie aus der Barbarey hervorgegangen; nie
von niedern zu höhern Stufen emporgekommen.
Und wie ? könnte man sagen, wenn es eben die-
ses Gefühl gewesen wäre, was den einen' Theil
in der Beybehaltung jener Eigenheiten so hart-
näckig, den andern zu ihrer* Annahme so will-
fährig machte?
ai9
Es giebt y wenn man auch in der obigen
Hypothese bleiben \7ill ^ eine andere weit leich-
tere Erklärung der Sache. Einen grofsen Theil
von den Wörtern der Uberwundnen mufs»,
ten die Überwinder zugleich mit den Begriffen
annehmen 9 die ihnen, als einem .rohen VoliLey
fremd waren, und wpfür also ihre höclist arme
barbarische Sprache auch keine Zeichen hatte.
Uieher rechne ich alle Wörter, die zu den Kün-
sten des Luxus gehören^ zu den feinern gesell-
schaftlichem Verhältnissen und Einrichtungen,
zu den abstracten Begriffen der Seelenkunde,
der Sittenlehre, der Politik, die aus der ehe-
mahligen Philosophie in die Sprache Ubergegan-^
gen waren. Andre, die der Barbar in seiner
Sprache so gut, als der Italiäner in der seini-
gen fand, erwählte jener von diesem, weil er
die Nothwendigkeit fühlte, sich mit. ihm zu
verständigen , und weil es ihm weit leichter
ward, die weicheren Töne des Südländers nach-
zubilden, als diesem^ die rauhern Töne des
Nordländers. Die Wörter blieben also, dem
gröfsten Theile nach, in ihrem Grundstoffe rö«
misch; nur einige barbarische wurden einge-
mischt , und für mehrerer Begriffe entstanden,
eben wie im Englischen, zweierley Wörter, das
eine barbarischen, das andre römischeil Ur-
sprungs. Der öftere Gebrauch hatte jedem der
vermischten Völker die Benennungen des an-
220
dem geläufig gemacht , und für Reinheit der
Sprache trug man in jenen Zeiten der Verwil-
derung keine Sorge.
Anders verhielt es sich mit dem, veas im-
mer in den Sprachen das Schwerste, in ihrem
noch rohen Zustande das Mangelhafteste^ und
* bei ihrer Ausbildung das Letzte ist, mit der
Bezeichnung der verschiednen Verhältnisse der
Begriffe, mit der Verschmelzung der Neben-
in die Hauptideen, mit der Zusammenreihung
^ aller zu Einer Gedankenfolge. Wer hierin ein-
raahl eine gewisse Art.gefafst, sich aaeine ge-
wisse Methode gewöhnt hat, der braucht schon
viel Aufmerksamkeit , Nachdenken , Biegsam-
keit, um sich in eine ganz verschiedene Art
und Methode zu finden. Den täglichen Beweis
geben uns Kinder und Ausländer, wenn sie
fremde Sprachen lernen. Immer möchten sie
diese in die gewohnte Form der ihrigen beu-
gen; sie übersetzen von Wort zu Wort und
wo das verschiedne Genie der Sprachen diefs
nicht mehr gestatten will , da werden sie verle-
gen und irre. Was voa dieser allgemeinen
Bemerkung hieher gehört , ist die unter ihr be-
griffne besondre: dafs der rohe wörtliche Über-
setzer jeden Begriff, der in seiner Sprache ein-
zeln angegeben wird, eben so einzeln auch in
der fremden zu bezeichnen sucht. Wenn un-
sre Vornehmen, die von Jugend auf französisch
(
/
221
I
Stammeln^ sich einmahl zum Deutschsprechen
herablassen j so setzen insgemein* unsre . Bie-
gungsfälle sie in Verlegenheit; sie glauben « in*
dem sie heimlich aus dem Französischen über-
setzen , die Präposition nicht weglassen zu dür-
fen ; und so geben sie ein Geschenk nic|it dem
Freunde y sondern an den Freund, nicht dem
Sohn eines gewissen Herrn, sondern an den
Sohn von einem gewissen Herrn. :Der Barbar,
der in seiner Sprache jiedem Substantiv einen-
Artikel vorzusetzen, die Person b^ym Verbum
besonders zu bezeichnen und den Begriff des
Concrescirens^ wie es die Grammatiker nennen,
in gewissen Zeitfällen einzeln anzugeben ge-
wohnt war, behielt bey der Übersetzung seiner Ge*
danken, ins Römische diefe Gewohnheit bey, , zu-
frieden, nur verstanden zu werden, und um •
Richtigkeit und Eleganz unbekümmert. Der
Italiäner, der in seinem damahligen tiefen Ver-
fall gleiche Denkungsar t hatte, stammelte diese
immer gehörten Fehler nach, bis sie endlich
allgemelnje Gewohnheit, das heilst, bis sie Re-
gel wurden.
Ich habe hier diejenige Hypothese über den
Ursprung der nei^ern Sprachen, die,Maffei noch,
zu seiner. Zeit mit Recht die gemeine nannte,
aufs beste auszuführen gesucht. Die neuern
Gelehrten Italiens läugnen den Einilufs der
Barbaren auf ihre Sprache zwar nicht ganz, aber
die nördlichen Völker die zum Verbinden der
, Begriffe so unentbehrlichen Wörter seyn und
hohen f eher nicht kennen lernen, aU da die
Sprache der Römer schon so ausgeartet war,
daüi man statt /ecr sagte:- ego hoheo factum ^}.
Ich enthalte mich gern des tiefern Eindringens
in eine Materie^ die von meinem jetzigen
Zweck zu entfernt ist, und die ohnehin in ein
Alterthum hinaufführt, wo man nur noch
einzelne Spuren der Wahrheit bey sehr zwey*
deutigem Schimmer findet.
Man mag von den vorgetragenen Meinun-
gen beypHichten ^ welcher man will; man imag
mit dem Maffei glauben, dafs die. italiänische
Sprache y wie er sich ausdrückt, von. Kopf bis
zu den Füllen echt römisch ^&jp oder man
mag
*) De Hellenistica, Comment. p, 383. Duo illa i/erba^
auibus hodie elo^uutionem luam colligant et constru-
unt omnes HU septenirionales popiili, esse et habere,
Romäna plane sunt. Qui in aniiquUatiAujt Uaguae
Teutonicae et Saxonicae ^enati ^unt, affirmtmt carere
eos duobus Ulis, verbis, auibus tamquam vinculis hodie
utunCur ad coagmentandum sermonis sui contextum.
Et sane non "videtur antiquior haee- loquendi eorum m-
iiOf i^quani latinitatis inßmae, Non enim eam prius
usurpare coeperunt, quam, a Latinis ixßa^ßa^a^^tla-tt
usurpari coepta est. Tunc dixere: Ego habeo factum^
pro: Ego fecu Qnod Gdrmani \Bt €axones et Belgae
alii^ne septenttionales populi, quorum diaiecti hodie
nfigentf imitati sunt ae retinuen.
225
mag sie unter dem Bilde jenes Barbaren den-
ken , der über und über römisch gekleidet ging,
aber seinen, lieben altgothischen Bart nicht
missen wollte : die Behauptung des Herrn Ade-
lung sinkt bey der einen dieser Hypothesen
wie bey der andern. Denn was liegt daran, ob
es der ausländische Wilde oder der inländische
Pöbel war, der die Sprache der kultiyirtern
Welt verderbte : genug , dafs die hier ift Rede
stehenden Veränderungen offenbar keine Folge
wachsender , sondern zurückgehender Kultur
keine Frucht der Einsicht und des Geschmacks,
sondern der Unwissenheit und der Rohheit ge-
wesen. Ob übrigens diese Veränderungen für
die Sprache nicht sehr vortheilhaft geworden,
ist eine ganz andere Frage; clenn auch der
Wilde und der Pöbel kann einen sehr glückli-
chen Fund thun. Aber sollte diefs hier wirk-
lich der Fall seyn? Sollte wirklich der Italiäner
damit gewonnen haben, dafs er statt des kur-
zem: hdbuisset, fuisset^ nunmehr sageq kann;
€gl' averrebbe avuto ^ egli sarebbe stato?
Herr Adelung geht von dem Grundsatze
aus: dafs verstanden zu werden, die Absicht
der Sprache, und also möglichgröfste Klarheit
und Bestimmtheit ihr höchstes Gesetz sey.
Dieser Grundsatz an sich selbst ist sehr alts
aber völlig neu scheint mir die Anwendung^ di0
Herr Adelung davon macht. Neben dem hoch*
Steil Gesetze, denke ich, sollen nodi andre be-
stehen ; das höchste soll nicht das^ einzige Mejn^
nicht so tyrannisch über die Sprache herr-
schen, dats die Erreichung jedes andern durch
sie bezielten Zweckes unmöglich werde. Nun
aber ist der Zweck der Sprache nicht blofs Ge-
danken , sondern auch Bilder und Empfindun-
gen mitzutheilen ; zu erwärmen , zu rergniigen,
SU rühren* Nicht diejenige Sprache also ist die
vollkommenste, in welcher die Deutlichkeit,
mit Aufopferung aller Lebhaftigkeit, auf den
höchsten ersinnlichen Grad steigt, sondern die-
jenige, welche in der glücklichsten Verbindung
beiden Zwecken zugleich dient, und nicht blo&
dem Philosophen, sondern auch dem Redner,
flem Dichter gerecht ist. Wird aber nicht alle
Kraft ^ alle Wärme, alles Leben einer Sprache
verschwinden, wenn kein schneller Überblick
der Gedanken mehr möglich ist, wenn keine
Nebenideen mehr in die Hauptideen können
verschlungen werden, wenn jeder einzele Theil
eines logischen Satzes , jeder bedeutende oder
unbedeutende Nebenumstand sich nicht mehr
flüchtig andeuten läfst, sondern ausdrücklich
, einzeln gesagt werden mufs? Wie viel mehr
Leben und Feuer ist in den Worten des Rö-
mers: F^enif vidif vici^ als wenn der schlep-
pende Deutsche die handelnde Person und den
Umstand der vergangenen Zeit, die der Römer
a27
in die Hauptidee der Handlang mit hineinreifst
in einzelnen Wörtern hingiebt: ich bin gekom-
men, ich habe gesehen, ich habe gesiegt. Und
leidet denn etwa bey der Kürze des Römers die
Klarheit? Fehlt es ihm etwa in seiner Sprache
an Mitteln , wenn ja einmahl die Person oder
der Umstand der Zeit von Wichtigkeit ist sie
einzeln herauszuheben? Die unglückliche Kultur
unserer Zeitwörter scheint dem einen Zwecke
der Lebhaftigkeit unendlich geschadet und den
andern der Klarheit um nichts befördert zu
haben *).
Man gehe dem Begriffe nach, den Herr
Adelung von der Kultur der Sprachen angiebt,
und man wird sehen, dafs diese Kultur nur
noch einen ganz 'kleinen armseligen Anfang
genommen. Wie vieles wird noch immer durch
Biegungssylben , durch Umlaute, durch Zusam-
menschmelzungen blofs verworren bezeichnet!
Gesetzt nun, diese Kultur ginge immer weiter
und weiter, alle jene Gedankenverschmelzungen
würden in ihre Element^rtheile aufgelöst, und
*; Von dem Artikel indessen, der manche Zweydeutigkei-
ten 2u heben dient, gestehe ichs gern, dais er ein Vor-
thcilder neuern Sprachen ist, so wie 6r schon ein Vor-
»ug der . griechischen war. Nur mufs es nicht noth-
wendig seyn, dafs er jedesmahl dem Substantiv voran- ,
gehe; er mufs anch fehlen können, und das kann er
wirklich im Deutschen oft , weniT gleich zu wünschen
wäre , dafs ers noch öfter könnte.
p
a
128 ,
dadurch die vorgebliche DeutUchkeit auf den
höchsten möglichen Grad gebracht: welch ein
todtes , markloses , schauderhaftkaltes Ding
würde die Sprache werden ! Weg, wUrd' es hei-
ßen müssen 9 mit dem Geniti?! denn eine be-
sondre Präposition giebt Ja klärer das darin ver-
steckte Verhältniis an. Weg mit dem Plural!
denn ein eigenes Wort wird die Mehrheit schär-
fer, als eine Biegungssylbe oder ein Umlaut
bezeichnen. Weg mit dem Imperfectf denn
warum soll das Einverleiben von Prädicat in
Subjecti das Concresciren, weniger klar bezeich-
net werden , wo die Zeit nächst vergangen , - als
wo sie völlig vergangen ist! Weg mit dem Im-
perativ! denn wer wird die drejr Begriffe: des-
sen, der will 9 dessen, der soll, und der Sache,
die man will und die man soll, in die einzige
armselige Sjlbe : gieb ! komm ! sprich ! schweig!
so eng und erdrückend zusammenpressen ? Weg
überhaupt mit dem Verbum ! denn was ist die-
ser Redetheil anders, als Verbindung eines Prä-
dicats mit einem Subject, die man sich nicht
mehr, wie im Infinitiv, als blofs möglich , son-
dern als wirklich geschehen vorstellt? Lieber
also ganz klar und bestimmt gesagt: ich bin
jezt wirklich liebend, > als so dunkel und kurz:
ich liebe! — — Darf ich erst fragen, ob der
Zweck^ der Deutlichkeit, für so wichtig man ihn
erkennen mag, einer so völligen Aufopferung
des Zwecks der Lebhaftigkeit werth sej? Zwai:
glaubt Herr Adelung, die Dichtung sey in der
Sprache eine blofse Nebenzierde, die höhern
Vorzügen nachstehen müsse *) ; aber wenn man
auch kalt geaug gegen die göttlichen Reize der
Dichtkunst wärCj» um auszurufen: Schade für
alle Dichtung! würde man auch ausrufen wol-
len: Schade für alle Darstellung, alle Kraft, al-
len Nachdruck?
Doch es ist ganz falsch , dafs Deutlichkeit
und Lebhaftigkeit ein so entgegengesetztes In-
teresse haben sollten. Sie führen unter einan-
der ihre kleinen Streitigkeiten über gewisse
Grenzen^ aber im Grunde stehn sie im engsten
Bündnifs, besonders gegen ihre gemeinschaftli-
che unversöhnliche Feindinn, die Weitläuftig-
keit. Wer, um mehr Licht zu gewinnen, die
glückliche 9 in der That bewundernswürdige
Erfindung, durch Biegungen und Umlaute und
Vorsylben so. manche Neben - und Verhältnifs-
idee auszudrucken, vertilgen wollte, der wür-
de, aus lauter Eifer für die Deutlichkeit, di^
Deutlichkeit selbst verbannen. Denn wie un-
schlüssig würde nicht in dem unsäglichen
Schwall von Wörtern die Aufmerksamkeit um-
herirren 1 wie sehr würde das schnelle , leichte,
präcise Fassen eines Gedankens nicht erschwert ^
werden, wenn all^ kleine Nebenbestimmungen
und Verhältnisse sich eben so weit^ als die
*) S. 25' 26 der angeführten Scbrifr,
20O
HauptbegrifFo selbst, in den Vorgmnd dräng-
ten, und eine grofse unförmliche Masse , ohne
Licht und Schatten , ohne Haltung und Grup-
pirung bildeten! Bücher, selbst iiber die trok-
kensten Wissenschaften, deren ganzer einziger
Endzweck Deutlichkeit ist, verfehlen diesen
Endzweck mehr, ,als dafs sie ihn erreichten,
wenn sie alle einzelen Glieder eines Satzes, alle
Zwischensätze einer Schlufsreihe xu gewissen-
haft angeben, und uns dadurch die Hauptideen,
die wir lassen und verbinden sollen, zu weit
auseinander werfen. Das rechte^ Mittel hierin
zu treffen, der eigenen Thätigkeit des Lesers
nicht zu viel und nicht zu wenig zuzumuthen,
weder zu abgebrochen noch zu ausfuhrlich zu
seyn, ist daher eine der vornehmsten Tugenden
eines wissenschaftlichen Schriftstellers,
Was völlig gegen Herrn Adelung entschei-
den mufs, ist das vereinte Bestreben aller gu-
ten Schriftsteller, sich von dem barbarischen
« •
Uberilufs ihrer Sprachen, so viel als möglich,
loszumachen, oder auch, wo es seyn kann,
ihm auszuweichen. Der Zeitfall, worin die Ge-
schichte erzählt, ist überall derjenige, worin
eine Biegung, nicht ein eignes Hülfswort, die
Vergangenheit ausdrückt ; bey den Deutschen,
wie bekannt, ist es das Imperfect« Der Ärti-
ker wird, wo er keine Dienste zur n£|hern Be*
Stimmung des Subjectes thut, immer ileifsiger
weggeworfen; die Hüllwörter werden in abhän-
gigfen Constructionen gern verschluckt, und
Fürwörter, besonders die unbestimmten; Es,
das„ werden in dialogischen Werken , oft auch
in andern, immer häufiger ausgestofsen. »Thut
nichts, kann seyn, ist schon wahr, habs ge-
hört : » dergleichen liest man jetzt in unsern
Schauspielen auf allen Seiten. Wie weit man,
nach den Vorschriften eines guten Geschmacks,
hierin gehen oder nicht gehen dürfe , ist eine
Untersuchung y die vielleicht künftig den Stoff
zu einer eignen mehr practischen Abhandlung
-geben könnte.
a3a
V. .
Eine Prohe, wie die Sprache eines Volkes
dessen Denhungsart und Sittlichkeit
schildere^ von J. H, ^. Meierotto.
JcL«n Volk macht sich selbst von Seiten des phi-
losophischen Geistes bekannt, je nachdem der
Bau seiner Sprache mehr oder weniger regel-
mäfsig ist; je nachdem Armuth oder Reichthum,
Bestimmtheit oder Unbestimmtheit seiner
Sprache eigen ist. Ein Volk schildert sich aber
auch von Seiten der Moralitä* durch die Be-
nennungen und Ausdrücke, die es für Tugend
und Laster wählt; durch die in zahlreichen ^j^
nonymeä fein bestimmten Unterschiede; durch
Nebenbegriffe, oder Euphemismen, selbst durch
Ton und Klang, die es dergleichen Benennun-
gen giebt. Wenn wir also auch gar nicht -auf
die Zahl und den Werth der Schriftsteller se-
aen, welche tut oder gegen Laster und Natio-
nalfehler geschrieben haben; wenn wir nicht
^uf die Ausdrücke Bücksicht nehmen, welche
dem Einaelen jenör 5chriftsteller eigenthümlich
wären; so verräth sich doch schon iu den an-
geführten Grundaügen der Sprache, ob ein
Volk mehr oder weniger ernsthaft, lüchtig, un-
schuldig, gesittet, oder üppig, und mit allen
ß33
Verfeinerungen der Laster bekannt , ' roh und
verwildert sey.
* Hat ein Volk für ein Laster, für einen
Fehler keinen eigenthiimlichien' Nahmen, so ist
daraus zwar noch nicht ^u schllefsen^ dals. ihm
der Fehler unbekannt sey. Es kann Unauf-
merksamkeit auf das Fehlerhafte - solcher Hand-
lung, es kann Gewöhnung an dieselbe Schuld
seyn, dais ihr kein besondrer Nähme gegeben
wird I). ^ •
Kennt ^.aber ein Volk blofs wenige, nicht
sehr bedeutctndoy vielmehr schonende Benennun-
gen eines Lasters;, .hat es blofs unfigent liehe
Benennungen dafür^ ohne widrige Nebenbedeu-
tungen , oder gar mit angenehmen Nebenbegrif-.
fen, so verrätb diefs Gleichgültigkeit, oder ei-
nen Sinn, der Natio9 9 der den Fehler in Schutz
zu nehmen geneigt ist«
Hat aber eine Sprache viel alte,, eigen«
thümliche, bedeutende Bezeichnungen für ein
Laster, so ist dieis ein Beweis, dafs solch eine
Handlungsweise der Nation schon frjih^ oder ^
von je her als Laster erschien; dajß sie die Be-
streitung des Lasters sich angelegen ■ seyn liefs.
Giebt es viel Synonymen, so beweiset es theils^
dafs alle Stämme der verbreiteten Nation dar«
über gleich gedacht, Jede in ihrem Dialekt das->
i) So batte der Grieche keia Wort, das den ineptus be«
jieicbnece,
y'
a34
selbe Urtheil über das Laster auszudrucken ge-
sucht habe^ beweiset zugleich auch^ dals man
dieses Laster von seinem Entstehen ^n in allen
•einen verschiednen Auiserungen^ Abstufungen
ausgezeichnet ; gleichsam hinter allen Verlarvun-
gen, wohinter es sich zu verstecken suchte,
verfolgt habe. Giebt es viel Ausdrücke, die
nur darum gebildet sind» weil sie durch den
Klang selbst das Widrige mahlen, was der Un-
befiingene dabey empfindet; kann das Volk der
uneigentlichen Ausdrücke gleichsam nicht ge-
nug in seiner Sprache bekommen; verschlim-
mem sich die Bedeutungen der Worte von Zeit
zu Zeit durch Nebenbegrtffe , die allmählig un-
zertrennlich werden; Überträgt das Volk aus
fremden Sprachen oiur die Ausdrücke gern,
welche strenge , harte Beurtheilungen verrathen :
so ist der Widerwille^ d^ Abscheu gegen den
Fehler im Zunehmen^ oder herrschend. Nun
werden in den ältesten Beschreibungen die
Oeutsohen schon als Leute geschildert, die da^
wo Handeln erfordert wird, viel Worte zu ma-
chen hasseten; dieSohmeicheley eben als Falsch-
heit verabscheueten; denen der Ruf und die
persönliche Ehre unschätzbar; und jeder laute
oder geheime Angriff derselben ein Verbrechen ,
war; denen ein Wort statt der Schwäre galt;
die selbst im Affekt des Unwillens nicht viel
zankten und sohimpfben; deren Mienen und dro-
a35
hende Stellungen^ eher als Scheltworte, blutigen
Zwist und Mord verkündigten ^); Sollte diefier
Charakter sich auch in den Ausdrücken > im '
Sprachgebrauch zeichnen?
Ich. versuche es, die ganze Verbindung, di«
Familie gleichsam ^ der Wörter zu sammehi^
und nebeneinander zu stellen, welche 'den
Mifsbrauch bezeichnen; den der 'Mensch von sei^
ner Zunge machen kann ; und ich glaube , durch
dieses NahmeHverzeichnifs, durch diesen Stamm-
baum der Sippschaft dieser Begriffe zeigen zu
können, dafs die Deutschen gern Frey von deni
Laster war<^, welches man durch Reden begehet;
und dafs sie diefs Laster wohl so rügten, als
andre ^ die in fohädliche Handlungen, und za
unseligem Folgen ausbrechen. * *
a) Crehrae, ut' intcr vitfolentoSf rixaty raro conviciis« sae»
pius taede et uulneribut trtuuigimtur^ Tacit« Germ. e. aa*
Lamenta e( lacrynuu ciiog dolorem et trUtitiam tard^
ponunt. Feminia lugere honeUun% est ; viris meminU*
se» c. 27.
Wenn die G:!ftnnattett nach der Niederlage de^ Vanis
an den meiaten Gefangenen grausame Hacbe übten: ao
rächten sie doch nichts st) fürchterlich, als den Mifs-
brauch rabuiistischer Beredsamkeit; einer Beredsamkeit»
die ihnen bey ihrer kunstlosen Handlungsav^t eben so
unmännlich* als in ibren Folgen empfindlich und ver-
abscbeuung^würdig « geworden war. Flor. /. 4> c, 1%.
j4liis ocules, aliis mqnus amputakant, Uniiis os sutum%
recisa prius lingua» quam in manu tenens ^ar^arus^
Tandem M inquit^ viperag ^ibilare desiste^
L Den Ton bezeichnende Ausdrücke j^ ono-
ma$o poiemena.
i).5cbon dos blofse Viekprechen wird ver-
ächtlich bezeichnet.
J>ie Alten scheinen zwey Stammworte ge-
habt zu haben , durch welche sie Sprechen, oder
Yielsprechen bezeichneten: Quaten, wovon sich
im Sohlesischen Quatvögel erhalten hat^ {OpUz)
und Schwaden.
Von Quaden leiten einige Kaudern, und
Kauderwelsch her •')• Besonders ist von dem
letztern Stammworte das Zeitwort schwätzen ge-
bildet worden, um das unangenel^e Eineriey
des Schalls, der Vom anhaltenden Sprechen un-
zertrennlich ist^ zu bezeichnen *). Daher
Schwätzer, welches ohne ein milderndes Bey-
wort nicht mehr in guter Bedeutung vorkömmt.
Qeschwät^ bekömmt nicht erst durch die
sehr gewöhnlichen Beywörter leeres, unnützes
Geschwätz seine nachtheilige Bedeutung; son-
dern hat sie auch schon ah und für. sich: Je-
manden ins Geschwätz, ins Geschrey bringen.
Er kömnit ins Geschrey, wird ein Geschwätz
der Leute. Gleich als wenn veranlassen y daß
3) O scböa! o ichönl Kauderwelscher konnte Criftpin in
der Komödie, rtena er sich für einen Mahler misgiebt,
die Kunstwörter ntebt untereinander werfen. Lessing
j^ntitj. Br* 9. Br^^
4) Nachdrückliche apricbwörtUche Redensart: er fckwatzl
das Blaue vom. HlmmeL '
a37
viel von einem gesprochen wird, so viel hie[se,
als einen dem Tadel aussetzen, einen herunter-
setzen ')•
Waschen in nehmlicher Bedeutung, mag
immer mit dem> Arabischen Waschvfa ^)^ eint
verworrene Rede , übereinstimmen (^sckwascha
murmeln) ; von den Deutschen scheint dieis
Zeitwort nur. gewählt, zu seyn, um gleichfalls
den Ton des Yielsprechens zu bezeichnen; und
hat wohl nur zufällig eine Anspielung auf das
Geschwätz der Wäscherinnen abgeben können:
wer immer waschen wilL Opitz.
Die Wasche, geschwätzige Person, nicht
blois weiblichen Geschlechts« Diefs verstärkt
noch den Nebenbegriff der Verachtung, man
wird durch Schwatzen eine Wasche, einem
Weibe gleich.
Das Wort die Wäscherinn wird dagegen
nicht leicht uneigentlich gebraucht; wohl aber
der Wäscher: Haltet das Maul, Ihr seyd ein
Wäscher. Gryphius.
Die JVäscherey , das Gewäsch, scheint har*
ter, als das Geschwätz. Adelung.
5) Wie viel «indert daa celeftrare der Lateiner, oder daa
' Worc rumor l Im funfzelmten Jahrhundert galten im
'Üeutschen die Ausdrücke: Jetzt werd ich •e3m ein
Exempel, eine Fabel, und Rujjfe alkn Menachea. Kicol.
von Weil.
6) Adelung.
238
Waschhof t^ waschhafdg^ der Wasciunarkt,
Klatschen hat, wo nicht denselben Ur-
sprungs doch dieselbe Bestimmung. In der
niedrigen Sprechart Klauchsrine — Klassche-
»«r )•
Gatzen, der Götz (das Geschwätz).
Kakeln.
Im Niedersächstschen hat sich das Wort
Käkelren für Kakekiemen, Zungenband erhal-
ten. Adelung.
Käklerin •).
Fitstem f Zuscheln, Wispern^ (wispela)
wenn es von Menschen gebraucht wird^ zeigt
immer ein dem dritten widrigesj yerdrieisliches,
geheimes, oder gedämpftes Sprechen an.
Dräuschen, drüschen y traschen ^ pratschen
gehört auch hieher. Wir hören noch: es
regnet j da/s es dräuscht; wir haben auch noch
den Ausdruck: ein abgedroschenes Mährchen ');
das Eusammengesetzte Wort Zungendrescher für
zanksüchtiger s ränkevoller Advokat. Adelung.
y) Hiemit kömmt der Griecheo ^«^^iA«»«r uherein ^/rustm
crepUans, Sonst bezeichnet der Grieche den durch so
viel deutsche Wörter gerügten Fehler sehr mildernd
durch Xotkuif, A«A«(, XuXut,
8) jigagulut 'vetuia mala» . Bödikers Sprachlehre nach
Undenbrogs Glossar,
q) Das Participium abgedroschen kann in der Regel nicht
▼on dräuschen herkommen: obgedräMcht wäre auch ge-
-gen die Analogie.
Eigentlich heifset es wohl^ einer, der mit der
Zunge dräuscht.
Die Alten hatten das Wort der Drasch, das
Gedr€ischy für Gezchwätz. Adelung.
Oder auch Metschen: - um deines üppigen
geschautzes willen , der nur bedeutet da^ ret-
sehen der Frösche, damit geschlagen worden
ist Egypten. .Nie. von Weil.
Plappern "), daher Plappermaul ^ Plapper-'
iasche , ist nach ' Stosc^ 2 Th. der Syn. eine
Wortbildung, die den Laut der Lippen bey
luLufigem Sprechen nachmachen soll, so wie
Plaudern den Laut, der durch den Gaumen
und im Halse gebildet wird.
So lyoUte der Deutsche durch diese den
Schall nachbildende Wörter das Unbehagliche
ausdrücken, was er bey dem lange fortgesetz-'
ten Sprechen empfand; den Nachhall, den es
zu seinem Leiden , im Ohr und Kopf hinterliels«
a) Eben darum wählt er auch Töne, wcl*
che auf ähnliche Tone von Thieren anspie-
len, die durch ihre «Stimme^ durch den Laut,
den sie hervorbringen , ' unangenehm werden.
Gackern, Gacksen, Kakeln eigentlich von dem
gedähnten, ruhmredigen Ton, womit die Henne
das Hervorbringen des Eyes verkündiget«
lo) Blacero, oUm blAcirt« inconditum soHum ejferr».
24o
*
Schnauern^ yoa vielei^ die* zusammen spre-
chen^ sowohl als von Gäo$en.
Schnacken ^ der Schnack, Schnickschnack,
wenn es auch belustigende Beden bezeichnet,
soll uns doch an das nicht angenehme Sumsen
der Schnaken f Wassermücken ^ erinnern "};
Klaffen^ Belfern, JViderheüen, an den^er-
driefsllchen, unleidlichen Schall des lästig wach-
samen Hundes '^).
Klaff nicht zu viel ,^ gedenk i^ielmehr ist
in echt deutschem Sinn gesagt.
Wider den klüftigen, viel redenden men-
schen wollest nit kriegei;i mit werten. üicoL
von Weil.
3) Anspielung auf Gewerbe und Geschäf-
te ^ die in Nichtachtung gerathen waren.
Sal-
tt) Man bat bezweifelt, ob sur Bezeicbnüng der
Abnlicbkeit mit einer Verrichtung das Substanz
Uv , dem die Verrichtung sukömmt, blofs gerade
2U ip ein Zeitwort verwandelt werde. V?ir haben aber
dergleichen Zeitwörter, a) Von Gliedern des Körpers
hergenommen: als handthieren ^ maulen ^ äugeln, lieb'
äugeln, züngeln* b) Auch von Thieren: schlängeln ist
wohl eben so leicht von Schlange, als von schlingen,
umschlingen abzuleiten;. ferner: iiaseliren von Hase, äf
Jen von Affe, mausen , Mäuse fangen, stehlen, von
Maus.
la) Den Widerspruch, die Widersetzlichkeit drückten die
Kömer hart genug aus: Quid latras? Oblatrare ^ ogga^
nire. A yctivg-^ut gaudert, gestire gaudio, ut eanibue
solenne est.
24l
4
Salbadern^ der Salbader, die Salbader^ be-
zeichnet sicher viel unbedeutendes, verdriefsli«
ches Zeug reden. Es mag nun vom geschwät-
zigen Bader an der Säle herfcomnien, wie Frisch
und 5chuppius wollönn oder yo>n Salbenbader
(auch Quacksalber) wie Adelung will; oder vom
schlechten ^ ob^/Iächlichen Baden , wobey die
Hant sal, gelb^ ^au; 'schmutzig bleibt, wie
Stosch glaubt. "" '^^* - . . i.
4) Was in andern Sprachen ein Lob ^evn
würde , als hdmo copiosus im Lateinischen^ Flux
de boiiche im Französischen; was, wenn es von
der Sprache, 'nur nicht * von deni Sprechenden
$
gebraucht wird/ bey den Deutschen s^lb^t ein
Lob dieser Sprache ist, ' {wortreiche Mundart)
wird, sobald es vom Menschen gebraucKt'wird, .
zweydcfütig, odei* offenbar yerächtliöh/ Thäten-
reibh^; ^ülft'eich^ kaüii jeiüand zu seineih Lobe
seyn« aber wortreich nicht mehr. Ein . ivor/re/-
ches Gepränge iiber. die weiblichen Tugenden
enthält einen Tadel. Adelung.
fV'ohlgezüngt seja y sähe Nicol. von Wiel
(im i5. ^ Jahrhundert) , als eine Eijgenschafc
an^ ;:die der Lehre von. der gröfsten-^nfmuth
und 'Friödfertijgkeit entgegen- war: Jesus sprach
nit wollest kriegen mit den wolgezüngten men^
scheiß ... : \
So auch redselig., der »ich mit innerer Zu-
friedenheit seKst hört*
Redsprachig im Oberdeutschen Dialekt.
WortJirümer der mit Worten gegen Hand-
lungen tauscht.
Briefwechsel ist ohne zweydeutigen Neben-
begrifF; aber PITonwechsel entehrt beide spre-
chende«
Im fünfzehnten Jahrhundert sagte man da-
für noch wortfiabdn^ Dein Arbeit ist umsont,
mit dir wort haben mag ich nicht NicoL ron
Weil
Das Won fähren (auiser ^bey feierlichen
Veranlassungen) das grofse fVort haben; er hat
immer das grofse Wort: so,. lobte der Deutsche
nicht mehr den. der sein Mann war.
Sich das Maul über etwas zerreifsen , heis-
set Tiel.vpn etwas sprecheif« ., . ,
Mr .hat das Maul zu yfeit OMfgethajK^ Er
hat zu seinem Schaden, öder zu frey gespro-
cheA "J|. , ,. ^. \ : • . ,. ,%
It. Wie verächtlich wird aber nicht erst' die
schmeichelhafte Rede bezeichnet **)l
* ...
x3) Wjenn der Deutsche in der jbekaxuittn , Metapher ge-
«agt hätte i der Vorschlag iit so vetbasset, dals er sIcH
' ^g^®i> ^ »Maulgespenm^ «inaa f ents^hlosselieti Vkkrad-*
»era, der seinea Nahmen mh der Tb^t ttSgc, . :fiieh( ,
hätte halten können : so ist hej dem Römer di^fs Bild
hey weiten so' mahle^d nicnt :*^^oc tantarn Tiabet tnvi'
diam^ tu veri ac firüs ttibuni plebis atridorem unum
perforre .nqn pos^it. , Cic !, ^ - , .! .;. , ,
j4) Da« Zeitwort liebkosen ad^eintf wcaa man die £ty-
243
Manig Zungd süß Wort spricht,
Da doch der Angel sticht, Minnesinger.
Wie viel anders ist hier das Wort süfs ge**
braucht^ als bey den Römern dulcis sonuj-,' dttt--
ce loquens ^alagß!^ . '' ^
Glatte Worte , glatte Zunge, glatte Reden*
findet hlofs im verwerflicheDi Sinne statt. ' ^
Übertriebne Gefälligkeit > selbst gegen die*
höchsten Personen, wird bey den Deutschen'
durch ,sehr erniedrigende Ausdrücke bezeichnet.
Der Hvfling schon mit einiger Verachtung, -
Hofierem die dir jetzt hofieren , werden
dich verachten. Luther "). ^ . ^
Der Hofierer ^ der einem Hohem schmei*
dielt.
Hie Hofkunsti Leiden und dafär danken^
ist die beste. i
ßofiecher. Der .niedrige Schmeichler des
Grofsen. Itzt findet man nur noch Teiterlecker^
mologie in Betrachtung Kiefa^t, ursprungltch dasn be-
tdmint gewesen eu sejrn , Reden su be!Beicfanen'> lv«ich«
ein Avsdmfk der Liebe «eyn sollten. Bald ging man Von
dieser Bedeutung ab ; so dafs Herr Ad^ung «s }et<t er*
klärt: durch Geberden und Handlung^en seilt« Lieb«
beweisen, gleichsam, als wenn Reden fitcht nein Be*
weis der Liebe seyn könnten« £inen menschen ander augen^
und gegenwertigen lobeu, ist ein werk der lieiki^engj',
i5) Wie entfernt ist nicht die Ähnlichkeit mit dem ekel*
haften Gegenstan^le, ssu dessen Bezeichnung dieU Worc
späterhin gebraucht wurde!
344
ftir Gnatfaonen der Reichen« Einem nach dem
Maule reden, einem tum Munde reden; eben
so wie iemo^nden um das Maul gehen; andern
Leuten in das Maul sehen zeigt gleichsam die
niedrige -Geflissenheit an y nach der man nur so
redet, wie es des Andern Geschmacke recht
ist, nnd wie es Yortheile versohafFt, die der
Andre I wie Bissen, aus seinem Munde abfallen,
lasset.
Was kann stärker den Unwillen der Deut-
schen gegen diels absichtliche Freundlichthun
ausdrücken 9 als die Redensarten, Jemandes
Speichel lecken^ der Speichellecker '*)?
Fuchsschwänzen, (der Fnchsschwänzer) den
Fuchsschwanz sireichen, heifset schon hinter
freundliche, gefallige Reden die Absicht Ter-
stecken, dem dritten zu schaden '^).
Wenn schmeicheln und heucheln gleichbe-
tS) Wie schonend war dagegen das Bild, welches der
Grieche durch das mahlerische Woit x(«»iAfv/««$ be-
seichnete 1
Der Römer, wenn er sich recht stark ausdrucken
wolltet sagte gefällig seyn wie der Sklave, wie die
Hagd: adulor, ancülon
f^oluüre, wenn er recht nachdrucklich das Unwürdige
des Benehmens ausdrucken will, sagt: St, Leon cour*
tise un Julia,
17) Dfr Grieche giebt dem Sc hmeichler auch den JU^ssf
A«y«# in die Hand, um Staub und Flocken von seines
Gönners Gewand wehen zu können; aber er nennt ihn
/deswegen weder Scaublecker, noch Hasenschwänaer.
deutend gebraucht, und verwechselt wird, so
zeugt diefs doch wohl von dem grofsen Hasses
des Deutschen gegen alle Schmeicheley?
Der Hund hüpfte, sprang, heuchelte mir^
als wenn er mich wollte willkommen ^leifsen.
Gryphius.
III. Die Deutsche Sprache hat Reichthum
und Nachdruck in Bezeichnung der Reden, die
einem andern zum Verdrufs gereichen sollen.
Wer unangenehme Empfindung ersparen , min>-
dern will, der sage. das mdrige verblümt. Die
altern Schriftsteller hatten auch das Zeltwort
verblümlen» Schelmstück verblümblen, Abr« a.^
S* Clara. Diefs Wort wurde auch fiir gleich«
lautend mit Unwahrheu sagen gehalten: Der
Wahrheit hässig seyn, verblümei liebekosen.
Opitz.
Wo das unangenehme, das man dem an-
dern sagen will, laut werden soll, da entstehet
Mifshülligkeit von m^ifs übel, und hellen^ tönen.
Zwietracht, Betragen was entzwejrety trennt.
Im fünfzehnten Jahrhundert war zwytracht noch
gleichbedc^utend mit Disputatio; Entzwq^ung
oder Zweyung mit Seditio: In Auflauffen Und
Zweyungen der Menschen. Nicol. von WeiL
Zwiespalt, Zwist ^ Zwistigkeit; Hader y Ha*
dern , Haderer. Zanken , welches oft mit Beis^
sen gleichbedeutend gebraucht wird. Der Zank,
Zänkerey, Zanksucht, zanksüchtig i Ihr seid
zwey alte Grez'ii- und zanksüchtige Haderkatzeax
»Aß
P
I
ein Ausdruck, den beym Gryphius der Richter
von prozessirenden Bauern braucht. Zänker,
Zankmaul j Keifen. Alle drey Zeitwörter
hadern^ zanken f und keifen bedeuteten ur-
sprünglich so viel 4ls beißen oder zerreif sen^*).
So wählte der Deutsche die bedeutendsten
Metaphern, um den Schaden des Wortwechsels
auszudrücken !
Den Alten galt zanken und kriegen gleich:
Und krieget deshalb erzürnt vil mit mir selbs
wider dasselbe glück. Ein eheweib deinen sitten
Widerwertig, die dir ausgehenden nachkriegt.
• In euern allerweysesten gemüth sitzet und
hanget diese urtheyl, bedenket die summe die*
ses kriegenSj (Rechtshändeis im Senat) Wir krie-
gend von dem Adel — Zuletzt ist ein einiger
Ausgang dieser zwyträchtigkayt, ^das heut krie*
gend wider einander Erbarkeit mit uppigkdyt«
i Es ist dem Menschen eine Ehre, der sich
sundert von kriegischen Worten, Nicol. von
Weil.
Durch öfters Zanken kommt man in den
Ruf y man habe ein unnützes, böses Maulj man
sey ein böses Maul.
«
Einander ausmachen heifset im minderen
•Grade schimpfen. Aüsschänden sagt mehr.
Schmählen , auf jemand schmähten j den
ganzen Tag schmähten ist das Verkleinerungs-
18} Zu diesen Ausdrücken kömmt noch im NiederdeuN
schon; Mwist0n. ki^hel^ und kabbeln.
a47
wort von schmähen: Sehmähen aber drückt
den höchsten Grad des Schimpfens, oder des-
sen Folgen aus '^}.
IV. Gleic&er Reichthum und Nachdruck
der Sprache wird bey den Ausdrücken bemerkt^
welche lustige, schadenfrohe, hämische Bemer-
kung der Unvollkommenheit und Fehler andrer
bezeichnen sollen.
Schon der leiseste Versuch der Art ist ver-
werflich.
Den Edelleuten, Soldaten^ Jägern ist es
ein gemacht Spiel, wenn^ der Fürst mit dem« ei-
nen Wort Pedant, Schulfachs, der Gelehrten
im Unheuen gedenkt. Schuppius.
Auch wird gefunden: erdichtetes Einstreuen,
spöttliches Verdrehen.
Gecken APr Spotten im Scherz,' schäkern,
niedersächisisch gekschern, Adelung. *
Schnippisch^ schnäppisch heilset der, dessen
• _
Gewohnheit oder Charakter es dst, zu spötteln
oder verächtlich zu thun. Im Österreichischen
geschnäppig ^ plauderhaft. Adelung.
Wer das Spötteln sich schön zur Gewohn-
heit gemacht, der braucht lose Worte, hat ein
loses Maul. ' '
19) Der Römer criminari, conviciari ist dagegen sehr
schonend. Non' consuevi homines ^ appeUare asperlüs,
nisi laßcssiius, Clc. in Rull. *
248
Will man bezeichnen, dals dieser Tadel
in Worten bestanden habe , so heilset es Ge-
span:
Über denselben Bottschafter wird ein groß
gespöu geschlagen. Nicol. von Weil
Wir sagen nur noch ein Gelächter aufschlagen.
Hohn^ Höhnereyj Verhöhnen^ gilt mehr von
Handlungen« So auch Spotti Einem einen
Spou anthun. SpoU mit etwas einlegen; zu
Spott werden ; Sich , Undre in Spott und Schande
bringen, sind die empfindlichsten Erfahrungen
und Kränkungen.
Ein Spottmaul, ein harter Vorwuri; Ein
Spottvogel, Spottschrift f Spottgedicht *°).
Das Härteste von allem ist ein Spötter *');
Ismael war ein Spotter -— wo die Spötter sitzen.
Wie empfindlich die Äufseisungen und Re-
den eines solchen Menschen sind, ^ucht der
w
Deutsche durch den uneigentlichen Ausdruck
zu bezeichnen, der auf Schmerz, Verwundung
hifideutet.
jinzapfen,. anstechen. Lessing über Ge-
schieht, und Litterat. . Th. i. womit er den her-
umreisenden D. J. Andrea ansticht,
Sticheln auf jemanden, Sticheleyen^ Sti'
chelrede.
;ao) Römer } CavUlor . eaviUatio^ cavilkuor a cavendo^
ai) Sannio eher noch als scurru^'
Stachelrede j Stachelichrifi , driickt noch
stärker den Vorsatz zu schaden aus; und wie
empfindlich der zugefügte Schaden sey. So
auch , jemanden durchhecheln, durchziehen, ei-
ne Metapher, die von der angreifenden Reinigung
der Hechel , oder gar von der bis aufs Blut strei*
fenden Verwundung desselben Werkzeuges her-
genommen ist.
Alle Arten von Gelehrsamkeit werdeh von
unerfahrnem Gesellen durch die Hechel geza-
gen. Übersetzung von Hubers Rede über Pe-
danterey.
Die Folge davon ist böser Leumund
Schmach^ und Schande,
Einem Schmach, Scliande, Schimpf anhan-
gen. In Schande bringen; zu schänden ma-
dien; schänden.
Zum Loben ungesäumt, und langsam seyn,
zum schünden. Opitz.
Bey den Alten hiefs dieü schimpßreni Es
ist aber sicherer zu schumpßren die todten
dann die lebendigen. Nicol von Weil.
Die meine Translationes schelten , und mich
schumpßren werden.
Und gestehe diesen Maystern, meinen
Schumpßrern, ihre Schuldigung ein. Ebender-
selbe ").
32) Ursprünglich hiefs Schimpf «o viel als Spott, oder
Scher«.
2ÖO
Um nur eiae Probe zu geben von dem
Reichthum unsrer Sprache in gleichbedeuten-
den Redensarten von Verleumdung, führe ich
aus deni x5ten Jahrhundert eine Übersetzung
des Nie. von Weil an.
Übel redet von mir das Pofel^ von dem p6-
fei und volle wird ich allenthalben auf den Stras-
sen gescholten.
Einem bösen Icumbden haB ich unter dem
pöfel.
Belestiget bin ich mit argem leumbden.
Mit schweren leumbden bin ich getruht.
Mit hartem leumbden bin ich beschwert.
Ein schwerer harter leninbde entstehet in
meinem guten namen.
Ein böser leumbde ist mir zusamen geweyhet.
Recht sagest du zusammen geWeyhet^ dann
der leumbden ist ein wind und blast, oft eines
unraynen mundes«
Mit viel bösen leumbden wurd ich allent'
halben versagt.
« AU9 Arbeit ist dir (der Liebe) ein Schympf und
kurtweil.
Vom Himmel fallet Schnee : die ganxe Statt wird und
Jiommt des zu Schjrmp/' und freuden.
Mit keinem S^hjrmpfisit mocht sie 'wiedemmb xu
frewden gebracht vrerden
Darzu £uriolue redet : Du ichympfest keyaer (als Du
gewon bist) mit mir; und YvXl mich führen in gtsläch-
ter. NicoL von Weil,
Ich hin eines schwartzen und finsteren
leujnbdenSf und einer lautern Conscientz und
gewissens.
Die Pürde meines lösen leutnbdes ist grofs*
Viel menschen thun mich schreklich ver-
humiden.
Wenig menschen sind alles bösen leumhdens
ganz ^vertragen gewesen. -
Mit schweren leumbden xvird ich geprennet.
Ich wird gepeyn igt mit herten leumbden*'
Mit scharpffem leumbden wyrd ich geknischtet*
Demuthig namen thut nicht empfahen das
ungenytter grofses unleumbdens und scheltens.
Es ist noch gut, dafs du inn zungen^ und
nicht in stechend stupffein list gefallen. Gähe
und ungestüm, ist des pöfels red.
' Sy werden schweygen, so sie lang und viel
wie die hunde haben gelollen.
Mit den - zungen des pöfels wyrd ich be*
laydet.
Obwol das pöfel yil rauschet, so kompt
doch der tag, der diesen rauschenden und Tiläf-
figeh hewschräcken aufsetzt ein schweigen.
Was überhebend oder benemend jr euch
der liebkosenden oder der scheltenden men-
'sehen murmursj der doch kurz unA fynster ist.
Einen lösen leumlden hal ich mir ge^
mehrt mit tugend und traffentlichen guten
Werken.
252 I
Da hast deinen guten leumbden p ein aller-
schönstes und küsdichests. Ding verloren.
V. Unwahrheit jeder Art wird mit den
härtesten Ausdrücken ausgez^chnet
Die Alten nannten jede auch zur Lust er-
dichtete Erzählung Märe. Du wähnst diese
Dinge Mären seyn* Nie. von Weil« Oder auch
wohl noch derber: Lugmähr.
Späterhin blieb nur noch das Diminutivum
Märlein, Mährchen. Die zu zeiten nötigend
die fiirsten zu irren ^ schalkhaftig rcuner, und
mörtrager. Nie. v. Weil.
Unwahrheiten aus Gewohnheit , oder auch
•nur zur Belustigung sagen > heilset windmachen.
Daher das ff^indmachen ^ der fVindmachen
* Unwahrheit, um von dem Gegenstande,
oder von sich selbst höhere Begriffe zu erwek-
ken, heifset au/schneiden. Das war aufge^
schnitten^ wird fet^t in keinem andern Sion
mehr gebraucht. Der kann aufschneiden braucht
niemand im eigentlichen Sinn von irgend einer
Art der Geschicklichkeit im Trennen , Vorle-
gen, seciren. So ^VLch das Aufschneiden^ Auf
schneiderey^ der Aufschneider.
äo sagten die Alten nie z. B. vom Küchen-
geschäfte ^ sondern stets nur uneigentlich: Ei-
nen Schnitt mit dem grofsen Messer ehun ^').
%Z) Wie schonend bezeichneten die Griechen diese Per-
253
' *
Mit grandiosen Beschreibungen , Erzählun-
gen hintergehen^ mit leeren Hof&ungen täu-
schen, heifset einen aufziehen; einem etwas an^
schwatzen;- die ^nschwaüsun^; einem etwas auf-
binden. Einem eine lange Nase drehen^t
Der Einfalt Nasen drehen^ den Schwa-
»
chen hintergehen j, dieis läfst der Hof bey ihin
Violen seyn und Rosen. Opitz.
Das Wort der Lug mag von laugn (Bretan-
jMch) /verbergen herkommen. Adelungs Wer
diels Wort braucht, der will aber stets nur die
Verwerflichkeit der Rede, die es trifft, und
iseine gröfste Verachtung d9gegen bezeichnen.
Ja es wird stets mit Trug für gleichlautend ge*
halten:
MU .Lug und Trug ümgeheii*
r
Die Lügey nach der jetzt gewöhnlichen Be*'
nennung, bekömmt die verwerflichsten Beywör*
ter, eine stinTtende Lüge. Daher statt ersonnen,
erfunden^' das bedeutende Wort, welches durch
die Partikel er noch verstärkt ist, ~ erstunkener
Mak sollte glauben, die Leute hätten es
mit Augen aogesehen ;^ wenn map aber endlich
tigkeic Advo$r0i«f, Adydtr«i'«. Die Lateiner: Fabuhuor^
n/andö. Fnntigertiior, -• mmigerulus, Unserä Meistar
in der A^i»^dir«' jenseitMes Rheins : hrodtr, $mMlir,
füsmr dt ci^üt, 'fiygeur k/# MUiiflht. ' * '
< »
254 •
recht darnach fragt, jo ist et erstunken, und
er/og'e^z. ,Schuppii|s ,^%
Lügen wird ijicht wders aU mit Nach-
drucjc gebraucht : Er lügp, wdnn er den IkUmd
aufthut; Jemanden die \H€m^ vqU lügen; da
lügst es in deinen Halsj Er lügt, als wenn es
gedruckt wäre; er lügt, da/s sich die Balken
biegen.
Der Lojolit hat auf die ganze Kirche alhier
balkendicke Lüge gelegt. Brief aus dem i6teii
Jahrhundert.
' '4
Du hast es gelogefi, war der Inbegrif aller
Vorwürfe , ' die man eihem edlen deutschen
Manne machen konnte, und war wohl nur" die
Übersetzung des- fränzäsischen demenU , der
Herausforderung: tu en as menti.
Lügengeld hie£s j^des Striigdld^ Vödurch
der vor^ Gericht . yerurthc^lte Jede Beleidigung
büfsete.
DejT Lü^rur wir . das ÄrgstP. Schimpfwort.
Ein Bau^ör in, Giyph^us Zwiscbenapiel. bringt es
■•^-•^.•■^«^■»«■■»^B
,< ■ ! ■ I >
^
a4)^In ^ einen apdsra ^^n n^jrd das Wort Stänker ge-
gebraucht, mr einen der alles» wovon er redet, durch
•' «eine* ebretiruWigö. oder firiedeatoreade Äeden adn-
• kend' machen willf
... . • / •
;,.. Nuf aen.€in«ig^^/fl^/^tf/gilt4i^a.JiieiiieBiit» nicht,
^::^^ ^™«^1^ ,"»d, klein genung ist,; H«Ad^,4Uwuspinneii.
die er selbst ^^usetaen wder HvJS.^o4tiU«&,h*t
£^/<>i|^ ThMQtog, Nachk S. ^*
a55
OL eine Reihe mit, den gehässigsten Vorwürfen :
)u Hundi du Lügner, du Korndieb.
2!ium Lügner an jemanden werden ijßmanr
len zum Lügner machen; 4em Lügner das.
Maul stopfen, : ^ \
Zfas Lügenmaul, der Lügensack»
Das £mpfindliohe des Widerxufs einer Un«
v^ahrfaeit kann nicht nachdrücklicher bezeichnet
m
yerden , als durch die Redensart : man ^straff.
An der Lügen} er mufs sieh auf das Maul
schlagen* ...
Sich selbst widersprechen heiiset schon:
dch mit seinen eignen Worten schlagen.
VI. Lügen, aus bpser Absicht, m jemandes'
Schaden *f), lügenhaftem Urth^ilen über jeman*
äeu. . Wer eine F^ertigkeit darin hat, der se^t,
den Schwur und fFbrt auf.Sch^rauben. ,Opitz\;,
^^r is^fqls/ch wie palgmholgi ,, und wird zwefr-
^Ungig^ , eiß sw&yzüngler,. .,Thut er es hinter
dem Rückendes, den er so, unglimpfliQj^ teur»>^
theilt , so treibt er Afterrede, Nachrede: lais
Lob uni el^ire dijrdi ^ttijjTfi?^ ^nachrede^ werden
gescholten. Nie. von Weil. Oder auch Zure*,
de: ob.^inexxi unsphuldigeo. Menschen et)Tas ar*
ges zuger^^tjyurd. Derselhf, , ,
Er afterrßdet,. wird ein Afterreiner ^ ^ tadelt
hinter ^ücks. Tijut ^^r es bet^ut»an| , .heimlich.
. ' ' . / ' ■ ■*■ iW t Htm » I' >{
25) Meneir pour nguin
250
so wird er ein 'Ohrenbläser , Ohrrurier^ Ohrrau-
nery treibt Ohrenbluserey; trägt er seine Erdich-
tungen von einem txim andern^ wird er ein
Ohrentriiger.
Alle diese gleichsam die Stellung mahlende
Bezeichnungen zeugen von dem widrigen EÜn-
druck 9 den der Anblick, oder das Bild eines
solchen heiinlich nachtheiligen» Beurtheilers auf
d^n Deutschen machte.
Brach der Feindselige dabejr in Heftigkeit
aus j so brauchte man im fünfzehnten Jahrhun*
dert den Ausdruck : - anstürmen ^ antasten.
Ob Dich denn die Eherechten^-menschentnit re-
de anstürmende' Durch sbliich dhtastung wird
dieehere klarer scheinen. Nid von^WeiL Sonst
sagt6n die Altei^blofs Schelten, strafen^ schul-
digetbydurchhächein.^ '
, Sorist ewer frawe und muter guter leütebd
so gröfsi da& 'der-nicht^mit einem tob mag wer»
Sek gemerei", hoch ifnit einem schelten gefnui'
dert. ' ■- . •. V '
Ich fand darin ^tlkke^Scheltüng^ weibliches
G^sdtlechts. ' ' '' ' '''"^ ^' '
' Di weil* jm sa lustig geweisen Jst, xAt sei-
nen worten, mein i^äisigkeit zu Schelten; So
gepöm' steh mit "und hat er mn* des Ursach
geben > 'seiii ünscham zd itraffm^ und zu
', ."^ M',"« «i" £s
Es mag niemant die menschliche natur
schuldigen oder straffen.
Hieronymus sey ein scheltcr und übelreder
des Römischen stuls^ und ein durchächter der
Prelaten.
Aber diese mein durchächter haben mir
ewer gemüth von meinem hayl entpfrembdet.
Nicol von TVeiL
Die Folge davon ist: der jifcerredaer
schwächt j kränke j€77ian des Ehre. Absicht^ Per-
son: Die Verldeinerung **). Verunglimpf Cy
(daher Verunglimpfung) bringt jemanden um
Glimpf und Nahmen; Kränkt jemandes Leu-
mund^ Schweht sein Leumati Hans Stichs; wird
ein Verleumder durch Fertigkeit in diesem Ge-
schtifte^ und durch seine Absicht^ die in hö-
herm Grade boshaft, schädlich ist '^).
Kr beschmitzet des andern guten Nahmen:
ein Zeitwort, welches von Smit Rufs hergelei-
tet wird^ beschmytt^n nach älter Schreibart.
Stpsch Synonymen *').
- * _
36) Detru/iere, obtrectaior: ^
^7) »«(jt«Adyp$, jt»i»dA»vu», Mtx4n Afyiif (Im entgegAnga*
aet2ten Fall schon beym Herod. tfct ^1 ebx^vTttira srf«^
rf V «0(x«0-.) A<«^«AAf ly , ^t»ßc?in , ^t«cß4X»f, Drückt die
Absicht, oder Wirkung» aber ohne Zusau aus. Caiumm
nior a calv£ndo (calvere^ decipere), Mesdir€, medU
sance.
• sB) Besnryten (hochdeutsch beschraelfsen) daher Smiierling
(Schmetterling) und im Hochdautschen Schnuifißiegef
' R '
a58 •
Er schwärzet den andern an. Ein Zeitwort,
welches in der eigentlichen Bedeutung nun nicht
mehr Torkömmt. Brockt einem etwas ein; ver-
salzet einem bey andern die Suppe, ^ wenn die
Verleumdung darin bestand, dafs er einem
feindselige y untreue^ schädliche Gesinnungen
suschrieb.
Schon der Versuch ist ehrenrührig; greift
einen an der Ehre an; schneidet einem die Eh*
re ab. - Und leichter kann einer das Ohrenbe^
schneiden vertragen, als das Ehrenbeschneiden,
Abr, a. S. Cl.
Der Ehrabschneider istderhäfslichste Mensch,
wird ein Ehrendieb, Ehrenräuber y Ehrenschun^
der; macht einen zuletzt ganz stinkend.
Wer es laut , mit Frechheit, oder ins An«
gewicht thut , der lästert. Lästern kann her*
kommen von Laster^ welches ursprünglich /^er-
weil diese Insektea mit ihrea Eyern alles beschmeifsen,
bewerfen« und eben dadurch bescfamiczen oder beschmut-
zen, welches das Intensivum von besmyten ist. Das
aledeutsche Smit^ Rufs kenne ich nicht. Beym Ulphi-
Us heifst hismaiian bescbfQieren , besalben. AnmeriLmig
von Herrn Ramler.
Beym Nico!, von Weil^ in der Übersetzung des Pog-
gius vom Lobe des Hieronymus, ist folgende Stelle.
So des Hier, von Prag Hede of^ mit mancherley ru-
tnors gehindert ward: das er do derselben kaynen lieCi
ungeschmützt hingehen, fondern nöttet M «ich au
•cbämen oder schweygen.
^^9
letzung\ Beschädigung bezeichnete. Einem et-
was zu Laster thun; einem weder Laster noch
Leid thun, Adel. Und nach dieser Ableitung
würde es gleichsam den eigentlich so zu nen-
nenden Schaden thun heifsen. Oder es kommt,
von der Bedeutung des Wortes Laster, da es
Kränkung der Ehre, Schimpf, Schande bedeu-
tet , wie sich diese Bedeutung in dem Woxtei
Lasterstein, Schandstein, erhaltien hat. Oder es
spielet darauf an, wer sich solch freches Ver-
dammen^ Verleumden zu schulden kommen las-
set, der thut, begehet, was »«r 1$«;^«» Laster
heilset.
Er sagt, das alles so jm fürgehalten we-
re, falsch und laster sein, von seinen Fein-
den erdacht. NicoL von PVeil.
«
Zerlästern könnte wohl eine, freilich nicht
ohne Mifsverständnifs gewagte, Übersetzung des
Lateinischen Zeitworts criminari seyn.
Lästerlich, Lästerrede, Lästerwort, Laster^
Schrift; der Lästerer, das LästermauL Die Zoj*
terschule galt schon bey den Alten für Schule
aller Bosheit.
Mit Lästern ist fluchen verbunden, wena
der Affekt, und die Begierde Schaden zu thun
den andern unglücklich zu sehen, in Heftfc^keit
ausbricht.
Wer lose Worte giebt, der leide Schmach
26o
und Fluchen. Wenn einer Glimpf nicht braucht,
so darf er Glimpf nicht suchen.
Fluchen wie ein Landsknechtp wie ein
Fuhrmann.
Der Fluch ^ der Fluchen
VlI. Unzüchtige Ausdrücke heifsen schand-
bare Worte, Zo^e/i, ' Zoten vorbringen ^ Zoten
reifsen. Der Zotenreif ser ist der verworfenste
Witzling. Schweinereyen , Sauzoten. Milder
Sauglocke läuten.
Solch . ein MenscJt hat ein ungewaschenes
MauL
Unzüchtige Lieder im Schlesi&chen Dialekt
Zschuntscherlieder.
Da machen sie denn Buler Briefe^ und
singen Zschäntscher Lieder vum schinen Schaf-
fer, und der falschen Sjlviges. Der Bauer
beym Gryphius.
YIII. Selbst die Aufmerksamkeit und Ge-
Aissenheit, welche man gegen solchen Mifs-
brauch der Sprache blicken lasset^ . wird sehr
verächtlich bezeichnet.
Der zudringlich aufmerksame nimmt, stiehlt
einem die TVorte aus denk Munde. Wer hö-
ret, was er nicht hören, nicht behaltejo solte,
der SGhnappet auf. TVo hast du das wieder
aufgeschnappt? Die Begierde dergleichen Heden
aufzufangen, oder das ungeordnete Verlangen
nach I^euigkeiten heißet auch der Ohrenkitzeh
a6i
dem jucken die Ohren nach Neuigkeiten. Die
Stellung des, der alles zu aufmerksam beach*
tet, ' wird durch den Ausdruck er sperret das
Maul auf bezeichnet.
Sucht man unbemerkt etwas aufzufiingen,
so horcht man; Vfird ein Horcher. '
Aus diesem Yerzeichaifs erhellet nun un-
läugbar', dafs es den Deutschen darum zu thun
war, diese Fehler oder Laster^ die ihnen so
**
verhafst waren^ in allen ihren Au/serungen, Ab-
änderungen 9 Abstufungen bedeutend und zum
Theil nachdrücklich zu bezeichnen; in nach*
bildenden Tönen so wohl , als in sinnlich be«
zeichnenden^ auch uneigentlichen Ausdrücken
die unangenehme Empfindung, die der Zuhö-
Ter und Zeuge dabey hat, möglichst zu mah-
len ; und wenn irgend eine andre bekannte
Sprache einen passendern oder stärkern Aus«
druck zu haben schien, denselben in die Deut-
sche Sprache zu übertragen , auch wohl durch
Nebenbegriffe zu verstärken *').
■ m m *»
39) Z. B. Rabulist t vom Latein, rabulat weichet wieder
von ravus oder raucus, schwerlich von rabies herkommt»
bezeichnete also ursprünglich im Latein, einen, der un-
deutlich, unvernehmlich redet, oder einen, der sich
heiser redet. Im Deutschen bezeichnet es aber einen
zanksüchtigen, • rankevollen t mit Fleiü die Sache ver*
-wirrenden Redner.
Selbst das bey den Römern so ehrenvolle advoeaiuSf
patronus caussae, caussidicus bekam ^ sobald ea im
d6a
Aus dem eigentlichen, einzigen Volksbuche
des sechzehntjsn^ und der folgenden Jahrhun-
derte, aus der Übersetzung der Bibel, nahm
ein grofser Tbeil der Deutschen die fremden
Ausdrücke, welche Luther nicht ersetzen zu
können glaubte, willigst auf, sobald sie den
Nachdruck zu haben schienen, den der Hafs
gegen den Milsbrauch der Rede forderte.
Als mit der Zunge tödten, mit der Zunge
den Nächsten todtschlagen; mit giftigen Zun--
gen stechen; mit Otternzungen vergiften.
Deutseben uneigentlich gebraucht wurde, eine «weydeu*
tige Nebenbedeutung.
Er ist ein guter j4dvohat^ ein rechter, ein vollkomm"
ner Advokat.
Mit grofser Bereitwilligkeit nehmen auch die Deut»
sehen aus dem Lateinischen alles auf, Was zum Aus-
druck* ihres Widerwillens in diesem Fache tauglich,
oder wo ihre Sprache noch zu arm schien. Luther
selbst in einem Briefe : Eck cavUUrt das Wort sola gra-
tia — Erzcalumniant — dafs die welschen Practiken
nichts gegen euch ausrichten.
' Jnvehi in aliquem, einen anfahren; detrahere: So
ich abzug meinem necksten. NicoL von JVeiL
Also würden die Worte mit den Werken, und die
Zunge, die des SimnUrens und Complimentiren/, Lü-
gens und Trügens so gar gewohnt, mit dem Herzen
übereinstimmen ? Sc^uppius.
Es fahret der Mann in seinem Buch de -viris illustri*
bus mit ^solcher Ungestiimigkeit wider mich herein^ um
mich auszuscaliren. Diedr. de Bry, Der Ausdruck
ist eben so fremd , als er einst gewöhnlich war»
Und so unzählige andre.
a63
Was sogar in der Bibel nur etwan eine
Anspielung, ein Zug irgend einer Parabel ge-
wesen war, das ward bald im Deutschen Sprach-
gebrauch ein Hauptwort.
Aus der Parabel vom Splitter im Auge
machte nur der Deutsche Splitterrichter. Nach
dem Ausdruck Mücken seigen^ machte dar Deut*
sehe Mäckenseiger. So ist der Lügengeist ^ der
Vater der Lügen, für falscher j^ böser Geist,
Teufel, im Deutschen geblieben. So war das
Wort Spötter eine Zeitlang herrschend für In-
begriff aller Bosheit^ Verunstalter alles Guten.
So wie nun wohl offenbar der Deutsche
diesen Fehler, der durch Mifsbrauch der Rede
begangen wird , stärker als viele andre Natiö-
nen rügt: so möchten gar leicht andre Fehler
oder Laster duröh manchen , der Deutschen
Sprache eignen, Euphemismus gemildert erschei-
nen. Es wäre mit den Ausdrücken die Probe
zu machen, die alle Art von VöUerey bezeich-
nen: ob nicht in der Sprache selbst der alte
Deutsche die Schonung verrathen habe, die er
der Unmäfsigkeit zugestand. Z. B. Ein Ehren-
trank, fV^illkommen , Bescheid thun; ein Trunk
über Durst,
Einschenken, der Schenk, TVeinschenker,
Biersciienker. Wenn es der Deutsche noch
so angemessen , auch im höchsten Pieise bezahlt,
so hält er diesen Genufs doch noch für geschenkt.
a64
Mit der veränderten Denkungsart steigt und
fallt auch der mehr willkühriiche Werth uad
das Gewicht der Wörter und Redensarten*
Da jetzt Unwahrheit, Erdichtung, Ge-
schwätzigkeit häufiger wird; da es auch im Um-
gänge oft geduldet werden mufs: so werden
auch die Ausdrücke von diesen jetzt so genann-
ten Gewohnheitep milder.
Dagegen ist so mancher gelinde Ausdruck
und Euphemismus aus dem Gebrauch gekom-
men, womit ehemahls Gewalthätigkeit, Mifs-
brauch der Stärke und Überlegenheit entschul-
* diget oder beschöniget wurde '%
Strandreche hiefs die unnatürlichste Härte
gegen Unglückliche;
Faustrechc die Bedrückung des Schwächern.
Befehden hiefs mörderisch angreifen;
Einreiten sich des andern Grundstückes be-
mächtigen;
Niederlegen einen zum Knecht machen«
Ritterzphrung ward von dem unschuldigen
Wehrlosen terprefst.
" Reiterrechc hiefs die Gewaltthätigkeit, mit
welcher der Reisige allenthalben Feldfrüchte
• zum Futter für sein Pferd nahm.
3o) Noch im siebzehnien Jahrhundert hies in Frankreich
une ^uerelle d'uillemand , ein Blutbad.
a65
VI.
f^on deutschen Kunstwörtern die zur Grö-
fsenlehre (^Mathematik) gehören^ "von
ylbel Butja.
Einleitung,
jjas lobenswürdige Vorhaben des hochberühm-
ten Herrn Verpßegers ulid der deutschen Mit-
glieder dieser gelehrten Gesellschaft^ der
Landessprache eine gröfsere Vollkommenheit
und einen* neuen Glanz zu geben, hat auch
mich veranlasset über den Mangel an deutschen
Kunstwörtern in der Gröfsenlehre , und übeir
dessen Abhelfung nachzudenken. Ob ich gleich
der Abstammung nach französisch bin^ so sch^t*
ze ich es doch für eine Ehre von Geburt ein
Deutscher zu seyn: und ich halte es für Püicht,
diejenigen Schriften, die ich zum Unterrichte
der Jugend, und zum gemeinen Gebrauche be-
stimme, in deutscher Sprache zu verfassen.
Bei den Arbeiten dieser Art ist mir nur zu oft
der Mangel an bequemen Kunstwörtern höchst
beschwerlich gefallen. Wir haben schon eini*
ge deutsche Schriftsteller, die sich beflissen ha-
ben, ausländische Kunstwörter in der Gröfsen-*
lehre gegen einheimische zu vertauschen» «S^u/t/s,
26«
PVolf und unser zu früh verstorbener Mitge-
sellschafter Schuhe sind die vornehmsten unter
ihnen. Man mufs gestehen^ dafs sie Vieles ge-
than haben, aber nicht Alles^ und dafs es in
dieser reichen Ernte noch manches nachzu-
stoppeln giebt.
Ich nehme mir vor^ die verschiedenen
Theile der Gröfsenlehre, so wohPder reinen
als der a-ngewandten, nach und nach zu mus-
tern, die dahin gehörigen Dinge in einem zu-
sammenhangenden Vortrage aufzuzählen; sie,
wo es nöthig seyn wird, zu erklären^ und jedem
seine gehörigen Namen zu geben. Wenn ich
irgendwo fehle, so werde ich jede freundschaft-
liche Zurechtweisung als eine wahre Wohlthat
annehmen.
Erster Abschnitt.
Von der Gröfsenlehre überhaupt.
§. 1.
Es wird einem Dingo, eine Gröfse (gran-
deur) zugeschrieben', insofern e:B, wenigstens in
Gedanken, theilbar ist; oder auch, insofern es,
wenigstens in Gedanken, vermehret und ver-
mindert werden kann. Beide Erklärungen lau-
fen auf Eines hinaus : denn das Vermehren und
Vermindern beruhet auf der Theilbarkeit, und
2^7
geschiehet dadurch, da/s einige Theile zugeset-
zet oder abgenommen werden.
Das Wort Gröfse -wird eigentlich nur bei
solchen Dingen gebrauchet, die ihrer Natur
nach zusammenhangend sind^ und blo/s in Ge-
danken getheilet werden. Man saget, die Grö*
fse einer Linie, einer Fläche, eines Körpers,
einer Zeit, einer Kraft u. s. w. Hingegen hat
man das Wort Menge {quäntitS) für solche Din-
ge/ die sich von Natur in abgesonderten Theilen
darstellen , und für solche , die sich nicht gut
ohne wirkliche Theilung ,, und Trennung aus-
messen lassen. So saget man: eine Menge Gel-
des, eine Menge Wassers, u. s. w. Indessen
ist diese sprachkünstlerische Genauigkeit bei
unserem Zwecke entbehrlich ; und so wie die
französischen Schriftsteller die Worte grjindeur
und quantiti ohne Unterschied gebrauchen so
können wir ebenfalls die Worte Gröfse und
Menge verwechseln, wenn nicht besondere Um-
stände einen Unterschied zwischen beiden nö-
thig machen.
f. 2.
Die Gröfsenlehre (Mathematik) ist ein In-
begriff alles dessen, was der Mensch erhebliches
von den Gröfsen und Mengen der Dinge erken-
nen kann; oder, es ist diejenige Wissenschaft, in
welcher die Dinge, als theilbar betrachtet wer-
1^68
den, ah solche, *die einer Vermehrnng und
Verminderung fähig sind.
Weil diese Wissenschaft dieses Eigenthüm-
liche hat 9 dafs sie mehr als andere mit Ord-
nung, Deutlichkeit, Gründlichkeit, und Gewifs-
heit vorgetragen werden kann: so ist ihr von
den Griechen die Ehre erwiesen worden, dafs
sie vorzugsweise die Mathesis oder Mathematik,
das hei;st| die Lehre oder fVissenschaft genannt
wurde. Aus dem nämlichen Grunde schlägt
Leibnitz den von den Holländern erborgten
Namen Wifskunst^ vor. Indessen scheinet es
mir, dafs Wissen und Kunst sich einigerma-
isen widersprechen. Ich halte auch den Namen
iVifshunstr für gar zu hochtrabend, indem an-
dere Gelehrten^ die sich nicht eigentlich mit
den Gröfsen der Dinge beschäftigen, doch auch
etwas wissen. Also däucht mir, es sey zweck-
m'äfsiger, die Wissenschaft, wovon die Rede ist,
durch ihren Gegenstand zu bezeichnen, und
sie die Gröfsenlehre zu nennen, um desto mehr,
da man schon saget Naturlehre, Sittenlehre,
Seelenlehre u. s. w«
J. 3.
Der hohe Crad der Gewifsheit, den man
in der Grölsenlehre erreichet hat, rühret zum
Theil von der Lehrart her, die man in dieser
Wissenschaft zu beobachten pfleget. Man macht
269
den Anfang, mit Erklärungen oder PVorthestim*
mungen {definitiönes), welche die mit den Worten
zu verbindenden Begriffe gehörig einschränken
und bestimmen. Hierauf folgen Grundsätze
oder Ursätze {axiomata) oder solche Wahrhei-
ten, die man ohne Beweis annehmen mufs und
kann. Mit diesen haben die Forderungen (po"
stulata) einige Ähnlichkeit. Nämlich in einer
Forderung wird verlanget, dafs der Zuhörer
oder Leser die Möglichkeit oder die Thunlich-
keit irgend, einer sehr einfachen Verrichtung
ohne Beweis zugestehe, z. B. dafs man eine ge-
rade Linie ziehen und verlängern könne. Aus
den Grundsätzen werden Lehrsätze, {theorema--
ta) hergeleitet, nämlich solche Wahrheiten
die nicht ohne Beweis angenommen werden kön^
nen. Jeder Lehrsatz bestehet eigentlich ans
zwey Theilen. Der efrste ist die Voraussetzung
{hjrpothesis i seu data theorematis,) worin ange-
zeiget wird, wai als gegeben oder bekmnt an-
genommen werden soll. Der zweite Theil ist
der eigentliche Satz (thesis\ worin angekündiget
wird, was bewiesen werden soll. Nach dem
Lehrsatze folget sein Beweis (demonstratio), wor-
in gezeiget wird, wie die Richtigkeit des Lehr«
Satzes aus den Wortbestimmungen und Ursät-
zen, oder auch aus den vorhergehenden Lehr-
sätzen erhellet. Bei solchen Lehrsätzen/ die
sich auf Linien , Fläohea oder Körper beziehen
270
hebet der Beweis manchmal ao mit einer Vor-
Zeichnung {consiructio) , wo gelehret wird, wie
die Figur gezeichnet werden soll, die zum Be-
weise nötbig ist. Nach den Lehrsätzen folgen
gemeiniglich die Aufgaben (prol/lemata) , in
welchen verlanget wird, dafs etwas gethan oder
verrichtet' werde , wovon die Richtigkeit eben-
falls nicht ohne Beweis angenommen werden
kann. Jede vollständige Aufgabe enthält, wie
ein Lehrsatz, zwei Theile, nänilich die f^or-
aussetzung {hypothesis seu data problematis),
und die eigentliche Frage, {quaestio). Hierauf
folget die Auflösung {soUuio)y worin vorgeschrie-
ben wird, wie das Verlangte verrichtet werden
s'olL Dann kommt der Beweis {demonstratio),
welcher, wie bei den Lehrsätzen , manchmal
mit eiller Vorzeichnung {constructio) anhebet.
Oft kommen zu den Hauptsätzen noch Zusätze
(corollaria) hinzu , worin aus den Sätzen selbst
nützliche Folgerungen gezogen werden; dann
und wann auch Anmerkungen (scholia^ adnota-
iiones), das heifst allerlei zweckmäfsige Nach-
richten und Erläuterungen. In solchen Theilen
der Gröfsenlehre , wo gewisse Naturerscheinun-
gen erkläret werden sollen, nimmt man, wenn
es nöthig ist, seine Zuflucht zu Voraussetzung
gen oder Annahmen (hjrpotheses) , . indem man
eine ungewisse Sache für gewifs annimmt^ um
die daraus entspringenden Folgerungen mit der
Erfahrung zu vergleiclien. Endlich ist man in
gewissen Fällen genöthiget einig« Sätze, die
man zu seinem Vorhaben gebrauchet, erst nach-
zuholen , oder wohl gar aus einem andern Thei-*
le der Gröfsenlehre zu entlehnen. Solche Sät-
ze die nicht eigentlich in die Reihe derjenigen
gehören, die den Vortrag ausmachen, werden
Lohnsätze (lemmatä) genannt, sie mögen iibri*
gens in Wortbestimmungen oder Ursätzen oder
Forderungen , oder Lehrsätzen > oder Aufgaben^
oder Annahmen bestehen.
Es verstehet sich von selbst, dais es nicht
allemal nöthig ist, bei jedem Satze anzuzeigen,
ob er ein Ursatz , oder Lehrsatz u. s. w. ist. Es
ist genug, dafs sowohl der Lehrer als der Ler-
nende den eigentlichen Werth und Gehalt jedes
vorgetragenen Satzes deutlich einsehe.
JVolf ist der Urheber der Kunstwörter die
zur Lehrart in der Gröfsenlehre gehören ^ und
ich habe sie zum Theil so beibehalten, wie er
sie fest gesetzet hat. Man pfleget sie auch io
der Vernunftlehre (Logik) mit anzuführen.
Die Gröfsenlehre wird eingetheilet in die
reine und die angewandte {mathesis pura et
mathesis applicata). Die reine beschäftiget sick
blofs mit den Gröfsen überhaupt, ohne Rück-
sieht auf die übrigen Beschaffenheiten der Din-
27a
ge; die angewandte aber zeiget, wie die allge
meinen Wahrheiton der reinen Grofsenlehre
bei verschiedenen Gegenständen der Natur und
der Kunst genutzet werden können.
Die reine Grofsenlehre zerfällt in zwei
Haupttheile, nämlich die Recl^enkunst {calcu-
«
las), welche die getrennten Gröfsen {ijuantita-
tes discretae) betrifft j und die Älefskunst (Geo-
tnetria)^ die sich mit zusammenhangenden Grö-
fsen {quantitates coniinuae) beschäftiget.
Die angewandte Giöfsenlehre hat keine be*
stimmte Grenzen und erweitert sich noch täg-
lich. Sobald eine Wissenschaft, Kunst oder
Lehre viel Berechnungen, oder Beweise aus der
Mefskuhst erfordert, so pflegt man sie in das
Verzeichnifs der verschiedenen Theile der ange-
wandten Grofsenlehre mit aufzunehmen. Heut
zu Tage sind die&e Theile ungefähr folgende,
x) Die angewandte Rechenkunst oder kaufmän-
nische Rechenkunst {arithmitica applicata seu
mercatoria)^ das heifst, die Anwendung der rei-
nen Rechenkunst auf solche Fälle, die im Han-
del und im gemeinen Leben vorkommen. Je-
doch pfleget man sie, wegen der Trockenheit
der reinen Rechenkunst, in diese mit einzu-
flechten, a) Die angewandte Mefskunst oder
Landmcfskunst {geometria practica^ geodaesia)^
das heifsC der Gebrauch der Lehren der reinen
Mefskunst bei der Ausmessuag^ Theilung und
Auf-
273
Aufnehmung der Felder. Meistens wiVd sie
ebenfalls mit der reinen Mefskunst verwebet
oder als ein Anhang derselben vorgetragen. 3)
r>ie Bewegungslehre (mechanica) ^ deren Gegen-
stand schon durch den Namen angedeutet wird.
4) Die Lichtlehre {optica) oder die Lehre vom
Lichte und vom Sehen. 4) Die Gehötlehre
(acustica), das heifst die Lehre vom Klange, und
Tone. 6) Die Steralehre, welche von den Grö-
fsen^ Entfernungen und Bewegungen der Him-
melskörper handelt. 7) Die Zeitmessung [chro-
nometria), welches Wort schon an sich selbst
verständlich ist. ß) Die Feuerwerkerkunst {ry-
rotechniä), in welcher die Wirkungen des
Schiefspulvers bestimmt und' berechnet werden.
9) Die verschiedenen Baukünste, als bürgerliche
Baukunst (arckitectuva civilis), Kriegeshauhmst
{architectura militaris) , JVasserhaukunst [archi-
tectura hydraulica) , Schiffbaukunst > {architectu^
ra navalis).
Diese verschiedenen Theile , sowohl der
reinen, als angewandten Gröfsenlehre haben
wiederum ihre Unterabtheilungen, welche ich
hier ohi^e viele Erklärungen anführen will, in-
dem die Sache meistens durch den Namen
schon hinlänglich angedeutet wird.
Die Rechenkunst begreift die gemeine Rech^
nung oder Zifferrechnung {arithmetica) und die
Zeichenrechnung {algebra). Di^se letztere ent-
Ä74
hält wiedemm die niedere Zeichenrechnung (a
gebra communis ^ calculus liiteralis^ ana/jrsis /
nitorum) und die höhere Zeichenrechnung ode
die sogenannte Rechnung des Unendlichen (anc
lysis infiniiorum).
Die Mefskunst wird eingetheilet in die ge
meine Mefskunst {geometria communis sive eh
meniaris) und die höhere Mefskunst {geometrü
sublimior^ geometria curvarum). Die gemeiiK
Mefskunst wird ferner yon Einigen eingetheilel
in die Längenmessung {longimetria) , Ebenen'
messung oder Flächenmessung (planimeiria) und
Körpermessung {stereomeiria , solidomeiria). Ah
ein Anhang zur Mefskunst mufs die Dreiecks-
lehre (jtrigonometria) betrachtet werden, sowohl
die ebene Dreieckslehre {trigonometria plana)^ als
auch die kuglichte Dreieckslehre {trigonometria
sphaerica).
Von ^ev kaufmännischen Rechenkunst und
der Landmefskunst ist schon bemerket wordeji,j
dafs sie meistens zugleich mit der reinen Grö-
fsenlehre Torgenommen werden^ Sie bedürfen
also keiner besondern Unterabtheilungen.' Ich
bemerke hier nur noch, dafs auch die ff^asser-
'I
Vfugartg oder Richtv/ägung {libellatia^ nivelle-
ment) als ein Stück der angewandten Meiskunst
betrachtet werden kann. Nichts verhindert/
sie mit der Landmefskunst zu verknüpfen.
Die Bewegungslehre bestehet aus vier Thei
275
len, als da sind i) die Standlehre (staticä) für
das- Gleichgewicht überhaupt , und besonders
für das Oleichgewicht der festen Körper ; 2) die
Walsers tandlehre (Jiydrostaüca) für das Gleich-
gewicht der Flüssigkeiten ; 3) die Kraftlehre
{dynamica , phoronomia) für die Bewegung
überhaupt, und besonders für die Bewegung fes-
ter Körper; 4) ^^® JVas^erkrafilchre {liydrody-
namica , hydraulica) für die Bewegung der Flüs-
sigkeiten.
. In der Lichtlehre kommen vor: i) die
Lichtmessung {photometria , phaometria, optica
proprie sic.dicta); 2,) die Spiegellehre {catoptri^
cö);- 3) die Durchsichtslehre {dioptrica); 4) die
Scheinlohre {perspectiva).
Die ^ Gehörlehre kann eingetheilet werden
in die Klanglehre {theoria sonorum) und di^
Tonlehre (musica theoretica, theoria tonorum)»
Die Sternlehre läfst sich füglich in zwei
Theile zerlegen : 1) die Sternkunde Castrono»
mia sphaerica)^ welche hauptsächlich mit Beob-
achtung der Erscheinungen zu thun hat ; 2)
die Sternwissenschaft (astronomia physica)^ wel-
che die Kräfte, wodurch die Himmelskörper
sich bewegen, untersuchet und berechnet. Als
ein Theil der Sternlehre kann auch die Erd'
messung (geographia mathematica) betrachtet
werden. ,
Die. Zeitmessung enthält die Zeitkunde
S a
(chronologiä) und die Uhrenkunst (Jiorometriä),
Diese letztere zerfallt wiederum in die Sonnen'
uhrenkunst (gnomonica), die Wasseruhrenkunst
{clepsydrica)^ die Räderuhrenkunst (Jiorometriä
mechanicä), und was dergleichen Uhrenkünste
mehr sojn mögen.
Die Feuerwerkerkunst wird eingetheilet in
dieGeschützkunst (artillerie) und die Lustfeuer-
kunst {Cart des feux d'artifice).
Die verschiedenen Baukünste sind durch
ihre Benennungen schon genugsam abgetheilet.
Man siehet aus den angeführten Benennun-
gen ^ dals die Endungen Lehre ^ Kunst, und
Kunde fast ohne Unterschied gebrauchet wer-
den. Und in der That enthalten fast alle
Theile der Gröfsenlehre so wohl eine Kunde
oder Erkenntnifs aus der Erfährung , als eine
Lehre oder Erkenntnifs aus der Vernunft, und
' auch eine Kunst oder eine Anweisung zur Aus«
Übung. Die Abwechselung dieser drei Endungs-
wörter scheinet aufserdem in der Sprache nö-
thig zu sejn, weil dadurch die gar zu häufige
Wiederkehr der nämlichen Laute vermieden
wird.
^77
Zweiter Abschnitt.
T^on der Rechenkunst*
Die Einheit (iinitas) ist jedes Ding, inso-
fern man es als ein ungetheiltes Ganzes be-
trachtet. Mehrere Einheiten von einerlei Art
oder einerlei Gröfse machen eine Zahl (numc'
rus). Eine unbenannte Zahl {numerus abstrac^
tus) ist diejenige, bei welcher nur blofs die Men-
ge der Einheiten, ohne ihre übrige Beschaffen-
heit gedacht und angezeigt wird. Eine benannt
te Zahl {numerus concretus) ist diejenige, bei
welcher nicht nur die Menge der Einheiten,
sondern auch ihre Beschaffenheit und Art ge-
dacht und angezeiget wird. Eine bestimmte
Zahl {numerus determinatus) ist^diejenige, deren
Werth genau angegeben wird. Eine unbestimmt
te Zahly {jiumerus indeterminatus) ist diejenige,
deren Werth unentschieden bleibt und vielfäl-
tig seyn kann, als wenn man saget, eine gewis-
se Anzahl y so und so viel. Bestimmte Zahlen
werden durch Ziffern \notae numericae) be-
zeichnet, unbestimmte aber durch Buchstaben*
f. 3.
Die Zählung (numeratio) ist die Art, wie
man die Einheiten sammlet, die zu einer bei-
stimmten Zahl gehören, und wie man diese be- ,
stimmte Zahl durch Ziffern, oder durch Worti
ausdrücket.
Die Art, wie sehr grofse Zahlen ausgesprol
eben werden^ verdienet eine besondere Betracl
tung. Wenn die Zahl in Ziffern ausgedrückcj
ist, so theilet man sie bekannter MaCsen, T(n
der rechten Hand zur linken in Abschnitte, de
ren jeder drei Ziffern emhält. Nun pßegteA
die alten deutschen Rechenmeister bei jeden
Abschnitte das Wort lausend so viel mal auszu-
sprechen , als noch Abschnitte rechter Hand
vorhanden waren , z. B. diese Zahl:
a4 536^800 o5743o^ 1 00^476
würde also gelautet haben:
a4 tausend- tausend - tausend - tausend- tausend
mal tausend,
536 tausend - tausend ^ tausend ^ tausepd mal
tausend,
800 tausend- tausend- tausend mal tausend,
67 tausend «- tausend mal tau$<^nd,
43o tausend mal tausend,
100 tausend,
476.
Da man in d^r Folge einsah) wie schlep-
pend^ verwirrend und unbequem diese Art zu
zählen war, so erborgete man von den fianiCK
sischen Gröfs6nlehrern die Worte Millionen^
^Billionen, TrilUonerCj Quatrillionen u. s. ^*
Es mufs aber bei dieser Erborgung ein ffob&
,^79
rjersehen geschehen seyn« Denn nach der
ranzösischen Zählung zeigen die gedachten
JffoTte eine Fortschrejitung an , die nur * von
rlrei zu drei Ziffern gehet^ da im Gegentheile
iie Deutschen durch die nämlichen Worte eine
.Fortschreitung von sech$ ?u sechs Ziffern an-
deuten. Nur die neun letzten Ziffern rechter
Hand werden so wohl in der französischen als
in der deutschen Zählung aiif einerlei Art ge-
lesen. Z. B. Die oben angeführte Zahl wird
nach französischer Art also ausgesprochen: 24
Quintlllionen , 536 Quatrillionen, 800 Trillio-
nen, £7 Billionen oder Milliarden, 4^o. Millio-
nen, 100 Tausend und 476. Hingegen nach der
deutschen Zählung heifst es: 24 Trillionen,
536800 Billionen, 67430 Millionen und 100476«
Diese Verschiedenheit der Zählung bey
zwei beuachbarten Völkern kann leicht zu man*^
cherlei Milsverständnissen Gelegenheit geben.
Wenn es mir erlaubt wäre auffallende Neuerungen
zu wagen, so würde ich rathen, die französi-
schen Zahlwörter Millionen ^ Billionen^ TrilliO"
nen u. s. w. theils wegen ihres fremden Anse-
hens , theils auch wegen ihrer Zweideutigkeit, ,
gänzlich aus der deutschen Sprache zu verban-
nen. Ich würde alsdann die Fortschreitung von
drei zu drei Ziffern wieder einführen. Um
nun keinen Mangel an Zahlwörtern zu leiden,
würde ich die Endung send des Wortes tausend
a8o
mit den Zahlwörtern zwei, drei, vier, u« s. w.
verbinden, und sagen
zweisend f anstatt tausend mal tausend;
dreisend, anstatt tausend- tausend mal
tausend;
viersend, anstatt tausend- tausend- tau- '
send mal tausend,
u. s. w.
Dann würde die oft erwähnte Zahl also
'lauten: 2A sechsend , 53C fünf«end, 800 vier-
send, 57, dreisend, 4^0 zweisend, 100 tausend
und 476«
Durch dieses Mittel würde unsere Zählung
wirklich deutsch seyn, so wohl was den Wort-
klang betrifft, als auch in Betrachtung des alten
deutschen Gebrauches von drei zu drei Ziffern
fortzuschreiten. Sie würde vor der französi-
schen den Vorzug haben , dals die Ordnung der
höheren Einheiten natürlicher wäre, als bei den
französischen Rechenmeistern. Denn bei diesen
zeiget die Anfangssilbe bi in den Billionen ei-
gentlich die dritte Ordnung der > tausendfachen
Einheiten an; die Silbe tri in den Trillionen ge-
höret zur. vierten Ordnung, u. s. w. Hingegen
in der von mir vorgeschlagenen Zählung geben
diB Anfangssilben zwei, drei u. s. w. zugleich
. die wahren Grade oder Ordnungen der tausend«
fiichen Einheiten zu erkennen.
a8i
§. 3. •
Die vier ersten Verrichtungen (pperationesj
der Rechenkunst heifsen; Sammlung (additio),
Trennung {subtractio) ^ Mehrung (multiplicauo')
und Theilung (divisio). Wenn es die Deutlich-
keit erfordert; so kann man noch bestimmter
sagen: Zahlensammlung , Zahlentrennung, Zah»
lenmehrung^ und Zahlentheilung. Übrigens
sind diese vier Verrichtungen so allgemein be-
kannt, dafs ich deren Erklärungen füglich weg-*
lassen kann.
Bei der Sammlung der Zahlen heifsen die
gegebenen Zahlen auf gut und alt deutsch die
Posten {aggregandi numeri)^ und was heraus-
kommt ist die Summe {Summa y aggregatum).
Beide Wörter sind zWar lateinischen Ursprungs,
haben al^er schon seit sehr langer Zeit das deut*
sehe Bürgerrecht erhalten, auch haben sie ei-
nen wahren deutschen Klang. Der Posten ist
nichts anders^ als das verkürzete Wort positus,
anstatt numerus"" positus sive datus.
Bei der Trennung der Zahler^ können wir
diejenige Zahl, welche vermindert werden soll
{numerus minuendus)^ die P^ollzahl nennen, weil
sie noch voll oder ganz ist. Was abgenommen
werden soll (numerus tollendus sive subtrahen"
diis) könnte füglich der Abzug heifsen. Was
übrig bleibet ist der liest oder der Unterschied.
Das ausländische Wort Hest ist sehen längst
eingebürgert; und dessen Klang ist gut deutsch.
a82 >
Bei der Mehrung der Zahlen wollen wir
beide gegebene Zahlen die Mehrer (faciores)
nennen. Die eine ist der Hauptmehrer {multi"
plicandus numerus)^ die andre aber der TVehen--
mehrer {mulüplicatof). Eine von diesen beiden
2jahlen ist allemal ' der Miimehrer {coejficiens)
der andern. Was herauskommt ist die Mehr*
zahl {productum sive factum).
Bei der Theilung haben wir zu betrachten
den Enthalter (dividendus numerus) j den Thei'
ler {divisor) und die Theilzahl {quotiens).
Man kann überhaupt dasjenige, was zu
Ende einer Rechnung herauskommt^ die AuS"
hunft [resultaturn) nennen.
§• 4-
Nach' den vier Hauptverrichtungen der Re-
chenkunst (/juatuor species calculi) pfleget man
die ß rücke oder die gebrochenen Zahlen {ßrac-
tionesy sive nuineri fracti) abzuhandeln. Sie
sind den ganzen zahlen {jnumeri integri) entge-
gen gesetzet. Die Brüche sind entweder gemei-
ne Brüche (fractiones communes seu {vulgares)
oder zehntheilige Brüche {fractiones d^cimales).
Die gemeinen Brüche können ferner eingethei-
let werden in wahre Brüche {frax>tiones verae)
und Scheinbrüche (fractiones apparentes) , wel-
che letzteren sich allemal auch durch ganze
Zahlen ausdrücken lassen , als " , V ^ u. s. w.
283
Die wahren Brüche sind entweder rechtmufsige
Brüche (fracdones minores unitate) oder über^
milfsige Brüche [fractiones majores unitate). Bei
der Lehre von den Brüchen kommen unter an-
dern diese beiden Aufgaben vor: einen Bruch
zu verkürzen {reducere fractionem ad minores
terminos) und mehrere Brüche unter einen ge* .
tn^insamen Nenner zu bringen (reducere frac*
tiohe^ ad eundem sive communem denominato*
rem),
§. '5.
Die Rechenmeister bedienen sich des Wor-
tes Begely um jede in vielen Fällen brauchbare
Anwendung der einfachen Verrichtungen anzu-
deuten. Gegen dieses Wort^ welches , seines
lateii^schen Ursprunges unerachtet, gut deutsch
.klinget, habe ich nichts einzuwenden.
Die bekannteste unter allen, solchen Re-
geln ist die dreisätzige Regel oder die Regel
des Dreisatzes , oder blofs der Dreisatz {regula.
de tribus datisj regula proportionurn)^ worin ge-
lehret wird, wie und in welchen Fällen^ au3
drei gegebenen Zahlen, vermittelst der Meh-
rung und Theilung, eine vierte unbekannte ge^
funden werden kann. Es ist eben nicht nöthig,
dafs man diese so gen^einnützige Regel* bis
nach der*Lebre von den Verhältnissen aufschie-
be. Sie läfst sich sehr gutj durch sich selbst
beweisen.
284
Der Dreisatz wird eingetheilet in den ein-
fachen Dreisatz (regula proporiionum Simplex)
und den zusammengesetzten Dreisatz {regula
proportionum com^posita).
Der einfache Dreisatz ist entweder gerade
(regula proportionum directa) oder verkehrt (re-
gula proportionum, inversa).
Der Zusammengesetze Dreisatz ist im Grun-
de nichts anders, als ein wiederhohlter einfacher
Dreisatz. Hierher gehören diejenigen Regeln,
welche von den Rechenmeistern genannt wer-
' den der Fünfsatz (regula quinque)^ der Sie-
bensatz {regula Septem)^ u. s. w.
Die übrigen Regeln, die man in Rechenbü-
chern antrifft, bestehen' meistens in einigen
merkwürdigen Anwendungen des Dreisatzes, als
da sind: die Zinsrechnung {regula interusurii),
so wohl die einfache Zinsrechnung (regula in-
ißrusurii simplicis)^ als die, Zinseszinsrechnung
(regula interusurii compositi); ferner die Frist-
rechnung (regula terminorum) , die Gesell-
Schaftsrechnung (regula societatis), die Ketten^
rechnung (regula conjuncta)^ die Mischrechnung
(regula alligationis) , die Blindrechnung (regula
coeci) , die Falschrechnung (regula falsi, regula
falsae positionis). Es giebt noch andere so ge-
nannte Regeln, die ganz besonders für Kaufleu-
te bestimmt sind, als: die Abgangsrechnung
(gemeiniglich Tara-Rechnung), die Schßdenrech-
. 285
nung (gemeiniglich Fttsti-RechnuDg)^ die Kas^
senrechnung (Kassir-Rechnung), die Tauschrech-
nung (Baratt-Rechnung), die P^erwaherrechnung
(Faktorei - Rechnung), die PFechselrechnung,
u. s. w«
§. 6.
Das F'erhälmifs (relano , ratio, rappon)
zweier Zahlen ist die Art , wie die eine aus
der andern entstehet. Wenn zwischen zwei
Zahlen und zwei anderen das nämliche Ver*
r
hältnifs obwaltet, so sind die vier Zahlen in
Ebenmafs (proportio). Wenn die Zahlen durch
Sammlung oder Trennung aus einander entste-
hen, so dafs beiderseits ein gleicher Unter«
schied Statt findet, so hat man ein gleichresn-
ges Ebenma/s {proportio arühmeuca)^ Wenn
die Zahlen durch Mehrung oder Theilung aus-
einander entstehen, so hat man ein gleich theiti-*
ges Ebenmafs (proportio geometrica). Die vier
Zahlen die zum Ebenmaf&e gehören, heifsen die
Sätze des Ebenniafses (jermini proportionis) ; die
beiden ersten machen das erste Glied [primum
memhrum proportionis'), die beiden letzteren ma-
chen das zweite Glied (ßecundum memhrum pro
portionis). In jedem Gliede wird der erste
Sat2 auch Vordersatz (antecedens) und der an*
dere der Hintersatz (ponseqüehs) genannt.
288
heifst diese Verrichtung die Wurzel- Faszie-
hung oder blof» die j4usziehung (extractio radi-
cum vel simpliciter extractio). Die gegebene
2jahl ist wiederum die Stammzahl^ die gesuchte
aber ist die fVurzel {radix). Je nachdem die
gegebene Zahl die zweite, dritte, vierte Würde
u. s. w. der gesuchten sejn soIi| so ist die ge-
suchte der gegebenen zweite Wurzel (jradix s^
cunda seu quadratä) , dritte Wurzel [tadix ter<-
tia sive cubica)^ vierte Wurzel (radix quarta,
sive biquadratä) u. s. w. Die Stammzahl
selbst wird zugleich als die erste Wurzel ange-
sehen.
Die Ausziehung der Wurzeln ^ird durch
ein eigenes Zeichen vor der Stammzahl ange-
deutet* und über dieses Zeichen wird mit ei-
ner klein geschriebenen Ziffer der Grad oder
die Ordnung der Wurzel bemerket. Diese Ziffer
heifset der Wurzelanzeiger (exponens radicit).
f 8.
/
Man weifs, dafs die Wurzeln sich auch durch
»
gebrochene Würden- Anzeiger bezeichnen las-
sen und dafs von zwei gegebenen Zahlen die
einjB allemal als eine Würde der anderen be-
trachtet werden kann^ deren Grad entweder
durch einen ganzen Anzeiger, oder durch einen
sebi'ochenan oder auch durch einen vermischten,
theils
289
theils ganzen iind theils gebrochenen^ bestim-
met ^erd^n kann. '
Hieraus entstehet die Aufgabe: zu finden^
zur wie^vieUen FTürde eine gegebene Zahl er-
hoben werden mufs^ damit sie ^iner anderen
gegebenen Zahl gleich werde ; oder den fffür^
den^Anzeiger zu finden , welchen man einer ge*
gebenen Zahl beifügen mufs, damit die ent*
stehende JVürd\ einer anderen gegebenen Zahl
gleich werde. Die allgemeine Auflösung dieser
Aufgabe habe ich in einer dazu bestimmten
Abhandlung gelehret: Methode ^lementaire et
directe pour le calcul numärique des logarith^
mes , dans les M4moires de VAcad^mie de Ber»
lin^ pour l'annde 1787. Die hierzu erforder*
liehe Verrichtung nenne 'ich die Anweiserung
{exponentiation). Die eine Zahl, welche als
Stammzahl betrachtet wird^ heif&t hier die
Grund2ahl (base) , die andere , welche als eine
Würde der Grundzahl anzusehen ist^ heifst hier
die Hochzahl {dignitd, nombre absolu, nombre
proportionnel). Den gesuchten Anzeiger nenne
ich hier den Anweiser {logarithme, exposant
cherchö).
Wenn nian alle mögliche Zahlen als Hoch-
zahlen betrachtet, die sich auf eine und diesel*
hige Grundzahl beziehen, und deren jede einen
Anweiser hat^ welcher sich ebenfalls auf diesel-
T
290
bige Grundzahl beziehet, so Reifst der Inbegriff
aller dieser Hochzahlen und ihrer Anweiser ei-
ne Anweiser 'Verfassung {systema logarithmo^
rurri). Die beiden gebräuchlichen Verfassungen
sind die Verfassung der Briggischen oder g^e-»
meinen Anweiser (sjrstema logarithntorum Brig-
gianorum seu vulgarium) , wo die Grundzahl
10 ist| und die Verfassung der natürlichen An^
weiser [systema logarithntorum naturalium seu
hyperbolicorum)^ wo die Grundzahl 2^ 7182818..
ist.
Anweiser' Tafeln j (tahulae logarithmorum)
sind Bücher;, worin die Zahlen , in ihrer natür-
lichen Ordnung von 1 bis etwa 100600, als
Hochzahlen betrachtet , nebst ihren Anweisern,
nach der Briggischen oder einer anderen Ver-
fassung, aufgezeiclmet sind. Jeder Anweiser
bestehet gewöhnlich aus einer ganzen Zahl
nebst einem zehntheiligen Bruche. Die ganze
Zahl wird hier der Vorweiser (index, characte*
ristica) genannt.
Wenn etweder zu einer Hochzahl der An-
weiser oder zu einem Anweiser die Hochzahl
gesuchet wird , und wenn das Gegebene nicht
genau in den Tafeln anzutreffen ist, so nimmt
man seine Zuflucht zu den ebeumäfsigen Thei-
len (jjortes prppcrtionales)y die in yollständigen
T<Ueln aU^mal beigefüget sind.
Manchmal wird anstatt des Anweisers seine
Ergänzung {complementum h^garithmi) gebrau*
chet« Diese bestehet in dem Untek*schiede zwi-
schen dem gegebenen Anweiser und der bestän-
digen Zahl lo *),
-^ ■■''■' " ' . ■■' I ■ ■ ■ ■ " 1 1 II ■■ -.
*^ Wenn Zeit und Umstände es erlauben, und "wenn die-
ser Versuch einiger Aufmei^csamkeit vrerth zu seyn
«cbeinet, so werde ich vielleicht auf die gegenwärtige
Abhandlung noch einige, andere folgen lassen, und mich
darin mit ^en Kunstwörrern der übrige^ Theile der
Oröfsenlehre beschäftigen.
T a
»9*
VII.
Über deutsche Dialekte. Ente Vorlesung
7)on Friedrich Gedike.
Tode nur einigermarsen verbreitete^ nnr eini«
germafsen gebildete Sprache hat Dialekte i und
miifs Dialekte haben. Zwar wird dadurch die
gründliche Kenntnis der Sprachen schwieriger:
allein die Mehrheit der Dialekte in den gebil-
deten Sprachen ist nun einmal ein eben so
nothwendiges Übel, als Mehrheit der Sprachen
selbst. "War doch ursprünglich im Grunde je-
de Sprache nichts anders als Dialekt, d. i. eine
durch physische und moralische Verschiedenhei-
ten bewirkte Modification der Ursprache. Wie
wäre auch sonst die wunderbare Ubereinstim-
mung zwischen so manchen Sprachen in ver-
schiedenen Welttheilen und bei den entlegensten
Nationen zu erklären? Alle Sprachen üossen
aus Einer Quelle; aber der Strom ward im-
mer breiter , und theilte sich in immer mehre-
re Arme, die allmälig immer weiter aus einan-
der liefen- und neue Ströme bildeten. Verbrei-
tung der Menschen, Unterschied des Klima und
Bodens, schnellerer oder langsamerer Fort-
schritt in der Kultur, mufsten nothwendig sehr
frühzeitig in der Einen Ursprache oder (wenn
man mehrere verschiedne Menscheostämme an-
293
nehmen will) in den drei oder vier Stapimspra-
ochen dieser Urstämme des Menschengeschlechts
Dialekte bilden^ und mit der Zeit ward, zumal
wenn grofse politische Umwälzungen und Völ-
kermischungen hinzukamen , der UnterscEi^
zwischen diesen Dialekten so grofs , und Ab-
stammung und Verschwisterung vor dei! Av^:
gen eines die Sprache mehr gebrauchenden js^U
vorsätzlich bearbeitenden Volks so verste€«|^t>
dafs endlich der Dialekt selbst wieder zur Spi|i«
che aufwachsen mufste, ja mit der Zeit selbst
wieder Mutter von neuen* Dialekten ward.
In so viel verschiedene Dialekte^ sich auch
eine Sprache zertheilen mag, so hat sie den«
noch gemeiniglich einen Hauptdialekt , der die
Sprache der feineren Welt, det Hauptstadt ist,
und mithin auch Sprache der Schriftsteller
wird. Wenn der Sprachforscher sich auch um
die Dialekte der Provinz und des Pöbels be-
kümmert, so thut der Sprachmeister und
tSprachschüler doch wohl, sich blofs auf jenen
feinern gebildetem Dialekt, oder die Bücher*
spräche, einzuschränken. Diese allein dauert
fort, auch wenn die Kation selbst schon längst
verschwunden ist, oder doch durch Vermischung
ihre Eigen thUmlichkeit und ehmalige Sprache
verloren hat.
Die griechische Sprache unterscheidet sich
darin beinahe von allen ihren gestorbenen und
afl4
lebenden Schwestern ^ dafs sie mehr als Einen
Dialekt zur Büchersprache werden lassen. Diefs
könnte befremden ^ wenn man nicht gerade
daran denkt , dals Griechenland lange schon in
einem hohen Grade kultivirt war, und schon
Wissenschaften und Künste in seinem Schoofs
aufblühen und zu Früchten für die Nachwelt
reifen sah, da es noch immer ein unzusan^men-
hangendes Ganze von vielen kleinen für sich
bestehenden Nationen und Staaten ausmachtCi
die zusammen kein politisclies System, sondern
nichts als ein gar nicht oder wenig verbundenes
politisches Aggregat waren. Jeder Schriftsteller
schrieb daher im Dialekt seines Staats , so lan-
ge noch kein Staat einen solchen politischen
oder litterariscben Vof^sprung und Vorzug er-
halten hatre, dafs sein Dialekt alle andere aus
der Büchersprache hätte verdräugen können.
Ganz anders verhält es sich mit der lateinr-
sehen Sprache und Litteratur. Damals als nach
beinahe sieben unter dem Geräusche eines fast
ununterbrochenen Krieges verlebten Jahrhun-
derten zuerst die Wissenschaften nach Latium
verpflanzt wurden , hatte sich Rom schon durch
Gröfse, Volksmenge, Furchtbarkeit, ja selbst
durch Kultur übet alle andere Städte Latiums
hinweggeschwungen. Doch Rom war nicht et-
wa blofs die älteste oder doch die wichtigste
unter den Schwestern, sie war ihre Gebieterin«
Natürlich ward also auch ihr Dialekt der herr-
sehende und verdrängte die übrigen aus der sich
bildenden^ und noch mehr aus der gebildeten
Biichersprache.
Die deutsche Sprache , die überhaupt so
manche Ähnlichkeiten mit der Griechischen
hat^ ist ihr auch in Ansehung der Dialekte zur
Bewunderung ähnlich. Nicht nur ist die Zahl
der Hauptdialekte bei beiden gleich > sondern
diese Dialekte selbst haben eine be\yundernswür-
dige Übereinstimmung unter einander. Der
breite, hochtönende^ ernste^ feierliche, dorische
Dialekt entspricht ganz dem Oberdeutschen»
Dersanfte^ weiche, zarte, unperiodische yo/zücZte
Dialekt entspricht ganz unserm Plattdeutschen^
und der am spätesten aber auch am meisten aus-
gebildete und daher seine älteren Brüder aus der
Büchersprache verdrängende attische Dialekt
entspricht in Ansehung seines Ursprunges und
in Ansehung seiner Beschaffenheit genau un-
serm Hochdeutschen. Ich darf ohne Anmafsung
behaupten y der erste gewesen zu seyn, der be-
reits vor 14 Jahren in einer Abhandlung über
Purismus und Sprachbereicherung , auf diese^
-wie mich dünkt, wichtige Ähnlichkeit der bei-
derseitigen Dialekte aufmerksam gemacht hat,
ob wol diese schon damals mit Beifall aufge-
nommene Bemerkung nachmals in mehrere
Schriften unsers grofsen Sprachforschers Ade-
lung und anderer übergegangen« Ich habe auch
schon damals die Ähnlichkeit der beiderseitigen
Dialekte aus dem Daseyn und der Einwirkung
gleicher Ursachen und Umstände erklärt. Dena
die physischen und moralischen Eigenthümlich-
keiten einer Nation wirken offenbar euch auf
die Sprache. Jene hängen vom Klima und der
Beschaffenheit des Bodens, der Nahrung u. s. w.
diese von dem durch Erziehung, Religion^ Re-
gierung gebildeten Nationalcharakter ab. Von
allen diesen Seiten findet sich, so manche Ähn-
lichkeit unter Griechen und Deutschen, dais
man sich, nicht wundern darf, diese Ähnlich-
keit auch bei ihren Sprachen wieder zu finden.
Die Deutschen sind eben so wenig, als die
Griechen, wie eine einzige Nation zu betrach
ten. Griechenland bestand, wie Deutschland,
aus einer Menge kleinerer und gröfserer Staa-
tep, von der verschiedensten Kultur und Ver-
fassung. Nur ein schlafTes Band hielt und hält
diese Staaten zusammen. Weder Griechenland
noch Deutschland kann man als ein politisches
Ganze betrachten, obwol Deutschland noch im-
mer eher als Griechenland; und der Reichstag
zu Regensburg umfafst doch immer mehr noch
das Ganze, als die Versammlung der Amphik-
tyonen. .
Wenn es ferner wahr ist, dafs je vielfacher
und verschiedener der Ursprung der mannichfal-
tigen Stämme und Staaten eines dieselbe Spra-
che redenden Volks ist, desto grölser die Zahl
»97
und Verschiedenheit der Dialekte seya miisse:
so gilt beides eben sowol von der deutschen
als von der griechischen Nation. Kolonien aus
allen Theilen der Welt und von den verschie-
densjten Graden der Kultur bevölkerten Gri€h
chenlai)d. Auch Deutschland ward von meh-
rern sich über einander wälzenden Völkerstäm-
men von Norden und Osten aus bevölkert , und
von Westen, ynd Süden erhielt es seine Kultur.
Auf die griechischen Dialekte wirkte jedoch
nicht blofs die Verschiedenheit der Kolonien,
durch die Griechenland selbst bevölkert ward^
sondern eben so sehr die grofse Menge und
Verschiedenheit der nachmals von den Grie-
chen selbst weit und breit an den Küsten aller
von ihnen befahroen Meere angelegten Kolo-
nien, die sich wieder aufs mannigfaltigste misch«
ten,, und dadurch auch in Ansehung der Dia«
lekte manche Spielart zur Welt brachten. Hier
zeigt sich nun freilich ein mer|dicher Unter-
schied zwischen Griechenland und Deutschland.
Auch Deutchland sandte in der Periode der so
genannten Völkerwanderung Kolonien nach Wes-
ten, Osten und Süden. Aber die deutsche
Sprach» gedieh nicht auf dem fremden Boden.-
Die noch gar zu rohen und unwissenden Bar-
baren vertauschten gröfstentbeils , wie die Mo-
golen in China und Indien, ihre noch gar zu
ungebildete Sprache mit der Sprache der von
ihnen besiegten und unterjochten Nationen, ob-
wol auch diese nnn bald durch den Einfluls der
fremden Nationen ausartete. Dieser Unter-
schied läfst sich indessen leicht daraus erklä-
ren, dafs die Griechen ihre Kolonien mitten
unter Barbaren, von denen sie nichts lernen
und annehmen konnten, anlegten, dagegen die
•
deutschen Horden sich mitten unter kultiyirte
Völker hineindrängten, die nun natürlich ihre
Lehrer wurden. Nur allein in zwei Europäi-
schen Sprachen ist die Spur der Einwanderung
deutscher Stämme auch fiir das blödeste Auge
sichtbar geblieben, ich meine die englische
imd niederländische Sprache, wiewol die letzte-
re nicht einmal als eine eigene Sprache, sondern
mehr als Dialekt der deutschen angesehen wer-
den kann. Aber hier, so wie in England, tra-
fen auch die einwandernden Deutschen nicht
auf schon kultiyirte Nationen , wie in Italien,
Spanien und Gallien. Kein Wunder also, dais
in diesen Ländern Gothen, Sueven , Vandalen,
Burgunder und Franken einen geringem Ein-
Hufs auf die Landessprache hatten, als die Sach^
sen in England und in den Niederlanden. Denn
die Friesen und Chauci, welche ursprünglich
von der Ems bis an die Elbe wohnten, waren
Stammväter der itzigen Niederländer, und ge-
hörten mit zu dem Bunde der Sachsen.
Je gröfstr übrigens der Unterschied in An-
sehung des Klima und Boden? unter den ver-
^99
schiedenen Provinzen eines Volks ist^ desto mehr
und yerschiednere Dialekte mufs es geben*
Auch hier findet sich wieder eine auffallende
Ähnlichkeit zwischen Griechenland und Deutsch-
land. Flache und gebirgige Gegenden, Sandeb«
neu und fruchtbare KornMder^ wechselten dort
und wechseln hier in auffallender Mannigfaltigkeit
ab. Überall ward griechisch und wird deutsch
gesprochen; aber die Natur müfste ihren mäch-
tigen Einßufs auf die Spi:achwerkzeuge und
selbst auf die Vorstellungs - und Darstellungs-
art verläugnen, wenn die Sprache überall die-
selbe' geblieben wäre. • Das flache nordliche und
das mehr gebirgige südliche Deutschland nluls«
ten natürlich die deutsche Sprache eben so ver-
schieden modifiziren , als die griechische durch
Verschiedenheit des Klima und Bodens in dem
flachen heitern KUstenlande Joniens und in den
Gebirgen Thessaliens, dem ersten Sitze der
Dorier^ und dem ebenfalls gebirgigen Pelopon-
nes, dem nachmaligen Wohnsitze eben dieses
Stammes^ modifizirt ward.
Doch es wäre wider meinen Zweck , hier
diese Parallel weiter fortzusetzen^ um so mehr,
da diels zum Theil schon in meiner Abhandlung
über die griechischen Dialekte geschehen. Hier
ist es mir zunächst allein um die deutschen
Dialekte zu thun.
Seit den ältesten Zeiten, soweit die deutsche
3oo
Geschichte zurück zu gehen im Stande ist,
herrschten in Deutschland zvfei Hauptdialekte,
der des südlichen, und der des nordlichea
Deutschlands« Die^ altfränkische Sprache, von
der sich noch so manche schätzbare Denkmäler
erhalten haben, war die Hauptsprache des süd-
lichen Deutschlands , obwel die Franken selbst
aus dem nordlichen Deutschlande südwärts ge-
wandert waren, und vielleicht erst in ihrem
neuen Wohnsitze den breitern Dialekt dessel-
ben angenommen hatten. Das Angelsächsische,
wovon wir ebenfalls noch einige, wenn gleich
weniger, schriftliche Denkmäler besitzen , war
ein Zweig der alten Sprache von Norddeutsch-
land , daher denn noch itzt die überaus grofse
Ähnlichkeit des* Plattdeutschen mit dem Engli-
schen in allen solchen Wörtern, welche Begrif-
fe des ersten Bedürfnisses bezeichnen. Denn
die Ausdrükke der höhern Bildung hat die eng-
lische Sprache aus der lateinischen theils un-
mittelbar, theils, seit Wilhelm dem Eroberer,
mittelbar durch den Kanal der frltnzösischen ge-
schöpft.
Die Gränzen dieser beiden Hauptdialekte
sind schwer zu ziehen, da ohnehin beide sich
hie und da einander nähern, uäd endlich gar
in einander verlieren. Genug, das Plattdeut-
sche erstreckt sich durch das nordliche Deutsch«
länd von 'den Niederländischen Gränzen an bis
/
\
3oi
an die Litauischen. Es herrscht daher mit
mehr -oder minder Abweichungen in dem West-
fälischen und Ni^dersächsischen Kreise^ ferner
in einem grofsea Theile de^ Obersächsiscfaen
Kreises, und hier selbst in solchen Provinzen,
die ehedem ein Sitz Slavischer Stämme waren;
ferner' in PreuTsen, wo es jedoch eine neue
Sprachiß ist, die an die Stelle der selbst durch
obrigkeitliche Verordnungen ausgerotttäten Ur-
sprache PreuCse^s getreten. Selbst noch in ei*
nigen Gegenden des Oberrheinischen * Kreises,
findet sich das . Plattdeutsche , wiewol es sich
hier unvecmerkt in das gemeine Oberdeutsche'
verliert. Die Scheidewand der beiden Dialekte
scheint im Hessischen zu seyn ; wenigstens fin-
det man noch hie und da im Hessenkasseischen
den plattdeutschen Dialekt, aber, so viel ich
wei£s, nicht mehr im Hessendarmstädtischen.
Man pflegt diesem Dialekt mehrere Namen
zu geben. JMan nennt ihn den niedersächsi'-
sahen f der aber leicht zu der Mifsdeutung An^
lafs geben kann , als sei blofs Niedersachsen der
Sitz dieses Dialekts, obgleich nicht zu läiignen
ist, dafs er hier reiner und wohlklingender ist,
als in andetn Gegenden Deutschlands* Bestimm*
ter also. nennt man ihn den niederdeutschen Dia«
lekt, im Gegensatz gegen den Oberdeutschen*
An die Benennung Plattdeutsch schliest sich ge«
meiniglicb ein verächtlicher Nebenhegriff an, in-
3o2
sofern das Platte dem Erhabenen entgegenge-
setzt isty und Plattdeutsch demnach so viel
seyn würde , als gemeines^ niedriges , unedles
Deutsch. Ich glaube indessen, dafs diese Be-
nennung ursprünglich keine Verachtung bezeich-
nen sollen , sondern ebenfalls im geographischen
Sinn zu nehmen ist, insofern es die Sprache
des niedern, flachen, nord liehen Deutschlands
war , im Gegensatz des in dem höhern , gebir-
gigem, südlichem Deutschlande herrschenden
oberdeutschen Dialekts.
Zwar ist wirklich dieser Dialekt zu einer
solchen Niedrigkeit und Verachtung herabge-
sunken , dais er einem grofsen Theile der fei-
nern Welt, selbst in den Gegenden, wo er zu
Hause ist, beinah ganz unverständlich gewor-
den. Aber ob er diese Verachtung verdient, ist
freilich eine andere Frage. Es war eine Zeit, wo
er neben dem oberdeutschen Dialekt auch als
Schriftsprache blühete, obwol er freilich aucli
damals schon von einer verhältnifsmäfsig weit
geringern Zahl von Schriftstellern gebraucht
wurde. Diefs war sehr natürlich, weil die '^\S'
seoschaften und vornehmlich die Dichtkunst
im Mittelzeitalter, besonders zur Zeit der
schwäbischen Kaiser, in Oberdeutschland einen
günstigen Boden fanden, und mehrere und bes-
sere Früchte trugen, als' es in dem nordlichen
Deutschlande, , das. nicht, wie jenes, aus dem
3o3
benachbarten Italien und Gallien Licht und
Feuer borgte , damaU noch möglich war. Die
deutschen Völker waren durch das Ghristenthum
zugleich mehr mit den Wissenschaften bekannt
geworden. Aber 'Oberdeutschland hatte es schon
über 3oo Jahre und zwar freiwillig angenom-
men ^ als die Niederdeutschen erst durch das
Schwort der Franken bekehrt wurden. Wis-
senschaftliche Kultur gedieh daher später tind
langsamer an den Ufern der Elbe und Oder^
als an der Donau ^ und so blieb natürlich auch
die Sprache zurück. Zwar glänzen unter dei^
so genannten Schwäbischen Dichtem^ oder wie
man sie sehr unbestimmt zu nennen pflegt^ den
Minnesingern y auch manche in Niederdeutsch*-
land geborne Sänger, Aber sie bequemten sich
damals in ihren Gedichten nach der Hofsprache^
und sangen im Schwäbischen Dialekt,' wiewOl
doch auch manche niederdeutsche Produkte
erst von andern ins Oberdeutsche übertragen
wurden y gerade so , wie ehemals mehrere Ge-
dichte Jonischer Sänger Ton den Grammatikern
ihrer Jonismen beraubt j und ins Attische über*
tragen wurden.
Indessen war doch immer auch im Mittel-
zeitalter; besonders im i4ten und iSten Jahr-
hundert dieser Dialekt Büchersprache , und
mehrere noch aus jenem Zeitalter übrige pro-
saische und poetische Produkte dürfen die Ver-
3o4
gleichung mit den theik frühem theils gleich-
zeitigen oberdeutschen Produkten keinesweges
scheuen. Ich will itzt nur das bekannte sinn-
reiche und witzige Gedicht Meineke de Fofs
nenneuf
Noch mehr ward dieser Dialekt in allen
öffentlichen Verhandlungen gebraucht ^^ nicht
nur zum Unterricht des Volks von der Kanzel,
sondern auch vor Gericht , und in den Kanzlei-
en, in den Diplomen, Gesetzen und Verträgen
dieser Zeit. Es gab sogar schon vor der Refor-
mation mehrere plattdeutsche Bibelübersetzun-
gen (freilich nicht aus dem Grundtext, sondern
nur au^ der Vulgata).
So standen die Sachen, als im sech-
zehnten Jahrhundert aus der Mitte Deutschlan-
des , aus einer ehedem von Wenden bewohnten
I^ovinz, die aber nach und nach durch den
Bergbau , durch Handlung und Künste^ zu ei-
nem beträchtlichen Flor, und zugleich zu einem
.nicht minder beträchtlichen Grade der Kultur
gekommen war, kurz aus Kur- Sachsen ein
wohlthaciges Gestirn über den Horizont empor-
stieg» das zwar unmittelbar in dem Gebiete der
Religion neues Licht verbreitete, aber zugleich
in der Sprache Deutschlands eine unerwartete
Veränderung veranlassete. I^ur-Sachsen ward in
dieser Periode Lehierin für das gesammte, be-
sonders das nördliche Deutschland. Des gro-
ßen
k
3o5
fsen Luthers Sohriften verbreiteten den nun
durch den 'häufigen Gebrauch immer mehr sich
bildenden und reinigenden .Oberdeutschen Dia-
lekt durch, ganz Deutschland. Die Reformation
fand gerade am meisten im nordlichen Deutsch«^
lande Eingang. Aber es erhielt seine Lehrer
aus Sachsen, oder wenigstens, hatten sie sich
auf den Säclisischeil hohen Schulen. 'g(ibildet»
So ward allmählig die Obersächsiscbe Mundart
allgemeine Schriftsprache. Doch erhiek sich
das Plattdeutsche auch . noch nach der Refor-
mation., ein^ geraume Zeit^ iind wenigstes«!, noch
^in ganzes Jahrhundert in' den Kirchen: »u Man
übertrug . sogar Luthers Bibelübersetzung ins
Plattdeutsche, man schrieb Katechismen, Kir-
chenordnungen». Gesangbücher u* s. w«' in die-
sem Dialekt. Aber nach und nach sank er imi
mer tiefer > zuerst in den Städten, wo allen-
falls abwechselnd hoch- und plattdeutsch gepre-
digt wurde, oder wo eine Zeitlang blofs.der
oberste Geistliche, wie z. B. in Celle dez^ Ge^
neralsuperintendent, befugt war, hochdeutsch zii
predigen, dagegen die andern noch im Dialekt
des Landes predigten. Erst etwa seit des Mit-
te des vorigen Jahrhunderts ist dieser Dialekt
fast ganz aus den Kirchen verbannt wordep.
Denn die einzelnen Ausnahmen', die auch noch
itzt hie und da Statt finden, können wol nicht
in Betrachtung kommen. Ob der Volksunter-
U
3o6
rieht dabei gewonnen ^ kann wol keine Frage
f eyn* Noch ^ itzt yerstefat der gemeine Mann,
ungeachtet er itzt seiia Plattdeutsch blofs durch
Tradition ierlit^ nnd yon Jugend auf hoch-
deutsch durch hochdeutsche Lehrer und durch
hochdeutsche Bücher unterrichtet wird, im nord-
lichen Deutschlande sehr häu£g seinen Predi-
ger blofs darum nicht, weil dieser in einer ihm
fremden 'Mundart zu ihm redet. Man hat in
neuern Zeiten bei dem Prediger so yiel auf
Popularität des Vortrags gedrungen. Aber soll-
te nicht eben diese Popularität es ihm wenig-
stens auf dem Lande, wenigstens in den Ge-
genden, wo das Plattdeutsche auch noch in den
Gesellschaften des Mittelstandes herrscht, zur
Pflicht machen, sich des Plattdeutschen Dia-
lekts zu bedienen y um völlig verstanden, oder
wenigstens nicht milsverstanden zu werden? *)
Freilich wird der Plattdeutsche Dialekt immer
mehr Verdrängt; die Lesesucht, die in unserm
Zeitalter sich bis auf das Gesinde und auf die
niedrigsten Klassen erstreckt^ macht das Hoch-
deutsche auf Kosten des Plattdeutschen immer
mehr bekannt, und dieses als Dorfsprache im-
mer verächtlicher. Wer in Niederdeutschland
*) Man vergleiche des berühmten Orientalisten 7. D. Mi-
chaelis Oratio de ea Germaniae dialecto, qua in sacris
faciundis att/ug in scribendis libris utimur, Goetiingae
1750.
5o7
nur irgend auf einige Bildung Ansprüche hat
öder zu hab^n glaubt, verschmäht im täglichen
Gebrauchst wenigstens aufser dem engen häus-
lichen Zirkel^ d^n einheimischen Dialekt seiner
Provinz, und spricht, freilich oft mit vielen
Provinzialismen, Hochdeutsch. Wenigstens ist
der Aufzug im Gewebe der Umgangssprache
Hochdeutsch, wenn gleich der Einschlag häufig
Plattdeutsch ist. Nur noch ein Paar Menschen-
alter, und das Plattdeutsche wird für uns eine
todte Sprache, deren Studium jedoch immer
für den Geschichtsforscher, für den Diplon^ati-
ker und besonders für den Sprachforscher von
grofser Wichtigkeit' bleiben wird. Um so mehr
wäre zu wünschen, daß man, ehe dieser Dia-
lekt ausstirbt, oder noch mehr durch Vermi-
schung von seiper Eigenthümlichkeit verliert
ttb^rall Hand anlegte, Idiotika der einzelnen
Provinzen, wo er geredet wird, zu samml^n.
Zwar ist in dieser Rücksicht bereits ungleich
mehr für diesen Dialekt geleistet worden, aU
für den Oberdeutschen. Wir haben ein ^ax»-
burgisches Idiotikon von Michey, ein demselben
beigefügtes Dumarsisches von Ziegler, ein Oj-
nabrüggisches von Strodtmann, ein Preußisches
von ßock, ein P^orpommersches von Dähnert.
Alle diese aber Übertrift an Vollständigkeit und
Gründlichkeit das von einer Bremischen Gesell-
U a ^
5o8
Schaft herausgegebene BremUch-Niedersüchsische
'Wörterbuch. Allein da^ wie schon aus der Verglei-
chung dieser gedjiickten Sammlungen erhellt^ sich
dieser Idialekt in den verschiedenen Provinzen des
nördlichen Deutschlands gar sehr verschieden
modifizirt, Und jede Provinz viele ihr eigen-
thümliche Wörter, Bedeutungen, Wendungen
und Redensarten hat: so wäre sehr zu wün-
schen, dafs wir» auch aus denen Provinzen^ de-
ren Plattdeutsche Idiotismen noch nicht gesamm-
let sind^ dergleichen Sammlungen erhielten.
Der Plattdeutsche Dialekt findet unter andern
sich in so vielen Provinzen des Preufsischen
Staats y im Obersächsischen, Niedersächsisches
und Westfälisdhen Kreise. Und doch ist ge-
rade im Preufsischen Staate noch wenig oder
gar nichts in dieser Hucksicht geschehen. Und
doch würde ein Märkisches, ein Hinterpommer-
sches, ein Westfälisches Idiotikon (wo sich je-
doch ein grofser Unterschied zwischen den näher
am Rhein liegenden und den weiter davon entfern-
ten Westfälischen Provinzen zeigen würde), gewis
äufserst' erwünscht und willkommen seyn ! Ich
glaube daher, dafs die Beförderung solcher
Sammlungen ein der Akademie sehr würdiges
Unternehmen seyn würde, wofür ihr jeder
Freund seiner Muttet*sprache Dank wissen müfs-
te. Die beste Mufse und die beste Gelegenheit
zu dergleichen Sammlungen haben unstrei-
/
tig die Landprediger y und es würde der Aka«-
demie ein leichtes seyn^ sie dux^ ausgesetzte
Preise dazu zu ermuntern. Man sage nicht,
dafs die Sammlung eines Idiotikons ein zu weit-
schichtiges Unternehmen sei, und zu viel Zeit
erfordere. Wenn m^n diese Preisaufgaben da-
hin einschränkte, dafs die Preiswerber das Bre^-
mische Wörterbuch zum Gri^nde ^u legen hät-
ten, uni nur nachzutragen, was ihre Provinz ei^
genthümliches und von jenem abweichendes
hätte — so würde die Ai*heit sich ^uf eine ge-
ringe Sogenzahl bringen lassen , u^d würde
eben dadurch desto nützlicher werden. Doch
ich behalte inir vor, wepn dieser Plan den
Beifall der Akademie finden soHte, zur Ausfüh«
rung desselben nähere Vorschläge zu tbun* So
viel ist gewis, dafs sich die Akademie durch
einen solchen Plan ßin §elir ehrenvolles Ver-
dienst um diß deutsche Sprache^ erwerben wür-
de, und da ein einzelner deutscher Gelehrter,
Herr Adelungs für das Hpchdeutsche eben so
viel, oder noch mehr, als die französische Aka-
demie für die französische Sprache, geleistet
hat: so bleibt unserer Akademie noch das ei-
nem .einzelnen Qelehrten gerade hin unmögli-
che Verdienst vorbehalten, den Grund zu ei-
nem allgemeinen Idiotikon des nördlichen
Deutschlands zu legen, oder auch schon selbst
dergleichen aus den einzelnen thei|s schon vor-
handenen^ theiU durch sie su yeranlassenden
Sammliingen zusammenzutragen^ und dadurch
diesen schätzbaren aber immermehr verdorren-
den Zweig der deutschen Sprache auch an
ihrem Theile vor dem Untergange zu bewahren«
Es ist in der That sehr zu bedauern, dafs
dieser Dialekt so tief gesunken ist. Nie hat
ein Provinzialdialekt dies weniger verdient, zu*
mal eine Mundart, die selbst Mutter zweier
Sprachen y der Englischen und Holländischen,
und eine Schwester der nordischen Sprachen
der £)änen, Schweden , Normänner und Islän-
der ist. Hätte sie das Glück gehabt, zur
Schriftsprache ausgebildet zu werden (denn das
ist sie allerdings nicht) so würden eine Menge
Vorwürfe, die itzt häufig dem Deutschen von
dem Ausländer gemacht werden, von selbst
wegfallen. In der That hätte sie es weit eher
verdient, allgemeine Schriftsprache zu werden,
als die obersächsische Mundart, die indessen
doch einen grofsen Theil ihrer itzigen Vollkom-
menheit dieser ihrer altern von ihr verachteten
Schwester verdankt.
Zuförderst ist das Plattdeutsche schon in
Ansiehung der Aussprache ungleich sanfter, wei-
«jher und melodischer als das Ober- und selbst
das Hochdeutsche Man mufs freilich nicht die
^nz rohe Aussprache des ungebildeten Natur-
3ii
sohns zum Maafsstabe xiehin«n. In dem» Munde
des Bauern wird die wohlklingendste Sprache
für ein feines* Ohr misstonend. Dis ist vor-
nebmlich bei dem Plattdeutschen der Fall^ wie-
iffol hier ein grofser UntOrschied zwischen den
verschiedenen Provinzen des nordlichen Deutsch-
lands ist> indem eine sich mehrere Härten in
der- Aussprache erlaubt, als die andere. So
Sinti z. B. die westfälischen Dialekte härter und
rauher als dieNiedersächsischen. Die gröfsere
Weichheit des Plattdeutschen läfst sich indes-
sen leicht aus allgem'einen Grundsätzen darthun«
Der 'plattdeutsche Dialekt ist ein Feind al-
ler rauher Diphthongen , dier Aspirationen, der
Gurgeltöne und Zischlaute, und diese sind es
gerade, die unsere Sprache für Zunge und Ohr
eines Aiisländers so schwierig machen.
Den breiten Diphthong au vermeidet das
feinere Plattdeutsch fast immer. Statt seiner
braucht es entweder ein langes Uy z. B. statt
Bauch Buuky statt Maul Muul, statt Bauer
Buur; oder ein langes o, ^. B. statt auch ooA,
Auge Oge, laufen lopen. Ich darf indessen
nicht verschweigen, dafs in einigen Gegenden^
vornehmlich in Westfalen, der Plattdeutsche
(doch getnekiiglich nnr die niedrigste Klasse)
diesen Diphthong au so wenig vermeidet, dafs
er vielmehr fast alle einfache ä, auch wol u in
au verwandelt,* z,, ß. jau statt ja, HauL statt
3l2
Hut« Den noch breiteren Diphthong oder gar
Triphthöng äü (den wir im Hochdeutschen we-
der richtig schreiben 5 indem wir ihn gewöhn-
lich äu schreiben, noch richtig aussprechen, in-
dem ihn unsere Aussprache nicht von dem Diph-
tong eu oder richtiger eü unterscheidet, und
daher den Imperat. läute wie den Plur. Leu-
te, und eben so Bräute und Beute einerlei
ausspricht) diesen breiten Diphthong üü kennt
die plattdeutsche Mundart gar nichts sondern
hat statt seiner entweder ö> z. B. Börne, Lö-
per, oder ü, z.B. Brüde, (Bräute), Muse
(Mäuse), K rüder. Eben dis einfache weiche
ü (das so wie ä » und o noch immer ge-
wöhnlich als ein Diphthong angesehen wird, da
doch alle diese 3 Töne offeabar einfache Voka-
le sind) eben dis ü braucht der Plattdeutsche
statt des Hochdeutschen eu^ z. 6. das Für^ ^vq
Lüde ^ Uüdsch. Selbst der am mindesten
unangenehme Diphthong «i\ (aumal wenn er
richtig ausgesprochen, und nicht, wie in Ober-
sacbsen, gewöhnlich als einerlei mit ai ausge-
.sprechen wird) selbst dieser Diphthong ist dem
Plattdeutschen nock zu .misklingend^ und er
hat statt seiner entweder ein langes iy z. B. statt
mein, dein, myn, dyn^ stsXX reiten ryden, statt
treiben driven; «der ei^ langes e, z. B.
ßeesch^ breee, Ideen, weenen. '
Die mildere, sanftere, vielleicht nur zu wei-
3i3
che Aussprache des Plattdeutschen iu Ansehung
der Vokale ist hiernach unverkennbar. Eben
so geht er auch in Ansehung der Kqfisonante];!
so xnancb^m Misklang aus dem Wege , der im
Hochdeutschen, und noch mehr im Qberdeut^
sehen durch so viele hauchende ^ rasselnde^ blas-
sende , zischende Laute verursacht wird. • ' ,
Das cfr,\ das der Oberdeutsche, besonders
der Scbweizser, tief aus der |Cehle heraushaucht,
hat der pia.tt deutsche Dialekt nur selten,. , Wie
im Griechischen der jonische JQialekt statt* der
Muera aspiraia Xtä^e tej}uis K. gebraucht, z. B.
'^tMf»o^t Statt S*«;^«^««, eben so braucjit der Platt-
deutsche s(tatt c&.g^wöhnlicli k, z^, B. statjt m§-
oyievL^mak^iiy Sachen Sahen y r^uchei^ roc^
ken, — Besopd^rs vermeidet ef die Verbin-
düng diesem ch mit'den^ s^ die wir Hochdeut-
ßdben, um^ nicht so hi^rt virie die Oberdeutschen
auszusprechen, wieder falsch darstellen'^ un4
statj: Fia.cbs,. Wachs, Fijchs ^-r flaks^
JViiks,^ Fuks aussprechen. Aber der Plattdeut-
sche stöftt .hier den Hauchlaut völlig hinauf,
und spricht; ,Flafs^ W^^ßsi f^oßt Osse ^ta^t
Ochs. Selbst deu Tfamßn seiner Vorväter, der
Sachsen, spricht er.nicht: nur sanfter^ soa-
dem ai;ich .gewis ri^Jitiger, der Etymologie gp-
xnäfser, ai^s: Sassm. X)enn ohne Zweifel be-
deutet dieser. Name, wie der Nan^e sehr vieler
Völker, urspr^rig^ich 90 viel aU Einwohi^er,
3i4
SO wie wir noch itzt Lands assen sagen* Aucli
hat man mit Recht die Ingäwonen des Taci-
tus in deft von diesen Sassen bewohnten Ge-
genden an der Elbe gesucht, so dafs ein und
eben dasselbe Volk Sassen und Ingäwonen
hiefs, und ein Name' den andern erklärte.
Aus gleichem Widerwillen gegen das Zischende
scharfe S verwandelt der Plattdeutsche das dop-
pelte scharfe S in der Mitte, oder das /s gemel«
niglich in ein einfaches T, %* B. statt Wasser
fVater^ lassen taten , Fufs Pooi.
Dagegen* hat das Plattdeutsche ein sanftes
doppel Sy das im Hochdeutschen gänzlich fremd
ist, obwol sein einfaches S hierin dem Z der
Franzosen, Spanier und Holländer gleich ist.
' Beispiele sind die plattdeutschen Wörter Bufise^
hissen y bissen ^ ßsseln ^ mussein ^ niisseln. '
£ben so ist dem Plattdeutschen das ziscben-
de seh zuwider. Er braucht statt dessen häufig
sk urtd zwischen sl, sm, sn*, jw, wo der Hoch- i
deutsche noch ein ch -zwischen schiebt^ läfst i
der Plattdeutsche dieses ch in der Regel weg, '
und sagt daher: slagen^ smelken, sniden^ swyn.
Det Hochdeutsche scheint indessen für diesen
Schlangenlaut eine so besondere Vorliebe zu ha-
ben , dafs er ihn selbst da ausspricht , wo er
ihn nicht schreibt , nehmlich bei dem si und sp^
indem er schtehen und schsprechen aus-
' spricht, statt dessen der Niedersachse , auch
3i5
wenn er' Hochdeutch spricht, stehen und
sprechen (Plattdeutsch stahn und spreken) sagt:
Auch das zischende Z kennt der Plattdeut-
sche fast gar nicht. Er hat statt desselben vorn
gemeiniglich ein einfaches T, z. B. statt Zelt
Telty Zinn Tinn; oder auch ein D; in der
Mitte ein doppeltes 7^, z. B. statt Katzen Kat"
ten^ sitzen sitten^ und am Ende wieder ein
einfaches Ty z. B. statt 'Rqxz Herty Holz HoU^
kurz kort. Doch selbst das T ist dem Platt-
deutschen oft auch zu hart.' Er braucht daher,
statt desselben häufig das weichere Z), vornehm-
lich im Anfange I z. B. der Dag, der Disch.
Indessen weifs der Plattdeutsche das D und T
sehr gut zu unterscheiden , ohne mit dem
Meifsnischen Obersachsen nöthig zu haben, ein
hartes und weiches D zu unterscheiden. Wo
der Plattdeutsche ein T schreibt , da spricht er
es auch würklich aus, dagegen der Meifsner,
ungeachtet er ein D schreibt, dennoch häufig
T ausspricht, oder ein T schreibt, wo er ein
D ausspricht.
Selbst das an sich weiche B verwandelt' der
Plattdeutsche häufig, vornehmlich in den Endun-
gen in das noch sanftere W| z. B. awerglowisch^
bljwen.
Das harte Pf kennt der Plattdeutsche gar
nicht, sondern er hat statt dessen ein einfaches
P, z.B.Perd, Pund, Kupper, Kop, Rump.
5i6
Und dennoch ist es merkwürdig , da(s gerade
der Niedersachse, wena er hochdeutsch spricht^
dem Pf völlige Gerechtigkeit wiederfahren la/st;
dagegen der Obersachse (den Märker nicht aus-
geschlossen) es vorn nur wie ein F ausspricht.
Wir sagen Ferd» nur der Niedersachse sagt
Pferd. Man sollte daher beinahe glauben, dafs,
so wie in Westindien manche exotische Pdanze
besser gedeiht^ als in ihrem urspriinglichen Bo*
den, so auch das ^ochdeutsche auf dem frem-
den Niedersächsischen Boden besser gedeiht, als
in seinem eigentlichen Vaterlande.
• Auch das Qu und Gl zu Anfange vieler
Wörter klipgt dem Plattdeutschen häufig zu
hart, und er wirft daher das G häufig weg. So
sagt er statt Glied Lied, statt genug noogy
statt gleich Ijrk, statt glauben löwenu. s. w.
Im ^ogUscben findet das nehmliche statt. Über-
haupt hat die schwierige Aussprache des Eng-
*
lischen fiir den Niederj;i^:hsen weit weniger
Schwierigkeiten, weil er dabei viel Uhereinstim-
mung mit dem Plattdeutschen findet. Ihm ist
es z. B« nicht befremdend^ dafs der Engländar
häufig das o wie ein a, das u wie ein o aus«
spricht, weil ^r seihst gevjrohnt ist, st^tt Ofen
Aven^ statt Vogel Vogel y statt Pflug Ploog^
statt thun dobn zu sagen. Uberhaupl: hat man
die Bemerkung gemacht, d^fs die Sprachorgane
des Niedersachsaa biegsamer sii^d als die des |
3i7
Obersachsen, und dafs er leichter die richtige
Aussprache fremder Sprachen auffafst.
Ausländer machen der deutschen Sprache
häufig den Vorwurf, dafs sie zu sehr mit Kon«
sonanten iiberladen sei. Dieser Vorwarf ist ge-
gründet, wenn man die Oberdeutsche Mundart
im Sinile hat; weit weniger, aber noch immer
jnit vielem Rechte trift et* das Hochdeutsche;
aber am allerwenigsten den plattdeutschen
Dialekt , der , wie schon aus dem vorhergelien-*
den erhellt, den misklingenden Zusammenstois
mehrerer Konsonanten gern yerüieidet. So
5agterz.B« statt Halfter leichter Halter, weU
ches ohnehin auch der Etymologie nach richti*
ger ist.
Aber es i^ nicht blofs der Wohlklang, der
die plattdeutsche Mundan empfiehlt, Und es
bedauern läfst, dafs niöht sie das Glück hatte^
durch die Schrißteller aüisgebildet zu werden.
Auch ihre Reinheit und ihr Reichthum empfeh-
len sie. Das Hochdeutsdh hat eine Menge
fremder "Wörter aufgenopimen , die theils un-
entbehrlich, theils durchaus unnöthig, oder
leicht entbehrlich zu inachen sind. Zwar hat
sie sich von Zeit ta Zeit des tinnöthigen Wu-
stes zu entledigen gesucht; aber nur zu oft hat
sie die Fremdlinge zu einer Thilr hinaus, zur
andern wieder hineingelassen. Es ist wahr, die
Reinigkeit der plattdeutschen Mundart ist zu«
3id
gleich eine Folge ihrer Vernachlärsigung. Wä-
re sie Tür diß Wissenschaften bearbeitet worden,
so würde sicherlich auch sie vi^Ie ausländische
Münzen haben in Umlauf bringen müssen.
Denn gerade in der wissenschaftlichen Sprache
kann das Hochdeutsche des fremden Gepräges
am wenigsten entbehren. Aber auch die Um*
gangssprache des Hochdeutschen ist durch eine
Menge ausländischer Worte verunreinigt wor-
den. Und hier ist es eben, wo das Plattdeut-
sche einen entschiedenen Vorzug behauptet^ da
es für die meisten solcher Wörter eigne Aus-
I drücke besitzt. Die hochdeutsche Mündart hat
' übrigens nicht blofs bei dem lateinischen, fran-
zösischen, italiänischen geborgt, sondern selbst
die wendische Sprache, als die ursprünghch
zwischen der Säle und Elbe, dem eigentlichen
, Sitze d^s Hochdeutschen, eigenthümliche Spra«
; che, hat viele Spuren in dem Hochdeutschen
I zurückgelassen. Hingegen hat die plattdeutsche
I Mundart sich von diesem Einßufs des Wendi-
I scheu gröfstentheils rein erhalten.
«
Der Reichthum der plattdeutschen Sprache
zeigt sich von mehr als einer Seite. Fehlt es
ihr gleich an Ausdrücken fiir abstrakte Begrif-
fe, welches^ nicht zu verwundern ist , da man
noch nie versucht hat, Plattdeutsch zu philoso-
phiren, und das Hochdeutsche yq^ dieser Seite
auch vor Wolfen fast nicht minder arm war.
3i9
und noch itzt sehr viel £reni^e Wörter für den
Vortrag d^ Philosophie borgen mufs: so hat
tie doch einen desto grö&em (echnologischen
Reich thum. Aber für keine Kunst und für kein
Gewerbe ist sie reicher an Ausdrücken , als für
die Schiffahrt« Dem Hochdeutschen , der frei-
lich ge-wöhnlich in seinem ganzen Leben dai
Meer nicht zu Gesicht bekömmt^ fehlt es ganz»
lieh an Ausdrücken sowol für die Schiffsbau-
kunst, als für die eigentliche Schiffahrtr Aber
die nautische l^erminologie des plattdeutschen
Küstenbewohners ist so vollständig, dafs selbst
auswärtige seefahrende Nationen aus ihr bald
mehr bald weniger geborgt haben. Auch die
Naturgeschichte , yornehmlich die Botanik^ fin-
det im Plattdeutschen einen grofsen Überilufs
von Ausdrücken, die, wie mich düi^kt^ von un*
sern Botanikern zu sehr übersehen worden, und
wol einer genaueren Bestimmung und Vered-
lung werth wären. Am meisten zeigt sich je-
doch der Reichthum des Plattdeutschen in der
Umgangssprache. Wenn das Hochdeutsche sich
für die höhere Poesie, für die Beredsamkeit,
für den Geschäfts - und Lebrstil noch sehr aus
dem Oberdeutschen bereichern kann i so kann
es auf der andern Seite für die Umgangsspra-
che, für die Sprache des Witzes und der Lau-
ne, für die niedern Gattimgen der Poesie, be-
sonders für die Komödie, für die Satyre, iiir di0
Sao
Erzählung Sehr viel vton der plattdeutschen
Mundart borgend Unsere hochdeutsche Um-
gangssprache ist in der That tioch eu wenig ge-
schmeidig. Sie hat etwas, Schwerfälliges^ Stei-
fes, und^ so 2u sagen > Periodisches. Abor das
Periodische fehlt gerade dem • Plattdeutschen^
das aber eben dadurch für die Umgangssprache
desto geschmeidiger ist. Überhaupt hat es ei-
nen unerschöpflichen Reichthum an zärtlichen,
muntern, launigen, naiven , leidenschaftlichen
Ausdrücken und Wendungen» Sie ist eben da-
durch recht gemacht zur Sprache der Leiden-
schaften, von ihren feinsten Schattirungefn bis
2u den stärksten Pinselstrichen, zur Sprache
der Mimik, zur Sprache der Charakteristik.
Die mannigfaltigen Schuttirungen menschlicher
Charaktere , menschlicher Tliorheiten und Lä-
cherlichkeiten finden in , ihr tlie angemessenste
Bezeichnung. Ich bin versichert , dafs ein
Steckbrief, der im Hochdeutschen oft in Zeich-
nung und Kolorit sehr matt und üach ausfalle,
und aus Mangel an Ausdrücken ausfallen mufs,
im Plattdeutschen sich weit charakteristischer
und sprechender aufsetzen läfst. Überhaupt, wo
der Hochdeutsche sich mit dem Umrifs ^ oder
mit dem Ausdruck der gröbsten Züge eines Cha*
rakters behelfen mufs, da kann der Plattdeut-
sehe mit kecken Pinselstrichen und mit brennen-
den Farben zeichnen» Auch die vielen tönen-
den
321
den Wörter, die diefer Dialekt voraus hat, und
durch die er jede sich durch Laut und Bewe-
gung äufsernde Gesinnung und Leidenschaft um
so ähnlicher und mimischer darstellen kann
sind ein wahrer Vorzug dieses Dialekts, Es ist
wahr, je tönender eine Sprache ist, desto un-
philosophischer pflegt sie zu seyn; aber ich se^
tze hinzu, desto poetischer ist sie zugleich.
Und freilich ist das Resultat von allem bisher
gesagten, daf« das Plattdeutsche zwar nicht phi«
losophischer , . aber gewis weit poetischer ist
als das. Hochdeutsche. Eine besondere aber aus-
drucksvolle Art von tönenden Wörtern hat das
Plattdeutsche an denen Wörtern, wo ein und
derselbe Laut , nur mir einer geringen Modifi-
kation des Vokals hintereinander wiederholt
wird. Ich meine Wörter, wie diese; Misch-masch
fVirr^v^arry Schnick^ schnack , fVisck^ wasch
nteltat^li (statt plaudern) nisenasen (naseweise
Reden führen) hinkhanken, ein Hinkhank (ein
Mensch, der in seinen Entschlüssen sehr unbe-
ständigist, und bald hiehin, bald dorthin schwankt)
ein Dungdang (ein müfeiger Mensch) tirtarren
(statt zärgen, necken). Diese Klasse von inten-
siven Wörtern, die freilich fiir den höhern Stil
nicht edel genug ist, findet sich in allen mit
dem Plattdeutschen verschwisterten Sprachen
im Englischen , Holländischen , Schwedischen.
Dänischen, und mehrere dieser ursprUoglich
X
3a2
plattdeutschen Wörter sind bereits ia das Hoch-
deutsche aufgenommen worden«
Es. wäre auch in der That zu bedauren,
^enn der grofse Reichtbum des Hochdeutschen
für das Plattdeutsche ganz verloren ginge- Aber
warum sollte nicht die jüngere Schwester, ist
sie gleich die gebildetefe und gelehrtere,
von dem Überflüsse ihrer altern reichern Schwe-
ster sich den nöthigen Bedarf borgen. In der
That hat sie dis nicht erst seit gestern gethan.
Besonders hat sie seit jeher in der täglichen
Umgangssprache sich eine Menge ursprünglich
plattdeutscher Wörter erlaubt. Dergleichen sind
z. B. düster j nipp^ schnippisch^ drelly prall,
glaUf grell j nippen^ munkeln j glupeny glupisclt^
schulen, verblüffen j quinen^ rumpeln, Gescht,
grineny hastige klatrig, tvähiigy patzig, putzig, dril-
len, quengeln, kritteln^ duken, fakkeln^ Joppen ^
gnettern , fVicht. u. s. w. Alle diese , gröfsten-
theils sehr ausdrucksvolle Wörter sind. in der
Umgangssprache des Hochdeutschen schon
längst gäog und gäbe, und mehrere derselben
sind bereits mit Glück selbst in der edlern
Schriftsprache, wo sie durch die von Horaz in
solchen Fällen empfohlene callida junctura gea-
delt werden, gebraucht worden. Selbst Herr
Adelung hat sich daher nicht enthalten können,
vielen dieser Wörter in seinem hochdeutschen
323
Wprterbucbe einen Platz zu geben. Das eigent*
lieh plattdeutsche Wort Eiland für Insel ist so-
gar in der höhern Poesie noch edler als das
fremde Insel; und die abgeleiteten Wörter: ein
Eilunder^ und Eilandisch verdienten um so mehr
aufgenommen zu werden, da wir von Insel der-
gleichen nicht haben.
So gewöhnlich indessen die angeführten,
und sehr viel andere Wörtei* im täglichen Le-
ben sind, sfo hat man sie doch lange Zeit für
zu gemein und zu platt angesehen^ um sich ih*
rer in der Schriftsprache selbst dann zu (bedie-
nen ^ wenn es recht eigentlich da]:auf ankam,
Äie Sprache des gemeinen Lebens darzustellen.
Lessing hat unter unsern deutschen Schriftstel-
lejn das Eis gebrochen , und viele dergleichen
Wärter nicht immer in die edlere aber doch in
die gemeinere Büchersprache aufgenommen.
Sein Dialog ist daher auch von dieser Seite der
Natur um so näher gekommen. Aber es giebt
noch eine Menge Wörter im Plattdeutschen,
die theils, so wie sie sind, theils von ihrer
Provinzialitat in Ansehung der Aussprache und
Schreibart gereinigt, in das Hochdeutsche, und
selbst zuweilen in die edlere Schriftsprache des-
selben übergehen könnten. . Hier sind einige
derselben zur Probe.
Herkünftig y statt : observanzmäfsig. Schon*
sam (fast wie sparsam, aber doch in einer etwas
X %
3a4
andern Bedeutung. M*n kann c B. in Anse-
hung seiner Kleider schonsam und doch nicht
gerade sparsam seyn.)
Bedonnen (ganz das lat. aUonitus) , der höch-
ste Grad der Bestürzung.
Hüne (statt Riese,) ist wirklich schon yon
mehrern Dichtern gebraucht worden.
Ichen, nach dem Plattdeutschen ikAen, im-
^er sein werthes Ich im Munde haben.
Die Gedauer^ Plattdeutsch Gedär^ — keen
Gedär hebben d. L yon langem Warten unge-
duldig werden.'
Küren (von kören.) Wir sagen ja schon
erkoren. Die Zweikühr (wie Willkühr) von Twi
körej eine zwiespaltige Wahl, wodurch zwei ge-
wählt werden. — Kürgiu^ auserlesen gut
Das Zeitwort Willküren^ nach dem Plattdeut-
schen willkören. Kürisch (nach dem Plattdeut-
schen körischj ein Mensch, der immer wählt;
dem nichts gut genug ist).
Krückeln (nach dem Plattdeutschen kru^
ekeln) vor Alter nicht fortkommen können.
Kalken (statt des zu allgemeinen unbe-
stimmten fVeifsen).
Saften, (nach dem Plattdeutschen sapen)
Safl: von sich geben, öder Saft in sich ziehen.
De Schoe sapetf der Schuh saftet.
325
Der Siiger (von Segger ^ der Urheber eines
Gerüchts« Ick kann minen Segger nömen\
Sagsam (von segsäm, der sich sagen , sich
einreden lälst).
Jemanden besagen (von beseggen, einen an-
dern ins Gerede bringen).
Sorgsalf ein sorgenvoller Zustand; (wie Drang-
sal, Trübsal.)
jieügeln^ ein Aeuglety (mn ögeln und Oe*
gier ein Schmeichler); sich anäugeln, sich ein-
schmeicheln).
Das Neinwort (von Xfeyword), Gegentheil
von Jawort,
Das Zeitwort mändchen (statt mündken,) et-
was kaum kosten y einen kleinen Mund zu et*
was machen, faire la petiie bouche*
Munden ,gut schmecken. Dat mundet em
Jjounen (von. lunen) in böser Laune seyn.
Einem zulaunen (von tolunen).
Ixiunewinkel (von dem Plattdeutschen Liin-
scliewinkel y) ein Ort, wo sich jemand aus Ver-
dru[s verbirgt^ ein Boudoir, wofür Campe neu-
erlich Maulkammer oder SchmoUkämmerchen
vorgeschllBgen, dem das schon in der Sprache
befindliche Launwinkel ebea darum vorzuziehen
seyn würde).
Orlog (statt Krieg) würde selbst in der hö-.
hern poetischen Sprache mit Anstand erschei-»
3a6.
neii> können. Eben so. orlogen, Krieg fuhren;
das Orlogsschiff.
Mire und Efnse statt Ameise müßten dem
Dichter schon darum ^icht unwillkommen sejn,
weil Ameise, als ein Anti-Baccheus, sich schwer
in ein Sylbenmafs fugt, weder als ein Daktylus
noch als ein Tribrachys, noch weniger einen
Reim verträgt«
Sich vergekkew in' ein Ding, würde feiner
sejn, als das zu gemeine sich vernarren.
Das Zeitwort heuten würde um so unbe-
denklicher gebraucht werden können, da wir
das Beiwort hastig schon immer gebrauchen«
Heimen, jemanden Aufenthalt geben.
Hasenpfad ^ scherzhaft statt Flucht. Die
plattdeutsche Redensart/ den Hasenpad kesen,
ist offenbar natürlicher, als die hochdeutsche:
das Hasenpanier ergreifen.
Nachgreifisch (von nagreepsk) , eigennützig.
Handlich, der sich behandeln lälst^ trau-
table.
Gebig, (von geewskj der gern giebt.
Ein Fliegauf (vom Plattdeutschea Fligup)
ein muntres Mädchen.
Quansweise (d. i. nur zum Schein, dicis
causa). Man hat dies Wort verhochdeutschen
wollen j und statt dessen gewandsweise gesagt,
und dadurch die Etymologie von Quant der
Schein, eine Handlung, womit es uns kein
327
Ernst ist, verdunkelt. Daher ferner Quänteler^
der ^eine Waaren oder sein Geld verschleuderti
also gleichsam nur einen Scheinhandel treibt.
Die Holländer sagen Quantzelaan
Vergelden, mit Geld. bezahlen.
Zugeid, plattdeutsch Togeld, ein Zuschuis
am Gelde.
Smuggeln, contrebandiren. Ein ContrebaJi-
dier heifst ein Smuggler.
Spyt, . Hohn^, Spott, wird auch wie das
französische ddpic gebraucht.
Kumpan, ein Compagnon. Das Wort ist
auch schon von mehrern hochdeutschen Schrift-
stellern in der witzigen Schreibart gebraucht
worden.
Für den Begrif eines aufwiegelnden Dema-
gogen hat das Plattdeutsche zwei sehr tref-
fende Ausdrücke: ßellhammel, eigentlich ein
Hammel , dem eine Glocke (plattdeutsch Seite)
umgehängt ist; ferner ein Bötefür ^ ganz das
französische Boutefeu, von Böten, Feuer anlegen.
Unter den angeführten Wörtern sind man-
che, die wenigstens dem Stamm, oder zuwei-
len .einem und dem andern Zweige nach im
Hochdeutschen nicht unbekannt sind, und sie
sind also um so eher der Aufnahme ins Hoch*
deutsche werth, wo sie wenigstens schon durch
diese ihre Verwandte nicht ganz fremde mehr
sind. Ich will noch einige dergleichen anfüh-
328
ren. Wir sagen im HochdeutscI^eii zwar ein
Haberechu Warum nicht auch haberechien
nach dem Plattdeutlchen hebberechten? Wir ha-
ben das Zeitwort prunken ; warum nicht auch,
wie im pLittdeutschen, der Prunker? Wir sa-
gen: die Hunde, Warum nicht auch, wie im
pkttdeutschen, rundiren d. i. die Runde gehen?
Wir haben das plattdeutsche Adjektiv gau
(schnell) in Gaudieb ; warum sollten wir nicht
auch , wie im Plattdeutschen handgau (d. i. mit
den Händen geschickt und schnell) sagen können?
Wir haben gierige auch schon das Sub-
stantiyum Gier, warum nicht auch das Yerbum
gieren?
Wir sagen behagen; warum nicht nach dem
Plattdeutschen i^uch Mishagen, MUhäglichkeit^
Überhaupt sind im Plattdeutschen mehrere
mit mis zusammengesetzte Wörter , die im
Hochdeutschen fremde sind, aber wohl das Bür-
gerrecht verdienten, z. B. mismacken (etwas
unrecht machen) Mismahl (eine schlechte Mahl-
zeit). Misschmecken 9 ein Misschlagy misschla-
gen, mispreisen (ein gelinderer Ausdruck, statt
verachten). Das itzt schon gäng und gäbe Wort
Mifsmuth und mif%miixhig ist auch eigentlich
aus dem Plattdeutschen entlehnt.
Im Hochdeutschen haben so manche Wör-
ter eine unnÖthige Yorschlagssylbe ^e und he^
bei denen diese Sylbe nicht, wie sie gewöhn-
. 3*9
lieh thut und eigentlich immer thun sollte, die
läedeutung modifizirt, sondern vielmehr die
Etymologie verdunkelt. Im PlattdeutJcheA fehlt
in solchen Fällen diese Yorschlagssylbe ganz,
und viele unserer Dichter haben sich dieses,
selbst in deu höhern Gattungen der Dichtkunst, zu
jNutze gemacht* Wir lesen itzt schon häufig;
mähen statt bemühen, wahren statt bewahren,
/t/z Je statt gelinde , «Sa/z^ statt Gesang, Stank
statt Gestank, schmeidlg statt geschmeidig, e/z-
gen statt yei^ngen j festen statt befestigen. Die
plattdeutsche Mundart hat noch viele derglei--
chen Verkürzungen, z. B. Smack statt Ge-
schmack. Würklich schreibt selbst Luther noch
in der Bibelüberset^^ung Schmach ^— Neten
statt geniefsen. Wir haben zwar Nisfsbrauch, .
aber niefscn hat noch Niemand gewagt* — <
Schlimmem statt verschlimmern u. s. w*
Endlich hat der «Plattdeutsche auch einen
grofsen Beichthum von sehr treffenden Sprich-
wörtern und sprichwörtlichen Bedensarten. Vie-
le derselben sind nach und nach ins Hochdeut-
sche übergegangen; aber viele brauchbare sind
darin noch fremde z. B. Vagel von eener Fed-
der flegen gern to hope , gegen welches unser :
Gleich und gleich gesellt sich gern — gar zu ab-
strakt klingt. — Lögen hebten horte Beene
d* i. Lügen kommen bald an den Tag. Von ei- *
ner aufgedrungenen Wohlthat sagt der Platt-
33o
deutsche: Wenn man de Xatte up't Speck bin-
Jetf so fret se nig. — Wenn man sagen will,
man sei mit einem Rathe oder Pro/ekt übel an-
gekommen, so heifst es: Dar kam ik art^ as
de Söge in V Judenhuus, — Von einem hart-
nackigen Lügner und Leugner wird gesagt:
dem Düwel een Been afschwaren. — Von ei-
nem ganz aufser Passung gebrachten, oder, wie
die Plattdeutschen auch zu sagen pflegen, ver-
biesterten Menschen heifts es: He sut ut as een
Osse y de dem Slagter endopen is. — - Wenn
man niber Kleinigkeiten das wichtigere vergifst,
so heifst das: Dat Ei waren, und det Hoort flo-
gen taten. Von einem Frauenzimmer mit ro-
then Wangen sagen sie: Se het JRöseken plantet
' u. s. w.
So seltsam es scheinen mag, so wahr ist es
doch, dafs selbst die hochdeutsche Aussprache
und Schreibung sich in mehrern Fällen aus dem
Plattdeutschen berichtigen läfst. Ich will da-
von nur ein Paar Beispiele anführen. Wir spre-
chen und schreiben Maulwurf, als wenn der
Gebrauch des Mauls bei diesem Thiere etwas
charakteristisches wäre. Aber dies Maul ist of-
fenbar aus dem misverstandenen plattdeutschen
Worte: Mal, (lockere Erde) entstanden. Denn
plattdeutsch hoifst dies Thier: Mulworp, hol-
ländisch Molworp. -— Wir sollten also auch im
Hochdeutschen Mulwurf sagen , und würden
33i
dann den Namen dieses Thieres wei harakte-
ristischer finden.
Meerrenig schreiben und sprechen wir, als
wenn es von Meer herkäme. Aber aus dem
Plattdeutschen MarreAg^ sieht man, dafs es von
Mure (ein Pferd) herkömmt, und dafs eben
darum diese den Pferden für besonders nütst-
lich gehaltene Wurzel im Englischen jfforje-ita-
dish heifst. Wir sprechen und schreiben art"
beraumen ^ und sollten mit dem Plattdeutschen
richtiger und der Etymologie gemäfser sagen:
anberahmen. — Wir sagen falsch gelief ert {A, i.
gerönnen) Blut; der Plattdeutsche sagt gelevert.
Wir sollten also auch im Hochdeutschen sagen:
gelabert (von Lab). Aus Unkunde des Plattdeut-
schen verfiel Gottsched auf die lächerliche
Schreibart: schmauchein (statt schmeicheln)
als käme es von Schmauch ^ und . wä-
re mit dem* französischen Encenser einerlei.
Aber es ist vielmehr einerlei Wort mit dem
Plattdeutschen smeeken, wovon auch da^ Hoch-
deutsche schmiegen herkömmt.
Ich hatte mir noch vorgenommen , zu zeigen,
wie das Holländische, als ein unverkennbarer
Zweig des Plattdeutschen, zur Bereicherung und
Berichtigung des Hochdeutschen genutzt wer«
den könne. Aber um nicht zu weitläuftig zu
werden , breche ich heute hier ab , und behalte
mir vor, den Faden künftig wiederanzuknüpfen,
33a
und diese Materie von den deutschen Diale-
kten bei einer andern Gelegenheit weiter auszu-
führen. $o viel glaube ich wenigstens gezeigt
zu haben, dafs das Plattdeutsche die Verach*
tungy zu der es hinabgesunken ist, keinesweges
verdient, sondern vielmehr einer grölsem Auf«
merksamkeit werth ist, als es bbher bei den
deu^chen Sprachforschern gefunden. Thorheit
wäre es, itzt noch wünschen jsu wollen, dafs
das Plattdeutsche das Hochdeutsche verdrängen
mögte, aber Thorheit auch, zu wünschen, dals
das Plattdeutsche ganz ausgerottet werden inög-
te. . Auf die Vorzüge dieses Dialekts auf-
merksam zu machen, .und ihn als eine Fund«
grübe zur Bereicherung, ja selbst zur Berichtigung
des Hochdeutschen zu bearbeiten, ist Pflicht
für jeden Freund der deutschen Sprache« Desto
mehr werde ich mich daher freuen, wenn mein
obiger Vorschlag,, von Seiten der Akademie
die genauere Kenntnifs dieser Mundart durch
ausgesetzte Preise für Sammlungen der Idiotis*
men, vornehmlich aus denen Provinzen des
PreuTsischen «Staats, wo sie noch Volkssprache
^ ist, zu befördern, der Beherzigung nicht un-
würdig gefunden werden sollte.
333
. vni.
Über die Preifs^ Aufgabe der ChurfdmL
deutschen Gesellschaß in Mannheim ei^
nige Synonymen betreffend, ^on PVilh.
jibrah. Teller.
QuinctuIiaä X, I.
JVon jemper haec (verba, ^uae alufuanS permutantur) in^
ter se idem faciant.
J^he ich die vorhabende Untersuchung anfan-
ge, lafse ich folgende Regeln vorausgehen, wet
che ich dabey zum Grunde legen werde.
Die erste: Eigentliche Synonymen d. i,
gleichdeutende Wörter giebt es in keiner Spra-
che, in einer Proviiiz oder Gegend zu einer
Zeit; und so auch in der Deutschen nicht. Ich
nehme selbst die tropischen, von denen man zur
Zeit des Gebrauchs noch weifs, dafs sie es sind
nicht aus, wie entkräftet verglichen mit schwach.
Alles was man so nennt, sind nur sinnverwand -
te Wörter. Wären sie auch, nach der vorher-
gehenden Bestimmung, von gleicher Bedeutung,
so tritt auch da ^ die Bemerkung Quihctilians
ein XVII ^ 3. curn idem frequentissime plura si-
gniflcent^ quae e-wmv^i» 7>ocatur, iqm sunt alia
aliis hohestiora, sublimiora y nitidiora (feiner: wie
534
unser speisen, für essen) iucundiora^ vocaliora
(wohllautender). Selbst mit Wörtern aus ver-
schiedenen Provinzen, durch welche itzt diesel-
be Sache angedeutet wird, wie Schrank ^ Spün-
de ^ von spunden , können anfangs die Ein weh«
ner derselben einen Neben - Begriff verbunden
haben, der späterhin durch den öftera Ge-
brauch gleichsam unscheinbar geworden ist; es
kann eine stärkere Empfindung des Wohlgefal-
lens oder Misfallens damit verknüpft gewesen
seyn , von der sie selbst nur ein dunkeles Be-
wustseyn gehabt haben, und welche nun noch
hintennach ausspüren wollen, vergebliche Ar-
beit seyn würde. ^)
Hieran schliefst sich nun die zweyte Re-
gel. Blofs anscheinend - synonymische Wor-
*.) So ist es an sich ein üppiger Aufwaad« den man mit
dem vielen superUuiJen noch vorgeaeuten Aller
macht und in frühern Zeiten fast beständig gemacht
bat. Wenn ich einmal sage: der Heiligste^ HdchstCt
Erste: was IjkCsi sieb über dies Heiligeres, Höheres, i*rü-
beres hinausdenken« dai's es noch des Allerhöchst und
d. gl. bedürfte. Lieber sagten die Lateiner » wenn sie
gleichsam verzweifelten die höchste Güte im Ausdruck
darstellen zu können, nur schlehtweg; Bone De:is\ In-
defs weil das Allerhöchst, Allerdurchlauchtigst, allerun-^
terthänigst etwas länger in Ohren tönet, so meint auch
der gemeine Sinn etwas mehr Schauer der EhrPurcht
dabey zu empfinden. Und wie orthodox mag es der
Pöbel nicht gefunden haben, da ein hiesiger Prediger
gar einmal AlUrauferstandenster Heiland sagte?
335
ter müssea doch zuweilen auch von den be-
sten Schriftstellern verwechselt werden kön-
nen f ^ciJ^ sonst ' jener Anschein |iur täu-
schend und blendend seyn würde. Z. E. ein
heller Kopf, ein aufgeklärter Kopf; am helhn^
am lichten Tage.. Ich denke mir also dabey
nicht nur den gemeinen Sprachgebrauch, son-
dern auch die edlere zierlichere Schreibart.- Man
darf aber auch nicht besorgt seyn, dafs dem
Schriftsteller durch ^u genaue Unterscheidung
sinnverwandter Wörter der Wort- Reicht hu m
werde benommen werden und man ihm ^uf
diese Weise oft einepi Zwang anlegen werde,
durch zu öftere Wiederholung derselben Laute
eintönig zu werden. Denn sobald man nur in
der Angabe der Hauptsache und so oft bey
derselben Wiederholung etwas darauf ankömmt,
das ihr zukommende Wort brauöht, so kann
man schon iq. der Folge es mit andern von an-
grenzender Bedeutung, verwechseln. Zu ge-
schweigen, dafs man durch Umschreibungen des-
selben Worts jener Einförmigkeit vorbeugen
k/inn z. E. Gefälligkeit , ein gefälliges fP^esen,
Betragen, Benehmen u. s. a. m.
Jene Bemerkung aber hat ihren Grund in
der nächstfolgenden Regel, welche diese ist. Sy>-
nonymeu/ die es doch nicht in dem genauesten
Verstände sind , müssen gleichwohl in einem
Hauptbegriff z\x%€jam^Ti treiCfen^ den man also
336
auch zuerst aufsuchen mufs. Dieser HauptbegrifF
ist mir aher derjenige, der sich mir bey dem
Gehör Hes Einen wie des Andern zuerst auf-
dringt, dass ich sie für gleichbedeutend iialten
könnte. Läfst sich dieser auch von dem Scharf-
sinnigsten nicht äufBnden, so sind es keine,
und der Witz, der leicht Ähnlichkeiten findet,
verfuhrt mich.
So kommen der Habsüchtige und Geiizige^
darinn überein, dafs sie nach vielen Besitzen
streben ; aber nu» jener sie als Mittel zu Zwek-
ken beträchtet, dieser sie sich zum Zweck selbst
macht; wie nur jenen die Lateiner eigentlich
avarum, von avere^ nannten, diesen miserum;
und so noch die Italiäner ihn misero ' die Eng-
länder miser nennen- Daher kömmt es nun
aber auch, dafs man oft dergleichen Wörter
mit einander verwechseln kann, wenn die Re-
de nichts an Deutlichkeit verliert, oder der
Zusammenhang die genauere Bestimmung an-
zeigt.
Nach einer vierten Regel ist es ein siche-
res Merkmal, dafs zwey oder mehrere für noch
so gleichgültig geachtete Wörter es doch nicht
wirklich sind, wenn ich nicht eins wie das an-
dre in allen Fällen gleich gut brauchen kann.
Denn so mufs dem einen oder dem andern noch
ein NebenbegriflP beyliegen, vermöge dessen es
nur in einem gewissen Zusammenhang der Re-
de
33;
de am eigentlichsten gebraucht werden kann.
Diesen Nebengriif' auszumachen ist nun aber
oft das Schwerste» Wer mit den Gesetzen der
Sprache bekannt ist, wer durch Lesung classi-
scher Schriftsteller in demselben wie durch eige-
ne Übung, in einer richtigen Sprech- und
Schreib -Art ein feines Gefühl des Wahren und
Schönen sich erworben hat: der empfindet
wohl leichtj dafs ein Unterschied da sej. Die-
ser liegt doch aber auch nicht selteii in dem
Wurzelworte öder alten Volkssitten und Mei-
nungen, oder ^ einem besondern Umstände der ^
zur Eiiifiihrung' des Worts in die Sprache Gele«
genheit gab, so tief vergraben, dafs es unge«
mein schwer oder mislich ist ihn aus diesen
Tiefen heraus zu holen. Daraus folgt nun aber
auch, dafs Worter, welche gute Schriftsteller
in keinem Falle vertauschen wex'den , k^ine Sy-
nonymen sind.
Es sey also Aiefünfte Regel*. Bey Beurthei»
lung der Synonymen ist zwar die Ableitung der
Wörter ein sehr brauchbares Hülßmittel; es ist
das aber auch nur dann, wann das Wur^elwort
bekannt ist'^ 6der' doch mit Sicherheit aus der
Geschichte der Sprache beurkundet werden
kann. Blofse Muthmafsungen verführen leicht
zu Ungereimtheiten; wovon die Schriften der
griechischen Scholastikei* und der alten lateini-
schen Grammatiker voll sind, wenn man auch
338
nur des Cothofred Corpus AucUfrum L. L. be-
sonders die Excerpta de propfjeuue et differen*
tiis zur Hand, nimmt- Ist also die Ableitung
dunkel und zweifelhaft. oder g^nz unbekannt;
so bleibt dem Sprachforscher nichts weiter übrig
als aus dem verschiedenen Gebrauch synony-
misch - scheinender Wörter ihr Unterscheiden-
des bis auf .die kleinsten Schattirungen abzuzie-
hen und sie so lang^ in^Gedanken gleichsam
umzuwenden f bis er ihre noch so scharf abge-
schnittene Grenze ins Auge gefaßt hat.
Ich erinnere nur noch bey dieser Gelegen-
heit, daf& zu wünschen >väre^ man nähme auch
nach imd nach die Unterscheidungen gleichgel-
tend scheinender Partikeln in genauere Untersu-
chung z. £• darum f deswegen, daher, demnachy
um deswillen. Unterschieden sii|d«ie doch ge-
tyifs wie es der Lateiner igitur^ ergo-quare,
quapropter, qua de causa ^ita , sie, waren und
sonst Plautus nicht liätte in einem Context sa-
* «
gen können: itßque ^rgo.
Und nun ^d^nn zur 'Sache^ )ch werde aber
die aufgegebenen Synonymen in der Ordnung
auf einander folgen lassen , wie sie sind vorge-
schrieben worden*
Kundig f geübt, versucjit.
Ich trage, sogleich Bedenken diese drey
Wörter für synonydiisch. zu haUen» Dexin theils
339
gehört .zwar zu dem ein^n wie zu dem andern
eine ' gewisse Kenntnifs, aber diese ist doch
nicht bey dem einen wie bey dem, andern die
Hauptsache; tHeils zweifle ich, dafs man sie jß»
jnals in einer deutlichen Rede verwechselt hat
oder verwechseln könne.
Kundig von kennen ist die Sache des Wis-
sens ; geübc die Sache d^r Übung; versucht die
Sache mehrerer Versuche, woraus Erfahrungen
entstehen* fiey dem erstem besitzt man die
Kenntnils einer Sache; bey dem zweyten eine
Fertigkeit in derselben; bey dem dritten Erfah*
rungen von derselben.
Man sagt daher: sachkundige er ist der
Sache kundig, ein der Sache kundiger Mann;
wie man sagt; Geschichtskunde und Geschichts*
kundigery Naturkunde; Sternkunde, Sprachkunde
u, d. gl. Man sagt, sich erkundigen, (erkun«
den) nach etwas, wenn man Kenntnifs von ei-
ner Sache nehmen will. Ich möchte daher
nioht einmal mit Herrn Adelung annehmen,
dafs es in einigen Fällen ein Synonym von er-
fahren sey. Mir wenigstens scheinen die von
ihm angeführten Exempel es nicht zu beweisen.
Einer Sache kundig seyn,, kann doch nur anzei«
gen sollen, dafs man sie verstehe, kenne. Und
auch des Opia^ :
Bist kundig den Himmel aufzuschlielsen
hindert nichts in das —-verstehst — umzuse^
Ya
34o
zeii. Ich würde vielmehr sagen: kundig zeige
ein solches Wissen und Verstehen an, welches
sich yomehmlich auf Beobachtung oder Erfah-
rung grOndet; wobey man mit dieser ausgeht und
erst darnach das Nachdenken darüber folgt.
Wie wahr dies sey, bezeugen alle angeführte
Nennwörter. Denp bey allem» was sie andeu-
ten , muis' ' Beobachtung vorausgeben und ist
daher ein greiser Unterschied unter dem Ge-
Mchichtskundiger ^ {Geschichtskenner) und dem
Geschichtsforscher. Jener weifs 4ine Menge
Begebenheiten, dieser prüft und beurtheilt sie,
sondert das Wahre vom Falschen ab u. s. w.
Geübt kann nur da gebraucht werden , yro,
wie gesagt 9 eine Fertigkeit, die durch öftere
Anwendung einer Kraft erlangt wird , angedeu-
tet werden soll. Es ist also noch etwas anders
zu sagen , einer Sprache kundig , und in dersel-
ben geübt seyn. Jenes zeigt das blofse Wis'sen
derselben an, dais man sie versteht, Schriften
darinn lesen kann; dieses die Fertigkeit sich
darinn andern verständlich zu machen. Daher
die Redensart: er spricht das. Französische mit
vieler Fertigkeit; oder gegenseitig, von dem der
diese nicht besitzt: er hat keine Uebung im
Sprechen gehabt» ■
Versucht, in dem hieher gehörigen Ver-
atande kommt y so viel ich weifs, nur in der
Hedart vor; sich etwas versucht haben; d. i. viele
34i
Er&hrungen gemacht haben. Davon ist nun
das nur wieder eine Folge ^ dais derjenige^ yon
dem dies gilt^ auch vieler Dinge kundig und
in vielen geübt seyn wird; der Hauptbegriff ist
es nicht. Nach meiner Einsicht ^ wären also
nur versucht un4 erfahren Synonymen und kä-
men beyde darinn überein , dafs sie eihen Be-
sitz von gesammelten Kenntnissen und erworbe-
nen Fertigkeiten andeuten^ doch mit diesem
Unterschiede. *^
Einmal denkt man bey versucht (von versu"
chen) mehr den Vorsatz diese I^enntnisse zu
«
sammeln und diese Fertigkeiten zu erwerben^
l>ey erfahren aber kann auch viel Zufall statt
finden; bey jenem ist man mehr thätigi bey diesem
kann man sich auch blois leidentlich verhalten.
Zweytens werden bey versucht zugleich Schwie-
rigkeiten gedacht, die jemand überwunden hat,
nicht eben sowohl bey erfahren. Drittens kann
ich nicht eben so deutlich sagen ein versuchter
Mann, wie ich von einem erfahrnen rede. Wo
dies ist , kommt es mir nicht darauf an , wie
er seine Erfahrungen gemacht hat; wollte ich
mich aber des ersten bediene^, und doch an*
zeigen, er selbst habe viel dazu beygetragen,
sichs viele Mühe kosten lassen , so wurde ich
undeutlich reden ; so bald ich nicht sagen kann:
er ist ein sich versuchter Mann. Ich verände-
re also da die Construction und sage : er hat
342
sich viel versucht; und , aus gleicher Ursache,
um die Selbstthätigkeit und die Bekämpfung
aller Schwierigkeiten dabey anzuzeigen, hat man
diese reciproque Redensart in der Sprache ein-
geführt und dem Beyworti versucht, den Sinn
des öeprüften beygelegt. Zwar meint Hr. Ade-
lung ein versuchter Soldat sej hin und wieder
im Gebrauch. Ich sehe aber nicht ein, war-
um es nicht einen geprüften bedeuten könne;
und würde, wenigstenis in dem Verstände^ in
welchem er es nimmt, allezeit lieber ein er-
fahmer sagen.
V
Verschrieen, beruchtigtet.
Das alte rüchtig, um dies vorläufig zu be-
merken, von Rucht, un4 der Lateiner famosus,
ward sowohl in gutem Verstände gesagt für
nahmhaft, als in üblen für bescholten, oder auch
überhaupt für ruchtbarf das, Wäs durch das Ge-
rücht bekannt worden. So übersetzt Emser
Matth. 27, 16. Der (Barrabas) yfBx fast rüch-
tig d. i. in sehr Übeln RufF und Luther selbst
hraucht es für ruchtbar in der ersten Ausgabe
des N. T. v^ i532. — Diefs Geschieht ward
rüchtig durch das ganze Land. So nach würde
berüchtigen^ so viel seyO, als etwas 'ins Gerächt
bringen, ruchtbar machen und zwar in beyder*
ley Verstände. Indefs ist es von jeher in einem
nachtheiligen Sinne gebraucht worÖen , gleich
343
dem Beyivb'rt berüchüget {diffainatus)\ und hat
man dagegen,, ein eutes Gerücht anzuzeigen!
ruchtbar machen y wetden , gesagt , wie Luther
Matth. 9, 5i. »sie giengen aus und machten
ihn ruchtbar. ce
Mit verschrieen ist es nun in so fern gleich-
deutend ; in wie fern es eine weit verbreitete
üble Nachrede anzeigt; nur dafs dies diese Verbrei-
tung darstellt, wie sie auch lauter und stärker
gehört wird, auch mehr "Wahrheit in sich ent-
hält. Denn wovon ein feder laut spricht, des-
sen mufs man auch schon mehr gewifs seyn;
welches auch der Unterschied zwischen Gerüche
und Geschreyy heruffen und- beschrieen ^ der
Franzosen cri und bruit ist. Der Haushalter
Luc. i6, a. ward vor seinem Herrn berüchti-
get. — Elisabeth war im Geschrey, (verschrie-
en) Luc. 2 9 4-^* verglichen mit i Gor. 5, i.
ein gemein Geschrey. Daher also ein berüch-
tigter Schriftsteller, ein berüchtigtes Haus; ' und
eine verschriene Waare, Daher sagt man, was
den beyden gemeinen Begriff der weitem
Verbreitung anlangt sowohl •*- es geht das Ge*
rüchtf als es geht das Geschrey. ^*- Man kann
aber nicht eben sowohl was das lautbare dieser
«
Verbreitung betrifft, sagen: ein dumpfes Ge-
schrey, wie man. von einem dumpfen Gerücht
spricht; und man sagt gegenseitig nicht: es
wird das Gerücht gehört^ wie maxi sagt: es wird
344 .
daa Geschrey gehört. Auch läfst sich in Anse«
hung der mindern Wahrheit, die bey der Be*
rüchtigung zum Grunde liegt, in den Redarten
— - ich habe es nur aus einem Gerücht; es istj
mir nur durch das Gerücht bekannt — dieses |
Nennwort nicht mit Geschrey vertauschen. j
Ursprünglich, um noch diese Bemerkung
beyzufugen, ist wohl Geschrey und verschrieen
von Dingen hergenommen, die man zum Ver-
kauf auf allen Straßen ausruft und die als ver-
legene Waare niemand haben wilL Dazu
scheint das Sprüchwort hinzuleiten: viel Ge*
schrey, wenig fVolle, im Englischen — a great
CTy\ but Utile wooL Und dies erinnert mich
noch an den * Unterschied zwischen beschrieen
uhd verschrieen, der darinn zu. suchen ist (so
wie in berufFen und verruffen) dals das beschrie,
ene nur in üblen Credit steht, -das verschriene
ihn ganz verlohren hat; nach der verstärken-
den Bedeutung der Partikel ver. Eine schlech-
te Münze ist beruffen so lange . sie doch noch
im Umlauf ist, und verrufTen, so bald si^ aus-
ser den Gebrauch gesetzt ist. Ein wegen Gei-
ster-Erscheinungen beschrieenes Haus ist es so
lange, als es noch Käufer und Bewohner fin-
det; und es ist verschrieen , so bald es daran
fehlt. Es ist aber auch leicht einzusehen, war-
um man nicht eben sowohl von, einer beschriee*
nen und versphrieenen Münze . spricht. Denn
■ 345
sie laut zu beschreyeu würde dem Untezthaa
nicht geziebien oder ihm nicht gestattet wer-
den , und zum Yerschreyen hat er die Macht
nicht; die Regierung aber yerruft sie nur, um
sich nicht selbst in ein übles Geschrey zu brin-
gen.
Prahlen, Prangen.
Beydes deutet die Handlung an da man ab-
sichtlich sich vor andern auszeichnet und gel-
tend zu machen sucht. Geschieht es durch
FKorte und so dafs man sich dadurch bey an-
dern verächtlich und lächerlich macht, so ists
ein Prahlen y wenn aber durch Staaty dais
ipan die Aufmerksamkeit oder auch' den Neid
anderer erregt, so prangt man. Dieser Unter-
schied ergiebt sich — aus den Wörtern: Prah*
lerey (welches daher oft mit Grofssprecherey; ver-
tauscht wird) Prahlhans (von welchem Herr
Adelung selbst zugiebt, dafs es nur von wört-
lichen Grofsthun gebraucht werde); und dage-
gen Prunky Gepränge] Pracht^ prächtig y pracht-
voll — imgleichen. aus den Redarten , prahle^
risches Geschwätze, ein lügenhafter Prahler, ei*
nem etwas vorprahlen; und, ein prächtiges Schh/Sy
ein prächtiger Staat, prächtig schjnaufseni,
prächtig daher fahren , viel Prunk machen. Da-
her auch von prangen j Pranger, an welchen
Menschen andern zur Schau ausgestellt werden
und alle Vorübergehende ihr Augenmerk auf
sie richten. I>a8 neuere, TVortgepränge^ kann wohl
' S46
keine Einwendung gegen diese Unterscheidung
seyn. Denn auch dabey denkt man sich ein Staat
machen.
Wenn ferner Herr Adelung meint Klagel. Jer.
1,9. werde auch prangen von 6iner Prahlerey
* mit Worten gesagt und es umschreibt — er
rühmt seine Übermacht; und so sage man auch
noch hie und da—- mit seiner Gelehrsamkeiti
mit seinen Verdiensten prangen^ d. i. sie zur
Schau auslegen: so würde das erste doch nur
ein Beweis seyn^ dafs man zu Luthers Zeiten
den Unterschied zwischen beyden noch nicht so
genau beobachtet habe; wie auch Wüzel in sei-
nen Anmerkungen über die Luthersche Über*
Setzung ihn einmal tadelt, dafs er mit seiher
Zungenkunst rühme und prange. Und verwech-
selt man es noch in den angeführten Redarten
oft mit prahlen; so thut man es doch gewifs
nur dann , wenn dieses — zur SchAu tragen —
nicht durch Worte sondern durch Handlungen
geschieht $ durch die Menge Gitationen in
Schrifften ; durch die ansehnliche . Mitglied-
schaft berühmter Societäten die man auf den Ti-
tel hinter seinen Nahmen ankündigt u. s. w. Selbst
das Auslegen zur Schau, erfordert diesen Sinn,
wie etwa der Krämer seine Waaren auslegt und
durch eine geschickte Anordnung, durch Aus-
breitung manchen Flitterstaats, sie, auch still-
schweigend, J zu empfehlen sticht. So spricht
nicht weniger für den von mir bezeichneten
347
NebenbegrifF des Worts prahlen der frühste
Gebrauch desselben, nach welchem es, laut und
Jictstlg reden y bedeutete. Auch braucht Luther.
sohst nie in andern Stellen der Übersetzung;
prangen, von Grofssprechesey* Sprüchw. a5, 6.
wird , prange nicht vor dem Könige , gesagt
von dem, der, nach unsrer Art zu reden, im
feyerlichen Staate bey Hofe erscheint, und da-
mit auch nur bemerkt werden will. — Jerem.
aa, i5. weil du mit Cedern prangest von dem,
der in PallästeA von Cedernholz wohnet. —
Buch d. Weish. 2, 9. Keiner lafs es ihm fehlen
mit Prangen; wo die Vulgate luxuria hat und
der ganze Vers aus derselben übersetzt ist —
4,' 2. man pranget (der lateinischen Ubersez«
zung triumphat) im ewigen Kranz . — Jes. Sir.
20, 11. wer sehr /?rÄ«^eV, der verdirbt darüber
— '• und ganz besonders St. .in Esther 3, 11. ich
achte nicht den herrlichen Schmuck •»- wenn
ich prangen mufs (an Hoftagen Staat machen
mufs ) und trags nicht aul^er dem Gepränge^
•bey der Cour, wenn grofse Cour ist, wie wir
sagen würden. Und so stand auch in den er-
sten beyden Ausgaben der Luth. Übersetzung
Jes. 11, 10. wie ein Priester pranget in seinem
Schmuck für das gegenwärtige. -
Zudringlich y Andringlich.
Beydes ein gewaltsames oder wenigstens*
unbescheidenes und ungebührliches Driingen an
348
oder zu einem — r in rerschiedenen Provinzen
das Eine oder das Andre , ohne dafs man eben
sich etwas unterscheidendes dabej denkt. Doch
sind sie allerdings noch verschieden; so dafs
das Erste mehr d^n conatum, das zwejrte mehr
den effeuum andeutet; sich zu einem drängen
nur den Versuch , an ihn drängen ^ schon ^ die
Berührung desselben denken lalst^r Es ist wie
mit dem zustofien und ansiofsen: Ich sage im
Gedränge dem vor mir stehenden — stofs doch
zu wenn ich mir und ihm Platz machen will;
dagegen stoß doch den an , wenn ich will, dafs
dieser auf Etwas soll aufmerksam gemacht wer*
den. Auch gilt dasselbe yon zurSnnen und an-
rennen, wenn ich sage — was rennst du denn
an mich an ? oder was rennt der doch zu ! — ^ er
rennte an mich an, dafs er mich bald umgestöisen
hätte; und: er rennte auf)mich zu, dals ich
besorgte, er würde mich über den Haufen ren-
nen. Übrigens haben wir schon, im guten
Verstände dringend. — eine dringende Ermah-
nung; eine dringende Bitte. Und so auch ein-
dringend, was zu Herzen geht; oder noch stär«
ker gesagt, herzdringend.,
Entgelten, Büfien»
Eins wie das Andre zeigt eine Genugthu-
ung für Etwas an, eine Schaden -Ersetzung,
ein Strafeleiden; nur mit dem Unterschiede,
dafs jenes ursprünglich, wie das. einfache , geU
349
terif, gnt thun, vergüte», bezahlen, (in welcher
Bedeuturtg es beständig im Sachsenspiegel vor-
kömmt) /We Art des Ersatzes oder der Strafe,
büßen dagegen mehr Geldstrafe bedeute-
te. So heiJ&t es im Sax. Sp. Bufse soll man
gelten (bezahlen) in Münze, so im Gericht gen-
ge und gebe ist — in Wette und &ui[se wird
der Schilling auf 12* alte oder neue Schillinge
Ausgelegt — Gewette und Bufse heifst das, das
ans Geld geht, Pein und Strafe göht an den
Leib; womit Luther zu vergleichen a. Chrön.
36 , 3. er büfste das Land um hundert Cencner
Silbers. Dagegen wird entgelten auch von je-
der andern Art der Bestrafiing gesagt — a.
Ghron. 20, 11. sie lassen uns das entgelten und
kommen uns' auszusto/ien: Esr. 7, 26.^ es sey
zum T^ode, oder in die Acht, oder zur Bufse
an Gut, Yfie wir zu sagen pflegen, an Geld uncl
Gut. Das Gegentheil kann wohl nicht aus un-
serm, unentgeldlich , geschlossen werden, da
dieses später, nachdem man von «gelten das
Nennwort Geld abgeleitet, in die Sprache eiil-
gefähret wordien, und. früher, in der gleich an-
zuführenden Stelle, Entgelte gleichfalls nicht
Geld- sondern Lebens-Strafe bedeutet hat. Ver-
niuthiich ist auch das Wort , gelten , in Gang
gekommen , da nur noch Tauschhandel aus
Mangel baarer Münze war, und also auch jeder
dem andern zugefügte Yedüst oder Schaden
35o
durch etwas von gleichem Werth mulste vergü-
tet Werden — ein entwandtes Schaaf mit ei-
nem andern u. s. w.
Hierzu kömmt ^ dals bey Büfsen immer ei-
ne wirkliche Verschuldung gedacht wird^ nicht
aber eben, sowohl .beym Entgehen ^ wie schon
zum Theii die angeführten. Beyspiele beweisen,
und wozu noch folgende dienen können. • Der^
sagt man, hau entgehen müssen, wenn von ei-
ner fremden Schi^ld die Rede ist; man bittet,
lassen sie michs nicht entgehen und hält es für
eine Ungerechtigkeit^ wenn es geschieht —
homicidium J^uriosi j wird im Sachsen-Spiegel L
3. Art. 3 erinnert^ ist ohne Entgelt und ihm nicht
zuzurechnen. Man versteht aber sogleich eine
wirkliche Verschuldung, W6nn man hört: er
büfst für seine Sünden \ er mufs dafür hüfsen\
Ps. 76, 29* er lief s sie ihre Lust büfsen.
Diese Verschiedenheit hat nun auch wirk-
lieh ihren Grund in dem frühsten Sprachge-
brauch des Worts büfsen und seiner ersten Be-
deutung bessern j ausbessern y verbessern ^ in wel-
cher die Theolpgen es beybehalten haben. Denn
der Selbstschuldige hat wirklich die Pflicht auf
sich etwas wieder gut zu machen. Zwar könnte
das im Sachsen- Spiegel dawider zu seyn schei-
nen, dafs 1. 3. Art. 48- ^g« gesagt wird: Hir-
ten, was die aus |hrer Hütte verllefsen, müssen
sie . gehen. Indefs ist doch hier offenbar nur
35i
von einer geringen Schuld barkeit die Bede^
welche der Hirte auch wx)hl ganz yon sich ab-
lehnen könnte; nur das Gesetz machte Jhn
schuldig 9 um diese Art Leute destq aufmerksa-
mer zu machen. ^ . .. <• . *
Bedenklich ^ Mislich. .
Durch be^^dös wird Etwas das fehlschlagen
kann, der ungewisse und zweffelhafte Ausgang
einer Sache ^ nebst dem dabej zu besorgendeii
Schaden oder Nachtheil angezeigt, Denke ich
mir also blofs diefs Fehlschlag^jide und Gefähr-
liche^, sp ist sie T(iislich, ,nach der Bedeutung
des Nennworts missen^ fehlen; und so s^st, Lu-
• • %
ther in der Übersetzung Buch d. Weish. g, i4«
der Sterblichen Gedanken sind mislich und ih-
re Anschläge sind, gefährlich. Will ich nun .
aber zugleich den Nebenbegriff ausdrücken, dafs
also die so beschaffne Sache wohl bedacht wer-
den müsse, ehe m(in ^ich darauf einläfst, so
beschreibe ich sie als bedenklich. Ich werde
sagen , wenn mich ein andrer in derselben um
Rath fragt: es ist eine misliche Sache; ich we-
nigstens würde es für mich bedenklich finden r-^
oder , bedenken sie es erst. Weil nun jeder
£rnsthaftdenkende das^ was mislich ist ^ ^uvpr
bedenken wird, ehe er es unternimmt; und'
was ihm Bedenken inacht, auch mislich seyn
wird: so kann man in den meisten Fälleo bej-
55a
de Worter miteinander verwechseln — z. E. ein
jnislicher Handel eben so gut sagen als ein be-
denklicher. Nur dann findet dieser Tausch für
bedenklich nicht statt, wenn ich nur einen dun-
keln Biegriff von der Wichtigkeit einer SacÜe
habe und das, was sie auf sich haben köiinte
selbst erst bedacht werden mufs, oder ich da-
bey nicht gleichgültig seyn kann, wie der Aus-
gang seyn ' wird , dieses Bedenken also in so
weit für mich der Hauptbe^riEf i^. Von der
Art sind alle die Fälle, id welchen ich sage:
«es war mir sogleich bedenklich^ was der oder
jener sagte, oder was er thun wollte; er mach-
te eine bedenkliche Miene; er liefs ein bedenk"
liches yVoTt fallen.« * '^
Beträchtlich , Bedeutend, Erheblich.
Allen dreyen liegt der Begriff der JVichtig-
keit und des Pf^erths einer Sache zum Grunde.
Beträchtlich j was werth ist, betrachtet zu
werden, oder wirklich in Betrachtung kömmt —
ein beträchtlicher Schaden oder Verlust; eine
beträchtliche Summe oder Anzahl; ein beträcht-
lieber Einfiufs , Beytrag; wofür man auch sagen
kann ansehnlich j,\vsls Ansehen hat, angesehen
wird , so daß das Beträchtliche sogleich ins Au-
ge fällt. 'Auch ist ein ergiebiger Beytrag noch
etwas anders als' ein beträchtlicher: S. Jenes.
Bedeutend, ' was sogleich eine wichtige Sa-
che
353
che deutet y anzeigt: — ein bedeutender Wink,
ein bedeutendes Wort , ein bedeutender Mann-
gegenseitig: eine unbedeutende Miene; ein un-
bedeutendes Compliment, Gespräch, Geschwätz.
Man nimmt nemlich an dem allen sogleich
wahr, dais das damit Bezeichnete nichts auf
sich hat.
Erheblich y was unter Mehrern als das Wich-
tigste herausgehoben wird; womit die Hedart,
von einer Sache viel Aufhebens maclien, über-
einkömmt. Man sagt also: ein erheblicher
Zweifel^ Umstand, Verlust.
Gewählt j Gesucht y Geziert.
Das Erste würde ich nicht für ein Syno-
nym der beyden übigen halten , wohl aber ge-
zwungen. Denn es wird jenes nur .immer im
gnten Verstände gebraucht, so wie die andern
stets etwas verwerfliches, miszubilligendes , an-
zeigen. Wobey nicht nur eine Wahl statt fin-
det , sondern au9h angestellt werdeiisoll: das
ist gewählt, — wie eia gewählter Ausdruck ^ ei-
ne gewählte Gesellschaft, Daher sagt man auch
ausgewählt und auserwählt und verwechselt we«^
nigstens das erste mit gewählt, aber nicht eben
sowohl ausgesucht mit gesucht.
Denn nun hierbey, wie bey geziert ^ den-
ken wir uns eine unnöthige, eitle, aber doch
absichtliche Mühe um etwas, und allezeit et-
Z
3Ö4
was tadelhaftes ; nur dafs bey geziert die Mühe
sichtbarer ist, bey gesucht^ sich mehr dem io-
Bern Sinn/ darstellt — wie wenn man von einem
gesuchten Ausdruck^ Beifall^ Streit spricht. Das
hiemit, besonders mit dem geziert, noch zu
vergleichende, gezwungen^ deutet noch stärker
den Zwang an, den man sich dabey anthut;
oder die noch lüstigere Mühe, die man sich da-
bey giebt. Einem gezierten Gange, einer ge-
zierten Geberde, sieht man das Unnatürliche
gleich an ; ist beydes gar gezwungen , wie eine
gezwungene Miene, Stellung, Freundlichkeit^
so fällt das Unnatürliche um so mehr auf.
Standhaft , Beständig»
Beydes, wenn man die Redarten, Stand
halten j und Bestand haben , damit vergleicht^
zeigt die feste Dauer einer Sache an. Doch
geht das erste, nach dem neuem Sprachge-
brauch, (aus welchem auch das ehemalige stand-
haftig sich nach und nach verliert) mehr auf
die Festigkeit des Charakters und die Beharr-
lichkeit in Gesinnungen und Handlungen und
zwar mit Überwindung aller Schwierigkeiten;
da.s zweyte auf die blofse ununterbrochene Dau-
er des moralischen Verhaltens wie der Dinge:
Z» E. ein standhafter Mann, standhaft im Un-
glück, in Entschliefsüngen; und --ein beständi-
ger Friede, eine beständige Freundschaft, in
355
beständigem Zank und Streit, in beständiger
Betrachtung leben. Bey jenem werden bekämpf-
te. Schwierigkeiten, nicht aber eben sowohl bej
diesem gedacht. Daher auch standfest ^ noch
verstärkter die Idee der Stanahaftigkeit aus-
drückt; wie man auch im Oberdeutschen stand-
haften Bau, Grund, tut festen zu sagen pflegt.
Unstandhaft ist daher auch nicht so gemein,
YiSLS den Charakter anlangt, und bedient man
sich dafür lieber des unbeständig, weil eben
bey diesem Unbestand gar kein Versuch ge-
macht wird Schwierigkeiten und Hindernisse zu
überwinden, das, unstandhaft, aber denken lie-
fse, man habe ihn. wenigstens gemacht. Eben'
so ist es gewöhnlicher ein beständiger^ als ein
standhafter Freund zu sagen, weil Freundschaf«
ten gedacht werden können, zu deren Unter-
brechung nie eine wichtige Veranlassung gewe-
sen, dafs eine besondere Festigkeit des Charac-*
■
ters dazu gehört hätte. -
Selbst unter bestundig ijconstans) dauerhaft
(jperdurans^ bleibend {permanens^ unaufhörlich
(indesinens) immerwährend {perpetuus) findet
noch ein Unterschied statt. Ich denke dieser —
Beständig ist. Was ununterbrochen fortdauert;
dauerhaft, was die Ursache dieser Dauer in
sich hat, wie ein dauerhafter Cörper, eine dau«
eihafte Gesundheit, Farbe, ein dauerhaftes Ge
bände; dals ich daher nicht sage: das Haus ist
Z 2
356
beständig gebaut , sond^n ^ es ist dauer-
haft gebaut und gegenseitig nicht, er hat da
dauerhaft gewohnt, sondern er hat da beständig
gewohnt. Femer ist bleibend was nicht nur
nach Zeit, sondern auch nach Ort und Person
fortdauert; ein bleibendes Andenken, ein blei-
bender Ruhm, er hat keine bleibende State.
Endlich ist immerwährend wie unaufhörlich^
was, wenn es gleich nicht im strengsten
Sinn ununterbrochen fortdauert, doch nie ein
Ende nimmt und seine Existenz ganz verliert —
ein immerwährender Lärm, Streit, oder
Schmerz ; ein immerwährendes Sausen im Oh*
re , Geschrey, Gezänk. Daher kann ich bey-
des in den angezeigten Ausdrücken wieder mir,
beständig, vertauschen , in so weit doch eine
Fortdauer dabey gedacht wird auf deren Unter-
brechung man nie lange rechnen kann.
Hartnäckig, Halsstarrig, Störrig,
Der allgemeine Begriff ist Unbiegsamkeit
sowohl im eigentlichen , als uneigentlichen Ver-
stände; doch in diesem mit herrschender Wi-
derspenstigkeit verbunden. Aeufsert sich diese
blofs in Meinungen, Gesinnungen und dem
ganzen Verhalten, es sey aus Eigensinn oder
Stolz; so ist man hartnäckig oder hartnäckisch
(wie man ehemals häufiger sagte). Dahf»r: hart-
uäckig auf seiner Meinung bestehen Ge-
357
schiebt diese Aufserung gegen alles Ermahnen
und Bitten, so ist man halsstarrige wie in der
Redart — halsstarrig leugnen, ein halsstarriges
Kind und der- Luther^chen Übersetzung 2. B.
M. 33, 4' ^* ^^ *^^ — ^^^ ^^^ ^^^ hals-
starrig Volk; Buch der Rieht. 2, 19. Sie Uefsen
nicht von ihrem halsstarrigen Wese^; Jerem.
17, a3. Sie htieben halsstarrig; Neh. 9, i6. ih-
re Väter wurden stolz- und halsstarrig, dafs sie
nicht gehorchten» 2. Ghron. 36, i3, er ward
halsstarrig und 'Verstockte sein Herz. Diese
Stellen beweisen zugleich, dafs Herr Stosch im
2. Th. S. 37. 38/ wohl zu fein unterscheidet^
wenn er meint: hartnäckig bedeute mehr eine
natürliche, halsstarrig ^ebr eine angenommene
Unbiegsamkeit/ Preylich " ein harter Nacken
kann natürlich seyn'und ein starrer, steifer
Hals durch Zufall etitstehen. Aber im morali-
schen Sinn liegt doch beydes in der Natur des
Menschen. Und 'überdiefs gründet sich der
Sprachgebrauch nicht sowohl auf scharfsinni-
ge Beobachtungen der Dinge, als auf die ver-
schiedenen Eindrücke , welche Eigenschaften,
die ein Jeder sogleich wahrnehmen kann, auf
den Innern Siim eines Jeden machen« Hiege-
gen konnte nun wohl * Ör. St. noch auf die
Ausdrücke, ein hartnäckiger Streit, eine hart-
'tiät)kige K-rankheit, sieh berufen, bey welchen
eine natürliche Eigenschaft der Sache gedacht
^
35«
werde. Es kann doch aber auch an zufalligen
Unutänden liegen , warum der Streit schwer
beizulegen ^ . oder die Krankheit schwer zu he-
ben ist. *Eher könnte man es seltsam finden^
dafs man überhaupt das Wort auf die gedach-
ten leblosen Dinge übergetragen ^hat. Ich den-
ke also, ilafs bey einem hartnäckigen Streite
mehr die P^sonen gedacht werden., die ihn
unter sich führen und die starrköpfige Art, wie
sie ihn führen; dafs, wenn ich sage -— es ist
ein hartnäckiger Streit -— * iqh es nm der Kürze
willen thua^ stait zu sagen — es'' ist ein Streit^
der hartnäckig geführt wird* .Und so personirt
man auch Krankheiten, wenn man sie hartnäk-
kig nennt, und umgiebt sio gleichsam mit ei-
nem CörpeTj weil man Widerstand fühlt. —
Von halsstarrig würde ich nun j/€>rr/^.(ehe«
mals und noch itzt hin und wieder auch j^Jr-
risclC) so unterscheiden, dals es di^elbe u^bieg-
same Widersetzlichkeit mit der Nebenidee ei-
nes trQtzigsn Sülsschweigens anzeigen solle. Es
kommt nemlich her von dem alten Sturr, ein
Stock. Daher Luther . ii^« der^ ersteu Ausgrabe
d. Ubers. N. T. Marpi 5> 5^ das zuerst ge-
brauchte«—, vfntarite Herzen -n- nachher in ver-
stockte umgewandelt hat; m^n noch oft das stör,
rig ttiit sivchisch verwechselt und zu einem störri« ^
gen Kinde zu. sag^n: pflegt: Bist^ du denn wi9
^n Stock?
359
Nun hat maa auch in der Sprache für hart-
näckig und halsstarrig, hartköpfige starrköpfige
starrsinnig (steifsinnig) , ja esi ist so gar hah-
aderig da gewesen. *)
Vo» jenem ist eigenköpfig (ein Provinzial«
wort, .so wie eigenhimig)^ und eigensinnig nur
dem geringern Grad nach unterschieden; alle
unter sich aber sq, dafs man hartköpfig auch
von dem sagt, der etwas schwer begreift, und
starkopfLg^ in moralischer Bedeutung , die glei*
che Bedeutung des ersten verstärkt; dann starr-
köpfig mehr den Sitz , starrsinnig nlehr die
Natur dieser Unart andeutet und also beyde
glelchmäfsig verwechselt werden könuen— wie;
er besieht auf seinem Kopfj oder ,, er besteht
auf seinem Sinn. Übrigens kömmt, hartnäckig,
meines Wissens, so wenig als hartköpfig, in der
Luth. Übers, vor; wohl aber das harte Köpfis^
harte Nacken Hos. a, 4» Baruch* a, 3o.
' Besonders ist es aber, dafs nicht eben so-
wohl starrhalsig, wie hartnäckig in den gemei-
nen Sprachgebrauch aufgenommen worden oder
darinn geblieben ist, da doch an mehrern Or-
ten auch starrnackig' üblich ist.
Endlich ist auch halsstarriglich, als Neben-
*) Der schon angeEuhrte Ge. JVUzel sagt von Luthern
einmal yu/. 3. der adnotationum in S. liueras: Desta
bärEer und baUaderiger hälc er über allem seinem
Dinge«
36o
wort, zur Unterscheidung von, halsstarrig, als
Beywort, ehemals beständig gebraucht worden;
vermöge der feststehenden Regel: aus den Bey«
Wörtern in ig Nebenwörter in iglich zu bilden,
welchen Unterschied Luther und andre Schrift-
steller des 16. Jahrhunderts genau beobachtet
haben, ^r• Ramler sey Richter, ob man ihn
nicht hätte beybeh<en sollen*
Krumm, gebogen.
Davon sagt Hr. Sioschy der in seinem mit
so vieler Bescheidenheit angekündigten Versuch
mit einmal so viel . geleistet hat; S. 16 des 2.
Th. jenes werde von allem gesagt, was nicht
gerade sondern in einer gewissen Biegung ist,
es sey von Natur oder durch Umstände; dieses,
was nur durch zufällige Veränderung krumm
geworden ist : so dafs zwar alles Gebogene auch
krumm sey, aber nicht gegenseitig.. Da ich
nichts richtigeres darüber zu sagen weifs / so
^ill ich nur noch von dem Unterschiede unter
gebogen, gebückt, gebeugt^ kurz das bey fügen,
dafs die beyden ersten nur von einer cörperli-
chen Krümmung gebraucht werden, und ge-
bückt besonders .von Menschen; gebeugt dagegen
auch vom Gemüthe.
U nbehülßich , Schwerfällige Plump,
Im physischen Verstände deutet eins wie
das andre die Unfähigkeit zu einer leichten
36i
cörperlichen Bewegung an; nach welcher der
Unbehülfliche sich taicht recht helfen kann, wie
das Kind y der Alte , der Kranke .*— • ein schwer*
fülliger Görper in Gefahr ist wegen seiner
Schwere zu fallen , — das Plumpe zu anständi-
gen Veränderungen * untauglich ist. Wie man
also sagt: das unbehülfliche Alter , ein schwer-
fälliger Gang; so sagt man Auch ein plumpes
Gesicht y eine plumpe Miene.
' Nach jenem allgemeinen Begriff ist nun
ferner im Sittlichen — ein schwerfälliger Witz,
dem der Mangel an leichten Geisteswendungen
gleich anzumerken ist -'^ ein plumper Mensch,
ein plumper Scherz, eine plumpe Antwort, wo*
bey eben dieser Mangel wahrgenommen wird
und dem es überdiefs an feinen Wendungen
und Manieren fehlt. Ich weifs aber kein £xem»
pel, dafs auch unbehülflich in moraliicher Be-
deutung genommen würde.
.• » •
Verlegen y Betreten^ Betroffen ^ Bestürzt*-
In dem ' einen wie in dem andern Fall,
wird man durch unerwartete Umstände in eine
unangenehme Gemüthslage gesetzt, die bald
mehr bald weniger . Init Ungewifsheit und Un«-
entschlossenheit wie man sich nehmen soll> mit
Unruhe, Besorgnils odi9r auch Beschämung ver-
bunden ist.
Bey der Verlegenheit ist die Unentschloa^
362
senheit am peinlichsten; bej der Bestürzung die
Erschütterung zur Unruhe i^nd Angst am gröfs-
ten; mit dem Betreten $eyn. vermischt sich Tor*
züglich geheime Scbaam; wozu nun noch in
dem Betroffenen das iSelbstgefühl kommt > yer*
möge dessen er sich getroffen findet. '
Z. £. Es erzählt jemand in einer Gesell-
schaft , ohne mich zu kennen, etwas sehr nach-
theiliges von meinem FreundOj so wird die Ge-
sellschaft, die mich und diesen kennt, ^verlegen
und ich betreten^ im Weiter - Erzählen nennt
er gar mich, als denjenigen, der an der Sache
Theil genommen , welches verursacht , dais ich
betroffen und bestürzt zugleich werde. Nun
9agt ihm ein Nachbar ins Ohr, dafs ich der sey,
welcher in dem Handel mit verflochten gewe«
sen : dieis setzt ihn in noch gröfsere Verlegen-
und macht auch ihn bestürzt*
Es ist übrigens bekannt, dafs man ehemals
auch in Schriften häufiger verstürzt für bestürzt
zu sagen pflegte.
Schwermuthy Trübsinn»
Hr. StQSch im i. Th. S. fliio sagt, dünkt
mich, ganz richtig: das erste drücke eine Trau-
rigkeit aus, welche aus einem, verdorbnen dik«
ken Blute entstehe. . . Aber, nicht ^ben so rieh*
tig scheint er mir — « Kummer ^ Harm , Graniy
als sinnverwandte Wörter damit zu vergleichen.
. 363
UntfiT sich sind sie es, können auch :^um Theil
die Ursache odet die Folge jenes Gemüths-Zu«
Stands seya, sch\v erhöh aber im Ausdruck >da-
mit verwechselt werden.. Genauer wird also
hier Trübsinn der Schwermuth an die Seite ge-
setzt. Und so bald diefs ist, so würde ich. an-
nehmen, beydes zeige einen besondern Hang
zur Niedergeschlagenheit und zu traurigen Ver-
stellujpgen an : — 4ie Schwermuth^ wie es die
Zusammensetzung mit schwer giebti einen stär«
kern Grad.^ so dafs auch oft Beklemmung und
Angst dazu k.Qmmt und dieser Zustand anhal-
tender ist; dieses^ Trübsinn ^ (dem Frohsinn
entgegen gesetzt) einen geringem ^ wobey zwar
mehr , üble Laune statt findet , aber wenigem
Angst. und auch mehr Vorübergehendes ist. Da^
her der Frohsjinnigste trübe Stunden haben
kann, die ihn zum Trübsinn n.eigen, schwerlich
aber in tieie Schwermut^ versinken wird, weil
er auch schon ein leichteres Blut hat..
Fuhrläfsig^ Nachläfsig.
Für das zweyte hat man ehemals auch in
Schriften hinläfsigj nach der Form hinfällige ge-
sagt, welches aufser den vom Hrn. Adelung
angeführten Stellen auch Esra 6. g. in der Lu-
therschen Übersetzung vorkömmt. Er rechnet
es abet zur ! oberdeutschen Mundart Wie das
fahrläfsig> und meinte d^fs dißses mit dem.«
364
nachlulsig, in der Bedeutung wohl so ziemlich
übereinkomme. So denn könnte doch noch
eiuiger Unterschied statt finden. Und der
scheint mir dieser zu seyn , vorausgesetzt dals
beydesy nach der Zusammensetzung, von dem
Wort, lassen, abzuleiten ist. Der Fahrläfsigt
läfst eine Sache ganz fahren, giebt sie ganz auf;
wie man sagt: einen Gewinn, eine Gelegen/ieu
fahren lassen, und dieses daher auch für, ^ver'
lassen, gebraucht wird z. £• Psalm 78, 60. der
Lutherschen Übersetzung. Dagegen läfst der
Nachlüfsige nur in seinem Eifer bey derselben
immer nach. In beyden wird also zwar ein
Maogel der Aufmerksamkeit und Kraftäufse«
ruhg gedacht, nur aber der Fahrlafsige, wie
es ihfh ganz daran fehlt. Oder man könnte sa-
gen: bey diesem ist der Mangel der Aufmerk«
samkeit gröfser, weil er leichtsinnig ist, sonst
würde er auch seine Kräfte mehr anwenden;
bey jenem der Mangel der Anwendung seiner
Kr»(t überwiegender; weil er träge ist, sonst
würde er auch seine Aufmerksamkeit mehr dar-
auf heften. '
: Auseinandersetzen, Erörtern»
Das erste hat der Ebengenannte gar. nicht
im eigentlichen Verstände; doch im figürlichen
die Redärt: eine verworrene Sache ordentlich
r
vortragen und deutlich machen. Hi^von ist
. \ 365
nun erörtern (ehemals örtern/ so wie man auch
für Erörterung Oenerujtg sagte) allerdings un-
terschieden. Beydes geht auf die genauere Er-
klärung und deutliche Darstellung einer Sache.
Sie wird aber erörtert {definitur) wenn sie, wo
nicht streitige doch schwierig oder zweifelhaft
und daher dunkel ist ; und sie wird auseinari'
dergesetzt {exponitur) f wenn die Tbeile dersel-
ben unordentlich durcheinander liegen und da-
her die Dunkelheit entsteht. Bey jeneni denke
ich mehr Schwierigkeiten die gehoben; bej die-
sem mehr 'Verworrenheiten die entwickelt wer-
den sollen. Jenes, erfordert mehr Scharfsinn
und tiefes Eindringen in eine Materie; dieses
mehr Ordnung im Denken imd Leichtigkeit in
Absonderung der Begriffe voneinander. Durch
jenes wird die Sache entschieden^ durch dieses
zur Entscheidung yorbereitet. Brauche ich 'nur
den allgemeinen Begriff, so kann ich gleich
richtig sagen : eine Sache genauer erörtern,, und,
sie genauer auseinandersetzen — deutlich erör-
tern und deutlich auseinandersetzen. Betrift es
aber eine Materie , die ich nicht sogleich über*
sehen kann; weil sie zu reichhaltig ist und aus
mehreren Theilen besteht, die erst gehörig ge-
ordnet werden müssen, um eine lichtvolle Vor-
stellung davon zu bekommen , und der^ welcher
sie mir vortragt, thut'dem Genüge; so werde
ich sagen : . er habe sie sehr gut auseinanderge-
566
setzt. Ist sie gegenseitig mancberley Schwie-
rigkeiten ausgesetEty dafs mancherley Fragen
darüber entstehen und verschiedene Urtheile
davon gefallt werden können: so brauche ich
das — erörtern — einen Zweifel^ eine Streitfra-
ge erörtern. In' so weit nun durch Streit eine
Sache oft nicht nur verdunkelt sondern auch
verwirrt wird und mir jemand die Gründe für
und dawider deutlich vorträgt; so kann ich auch
sehr richtig sagen: er habe diese Gründe gut
auseinandergesetzt. Es ist also wohl bey jeder
Erörterung auch immer eine Auseinandersez-
sung; nur nicht umgekehrt.
Ausgemacht ist es nun auch^ da/s örtenty er-
örtern y von Orty Oerter abgeleitet ist. Aber in
welcher Bedeutung von diesen könnte noch die
Frage seyn — ob in der des Endes einer Sache
oder der Grenze ? Will man jenes annehmen,
so würde es so viel heifsen: eine Sache bis zu
«ihrem äufsersten Ende genau verfolgen und so
zu Ende bringen — Wollte man aber dieses
vorziehen: so wird es so viel sagen, als die
Grenzen einer Sache genau bestimmen, und sie
so endigen ; welches ich wegen des ihm ant-
wortenden lateinschen definire vorziehen würde.
Biegsam y Geschmeidig, Gewandt,
Biegsam ist, was sich leicht biegen läfst,
wie eine biegsame Ruthe; geschmeidig, was
. . 367
sith leicht schmieden läfsti geschmeidiges Eisen;
gewandt, was sich leicht wenden läfst; ein ge-
Wandter Witz, Görper, eine gesandte Antwort.
£s würde also der Grundbegriff von allen drey-
en seyn, dafs sie Dinge andeuten, die sich
leicht in mehrere Formen bringen lassen und
verschiedene Gestalten anzunehmen geschickt,
mithin auch nachgiebig und weich sind, oder
doch durch Kunst^bald erweicht werden kön-
nen. — • Nur ist einmal, Biegsamkeit, im ei-
gentlichen wie in uneigentlichen Verstände, mehr
eine natürliche Eigenschaft, Gewandheit aber,
wie des Styls,^mehr die Sache derlJbuDg oder
der Kunst. Daher wird zweytens figurlich, bieg*
sam , mehr von der natürlichen Gemüthsart ge-
braucht, geschmeidig und gewandt mehr von
einer erworbenen Fertigkeit des Cörpers, wie
des Geistes. Endlich drittens , weil bey ge^
schmeidig wie bey gewandt auch viel erkünstel-
tes seyn kann, so wird auch beydes oft in ei*
nem zweydeutigen Sinn genommen. Folgende
Exempel, aufser den schon bemerkten, werden
diese Unterscheidungen beweisen — ein biegsames
Gemüth, so viel als lenksam; ein biegsamer
Cörper, eine biegsame Sprache — -> einen' ge-
schmeidigen Leib haben, geschmeidig seyn, ge-
schmeidig werden, geschmeidig machen; in al-
lem gewandt seyn, viel Gevi^andheit beweisen
(wo bey nicht allein geschwinde cö'rperliche son-
368
dern auch Geistes - Wendongen verstanden
vrerden.)
Reichhaltig 9 Ergiebig^ Fruchtbar.
Was eine durch natürliche Kräfte erzeugte
Mehrheit oder Menge derselben Natur und Art
in sich schliefst« Diese Menge, Jeönnte man
sagen, ist in dem Reichhaltigen noch versteckt
und nur dem Kennersauge gleich merklich: in,
dem Fruchtbaren liegt sie mehr offen, und
kann sie jeder an sich leicht bemerken; in dem
Ergiebigen f wird sie erst aus den Folgen sicht-
bar. So ist das Erz reichhaltig, wenn es gleich
dem Nichtkenner nicht jo scheint; Regen und
Witterung y das Erdreich ^ die Baume ^ die Jali-
re sind fruchtbar, weil ein Jeder das mit seinen
Sinnen wahrnimmt; und ich mag sagen entwe-
der, wir werden ein fruchtbares Jahr haben,
oder wir habens gehabt: so läist jenes die Beob-
achtung der Witterung Jedem leicht vermuthen
wie dieses einem Jeden die Erfahrung giebt.
Endlich ist das Korn ergiebig, wenn es viel
Mehl giebt, welches au{ dem Halm ihm nicht
anzusehen ist; der Boden ist es, wenn mehrere
Erfahrungen gelehrt haben , dafs er yieles und
gutes Korn trägt; ein Beytrag ist es, wenn sich
beym Nachzählen findet, dafs er ansehnlich ist*
Allein /der figürliche Gebrauch, nach wel-
chem ich sage, ein reiphhaltiger sowohl als
frucht-
369
fruchtbarer Gedanke^ aber' nur eine ^fruchtbare
Einbildungskraft f ein fruchtbarer JVitz sagen
kann; und ergiebig weder von dem einen noch
von dem andern, erfordert^ die genauere Be-
stimmung so anzugeben. Bey reichhaltige den-
ke ich die Vielheit an sich; bey fruchtbar, be-
trachte ich sie nach der Frucht, welchö sie brin-
gen kann und den Nutzen, welchen sie verspricht}
bey ergiebig nach dem Werth der t'rucht und
dem wirklichen Nutzen , den sie stiftet. Es ist»
also derselbe Begriff oder dieselbe Materie, nur
in verschiedener Betrachtung , reichhaltig und
fruchtbar, dafs man daher oft beydes miteinan-
der verwechseln kann. Weil ich nun bey den
Spielen der Imagination und des Witzes mir,
atifscr den Jemand zusti'ö'menden Vorstellun-
gen, Einfällen und Bildern, auch den Nutzen,
das Vergnügen denke, welches sie mir verursa-
chen, so schreibe ich ihnen nicht sowohl Reich-
haltigkeit als Fruchtbarkeit zu. ' Da denn aber
doch , als bey Spielen , wenig reeller Nutzen
dabey seyn kann, und ich, selbst bey den frucht-
barsten Gedanken nicht ^eifs, Welchen Nutzen
* '1
sie bey andern haben werden: so enthalte ich
mich des Worts ergiebig y weün es darauf an*-
kömmt und begnüge mich die' Idee auszudrük-
ken, dafs sie irgend eine Frucht bringen kön«
«
nen, fruchtbar süid. jDeon auch Aies'bar in
der Zasamoiensetzung Init Beywörtem, von da»
Aa
370
nen auch die Endung lieh gewöhnlich ist« deu-
tet nur das ff er mögen zu Etwas an, das lich^
dagegen die Wirhlichheü der Sache -^ nutzbar,
was Nutzen brhigen kann*, nützlich, was wirk-
lich Nutzen bringt — wunderbar was Bewuode»
rung verdient; wunderlich, worüber man sich
wirklich verwundert.
Sanftmüihigf fVeichmüthig.
Beydes | das zweyte von weichherzig unter»
schieden, ist etwas sittlich - gutes und empfehlen-
des und versteht man iinter beyden eine Ge-
rn üthsart, welche von widrigen, andern nach*
theiligen Leidenschaften frej ist. Dieis macht
sie gleichwohl nicht zu Synonymen und ich
zweiße, dafs sie jemals in einer richtigen
Schreibart verwechselt werden können. Denn
wenn sie jenes wären und dieses ,der Fall seyn
könnte ; so müfsten sie nicht nur nebeneinan-
der, wie sauft und weiche in einem Subject ge-
funden werden, sondern auch in der Hauptsa-
che übereinstimmen, dals der Sanftmüthige wie
der Weichmüthige von einerley Leidenschaft
fre/ und nur in Nebenumständen verschieden
wären; welches gleichwohl nicht i^. Der Sanft«
müthige ist frey von allen heftigen Ausbrüchen
des Unwillens, wie Zorn und Rache, der Weich-
müthige von Härte und Grausamkeit, Trotz
und UBbiegsamkeit; ]&ß^t duldend und nach-
371
sichtig, dieser lenksam , mitleidig imd theilneh-
mend an den traurigen Schicksalen andrer; je«
ner läfst sich nicht leicht aufbringen , dieser
wird leicht erweicht. Der Eine fährt nicht so
gleich heftig auf, weil er auch nichts so lebhaft
empfindet ; der Andre läfst sich leicnt erbitten,
weil die Gegenstände, die auf ihn am meisten
wirken , einen tiefern Eindruck auf ihn machen.
Mit der Sanfmuth ist Langmiuh und Demuth
gepaart; mit Weich müthigkeit Wehmuth und
Gutmüthigheit. Wenn nun gleich beyde sich
untereinander auch unterstützen , dafs der
Weichmüthige sich bald besänftigen läfst, der
Sanftmüthige auch eher zum Mitempfinden der
Umstände Andrer aufgelegt ist; so sind doch
bejdes ganz verschiedene t^harakter, dafs also
auch die Wörter, mit welchen ich sie bezeich-
ne, in keiner Sprache gleichbedeutend sejm
können. Sonst müfsten auch z. E. Uebermmh
und Hochmuth Synonymen seyq können. — -
Der Weichmüthige, in so fem er blos das
ist, verhält sich also auch mehr leidentlich; der
Sanftmüthige mehr thätig. Daher ich wohl sa-
gen kann: Sanftmuth üben^ ein sanitmüthiges
Betragen gegen Andre, Behandlen Andrer; aber
nicht Weichmüthigkeit üben u. s. w. — ge-
genseitig wohl: weichmüthiges Empfinden eig-
ner Schmerlen oder der Noth Andrer; aber
Aa a
I
\
37a .
nicht eben sowohl sanfmtithiges Empfinden der
Fehler andrer.
Wahre Synonymen sind also> weichmüthig
und weichherzig i und beyde würde ich so un-
terscheiden^ dafs dieses nur die Empfindung
(mit Andeutung des Sitzes derselben) ausdrückt^
Jene^ von Math (Gemüthsart) die Gesinnung an-
zeigt. Daher \eiLes audi oft ein Fehler &eyn
kann, oder doch, als blolse Natur- Anlage^ leicht
ins Fehlerhafte ausarten; dieses nie, weil es ei-
nen guten Willen mit zu denken giebt. -
Seyn sie doch nicht so weichherzig! Jiann ich
sehr gut sagen; schwerlich aber werde ich sa-
gen: Seyn sie doch nicht so weichmüthig!
j
Wundem^ Bewundern^ Verviundem.
Man mag sich wundern oder verwundern
oder etwas bewundern; so hat man es mit Din-
gen zu thun , die y als ungewonlich und auiser-
ordentlich die Aufmerksamkeit besonders, erre-
gen. Sonst ist wohl wundern und 'verwundern
so wenig unterschieden, als mehren und Der^
mehren, mindern und vermindern und das zwey-
te nur später in die Sprache eingeführt. Man
sagt — sich wundern und sich rerwundern ; sich
sehr wundern und sich sehr verwundern —
• •■* _•• •• ••
eins wie das andre — wie Luther in der Über-
setzung: sie verwunderten sich über die maafsen.
Es kann also ,auch das ver in diesem Worte die
373
Bedeutung nicht verstärken. ' Beyni Bewundern
willmaa nicht sowohl seinen Zustand als das
Object bemerkt wissen. Z. E. ich bewundre
den Fleifs des Mannes, die Dreistigkeit des
Menschen ^-^ Ich gehe da gleichsam aus mir
selbst heraus, um nur diesen Fleiis oder die
Unverschämtheit recht merklich zu machen.
Sage ich aber -— mich wundert doch, wie der
Mann das alles bestreiten kann, -— so ist es
mir mehr darum zu thunji meine Empfindung
auszudrücken.
' * *
Suchen, Forschen, Aufsuchen / Erforschen^
(Ausforschen , Nachforschend)
Alle zeigen das Bestreben an, Wissenschaft'
von einer Sache, an welcher viel gelegen ist,
2ü erlangen. Das Unterseheidende in densel«
ben ist Folgendes: Beym Suchen hat man sie
schon vorher gekannt, will aber wissen, wo sie
itzt'istj oder man kennt sie schon in allgemein
iien, wift sie aber genauer kennen lernen: beyni
Fbtschen will man sie überhaupt erst kenrierf
«
lernen. Maa sucht alsa das T^erlohrne oder
Vermifstey ©der nicht genug bekannte, und
man forscht nach dem Verhorgnen j so wie man
yfjtdfer; was man gesucht hat, und entdeckt, wo-
nach rrian geforscht hat oder doch worauf 'tnan,'
heyia Nächfforscheii nach etwas Änderirf , ' he-
benh^r stößt. Man isucht ein f^er/oAmei" Buch;*
374
man Forscht nach einem geheimen Spion , — -
entdeckt diesep und findet jenes — Wenn da-
her Neuere das Wort fVahrheitssucher in die
Sprache haben einführen wollen^ so haben sie
es ohne Noth gethan , da wir schon das Kräfti-
gere und mehrbedeutende Wahrheiuforscher
haben f und auch nicht ganz nach der Analo-.
gie der Sprache, in welcher das •'^ Naturfor-
scher, Geschichtsforscher, Sprachforscher — schon
in verjährten Besitz sind.
Auch Luther hat diesen Unterschied ge-
kannt: Spr. SaL 2, 3. So du sie suchest ^ wie
Silber und forschest sie» wie die (verborgnen)
.Schätze-» . Denn wenn er gleich das erstemal
suchen braucht , wo von einer gleichfalls ver-
borgnen Sache die Rede ist ist, so folgte er
theils darin der Vulgate ihrem ^i/aefiem] -*-
investigaris; theils konnte er dasselbe Wort^ um
des Wohlklangs und auch des sententiösen
Styls willen y nicht zwejmal wiederholen. Und
so sagt er anderswo» wo ihm flicht dieser
Zwang drückte — und suche mit Fleifs (den
verlohrnen Groschen) bis dafs sie ihn finde Luc
\5, 8. ^
Suchen und aufsuchen ist Hrn. Adelung
nur den Graden nach unterschieden , dais also
dieses die Bedeutung verstärke. Aber wie nun?
Doch nicht den Fleifs » den man darauf wen««
det ! Denn ich sage eben sowohl : ich will mir
376
gebed es zu suchen; als — es aufzusu-
cheh — Ich denke es komme bey diesem nbcb
die Nebenidee hinzü^ daß mah sich die ver-
lohrne oder vörmifste Sache zu'd^r Zeit^ aiicfa
als tief versteckt y dunkel denkt; wie wenn
Dusch sagt:
Wie sehr Versteckest du dich vor der wohl-
'thätigen Giite^^ die dich aufsucht!
Und ' so würde auffinden , audh mehr als das
einfache y finden , andeuten^ dafs di6' gefundene
Sache gleichsam tief Vergraben gewesen« Di6is
■j «
veränrlarst mich denn noch zu erinnern, dafs su'
chen und forschen auch in allen den Pällen
können verwedhselt werden^ in Welchen verlohr-
ne öder verihifste Dirige^ 'ih dem Augenblicke
des Siichens^ inehr als sich verbergend gedacht
werdeh. Ein entwischter oder 'entÜohner Dieb
wird aufgesucht; in' so wäit er vermifst wird;
und man forscht nacht ihm , in^so weit er ver-
borgen ist.
Zwischen suchen und nachsuchen ist übri-
geils kein Untärschi^d, so wenig als zwischen
forschen und nachforschen. Beydes dient nur
jcur Abwechslung des Redbalis dafs ich das Eine«
mal'^sage: ich wiir es nachsuchen; ein Andres«
mal: ich will (Jarnach suchen — darnach for-
schen , oder, Seh will ihm öach forschen. —
In Ansehung des 'Forschens' und Effor*
Sehens Xx^t» ich dem ürtheile Hrn. Adelungs
376
bey, daß dieses bedeutet durch Forschen etwas
zu erfahren suchen; wie das erfragen in Verr
gleichuDg mit fragen -^ durch dieses eine Sa-
che oder Person ausfündig, «machen. Daher die
Redanen: Jemand, erforschen; wo das einfache
nicht zureichen würde« — Suchen sie .es zu
erforschen, wenn ich« sagen will -r- Forschen sie
so lange 1 bis sie e« heraus, bringen — und da
nicht eben so bestimmt sagen würde: suchen
sie darnach zu forschen --*- ich werde es schon
erforschen; wenn man seine Hofnung dazu er*
klären will — ich hab^ ungeai^tet flies For-
schen« es nicht erforschen, bönnen.
.^usjor^hen meint Hr. Adelung yyoXex ^ er«
forsch enj werde nur ini. gemeinen Leben für
dieses gebraucht. Aber, w^i er jenes erklärt,
übergeht er diese Bemerkung, mit Stillschwei-
gen. Ich halte miqh d^ßn^ mehr an dieses und
deqke, dafs allerdings heydes jvesentlich yer-
schieden sey.. Ich erforsche jemand wenn ich
seine piir .unbekannten Urtheil^ , Meinungen,
Gesinnungen wissen will«-« ein Geheimnifs;
weil e,s mir das ist . — ab^r ich. Forsche dieses
und. jenen Äf/jj um dadurch dfis abge?iweckte
Ende meines Forschejas. nacbdarücklicher anzu*
deuten. Diese Bedeutung hat iie Partikel aus
in mehreren damit z^sl^^lmengej^tzten^ ^^eitwür-
terii ; wie in ausholen jemand (welches ^n das
ausfosschen grenzt) , (Ufsmao/ken.^, ausifhrea^ vu
377
H.' m. Und .daber äagt num- mit ein^^ gewissen
Jubel: ich habe di# Sache ausgeforscht; o! der
ist leipht ^aus^ufoisschen. So ist- auch unaus-
^rsfhliüh in. der Sprache da geweseii^ wte. nocl
itztsiiner/orschlich,.
Gesummt, Aufgelegt ^ Geneigt.
I . In diesen ist,^ die^N^Igupg^ d,qr Wille fe^
\|i:as zu th.itP.» oder di.e Gemiithsfassung da map
cjazu bereit, ist y 4er . ^gi^ineinsdlafdiphe BegriiK
Wenn diese Gemüthsverfassung zur Fertigkeit
geworden« ist^ oder, als- solche^ betrachtet. ^vi^id»
^o istr man. ^e«e/^^,5 ^o; —r zum Vergeben , zum
Wohlthun, zum Zorn, zur Rache u, s. w, »-7:-
Wird sie in einzeln Fällen , durch Gemüthshei-
terkeit; beFördert oder> gehin^dert^ %0' ist man
^^fg^Ug^.o^^t das Gegentheil- — ;^Man sagt:
ich Mn«. heute, zu oiichts aufgelegt; <Kler:' ifj^
^nd ihn- heilte bei onder^ aj»%ßlegt ^um^ Sobwa^
tzen, zum Spielen, zum Spatzierengehen -*-f4i|
man kjftnn sagen: ob er gleieh^pieht recht! dazu
avjgdeg^ \rar^ so ^efs er sich doch geneigt^^^r^
den mit mir zu gehen.- In diesen^ und SbAlJte
chen Italien überwindet eine herrschende JM'eiv
gung.-ei^.. ii]>erhingeheDde . Abneigung , andrer
Art. Wird ^dticb diese JN^eigung durch Ein-
rede, ^ipe*. Anderil, ij» x^maod^ hervorgebracM^
so ist^-r oder, .wird \ et dazu gestimmt. - .?r^
Penu' JwMind ^timmen^. hßi&t ihn bewegen^s dals
378
er seine Stimme, sej es durch bejahen oder
yerneinen , »tu etwas giebt. Geschieht es durch
Seihst^ VberreduDg, so bestimmt man sich selbst
dazttf wo das unzertrennbare Vorwort be die in»
re Stärlie der Handlung, wie in «-» sich beei*
fem -— anzeigen soll.
Ich kaiin also sagen: er war schon dazu ge-
stimmt ; und 9 er hatte schon selbst sich dazu
bestimmt. Aber ich kann beyde Redarten nicht
als ganz gleichdeutig miteinander yerwechslen.
Denn die erste soll anzeigen, dafs er schon
durch einen Andern sey beredet worden; oder
läfst es wenigstens in Zweifel, wer es gethan
hat!
Verzagt f Feigj Zaghaft ^ Feigherzig.
Mangel am Math ist es, was bey dem eineft
wie bey dem andern sogleich im ersten Gehör
gedacht wird, und worüber kein Streit seya
kann*
Unter ihnen selbst ist kein * besondrer we^
tentlicher Unjterschied , - yr&sfoig und feigherzig
' anlangt; sie. deuten beyde an, dafs jener Man«
gel an Muth einem Subject eigen ist, es von
Natur zur Ängstlichkeit und Furchtsamkeit ge-
neigt ist ; und wird nur bey, feigherzig, der ^ixz
der Feigheit mit ausgedrückt -^ wie in hart^
^ herzig verglichen mit Anr^ u. a. m. Das Na^
türlicha dieser Feigheit anzuzeigen , netint man
379
daher .Jepiaod. eine feige] Mammen weil das
weibliclte Geschlecht zur Feigheit mehr geneigt
ist und sio b^y alten Mütterchen um so einge-
wurzelter ist. .' Qder man. sagt: mit dem ist
nichts anzufangen ; .^s ist «ein feiger .Mensch:
auch, Yi^Tixi einer ^inmal zagt .— sie sind ja
sonft nicht so feig— und man; also anzeigen
will, es sey ihm die Zaghaftigkeit nicht natür-
Jich. In .«diesem. Nebenbegriff stimmt es mit
dem Worte blöde überein. welches • wie be-
kannty ehemals auqh zaghaft htdfi^tete , und
zw^r als Natyrfehler — ^ ,I^ehab^am war jung
und Moden Merzensiy o. Chron. i3, 7. Aus
diesem Grunde verbindet man auch einen ver-
achtend ei^;NebenbegrfIF damit; weil man pj(-
ne überhingehe^de Schwäche , , nriek der. Zaghaf-
tigkeit, verzeihlicher. findet 9 als eine eingewur-
zelte^ und mehr yepsohuldung ' bey diese^r
denkt y in so. weit der Mansch .i^r hätte entger
gen arbeiten sollen; j
Dagegen ist also d^r zaghaft oder verzagt^
der es nur tfnter gewissen Umständen ist; fener
lälst abier nur den M^th sinken^ dieser ihn ganz
fallen, welches das .verstärkte unzertrennbare
Vorwort anzeigt. D^ese beyde sind a|so nicht
auch deswegen feig; wohl abei; i$jc der Feige
auch immer zaghaft i^nd y nach Besch|iFenhei(
der Umsfäi^de^ verzagt. : - ^
. Luther hat diesen Unterschied gleichfalls
38o .
beobachtet: 3.8. M. a6^ 36. ieh'vrtU euch 'ein
feig Herz machen -^ Jos« 7. 5. Da t^ard dem
Volke das Herz vtrzagc; yergt irSain. ^ iZ,
2. B. M. a3» 27. 1. Macc. /^ Z2.
Nun könnte- man zn^ar in Ansefanng der
ersten Stelle sagen, was schon in der Gemiiths-
beschafFenheit des MenscKen lie^e^ das brauche
man nicht erst ihm^ anzuschafFen «*-* wie viel-
leicht, *auch aus diejser Ursache, die Zürcher
'Übersetzung statt, iSsig, ftbersetzt t^rsa^/. 'AI-
leih es «sollte Ihh'efi gleichsam itit andern -Na-
tur werden, dafs die Feigheit von der Zeit an
in ihnen anf imnrer Platz nahnie. Da wurde
denn, -verzagt^ ^offenbar'zu schwach gesagt ge«
wesen sejn. Auch die dl>äische UeUersetzung,
hat also hier gleichfalls blöde hterten.
Hr. 'Stosch'\i9Lt diesen Unterschied, i- Th.
'S. di5. nicht ganz richtig angegeben, wenn er
beyden'Wörte^ii nUl^ den Begriff des sinkenden
Muths beylegt.
i.
HTohlunständigy Aitigy Gef adlig; •Verbindlich.
Artig ist, Vas Art hat; d. i. den Eigen-
schaften und Verhältnissen der Dinge ^ an de-
» - «
taen man es wahrnimmt, gemäfa ist - -^ das Ge-
genseitige unartig -^ ein artiges Mädgen , ein
artiges Haus',> ^m Umgang sefcr'alrtig hefn^ Ist
diese Artigkeit durch Erziehung und Übung er-
worben worden so ist man vfohtgeartet , welches
, 38»
daher. , aU, eine^Sache der firziejiuiig, nur von
Personen kann gesagt werden; und ob gleich .
dabey die innre Gutartigkeit mit gemeint wird,
so jdenkt man diese doch auph sich nu^, in .so ^
weit sie ins Äuge fäl|t. -
fp ohlanstundig i«t, was den Verhältnissen
der Personen gemiÜs ist. Ich glaube nur^ dafs
das, vorgesetzte fVohl ein Pleonasmus sey für
daS; einfache > anständig, und also im Gebrauch
nic}it allgemein^ sondern , nur provinziell —
Gapz wie das gut, wenn ich sage: es ist wi-
der den guten Anstand — - und eben so viel an-
deute wenn ich sage : es ,ist wider den Anstand
— non decet, es ist. wider das Decorum; aber
schwerlich sagen werde , .es ist wider das gute
Decorum '— so wie ich gegenseitig das, unan-
ständig ^ aus gleicher Ursache dem^ übel anstän-
dig, vorziehen würde. Es ist, wie mit dem,
Worte ^ Wohlgefallen , welches, für d$is einfa-
che Gefallen, aus dem beneplacitum der mitt-
lern Latinität^ als einer wörtlichen Übersetzung
des gr. fv^««««, eben so wörtlich ins Deutsche
ist übergetragen worden; wie «das französische
bon plaisir. Das ächtlateinsche aber ist gleich-
falls das einfache placitum •-•^ placita principunu
Ich sage also: eine anständige Kleidung, ei«
ne anständige Verbeugung ,. eine anständige Be-
kostigung, Wohnung, Gesellschaft (in welcher ,
sich /die Personen zusammen schicken) *^ ^n^
382
ständig sprechen, antworten^ sidi anständig be-
tragen u. dgL m*
Gefällig ist; was andern zu Gefallen ge-
scbiehti und wobey man sfcb, um dies zu sejm,
auch mit eigner Beschwerde in gleie' gültigen
Dingen nach ihnen bequemt. Daher sind es
glaighgeltende Bitten — seyn sie doch so ge-
fällig i und, thun sie mir doch den Gefallen :
sie wären wohl nicht so gefallig, utid, sie thaten
mir wohl nicht den Gefallen — Und daher die
anderweitigen Ausdrucke: ein gefalliges Wesen,
ein gefälliger Freund , eitle gefallige Antwort;
Andern sich gefällig machen, es ihnen werden^
in so weit man dadurch ihr Wohlgefallen er*
wirbt. Der Gefällige nun macht Andre sich
verbindlich \ er verbindet, verpflichtet sie
sich, legt ihnen eine Pflicht auf; durch ein
verbindliches Compliment ,' durch eine verbind*
liehe Antwort, Aufnahme. '
Aus dem allen ergiebt sich nun , dafs an-
ständig oder wohlanständig f ftrtig, gefällig, ver-
bindlich,' eins wie das Andre bejr Sachen oder
Personen ein gewisses Aufserliches bezeichnen,
welches durch die Sinne einen angenehmen
Eindruck auf dasllerz macht, dafs man sie
mit Vergnügen und Beyfall wahrnimmt. Denn
auch zur Gefälligkeit und zu einem verbindli-
chen Betragen' gebellt sich nicht nur äußerliche
Freundlichkeit mit allen Ausdrücken der Güte
383
und des Wpblioeyneiis;^ sie ist auch eine notfa-
wendige Zuthat. Ma& suche andre sich noch^
so verbindlich zu machen j geschieht es mit ei-
nem kalten ja! oder gar mürrischen Wesen;
so wird man seinen Endzweck schon weniger
erreichen«
« <
Höflichkeüf Lebensart^ fVele^ Sitten •Anmutlu
Lebensart f dieses äufserliche gesittete Be-
nehmen im Umgang und Verkehr mit andern,
ist das Genus , und begreift die ferner genapn-
ten Eigenschaften mehr oder weniger in sich.-
Das allgemeinste^ was dazu wieder gehört^ ist
Höflichkeit f oder die Achtungs- Bezeugung ge-
gen andre, nach jedes Orts Sitten und Gebräu-
chen; das was^ nach verfeinerten Sitten ^ beson-
ders an Höfen und unter den Grolsen dazu ge*
rechnet wird, auch eine gewisse durch vielen
weitläufigen Umgang erlangte Manier erfor«
dert,' ist W-elt; was endlich der guten^ wie der
verfeinerten Lebensart , noch einen besondern
Reiz giebt^ und mehr natürliches Talent ist,
als eine erworbene Fertigkeit^ heifst Sitten- An-
muth, der Lateiner amoenitas* Es gehört dazu
eine Geschmeidigkeit des Cörpers wie des Geif
stes, ein leichter unbeleidigender Witz, sanftes
und gefälliges, ^ ungezwungnes und doch nicht
zu. freyes oder gar unbescheidenes W^sen.
Zur Erläuterung, wie sehr difse Unter-
384
Scheidungen in der Spradie liegen i wird fol-
gendes zureichen. .Kommt Ca/us in eine Ge-
sellschaft ausgebildeter Menschen die seines
gleichen oder auch noch über ihn sind, ab
Gast^ und erscheint, in einer nachläfsigen Klei-
dung; so wird man nun wohl nicht sagen —
er habe gar keine Lebensart, aber doch er hand-
le wider die gute Lebensart, so lang er doch
übrigens sich gesittet in Geberden, Stellungen
und Ausdrücken beträgt. Läfst er es denn aber
auch daran ermangeln; nun so wird dann erst
jeder, sagen: der Mensch hat nicht die gering-
ste Lebensart y indem er ihm nun auch alle Ar-
ten der Höflichkeit absprechen mufs, Der un-
gebildetere Landmann, wird das erste zwar auch
bemerken,, aber weil er überhaupt das Wort,
Lebensart, als c^ineil, dlgemeinen Begriff, gar
nicht in se^iner Sprache hat,, auch schon dayoa
sagen: der Herr ist unhöflich. Nun komitie
aber auch 4er Mensch von gemeiper guten Le-
bensart in die so genannte grofse Welt, er sey
da noch sq huflich; verräth .er dabey einen ge-
wissen Zwitng, n.ähert er sich den Grofsen mit
einer ihm selbst unbehaglichen Steifheit, Schüch-
ternheit und Blödigkeit, yerstöfst er gegen den
bqn ton im Sprechen, weif{S er nicht jedem Be-
kfin^iten und Unbekannten ..etwas . verbindliches
zu sagen: so hat er nicht Welt genug; es fehlt
ihs3i zwar f^cbt A9 «einer gui^ , aber doch fei-
nen
385
* »
nen Lebensart. Es fehle ihm nun aber auch
hieran , &o wird doch selbst auch der Höfling
gestehen müssen: es ist eine angenehme Per-
son y ' wenn Jeihand Sitten - Anmuth hat — - die-
sen persönlichen Reitz in Manieren , wie in Un-
terhaltungen ^ den, als Naturgabe ^ die kein
Studium giebt, jeder , der Hof- und Welt-
Mann, der Städter und Bauer, (ob schon die-
ser ihn nicht zu benennen weil«) gleich empfin-*
den und gleich schön Hnden mufs. Das Con-
ventionelle in der Höüichkeit und detn, was
man Welt nennte ist abwechselnd von Ort zu
Ort und veränderlich von Zeit zu Zeit; nur das
Natürlich- schöne^ auch in Sitten, ist bleibend.
Schimmern fLeucheeit,
■ »k
Bef beyden denke ich mir Schein und Licht;
nur bej jenem mehr den-iSchein, von dem al-
ten deutschen Wort Scheme (Ps, 38, 7.) bey
diesem mehr das Licht—- bey jenem den
Schein eines schwachen oder getheiken (Hrn.
Adelungs zitternden) Lichts, welches nur eini-
ge Gegenstände erhellet; bey diesem den Schein
eines hellen oder vollen Lichts , das alles um'
sich her sichtbar macht. Die Sonne leuchtet;
die Sterne, Gold und Silber (Ps. '68, i4) schim-
r
mern — das Li<;ht erleuchtet ein Gemach; und
es schimmert aus einer gewissen Entfernungi
wo alles umher dunkel ist«
Bb
386
hieher gehört noch glänzen von einem leb-
haften Lichtscheine; gleifsen^ von einem mal"
Un gesagt. In Vergleichung mit dem Monde
scheinet 9 leuchtet und glänzet die Sonne; er
.scheinet und leuchtet nun Ich kann sagen
Sonne/ischein y Sonnenlicht, Sonnenglanz; aber
nur Mondschein^ Mondlicbt — und es ist nicht
alles Gold, was gleifset. Folget^ sagten die la-
teinischen Grammatiker, natura ^ ignis^ sol^
splendet artificio aurum. Auch ist funkeln ein
stärkeres Schimmern und das noch stärkere
blitzen.
Mifsffinst^ Scheelsucht, , Neid.
Alle dreye bezeichnen einen Widerwillen
gegen das Glück und die Vorzüge Andrer —
den stärksten der Neid; einen schwächern .A/^-
gunst; sowie das Mi/s, in dieser Zusammen&e-
tzungy gelinder, verneint als das Un (z. E« Mifs-
muth, Unmuth); es, mit Neid und Scheelsucht
verglichen, nur etwas negatives ist, dieses bey-
« des aber mehr etwas positives anzeigt. So ist
auch ferner mit Neid immer Hafs verbunden,
MUsgunst^ nur mit Unwillen und Abneigung
von dem andern. ßs ist endlich der Neid
schon eine Fertigkeit andern das Ihrige nicht
zu gönnen, die den Cbaraktej* eines Men«
sehen ausmacht, wenn Mifsgunst auch nur et-
was überhingehendes seyn kann^ wozu beson-
^
387
dre Umstände und Personen Anlafs geben. Da-
her hat man von Neid , als Charakter , die be^
sonderen Nahmen, Neidhart, Neidhammel er«
funden; man sagt nicht : das ist ein mifsgünstiger^
sondern, ein neidischer Mensch.
Vom Neide ist die Scfieelsucht in so fern
unterschieden, in wie fern sie zugleich die Ur-
sache desselben andeutet; da man die Umstän-
de des andern mit einem scheelen, schiefen
und unfreundlichen Seitenblick und also in ei-
nem falschen Lichte betrachtet^ dadurch aber
der Neid zugleich gedacht wird, wie er eine
unzufriedene * Vergleichung der Umstände des
andern mit den seinigen anstellt. Daher ich
auch sage: der scheeisüchtige Neid, und auch
von Tlueren, wohl dafs sie neidisch^ nicht aber
dafs sie scheelsüchtig sind; eben wöil sie
ihre Blicke iticht nach Belieben seitwärts rich-
ten können. Bey Mifsgunst ist also auch weni-
ger Scheelsucht^ und unterscheidet sie sich über-
diefs noch dadurch Von dieser > wie vom Neide,
dafs man dem andern sein Glück mifsgönnen
kann , 'blofs um seiner Person willen , der Nei-
dische und Scheelsüchtige aber auch sich dabey
zum Gegenstande haben. Noch ist gefragt
worden; ob Mifsgunst und Abgunst^ von den ehe-
mals üblichen abgönnen, wofür man auch, ver^
gönnen^ sagte, unterschieden sey. Hr. Adelung
ist auf keine^ Weise für die Unterscheidung und
* Bb fl
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nur der Meinung, da& das letzte in Nieder-
deutschland üblicher, oder, Wie er sich unter,
MifsguDSt, erkürt, Abgunst, mehr im gemeinen
Leben gebrtuchlich sey. Im gansen bin ich
seiner Meinung, glaube aber doch, dais Al>-
gunst theils früher oder wenigstens häufiger vor-
mals im Gebrauch gewesen, theils für bedeu-
tender als Milsgunst gehalten worden; indemL
man, von Abgunst bersten, cu sagen pflegte,
wie noch itst das — vor Neid bersten -^ ge-
wöhnlich ist» nicht aber eben sowohl, vor 'MKs-
gunst bersteq. Auch würde ich wegen des
Wohlklangs Abgunst^ dem, Mif«guDst, und noch
mehr abgünstig» dem, misgünstig, vorziehen; und
sollte ja zwischen beyden ei^ Unterschied ge-
macht werden, Abgunst und abgünstig j nach
der Analogie in Abneigung und abgeneigt
nur von dem brauchen, der mir seine Gunst in
einer Sache verweigert, entzieht. Wenn ich z.
E« sagen könnte — seyn Sie. mir in der Aage*
legenheit nicht abgünstig, so wäre es allerdings
milder, als wenn ich sage — seyn Sie mir dar-
in nicht , zuwider. Doch freyiich haben wir
auch schon diefs mildere in abgeneigt; obgleich
auch dann der Unterschied sich deiJUien
lieüse, ' dafs abgeneigt, mehr einen permanen-
ten Und thätigen Zustand, abgünstig, mehr ei-
nen überhingeh^den und leidenden andeute.
389
- Empjanglich y Pahig»
Seydes wird von Dingen gebraucht , welche
die Eigenschaft besitzen, Eindrücke anzuneh*
men^ die Veränderungen in ihnen hervorlirin-
gen. Denh auch fähig ist von fangen , nach
der aken Form, fah^n^ abgeleitet. Das erste
hat man neuerlich in die Sprache eingeführt;
welches aber doch ein Beweis ist^ dafs man ein
Cedürfnils gefühlt hat^ weil man mit dem /a*
hig nicht allenthalben auskopiipen konnte« Ich
wäre nun der Meinung , dafs jenes einen ne-
gativen Begriff in sich schlieise, da man nur
den Eindrücken nicht widersteht, und also das
Subject sich dabiey mehr leidentlich verhält ; das
fähig aber mehr etwas positives und thätigea
andeute , wobey man zugleich mitwirkt. Was
ich empfahCf dabey verhalte ich mich mehr lei*
deutlich 9 inden^^ wenn ich auch es neh-
'nie, ich doch zur l)arreichung nichts beitra-
ge; was ich fahe,, dabey bin ich selbst-
thätig. Daher wird fähig, wie Fähigkeiten, nur
von Menschen, nach Geist und Herz, gebraucht;
und so beweisen es auch die Ausdrücke und
Redarten y in welchen ea vorkömmt. — r Die
Erde ist des Samens empfanglich; der Mensch
der Gnade Gottes — Offenbar kann die Erde
nichts dabey wirken, und der Mensch wirkt
nach dem gemeinen System eben so wenig da-
bey. Zwar führt Hr. Adelungs der dieses Wort,
wie mehr neuere , etwas spröde und nur im
3^0
Vorbejgehea behandelt ^ die Redart an — sich
der Gnade Gottes empfanglich machen — AI*
lein zuerst kann ich mich keines guten Schrift-
stellers erinnern, der sich ihrer bedient hätte^
alle reden nur von einem — empfänglich seyn,
empfänglich werden — - Es könnte also diesem
Worte j wie allen neugestempelten gegangen
seyn , bej deren Einführung man erst lange hin
und her wankt , wo man sie eigentlich anbrin-
gen soll, bis der damit zu verbindende Begriff
sich mehr fixirt» - Zweytens aber verfahrt der
iVfen^ch, der die Gnade Gottes empfängt, da-
bey doch nur vorbereitend , dafs nichts in ihm
ist f was sie hinderte; indem er sie empfängt
fst er ganz leidend. Denke ich mir auch , dafs
man , wie es scheint , bey dem , empfänglich^
zugleich auf den NebenbegrifF des Erwärmens
und Belebens einer Sache in sich mit gesehen
hat: so ändert das in der angegebenen Unter-
scheidung nichts. Die Erde, indem sie in sich
den Samen erwärmt, belebt , und zur Reife
bringt, läfst auch dabey 'ganz leidentlich den.
Regen in sich eindringen und' die erwärmende
Kraft der Sonne auf sich wirken — sie hat die
Eigenschaft dazu, wie zu dem Aufnehmen des
Samens.
Sage ich nun tiber — des Nachdenkens fä-
hig seyn, der Freude, der Freundschaft; fähig
seyn ein Amt zu bekleiden^ eine Wijssenschaft
odier Kunst zu erlernen, t>der eiffer Sache gar
i
•
nicht fähig. ^eyiii; ein ßhiget Kopf, ein fähiger
Vei^stand -— so denke ich bey dem allen zugleich
ein Handeln des Subjects, dem ich dus fähig
2^uschreibe , da es ein geg^ebnes und empfangnes
Object bearbeitet. So ist der fähig des Nach-
denkens, der wirklich nachdenkt ; der Freude,
der dxß G.eiegßuheit da^xjn xxüu^t, und erfreuli-
Q^iß Gegenstände aufsucht oder leicjit bemerkt,
wo der Träge viel ,zu unthätig dazu ist. Man
ist fähig der Freundschaft, in. so. weit man sie
erwirbf oder erwiedert; besonders das letzte, wel-
c^eSk den aip^^^eigten Unjterschied noch deutli-
eher .macht. Denn ' wann iph mit einer Art von
Unzufriedenheit, oder.. Unwillai;! sage: djef*
l^iisch ist gar keiner Freundschaft fähig; so
yjrili ich damit anzeigen, dais er nicht . nur
nicjits;., zuirorkommendes hat^,. sondern aycph
demjenigen, ^er. ihm, mit, Wohlwollen entgegen
Icömjtnt, aus dem Wege g^ht«, • In dem -r- ei'^
ner Sache, nipht fähig ^eynji, ^ — ; ; isjt. das thup^
wp nicht aufgelassen» 4och zu verstehen^ dal$
ich a}^o ^uch dafür sage : .€|r ist nicht fähig das
zu thun» Nur der f^hig^-.K-Opf oder Verstand
könnte scheinen blofs die Fassungskz^ft (die Ca-
pacität) vieler/ Dinge aiizudeuten. Allein dafür
haben wir, ^chon das, vielumfassend^ und un-
ter jenen verstehe ich allerdings nicht nur den
der laicht fafst ^ sondern auch der leicht begreif^
und das Gefafste in sich bearheltet«